L 3 SB 1101/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1781/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1101/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Der 1942 geborene Kläger beantragte am 05.02.2004 die Neufeststellung des GdB unter Hinweis auf einen Herzinfarkt (Angina pectoris, Asthma, Kurzatmigkeit, Schwindel, Angstzustände). Zuletzt hatte der Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2003 die Feststellung eines GdB abgelehnt. Unter Berücksichtigung der mit Antragstellung vorgelegten Befunde und einer gutachterlichen Stellungnahme von Dr. S., der eine koronare Herzkrankheit, einen abgelaufenen Herzinfarkt, Stentimplantation und psychovegetative Störungen mit einem GdB von 20 bewertete, stellte der Beklagte den GdB mit 20 seit 05.02.2004 fest (Bescheid vom 10.03.2004). Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte, nachdem er weitere Befunde beigezogen und eine ergänzende ärztliche Stellungnahme von Dr. E. eingeholt hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2004 zurück.

Am 07.10.2004 hat der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Konstanz Klage erhoben. Nachdem zunächst mit Beschluss vom 29.11.2004 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden war, hat der Kläger unter Vorlage von Berichten des Krankenhauses Pfullendorf und des Kreiskrankenhauses Sigmaringen das Verfahren am 30.06.2006 wieder angerufen. In einem ausführlichen Befundbericht über eine ambulante Untersuchung am 20. und 21.03.2006 im Krankenhaus Pfullendorf ist eine Indikation zu einer erneuten Koronarangiographie gesehen worden. Die Herzkatheteruntersuchung ist am 22.06.2006 im Kreiskrankenhaus Sigmaringen durchgeführt worden. Im Bericht des Oberarztes Dr. F., Kreiskrankenhaus Sigmaringen, vom 22.06.2006 wird über ein gutes Langzeitresultat nach RIA PTCA bei Vorderwandinfarkt 12/03 berichtet. Die Ausbildung einer De-Novo-Stenose habe ausgeschlossen werden können. Ventrikulographisch habe sich jedoch eine mittelgradig eingeschränkte Pumpfunktion mit einer Vorderwandspitzenakinesie gezeigt. Die Beschwerden des Patienten seien am ehesten durch die Herzinsuffizienz zu erklären. Aufgrund der mittelgradig eingeschränkten Pumpfunktion hat der Beklagte daraufhin vergleichsweise die Feststellung eines GdB von 30 ab 05.02.2004 angeboten. Dieses Vergleichsangebot hat der Kläger abgelehnt. Das SG hat Beweis erhoben durch die schriftliche Vernehmung von Privatdozent Dr. H., Chefarzt der Inneren Abteilung der Kliniken des Landkreises Sigmaringen als sachverständigen Zeugen. Privatdozent Dr. H. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 10.11.2006 die koronare 3-Gefäßerkrankung mit primär erfolgreicher Rescue-PTCA des RIA mit Stentimplantation bei Vorderwandinfarkt am 01.12.2003 und einer verbliebenen 60%igen Stenosierung der RCA und 50%iger Stenose der RCX bei diffuser Koronarsklerose und arteriellen Hypertonie mit einem GdB von allenfalls 30 bewertet.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2007 hat das SG unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, einen GdB von 30 ab 05.02.2004 festzustellen. Es hat ausgeführt, dass nach einem Herzinfarkt die GdB-Bewertung von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig sei. Da diese im Wesentlichen in einer leichtgradigen Belastungsdyspnoe und in bewegungsabhängigen Schmerzen im Bereich des rechten Oberarmes bestehe, sei die Zuerkennung eines GdB von 30 angemessen.

Gegen den dem Kläger am 16.02.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 01.03.2007 Berufung eingelegt.

Zur Begründung hat er Arztberichte von Privatdozent Dr. H. vom 27.03.2007 und 30.04.2007 sowie der Oberärztin B., Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie Kreiskrankenhaus Sigmaringen, vom 02.05.2007 vorgelegt. Ein am 27.03.2007 durchgeführtes Belastungs-EKG habe nach einer Belastung von 75 Watt bereits nach einer Minute abgebrochen werden müssen. Daraus eröffne sich ein GdB Rahmen für das Herzleiden von 50 bis 70. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass im Befundbericht des Kreiskrankenhaus Sigmaringen nunmehr ausdrücklich eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert worden sei. In dem Bericht der Oberärztin B. wird eine rezidivierende depressive Störung mit Verminderung des Antriebes, einer leichten Gedächtnis- und Konzentrationsstörung und Schlafstörungen beschrieben. Der Kläger sei im Affekt deutlich angespannt und niedergeschlagen und eingeschränkt schwingungsfähig. Hinweise für das Vorliegen von Ich-Störungen, paranoidem Erleben oder Trugwahrnehmungen hätten zum Untersuchungszeitpunkt nicht bestanden. Er habe passive Todessehnsüchte geäußert, sich auf Nachfrage aber von akuten suizidalen Handlungsimpulsen distanziert. Den aufgezeigten Therapieoptionen habe er eher skeptisch gegenüber gestanden und angegeben, sich zunächst verstärkt um die körperlichen Erkrankungen kümmern zu wollen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat den Kardiologen und Oberarzt der Medizinischen Klinik am Kreiskrankenhaus Rottweil Dr. A. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er führt in seinem Gutachten vom 01.02.2008 aus, dass auf internistischem Fachgebiet ein arterieller Hypertonus, eine medikamentös eingestellte Hyperlipoproteinämie sowie eine Gefäßsklerose der Koronararterien und der Halsgefäße vorliege. Außerdem bestehe ein Zustand nach Anteroseptalinfarkt mit leichtgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion als Folge des Infarkts. Bezüglich der linksventrikulären Pumpfunktion gehe er von einer leichtgradigen Einschränkung aus. Für den Zustand nach Myocardinfarkt halte er einen GdB von 20 für angemessen. Bezüglich des seelischen Zustandes halte er die depressive Grundstimmung für eine mittelschwere Beeinträchtigung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09. Februar 2007 sowie den Bescheid vom 10. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er weist darauf hin, dass sich dem Bericht der Oberärztin B. keine wesentliche Einschränkung der sozialen Kontaktfähigkeit und/oder Interessenverlust entnehmen lasse. Im Vordergrund habe die Auseinandersetzung mit der verminderten Belastbarkeit aufgrund der körperlichen Erkrankung und mit der Beendigung der Berufstätigkeit gestanden. Eine zusätzlich zu berücksichtigende GdB-relevante psychische Beeinträchtigung sei nicht belegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts Konstanz (S 1 SB 2425/04 und S 1 SB 1781/06) sowie die Akte des Senats haben vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Der Kläger verfolgt sein auf Feststellung eines höheren GdB gerichtetes Begehren auch im Berufungsverfahren mit der - allein - statthaften kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 08.06.2005 - L 3 SB 13/05 - m.w.N.) weiter. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Konstanz (SG) den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 30 verurteilt. Die Abweisung der Klage im Übrigen ist ebenfalls nicht zu beanstanden, weil ein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB nicht besteht.

Hinsichtlich der Darstellung der Rechtsgrundlagen für die Neufeststellung des GdB und der dabei anzuwendenden Bewertungsmaßstäbe nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich festzustellen, dass mittlerweile die im Wesentlichen mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2004 gleich lautenden AHP 2008 maßgebend sind.

Die Berufung ist aus den vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausführlich und überzeugend dargelegten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Der Senat nimmt auf diese Ausführungen, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, ebenfalls Bezug und sieht deshalb auch diesbezüglich von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Ergänzend ist zum Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren und den vorliegenden Ermittlungsergebnissen noch auf Folgendes hinzuweisen:

Die Angemessenheit der vorgenommenen Einstufung der Herzerkrankung mit einem GdB von 30 steht nach Überzeugung des Senats außer Zweifel. Die AHP (26.9, S. 71 f.) sehen bei Krankheiten des Herzens einen Beurteilungsspielraum von 20-40 bei einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung vor und geben dafür als Richtwert Beschwerden und das Auftreten von pathologischen Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 75 Watt an. Ob die Pumpfunktion nun als lediglich leichtgradig oder bereits als mittelgradig eingeschränkt einzustufen ist, bleibt in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die vom SG vorgenommene Bewertung trägt der als mittelgradig einzustufenden Leistungsbeeinträchtigung, und nur hierauf kommt es an, angemessen Rechnung. Wie sich dem Gutachten von OA Dr. A. entnehmen lässt, war im Rahmen des Belastungs-EKG eine Belastung bis zu einer Belastungsstufe von 100 Watt und damit oberhalb des genannten Richtwertes möglich. Dabei ist es weder während der Belastung noch in der Ruhephase zu einer Angina-Pectoris-Symptomatik oder Herzrhythmusstörungen oder anderen Komplikationen gekommen. Vielmehr wird berichtet, dass der Kläger während der gesamten Belastungsphase und auch in der Ruhephase klinisch beschwerdefrei gewesen ist. Aber nicht nur die klinische Untersuchung, sondern auch die durchgeführte Echokardiographie sowie die erhobenen Laborparameter (insbesondere der BNP-Wert) haben nach den Ausführungen des Sachverständigen keinen Hinweis auf eine Herzinsuffizienz ergeben. Diese Befunde rechtfertigen jedenfalls keine höhere Einstufung des GdB als den, den das SG bereits festgestellt hat.

In ihm ist die von Dr. A. ebenfalls beschriebene "suboptimal" eingestellte arterielle Hypertonie ebenso mitberücksichtigt, wie die vom SG aufgeführte leichtgradige Belastungsdyspnoe und die bewegungsabhängigen Schmerzen im rechten Oberarm. Wesentliche, sich auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft besonders auswirkende Einschränkungen sind damit nicht verbunden.

Eine eigenständige psychiatrische Erkrankung, die unabhängig von der vorliegenden Herzerkrankung zu sehen und bewerten wäre, ergibt sich aus den vorliegenden Befunden nicht. Auch wenn Dr. A. ebenfalls eine Niedergeschlagenheit des Klägers und eine innere Unruhe in seinem Gutachten vermerkt hat und insoweit sogar von einer mittelgradigen Einschränkung spricht, ist im Hinblick auf die bereits im April 2007 von OÄ B. angesprochenen Befunde trotz Empfehlung von Therapiemaßnahmen nicht auf eine wesentlichen Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu schließen. Wie dem Bericht entnommen werden kann, hat der Kläger tatsächlich keine Therapiemaßnahmen in Anspruch genommen und solche eher abgelehnt. Mit Dr. Götz in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.06.2007 sind durch diesen Bericht keine wesentliche Einschränkung der sozialen Kontaktfähigkeit oder ein Interessenverlust belegt, die nach den AHP (26.3, S. 48) Grundlage für die Annahme einer GdB-relevanten Einstufung erforderlich wären. Vielmehr ergibt sich aus dem Bericht, dass eine soziale Kontaktfähigkeit mit der wöchentlichen Teilnahme an einem Lesekreis und an einem Frühschoppen nicht wesentlich beeinträchtigt sein kann.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die vom Kläger begehrte Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft eine Vergleichbarkeit der Einschränkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft voraussetzt, wie sie beispielsweise durch den Verlust eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislauf-Schäden oder Einschränkung der Lungenfunktion bei bereits alltäglicher leichter Belastung auftreten. Hiervon kann aufgrund der vorliegenden Befunde nicht ausgegangen werden.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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