Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 VG 28/98
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 VG 5/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. März 2003 (S 31 VG 28/91) wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte für den Kläger Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG –) zu erbringen hat. Der im Jahre 1950 geborene Kläger ist tunesischer Staatsangehöriger. Er lebt seit November 1969 als angeworbener Arbeitnehmer in Deutschland. Zunächst erhielt er befristete Aufenthaltserlaubnisse, im August 1979 wurde sein Aufenthalt unbefristet genehmigt. Der Kläger war zuletzt im Besitz eines zunächst bis 10. Juli 1995 gültigen, angeblich bis 10. Juli 2000 verlängerten tunesischen Reisepasses (XXXXX), den er am 22. März 1996 als im März 1996 verloren meldete. Ob dem Kläger danach ein weiterer Pass ausgestellt worden ist, ist unklar. Der Kläger hat aus zweiter Ehe mit einer tunesischen Staatsangehörigen vier Kinder. Der jüngste Sohn H. ist im XXXXX 1991 geboren. Nach Trennung der Eheleute war es zum Rechtsstreit über das Sorgerecht für die vier Kinder und über deren Umgang mit dem Vater (Kläger) gekommen. Am 13. Juli 1993 fand vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in der Familiensache eine mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Kläger mit seinem Sohn H. erschienen war. Im Verlaufe der Verhandlung legte der Kläger dem Sohn eine mitgeführte Kordel als Schlinge um den Hals, um damit seinem Begehren Nachdruck zu verleihen, dass seine anderen drei Kinder vom Gericht in seiner Gegenwart angehört werden. Einer Aufforderung, die Schlinge zu entfernen, kam er zunächst nach, legte sie jedoch im Laufe der weiteren Verhandlung wiederum mehrmals um den Hals des Kindes. Gegen Ende der Verhandlung entfernte der Kläger die Schlinge vom Kopf des Sohnes und legte sie auf den Richtertisch. Als der Kläger mit seinem Sohn das Gerichtsgebäude verlassen wollte, wurde er auf dem Flur vor der Tür des Sitzungssaals von herbeigerufenen Kräften des Mobilen Einsatzkommandos der hamburgischen Polizei überwältigt und verhaftet. Er hatte die Füße des Kindes unter seinem linken Arm an den Körper gepresst. Der Polizei gelang es nur durch Einsatz von Gewalt, diesen Griff zu lösen und den Kläger zu fesseln. Er wurde von der herbei gerufenen Ärztin Dr. W. untersucht. Nach dem Polizeibericht wies er aufgrund seiner geleisteten Gegenwehr kleinere Blessuren auf. Aufgrund dieses Ereignisses wurde der Kläger wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urteil des Landgerichts Hamburg vom 31.5.1995, 711 Ns 11/95, 20 Js 784/93, 141 a I - 1883/93). Mit Bescheid des Einwohner-Zentralamtes der Freien und Hansestadt Hamburg vom 9. April 1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 24. August 1999, ist der Kläger daher in Anwendung des § 47 Abs. 2, § 48 Abs. 1 Ausländergesetz 1990 (AuslG) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden, und es wurde ihm die Abschiebung angedroht. Diese Entscheidung ist bestandskräftig, seitdem das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 (OVG 3 Bf 195/02.Z) den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. März 2002 (14 VG 3465/99) abgelehnt hat. Bereits am 6. März 1996 hatte der Kläger bei der Beklagten Versorgung für Geschädigte nach dem OEG beantragt. Er gab an, bei der Festnahme im Hanseatischen Oberlandesgericht geschlagen worden zu sein, Hände und Füße seien umgedreht, die rechte Hand beschädigt worden. Der rechte kleine Finger sei noch verkrüppelt. Aus den beigefügten Unterlagen ergab sich, dass der Kläger am 7. Juni 1994 im Allgemeinen Krankenhaus W. wegen einer arthrogenen Beugekontraktur des Kleinfingermittelgelenkes rechts operiert worden war. Bei einer Untersuchung im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg wurde am 25. September 1995 eine Beugekontraktur des rechten kleinen Fingers mit Verlust des A 2-Ringbandes diagnostiziert. Unterlagen über eine Behandlung des Klägers in der Haftanstalt waren damals nicht vorhanden. Über die Verkrüppelung des Fingers hinaus machte der Kläger zur Begründung seines Antrages noch Schmerzen im Handteller beim Heben schwerer Lasten und eine seelische Beeinträchtigung geltend. Mit Bescheid vom 29. Mai 1996 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem OEG ab. Zur Begründung führte sie aus, die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 OEG seien nicht gegeben, da ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff nicht stattgefunden habe. Die herbeigerufene Polizei habe bei seiner Festnahme rechtmäßig gehandelt, da er gedroht habe, das Kind zu töten, falls man seinen Forderungen nicht nachkomme. Der Kläger erhob Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 1998 zurückgewiesen wurde. In der Begründung des Widerspruchsbescheides heißt es, das Landgericht Hamburg habe den Kläger mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Mai 1995 im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 13. Juli 1993 wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Zugriff der Polizei sei rechtmäßig gewesen, weshalb es an einem rechtswidrigen Angriff im Sinne von § 1 OEG fehle. Die Anwendung von Gewalt habe sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung gedient. Mit seiner am 25. November 1998 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. März 2003 abgewiesen: Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger am 13. Juli 1993 im Gebäude des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Rahmen eines Polizeieinsatzes durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff geschädigt worden sei, denn die von ihm geltend gemachten Schädigungen könnten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den behaupteten polizeilichen Angriff zurückgeführt werden. Es gebe keine zeitnahe medizinische Dokumentation z.B. der festgestellten Beugekontraktur des rechten Kleinfingers oder anderer gesundheitlichen Schädigungen, so dass sich der Kläger die Verletzungen auch zu jedem anderen Zeitpunkt (davor oder danach) zugezogen haben könne. Eine wesentliche Verschlimmerung seines seelischen Leidens sei ebenfalls nicht erkennbar. Das Urteil ist am 30. Juni 2003 zur Post gegeben worden. Am 21. Juli 2003 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung hat er vorgetragen, vorhandene Zeugen für den schädigenden Vorgang seien zu keiner Zeit ordnungsgemäß vernommen worden. Wäre dies geschehen, hätten sie seine Sachverhaltsdarstellung bestätigt. Mit Beschluss vom 27. März 2006 (L 4 VG 1/06) hat der Senat die Berufung – nach Zurückverweisung durch das Bundessozialgericht (BSG) durch Beschluss vom 24. November 2005 – wiederholt zurückgewiesen. Diese Entscheidung hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 29. März 2007 (B 9a VG 10/06 B) aufgehoben und die Sache wiederum zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen: Der Kläger sei nicht ausreichend angehört worden. Es werde zudem vorsorglich darauf hingewiesen, dass gegen die Begründung der Entscheidung Bedenken bestünden. Es sei fraglich, ob man – wie das Landessozialgericht dies getan habe – die vom Kläger verübte Geiselnahme auch dann im Sinne von § 2 OEG als wesentliche Mitursache für die erlittene Schädigung ansehen könne, wenn sie zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes beendet gewesen sei (BSG, Urteil vom 29.3.2007, B 9 VG 2/05 R). Insoweit werde es auf die konkreten Umstände des Falls ankommen (BSG, Urteil vom 10.9.1997, SozR 3-3800 § 2 Nr. 7). Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger über die Schädigung des kleinen Fingers hinaus noch eine seelische Beeinträchtigung, zwei Zysten des Mondbeines rechts sowie einen Schaden am rechten Sprunggelenk als Folgen des Ereignisses vom 13. Juli 1993 geltend. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. März 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund eines vom Kläger am 13. Juli 1993 erlittenen schädigenden Ereignisses Heilbehandlung und Beschädigtenrente nach dem OEG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Senat hat im Termin am 3. Juli 2007 den Chirurgen und Orthopäden Dr. P. als Sachverständigen gehört. Dieser hat ausgeführt, beim Kläger finde sich nach Untersuchung eine Beugekontraktur des rechten kleinen Fingers mit andauernder starker Behinderung der Streckung im Mittelgelenk. Des Weiteren fänden sich in einer Kernspintomographie des rechten Handgelenks vom 26. Oktober 2006 zwei kleine Zysten des Mondbeines, die nicht sicher, aber möglicherweise verletzungsbedingt entstanden seien; eine unfallbedingte Entstehung sei "unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen". Am rechten oberen Sprunggelenk bestünden eine endgradige Bewegungseinschränkung, am rechten unteren Sprunggelenk Schmerzen bei Einwärtsdrehung des Fußes. Aus einem vom Kläger vorgelegten Befund einer Kernspintomographie der Fußwurzel aus dem Jahr 1998 gingen ein Abriss des Außenbandes sowie eine Verschleißerkrankung des oberen Sprunggelenks hervor. Die Verletzungen des kleinen Fingers und des Sprunggelenks könnten 1993 entstanden sein. Da der Kläger keine andere Entstehungsmöglichkeit angegeben habe, sei dies mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Einschränkung des kleinen Fingers betrage maximal 10 %, eine solche der Fußwurzel 20 %, zusammen mit weiteren 10 % bis 20 % für das Handgelenk werde eine MdE von 25 % erreicht. Lasse man das Handgelenk außer Betracht, würden "mit Mühe" 25 % erreicht. Die Beklagte hat dazu ausgeführt, nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung (Fassung 2004) sei die von Dr. P. angenommene Teil-MdE von 20 % für das Sprunggelenk erst bei stärkeren als mittelgradigen Bewegungseinschränkungen erreicht. Die vom Sachverständigen beschriebene "endgradige" Einschränkung dürfte allenfalls mit einer MdE von 10 % zu bewerten sein.
Der Senat hat die den Kläger betreffenden Krankenakten der Justizbehörde der Beklagten (Stafvollzugsamt/Zentralkrankenhaus) beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der damals inhaftierte Kläger sich im Januar 1994 unter Hinweis auf seit 5. August 1993 beim Anstaltsarzt der JVA V. angebrachtes Behandlungsbegehren sowohl an den Chefarzt des Zentralkrankenhauses als auch an das Strafvollzugsamt gewandt hatte mit dem Ansinnen, eine Behandlung seines kleinen Fingers in die Wege zu leiten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Ausländerakten, der Akten des Verwaltungsgerichts Hamburg im Verfahren 14 VG 3465/99 sowie der Prozessakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach den Bestimmungen des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, weil der Kläger gegenüber der Beklagten aus dem OEG die geltend gemachten Rechte nicht herleiten kann. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erhält (als Ausländer unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 bis 7 OEG) auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich des Gesetzes in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Es spricht viel dafür, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch schon deswegen nicht zusteht, weil das OEG für – wie angeblich hier – durch die Polizei im Rahmen der Verbrechensbekämpfung verursachte Schädigungen von vornherein nicht anzuwenden, ein Geschädigter vielmehr gegebenenfalls auf (gesetzlich nicht ausgeschlossene) Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 Grundgesetz) zu verweisen ist. Das OEG beruht auf der Erkenntnis, dass der Staat ein Monopol für Verbrechensbekämpfung hat und deswegen für den Schutz seiner Bürger und anderer sich hier aufhaltender Personen vor Schädigungen durch kriminelle Handlungen, insbesondere durch Gewalttaten im Bereich seines Hoheitsgebietes und damit seiner Herrschaftsgewalt verantwortlich ist (vgl. BT-Drucks. 7/2506 S. 7; Kunz/Zellner, OEG, Kommentar, 4. Aufl. 1999, Einführung). Im sozialen Rechtsstaat ist es daher Aufgabe der Gesellschaft, diejenigen, die durch Gewalttaten schwere Nachteile für Gesundheit und Erwerbsfähigkeit erleiden, sozial abzusichern, weil ihnen der bestehende gesetzliche Schadensersatzanspruch gegen den oft nicht auffindbaren oder mittellosen Täter nichts hilft (BT-Drucks. 7/2506 S. 1), dieser also nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (BSG, Urteil vom 22.6.1988, BSGE Bd. 63 S. 270, 13. Absatz). Die öffentliche Hand soll für gesundheitliche Schäden des durch eine Gewalttat Verletzten dann einen Ausgleich gewähren, wenn es den Ordnungskräften des Staates (vgl. BSG, a.a.O., 11. Absatz) nicht gelungen ist, diese zu verhindern, d.h. die Einhaltung seiner dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit (auch) des sogenannten Opfers dienenden Rechtsnormen durchzusetzen (BSG, Urteil vom 3.10.1984, BSGE Bd. 57 S. 168, 17; Urteil vom 4.2.1998, BSGE Bd. 81 S. 288; Urteil vom 18.4.2001, BSGE Bd. 88 S. 103; Urteil vom 8.11.2007, B 9/9a VG 3/05 R). Dementsprechend dient die Entschädigung nach dem OEG nicht dem Ersatz eines dem Opfer durch ein Fehlverhalten staatlicher Organe entstandenen Schadens, sondern seiner sozialrechtlichen Entschädigung für die Folgen einer durch einen rechtswidrig handelnden Dritten erlittenen Gewalttat (BSG, Urteil vom 10.9.1997, a.a.O., 20. Absatz). Das schließt es selbst im Falle eines Exzesses (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.10.2006, Breithaupt 2007 S. 244) aus, das OEG auf Fälle anzuwenden, in denen der Betroffene durch mit Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung befasste staatliche Organe behauptet geschädigt worden zu sein, zumal dann auch Amtshaftungsansprüche einen zufriedenstellenden Schadensausgleich ermöglichen würden (BT-Drucks. 7/2506 S. 9). Eine andere Sicht liefe darauf hinaus, der Polizei den Vorwurf zu machen, sie habe den Bürger nicht genügend vor sich selbst geschützt, und würde zudem im Zusammenhang mit den Kostentragungsregelungen und Bestimmungen zum Übergang gesetzlicher Schadensersatzansprüche (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1, § 5 OEG) zu wenig verständlichen Ergebnissen führen. § 3 Abs. 3 OEG steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Regelung setzt zwar voraus, dass Ansprüche nach dem OEG grundsätzlich mit Amtshaftungsansprüchen zusammentreffen können (vgl. Schoreit/Düsseldorf, OEG, Kommentar, § 3 Nr. 13). Damit ist für die Frage der Anwendbarkeit des OEG auf den vorliegenden Fall jedoch nichts gesagt. § 3 Abs. 3 OEG betrifft nämlich nur die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Opfer über die Einschränkungen des § 81 BVG und des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus Ansprüche aus vorsätzlicher oder fahrlässiger Amtspflichtverletzung zustehen können; er soll gewährleisten, dass dem Betroffenen solche Amtshaftungsansprüche (selbst bei fahrlässigem Handeln des Amtsträgers) nicht verloren gehen (BT-Drucks. 7/2506 S. 16; Schoreit/ Düsseldorf, a.a.O., Rn. 12, 14; Kunz/Zellner, a.a.O., § 3 Rn. 8; siehe auch BSG, Urteil vom 10.9.1997, a.a.O., a.E.), nicht aber den Anwendungsbereich des OEG ausdehnen. Amtshaftungsansprüche können im Übrigen auch durch Fehlverhalten von außerhalb der Verbrechensbekämpfung tätigen staatlichen oder kommunalen Organen begründet werden; in einem solchen Fall mag ein Zusammentreffen mit Ansprüchen nach dem OEG sinnvoll sein. Doch auch bei Anwendbarkeit des OEG kann der Kläger mit dem von ihm geltend gemachten Anspruch nicht durchdringen. Dabei soll trotz der gegenteiligen Einschätzung des Oberlandesgerichts und trotz der Einstellung des Verfahrens gegen die beteiligten Polizeibeamten nach § 170 Strafprozessordnung zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass es bei seiner Festnahme am 13. Juli 1993 möglicherweise zu einem Exzess gekommen ist und daher infolge der dabei entstandenen Verletzung des kleinen Fingers (es gab nach der Gefangenen-Krankenakte schon damals Behandlungsversuche des Klägers) und des angeblich bei der Festnahme verdrehten Sprunggelenkes die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG erfüllt sind. Gleichwohl hat der tunesische Kläger keinen Versorgungsanspruch nach dem OEG. Zum Zeitpunkt der Tat war der Kläger als tunesischer Staatsangehöriger nach § 1 Abs. 4 OEG in der Fassung vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1211) von Leistungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen. Danach hatten Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft waren, keinen Anspruch auf Versorgung, wenn die Gegenseitigkeit nicht gewährleistet war. Gegenseitigkeit liegt dann vor, wenn im Ausland ein staatliches Entschädigungssystem vorhanden ist, welches den Leistungen des OEG entsprechende Leistungen für Folgen von Gewalttaten auch für Deutsche vorsieht; es muss insoweit jedenfalls ein gewisser Mindeststandard gewährleistet sein (BSG, Urteil vom 28.4.2005, B 9a/9 VG 3/04 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 9 = VersorgVerw 2006 S. 94). Indes bestand und besteht mit Tunesien keine Gegenseitigkeit im Hinblick auf Leistungen für Opfer von Gewalttaten (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 2.6.2004, L 5 VG 6/02 – juris –; Kunz/Zellner, a.a.O., Anhang 1). Entsprechende Regelungen sind nicht ersichtlich. Zugang zu dem Kreis der anspruchsberechtigten Ausländer konnte der Kläger auch nicht über eine Gleichstellung mit Angehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Tunesischen Republik (AmtsBl. 1978, L 265, 2) finden. Der sachliche Geltungsbereich des in Art. 40 des Abkommens festgelegten Verbots einer Diskriminierung tunesischer Arbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit umfasst nur die Alters-, Hinterbliebenen- und Invalidenversicherung sowie die Krankenfürsorge und Familienzulagen, nicht jedoch die Gewaltopferentschädigung. Diese Einschränkung des sachlichen Geltungsbereichs ist durch das Europa-Mittelmeerabkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen Republik andererseits (AmtsBl., 1998 L 97, 2, 16; vgl. dort Art. 65 Abs. 1 Satz 2) beibehalten worden (BSG, a.a.O.). Durch das am 27. Juli 1993 verkündete 2. OEG-Änderungsgesetz vom 21. Juli 1993 (BGBl. I S. 1262) ist allerdings auch für sonstige Ausländer eine Anspruchsgrundlage geschaffen worden (§ 1 Abs. 5 bis 7 OEG), wobei dem Gesetz durch seinen Art. 7 eine Rückwirkung zum 1. Juli 1990 beigegeben worden ist (BGBl. I S. 1265). Damit würden die Folgen der Gewalttat, welcher der Kläger am 13. Juli 1993 möglicherweise zum Opfer gefallen ist, in zeitlicher Hinsicht von dieser Neuregelung erfasst. Der Kläger könnte zu dem in § 1 Abs. 5 OEG aufgeführten Personenkreis gehört haben. Danach erhalten sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, Versorgung nach folgender Maßgabe: 1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; 2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten. Der Kläger dürfte zwar zunächst wegen der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnisse die Voraussetzungen der Nr. 1 erfüllt haben. Allerdings ist die Rechtsmäßigkeit seines Aufenthalts gleichwohl zweifelhaft, weil er jedenfalls seit März 1996 seiner Passpflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG nicht mehr genügt hat. Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an. Gemäß § 1 Abs. 7 Satz 3 BVG erlöschen nämlich sämtliche sich aus § 1 Abs. 5 und 6 OEG ergebenden Ansprüche mit der Ausweisung, und auch ein Abfindungsanspruch nach § 1 Abs. 7 Satz 1 OEG scheidet wegen der Regelung in § 1 Abs. 7 Satz 2 OEG aus, wonach im Falle einer Ausweisung – wie hier – aus einem der Gründe des § 47 AuslG eine Abfindung nicht zu zahlen ist. § 1 Abs. 7 OEG hätte allerdings wohl nicht die Wirkung, dass Leistungen, auf die vor der Ausweisung ein Anspruch bestand, mit der Ausweisung auch für die Vergangenheit nicht mehr zu erbringen wären. Hätten alle Anspruchsvoraussetzungen bis zum Zeitpunkt des Erlöschens nach § 1 Abs. 7 Satz 3 OEG vorgelegen, wären nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Leistungen für den Zeitraum bis zum Erlöschen zu gewähren (a.a.O.). Dabei wäre zu berücksichtigen, dass zu den materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen neben den eigentlichen Leistungsvoraussetzungen auch die Antragstellung gehört. Leistungen werden nach § 1 Abs. 1 OEG nur auf Antrag gewährt; soweit es sich um neue Ansprüche handelt, die sich auf Grund einer Änderung des OEG ergeben, werden auch diese nach § 10 c Satz 1 OEG nur auf Antrag festgestellt. Der Zeitpunkt der Antragstellung wirkt sich nach Maßgabe des § 10 c Satz 2 OEG und § 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz OEG i.V.m. § 60 Abs. 1 BVG auf den Beginn der Versorgung aus. Da die Dauer der Versorgung bei sonstigen Ausländern nach Maßgabe des § 1 Abs. 7 Satz 3 OEG begrenzt ist, hätte sich ein auf laufende Leistungen gerichteter Antrag noch auswirken können, wenn er einen Leistungsbeginn vor Eintritt eines Erlöschenstatbestandes zu begründen vermocht hätte (BSG, a.a.O), der Kläger also für die Zeit vor der Ausweisung Versorgung verlangen könnte. Doch daran fehlt es. An Versorgung gemäß § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 9 BVG wären im Falle des Klägers bis zum Zeitpunkt der Ausweisung allenfalls ein Anspruch auf Heilbehandlung sowie eine Beschädigtenrente zu erwägen. Beides kann der Kläger jedoch nicht beanspruchen.
Eine Heilbehandlung nach § 10 BVG scheidet schon deswegen aus, weil sie für die Vergangenheit nicht mehr erbracht werden kann. Ebenso wenig sind dem Kläger vor seiner Ausweisung eventuell nach § 18 BVG erstattungsfähige Behandlungskosten entstanden.
Auch die Gewährung einer Beschädigtenrente nach §§ 29 ff. BVG käme nicht in Betracht. Die Bewilligung einer solchen Rente setzte gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG eine durch den Versorgungsfall erzeugte MdE (§ 30 Abs. 1 BVG) um – im Rechtssinne – wenigstens 30 % voraus. Unter diesen Voraussetzungen kann der Kläger mit seinem Begehren nicht durchdringen. Dabei geht der Senat entsprechend der Mutmaßung des Gutachters Dr. P. davon aus, dass die Mondbeinzyste (Handgelenk) ebenso wenig wie die seelische Beeinträchtigung, wegen derer der Kläger schon zuvor in Behandlung gewesen war, verletzungsbedingt ist, sich auf die hier maßgebliche MdE also nicht auswirkt.
Eine verletzungsbedingte MdE von 30 % hat der Kläger nicht erreicht. Auszugehen ist dabei von der durch den Sachverständigen Dr. P. überzeugend festgestellten "endgradigen" (also höchstens mittelschweren) Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks, die nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung (Fassung 2004) daher für sich genommen keine höhere MdE als 10 % rechtfertigt (S. 127). Nimmt man die von dem Sachverständigen beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen zusammen, so ergibt sich bei einer Teil-MdE von "maximal" 10 % für den kleinen Finger eine Gesamt-MdE von nicht mehr als 20 %. Seiner Kalkulation, dass "mit Mühe" 25 % erreicht würden, folgt der Senat daher nicht. Damit kann offen bleiben, ob sich bei Anwendung von § 31 Abs. 2 BVG für die Frage des Anspruchs auf eine Beschädigtenrente etwas für den Kläger Günstigeres ergibt.
Doch selbst wenn man dem Sachverständigen Dr. P. in seiner Gesamtbewertung folgte, brächte die Anwendung des § 31 Abs. 2 BVG dem Kläger nichts. Nach dieser Vorschrift stellen die Vomhundertsätze des § 31 Abs. 1 BVG "Durchschnittssätze" dar; eine um fünf vom Hundert geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit werde von ihnen "mit umfasst". Aus der Bestimmung wird daher herausgelesen, dass für eine Rentenberechtigung bereits ein MdE-Grenzsatz von 25 % genüge (vgl. BSG, Urteil vom 24.6.1981, Sozialrecht 3870 § 1 Nr. 4; Urteil vom 6.10.1981, VersorgB 1982 S. 35; Urteil vom 13.12.2000, Breithaupt 2001 S. 376; Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 19.1.1999, L 13 VG 9/98; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 5.4.2000, L 18 V 2/00). Freilich geht die gesetzliche Bestimmung eines "Durchschnittssatzes", also eines aus mehreren Werten zu bildenden arithmetischen Mittels, ins Leere, weil der Beschädigte gemäß § 31 Abs. 1 BVG als Einzelperson nur eine bestimmte, nicht aber eine "durchschnittliche" MdE aufweisen kann. Auch würde sich bei einem wörtlichen Verständnis von § 31 Abs. 2, 2. Halbsatz BVG keine Grenz-MdE von 25 % (sondern eine solche von 28,5 %) ergeben (vgl. dazu Urteil des Senats vom 27.9.2005, L 4 V 9/02). Das kann jedoch auf sich beruhen, denn selbst wenn man § 31 Abs. 2 BVG als bloße Rundungsanordnung im mathematischen Sinne begreift, könnte der Kläger mit ihrer Hilfe nicht auf eine MdE von 30 % kommen. Indem nämlich der Sachverständige Dr. P. ausgeführt hat, 25 % würden "mit Mühe" erreicht, brachte er zum Ausdruck, dass dieser Wert bereits das Ergebnis einer (Auf-)Rundung ist. Es widerspricht indes arithmetischen Regeln, bereits gerundete Zahlen abermals zu runden, wie überhaupt die Kombination verschiedener Rundungen mathematisch nicht erlaubt ist, weil dies zu falschen Ergebnissen führen kann. Aus diesem Grunde wäre auch eine Aufrundung des "mit Mühe" erreichten Werts der MdE von 25 % auf 30 % nicht zulässig.
Ob, wie vom Bundessozialgericht in Frage gestellt, auch ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 1 OEG zu Lasten des Klägers eingreift, weil er die fragliche Schädigung jedenfalls selbst (mit-)verursacht hat (siehe Beschluss des Senats vom 27.3.2006), braucht nach alledem nicht entschieden zu werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.3.2007, B 9a VG 2/05 R). Die Kostenentscheidung, die auch die Kosten des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht umfasst, beruht auf § 193 SGG. Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte für den Kläger Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG –) zu erbringen hat. Der im Jahre 1950 geborene Kläger ist tunesischer Staatsangehöriger. Er lebt seit November 1969 als angeworbener Arbeitnehmer in Deutschland. Zunächst erhielt er befristete Aufenthaltserlaubnisse, im August 1979 wurde sein Aufenthalt unbefristet genehmigt. Der Kläger war zuletzt im Besitz eines zunächst bis 10. Juli 1995 gültigen, angeblich bis 10. Juli 2000 verlängerten tunesischen Reisepasses (XXXXX), den er am 22. März 1996 als im März 1996 verloren meldete. Ob dem Kläger danach ein weiterer Pass ausgestellt worden ist, ist unklar. Der Kläger hat aus zweiter Ehe mit einer tunesischen Staatsangehörigen vier Kinder. Der jüngste Sohn H. ist im XXXXX 1991 geboren. Nach Trennung der Eheleute war es zum Rechtsstreit über das Sorgerecht für die vier Kinder und über deren Umgang mit dem Vater (Kläger) gekommen. Am 13. Juli 1993 fand vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in der Familiensache eine mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Kläger mit seinem Sohn H. erschienen war. Im Verlaufe der Verhandlung legte der Kläger dem Sohn eine mitgeführte Kordel als Schlinge um den Hals, um damit seinem Begehren Nachdruck zu verleihen, dass seine anderen drei Kinder vom Gericht in seiner Gegenwart angehört werden. Einer Aufforderung, die Schlinge zu entfernen, kam er zunächst nach, legte sie jedoch im Laufe der weiteren Verhandlung wiederum mehrmals um den Hals des Kindes. Gegen Ende der Verhandlung entfernte der Kläger die Schlinge vom Kopf des Sohnes und legte sie auf den Richtertisch. Als der Kläger mit seinem Sohn das Gerichtsgebäude verlassen wollte, wurde er auf dem Flur vor der Tür des Sitzungssaals von herbeigerufenen Kräften des Mobilen Einsatzkommandos der hamburgischen Polizei überwältigt und verhaftet. Er hatte die Füße des Kindes unter seinem linken Arm an den Körper gepresst. Der Polizei gelang es nur durch Einsatz von Gewalt, diesen Griff zu lösen und den Kläger zu fesseln. Er wurde von der herbei gerufenen Ärztin Dr. W. untersucht. Nach dem Polizeibericht wies er aufgrund seiner geleisteten Gegenwehr kleinere Blessuren auf. Aufgrund dieses Ereignisses wurde der Kläger wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urteil des Landgerichts Hamburg vom 31.5.1995, 711 Ns 11/95, 20 Js 784/93, 141 a I - 1883/93). Mit Bescheid des Einwohner-Zentralamtes der Freien und Hansestadt Hamburg vom 9. April 1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 24. August 1999, ist der Kläger daher in Anwendung des § 47 Abs. 2, § 48 Abs. 1 Ausländergesetz 1990 (AuslG) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden, und es wurde ihm die Abschiebung angedroht. Diese Entscheidung ist bestandskräftig, seitdem das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 (OVG 3 Bf 195/02.Z) den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. März 2002 (14 VG 3465/99) abgelehnt hat. Bereits am 6. März 1996 hatte der Kläger bei der Beklagten Versorgung für Geschädigte nach dem OEG beantragt. Er gab an, bei der Festnahme im Hanseatischen Oberlandesgericht geschlagen worden zu sein, Hände und Füße seien umgedreht, die rechte Hand beschädigt worden. Der rechte kleine Finger sei noch verkrüppelt. Aus den beigefügten Unterlagen ergab sich, dass der Kläger am 7. Juni 1994 im Allgemeinen Krankenhaus W. wegen einer arthrogenen Beugekontraktur des Kleinfingermittelgelenkes rechts operiert worden war. Bei einer Untersuchung im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg wurde am 25. September 1995 eine Beugekontraktur des rechten kleinen Fingers mit Verlust des A 2-Ringbandes diagnostiziert. Unterlagen über eine Behandlung des Klägers in der Haftanstalt waren damals nicht vorhanden. Über die Verkrüppelung des Fingers hinaus machte der Kläger zur Begründung seines Antrages noch Schmerzen im Handteller beim Heben schwerer Lasten und eine seelische Beeinträchtigung geltend. Mit Bescheid vom 29. Mai 1996 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem OEG ab. Zur Begründung führte sie aus, die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 OEG seien nicht gegeben, da ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff nicht stattgefunden habe. Die herbeigerufene Polizei habe bei seiner Festnahme rechtmäßig gehandelt, da er gedroht habe, das Kind zu töten, falls man seinen Forderungen nicht nachkomme. Der Kläger erhob Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 1998 zurückgewiesen wurde. In der Begründung des Widerspruchsbescheides heißt es, das Landgericht Hamburg habe den Kläger mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Mai 1995 im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 13. Juli 1993 wegen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Zugriff der Polizei sei rechtmäßig gewesen, weshalb es an einem rechtswidrigen Angriff im Sinne von § 1 OEG fehle. Die Anwendung von Gewalt habe sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung gedient. Mit seiner am 25. November 1998 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. März 2003 abgewiesen: Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger am 13. Juli 1993 im Gebäude des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Rahmen eines Polizeieinsatzes durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff geschädigt worden sei, denn die von ihm geltend gemachten Schädigungen könnten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den behaupteten polizeilichen Angriff zurückgeführt werden. Es gebe keine zeitnahe medizinische Dokumentation z.B. der festgestellten Beugekontraktur des rechten Kleinfingers oder anderer gesundheitlichen Schädigungen, so dass sich der Kläger die Verletzungen auch zu jedem anderen Zeitpunkt (davor oder danach) zugezogen haben könne. Eine wesentliche Verschlimmerung seines seelischen Leidens sei ebenfalls nicht erkennbar. Das Urteil ist am 30. Juni 2003 zur Post gegeben worden. Am 21. Juli 2003 hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung hat er vorgetragen, vorhandene Zeugen für den schädigenden Vorgang seien zu keiner Zeit ordnungsgemäß vernommen worden. Wäre dies geschehen, hätten sie seine Sachverhaltsdarstellung bestätigt. Mit Beschluss vom 27. März 2006 (L 4 VG 1/06) hat der Senat die Berufung – nach Zurückverweisung durch das Bundessozialgericht (BSG) durch Beschluss vom 24. November 2005 – wiederholt zurückgewiesen. Diese Entscheidung hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 29. März 2007 (B 9a VG 10/06 B) aufgehoben und die Sache wiederum zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen: Der Kläger sei nicht ausreichend angehört worden. Es werde zudem vorsorglich darauf hingewiesen, dass gegen die Begründung der Entscheidung Bedenken bestünden. Es sei fraglich, ob man – wie das Landessozialgericht dies getan habe – die vom Kläger verübte Geiselnahme auch dann im Sinne von § 2 OEG als wesentliche Mitursache für die erlittene Schädigung ansehen könne, wenn sie zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes beendet gewesen sei (BSG, Urteil vom 29.3.2007, B 9 VG 2/05 R). Insoweit werde es auf die konkreten Umstände des Falls ankommen (BSG, Urteil vom 10.9.1997, SozR 3-3800 § 2 Nr. 7). Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger über die Schädigung des kleinen Fingers hinaus noch eine seelische Beeinträchtigung, zwei Zysten des Mondbeines rechts sowie einen Schaden am rechten Sprunggelenk als Folgen des Ereignisses vom 13. Juli 1993 geltend. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. März 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund eines vom Kläger am 13. Juli 1993 erlittenen schädigenden Ereignisses Heilbehandlung und Beschädigtenrente nach dem OEG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Senat hat im Termin am 3. Juli 2007 den Chirurgen und Orthopäden Dr. P. als Sachverständigen gehört. Dieser hat ausgeführt, beim Kläger finde sich nach Untersuchung eine Beugekontraktur des rechten kleinen Fingers mit andauernder starker Behinderung der Streckung im Mittelgelenk. Des Weiteren fänden sich in einer Kernspintomographie des rechten Handgelenks vom 26. Oktober 2006 zwei kleine Zysten des Mondbeines, die nicht sicher, aber möglicherweise verletzungsbedingt entstanden seien; eine unfallbedingte Entstehung sei "unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen". Am rechten oberen Sprunggelenk bestünden eine endgradige Bewegungseinschränkung, am rechten unteren Sprunggelenk Schmerzen bei Einwärtsdrehung des Fußes. Aus einem vom Kläger vorgelegten Befund einer Kernspintomographie der Fußwurzel aus dem Jahr 1998 gingen ein Abriss des Außenbandes sowie eine Verschleißerkrankung des oberen Sprunggelenks hervor. Die Verletzungen des kleinen Fingers und des Sprunggelenks könnten 1993 entstanden sein. Da der Kläger keine andere Entstehungsmöglichkeit angegeben habe, sei dies mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Einschränkung des kleinen Fingers betrage maximal 10 %, eine solche der Fußwurzel 20 %, zusammen mit weiteren 10 % bis 20 % für das Handgelenk werde eine MdE von 25 % erreicht. Lasse man das Handgelenk außer Betracht, würden "mit Mühe" 25 % erreicht. Die Beklagte hat dazu ausgeführt, nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung (Fassung 2004) sei die von Dr. P. angenommene Teil-MdE von 20 % für das Sprunggelenk erst bei stärkeren als mittelgradigen Bewegungseinschränkungen erreicht. Die vom Sachverständigen beschriebene "endgradige" Einschränkung dürfte allenfalls mit einer MdE von 10 % zu bewerten sein.
Der Senat hat die den Kläger betreffenden Krankenakten der Justizbehörde der Beklagten (Stafvollzugsamt/Zentralkrankenhaus) beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der damals inhaftierte Kläger sich im Januar 1994 unter Hinweis auf seit 5. August 1993 beim Anstaltsarzt der JVA V. angebrachtes Behandlungsbegehren sowohl an den Chefarzt des Zentralkrankenhauses als auch an das Strafvollzugsamt gewandt hatte mit dem Ansinnen, eine Behandlung seines kleinen Fingers in die Wege zu leiten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Ausländerakten, der Akten des Verwaltungsgerichts Hamburg im Verfahren 14 VG 3465/99 sowie der Prozessakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach den Bestimmungen des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, weil der Kläger gegenüber der Beklagten aus dem OEG die geltend gemachten Rechte nicht herleiten kann. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erhält (als Ausländer unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 bis 7 OEG) auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich des Gesetzes in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Es spricht viel dafür, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch schon deswegen nicht zusteht, weil das OEG für – wie angeblich hier – durch die Polizei im Rahmen der Verbrechensbekämpfung verursachte Schädigungen von vornherein nicht anzuwenden, ein Geschädigter vielmehr gegebenenfalls auf (gesetzlich nicht ausgeschlossene) Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 Grundgesetz) zu verweisen ist. Das OEG beruht auf der Erkenntnis, dass der Staat ein Monopol für Verbrechensbekämpfung hat und deswegen für den Schutz seiner Bürger und anderer sich hier aufhaltender Personen vor Schädigungen durch kriminelle Handlungen, insbesondere durch Gewalttaten im Bereich seines Hoheitsgebietes und damit seiner Herrschaftsgewalt verantwortlich ist (vgl. BT-Drucks. 7/2506 S. 7; Kunz/Zellner, OEG, Kommentar, 4. Aufl. 1999, Einführung). Im sozialen Rechtsstaat ist es daher Aufgabe der Gesellschaft, diejenigen, die durch Gewalttaten schwere Nachteile für Gesundheit und Erwerbsfähigkeit erleiden, sozial abzusichern, weil ihnen der bestehende gesetzliche Schadensersatzanspruch gegen den oft nicht auffindbaren oder mittellosen Täter nichts hilft (BT-Drucks. 7/2506 S. 1), dieser also nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (BSG, Urteil vom 22.6.1988, BSGE Bd. 63 S. 270, 13. Absatz). Die öffentliche Hand soll für gesundheitliche Schäden des durch eine Gewalttat Verletzten dann einen Ausgleich gewähren, wenn es den Ordnungskräften des Staates (vgl. BSG, a.a.O., 11. Absatz) nicht gelungen ist, diese zu verhindern, d.h. die Einhaltung seiner dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit (auch) des sogenannten Opfers dienenden Rechtsnormen durchzusetzen (BSG, Urteil vom 3.10.1984, BSGE Bd. 57 S. 168, 17; Urteil vom 4.2.1998, BSGE Bd. 81 S. 288; Urteil vom 18.4.2001, BSGE Bd. 88 S. 103; Urteil vom 8.11.2007, B 9/9a VG 3/05 R). Dementsprechend dient die Entschädigung nach dem OEG nicht dem Ersatz eines dem Opfer durch ein Fehlverhalten staatlicher Organe entstandenen Schadens, sondern seiner sozialrechtlichen Entschädigung für die Folgen einer durch einen rechtswidrig handelnden Dritten erlittenen Gewalttat (BSG, Urteil vom 10.9.1997, a.a.O., 20. Absatz). Das schließt es selbst im Falle eines Exzesses (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.10.2006, Breithaupt 2007 S. 244) aus, das OEG auf Fälle anzuwenden, in denen der Betroffene durch mit Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung befasste staatliche Organe behauptet geschädigt worden zu sein, zumal dann auch Amtshaftungsansprüche einen zufriedenstellenden Schadensausgleich ermöglichen würden (BT-Drucks. 7/2506 S. 9). Eine andere Sicht liefe darauf hinaus, der Polizei den Vorwurf zu machen, sie habe den Bürger nicht genügend vor sich selbst geschützt, und würde zudem im Zusammenhang mit den Kostentragungsregelungen und Bestimmungen zum Übergang gesetzlicher Schadensersatzansprüche (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1, § 5 OEG) zu wenig verständlichen Ergebnissen führen. § 3 Abs. 3 OEG steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Regelung setzt zwar voraus, dass Ansprüche nach dem OEG grundsätzlich mit Amtshaftungsansprüchen zusammentreffen können (vgl. Schoreit/Düsseldorf, OEG, Kommentar, § 3 Nr. 13). Damit ist für die Frage der Anwendbarkeit des OEG auf den vorliegenden Fall jedoch nichts gesagt. § 3 Abs. 3 OEG betrifft nämlich nur die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Opfer über die Einschränkungen des § 81 BVG und des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus Ansprüche aus vorsätzlicher oder fahrlässiger Amtspflichtverletzung zustehen können; er soll gewährleisten, dass dem Betroffenen solche Amtshaftungsansprüche (selbst bei fahrlässigem Handeln des Amtsträgers) nicht verloren gehen (BT-Drucks. 7/2506 S. 16; Schoreit/ Düsseldorf, a.a.O., Rn. 12, 14; Kunz/Zellner, a.a.O., § 3 Rn. 8; siehe auch BSG, Urteil vom 10.9.1997, a.a.O., a.E.), nicht aber den Anwendungsbereich des OEG ausdehnen. Amtshaftungsansprüche können im Übrigen auch durch Fehlverhalten von außerhalb der Verbrechensbekämpfung tätigen staatlichen oder kommunalen Organen begründet werden; in einem solchen Fall mag ein Zusammentreffen mit Ansprüchen nach dem OEG sinnvoll sein. Doch auch bei Anwendbarkeit des OEG kann der Kläger mit dem von ihm geltend gemachten Anspruch nicht durchdringen. Dabei soll trotz der gegenteiligen Einschätzung des Oberlandesgerichts und trotz der Einstellung des Verfahrens gegen die beteiligten Polizeibeamten nach § 170 Strafprozessordnung zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass es bei seiner Festnahme am 13. Juli 1993 möglicherweise zu einem Exzess gekommen ist und daher infolge der dabei entstandenen Verletzung des kleinen Fingers (es gab nach der Gefangenen-Krankenakte schon damals Behandlungsversuche des Klägers) und des angeblich bei der Festnahme verdrehten Sprunggelenkes die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG erfüllt sind. Gleichwohl hat der tunesische Kläger keinen Versorgungsanspruch nach dem OEG. Zum Zeitpunkt der Tat war der Kläger als tunesischer Staatsangehöriger nach § 1 Abs. 4 OEG in der Fassung vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1211) von Leistungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen. Danach hatten Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft waren, keinen Anspruch auf Versorgung, wenn die Gegenseitigkeit nicht gewährleistet war. Gegenseitigkeit liegt dann vor, wenn im Ausland ein staatliches Entschädigungssystem vorhanden ist, welches den Leistungen des OEG entsprechende Leistungen für Folgen von Gewalttaten auch für Deutsche vorsieht; es muss insoweit jedenfalls ein gewisser Mindeststandard gewährleistet sein (BSG, Urteil vom 28.4.2005, B 9a/9 VG 3/04 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 9 = VersorgVerw 2006 S. 94). Indes bestand und besteht mit Tunesien keine Gegenseitigkeit im Hinblick auf Leistungen für Opfer von Gewalttaten (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 2.6.2004, L 5 VG 6/02 – juris –; Kunz/Zellner, a.a.O., Anhang 1). Entsprechende Regelungen sind nicht ersichtlich. Zugang zu dem Kreis der anspruchsberechtigten Ausländer konnte der Kläger auch nicht über eine Gleichstellung mit Angehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Tunesischen Republik (AmtsBl. 1978, L 265, 2) finden. Der sachliche Geltungsbereich des in Art. 40 des Abkommens festgelegten Verbots einer Diskriminierung tunesischer Arbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit umfasst nur die Alters-, Hinterbliebenen- und Invalidenversicherung sowie die Krankenfürsorge und Familienzulagen, nicht jedoch die Gewaltopferentschädigung. Diese Einschränkung des sachlichen Geltungsbereichs ist durch das Europa-Mittelmeerabkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen Republik andererseits (AmtsBl., 1998 L 97, 2, 16; vgl. dort Art. 65 Abs. 1 Satz 2) beibehalten worden (BSG, a.a.O.). Durch das am 27. Juli 1993 verkündete 2. OEG-Änderungsgesetz vom 21. Juli 1993 (BGBl. I S. 1262) ist allerdings auch für sonstige Ausländer eine Anspruchsgrundlage geschaffen worden (§ 1 Abs. 5 bis 7 OEG), wobei dem Gesetz durch seinen Art. 7 eine Rückwirkung zum 1. Juli 1990 beigegeben worden ist (BGBl. I S. 1265). Damit würden die Folgen der Gewalttat, welcher der Kläger am 13. Juli 1993 möglicherweise zum Opfer gefallen ist, in zeitlicher Hinsicht von dieser Neuregelung erfasst. Der Kläger könnte zu dem in § 1 Abs. 5 OEG aufgeführten Personenkreis gehört haben. Danach erhalten sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, Versorgung nach folgender Maßgabe: 1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; 2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten. Der Kläger dürfte zwar zunächst wegen der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnisse die Voraussetzungen der Nr. 1 erfüllt haben. Allerdings ist die Rechtsmäßigkeit seines Aufenthalts gleichwohl zweifelhaft, weil er jedenfalls seit März 1996 seiner Passpflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG nicht mehr genügt hat. Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an. Gemäß § 1 Abs. 7 Satz 3 BVG erlöschen nämlich sämtliche sich aus § 1 Abs. 5 und 6 OEG ergebenden Ansprüche mit der Ausweisung, und auch ein Abfindungsanspruch nach § 1 Abs. 7 Satz 1 OEG scheidet wegen der Regelung in § 1 Abs. 7 Satz 2 OEG aus, wonach im Falle einer Ausweisung – wie hier – aus einem der Gründe des § 47 AuslG eine Abfindung nicht zu zahlen ist. § 1 Abs. 7 OEG hätte allerdings wohl nicht die Wirkung, dass Leistungen, auf die vor der Ausweisung ein Anspruch bestand, mit der Ausweisung auch für die Vergangenheit nicht mehr zu erbringen wären. Hätten alle Anspruchsvoraussetzungen bis zum Zeitpunkt des Erlöschens nach § 1 Abs. 7 Satz 3 OEG vorgelegen, wären nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Leistungen für den Zeitraum bis zum Erlöschen zu gewähren (a.a.O.). Dabei wäre zu berücksichtigen, dass zu den materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen neben den eigentlichen Leistungsvoraussetzungen auch die Antragstellung gehört. Leistungen werden nach § 1 Abs. 1 OEG nur auf Antrag gewährt; soweit es sich um neue Ansprüche handelt, die sich auf Grund einer Änderung des OEG ergeben, werden auch diese nach § 10 c Satz 1 OEG nur auf Antrag festgestellt. Der Zeitpunkt der Antragstellung wirkt sich nach Maßgabe des § 10 c Satz 2 OEG und § 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz OEG i.V.m. § 60 Abs. 1 BVG auf den Beginn der Versorgung aus. Da die Dauer der Versorgung bei sonstigen Ausländern nach Maßgabe des § 1 Abs. 7 Satz 3 OEG begrenzt ist, hätte sich ein auf laufende Leistungen gerichteter Antrag noch auswirken können, wenn er einen Leistungsbeginn vor Eintritt eines Erlöschenstatbestandes zu begründen vermocht hätte (BSG, a.a.O), der Kläger also für die Zeit vor der Ausweisung Versorgung verlangen könnte. Doch daran fehlt es. An Versorgung gemäß § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 9 BVG wären im Falle des Klägers bis zum Zeitpunkt der Ausweisung allenfalls ein Anspruch auf Heilbehandlung sowie eine Beschädigtenrente zu erwägen. Beides kann der Kläger jedoch nicht beanspruchen.
Eine Heilbehandlung nach § 10 BVG scheidet schon deswegen aus, weil sie für die Vergangenheit nicht mehr erbracht werden kann. Ebenso wenig sind dem Kläger vor seiner Ausweisung eventuell nach § 18 BVG erstattungsfähige Behandlungskosten entstanden.
Auch die Gewährung einer Beschädigtenrente nach §§ 29 ff. BVG käme nicht in Betracht. Die Bewilligung einer solchen Rente setzte gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG eine durch den Versorgungsfall erzeugte MdE (§ 30 Abs. 1 BVG) um – im Rechtssinne – wenigstens 30 % voraus. Unter diesen Voraussetzungen kann der Kläger mit seinem Begehren nicht durchdringen. Dabei geht der Senat entsprechend der Mutmaßung des Gutachters Dr. P. davon aus, dass die Mondbeinzyste (Handgelenk) ebenso wenig wie die seelische Beeinträchtigung, wegen derer der Kläger schon zuvor in Behandlung gewesen war, verletzungsbedingt ist, sich auf die hier maßgebliche MdE also nicht auswirkt.
Eine verletzungsbedingte MdE von 30 % hat der Kläger nicht erreicht. Auszugehen ist dabei von der durch den Sachverständigen Dr. P. überzeugend festgestellten "endgradigen" (also höchstens mittelschweren) Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks, die nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung (Fassung 2004) daher für sich genommen keine höhere MdE als 10 % rechtfertigt (S. 127). Nimmt man die von dem Sachverständigen beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen zusammen, so ergibt sich bei einer Teil-MdE von "maximal" 10 % für den kleinen Finger eine Gesamt-MdE von nicht mehr als 20 %. Seiner Kalkulation, dass "mit Mühe" 25 % erreicht würden, folgt der Senat daher nicht. Damit kann offen bleiben, ob sich bei Anwendung von § 31 Abs. 2 BVG für die Frage des Anspruchs auf eine Beschädigtenrente etwas für den Kläger Günstigeres ergibt.
Doch selbst wenn man dem Sachverständigen Dr. P. in seiner Gesamtbewertung folgte, brächte die Anwendung des § 31 Abs. 2 BVG dem Kläger nichts. Nach dieser Vorschrift stellen die Vomhundertsätze des § 31 Abs. 1 BVG "Durchschnittssätze" dar; eine um fünf vom Hundert geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit werde von ihnen "mit umfasst". Aus der Bestimmung wird daher herausgelesen, dass für eine Rentenberechtigung bereits ein MdE-Grenzsatz von 25 % genüge (vgl. BSG, Urteil vom 24.6.1981, Sozialrecht 3870 § 1 Nr. 4; Urteil vom 6.10.1981, VersorgB 1982 S. 35; Urteil vom 13.12.2000, Breithaupt 2001 S. 376; Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 19.1.1999, L 13 VG 9/98; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 5.4.2000, L 18 V 2/00). Freilich geht die gesetzliche Bestimmung eines "Durchschnittssatzes", also eines aus mehreren Werten zu bildenden arithmetischen Mittels, ins Leere, weil der Beschädigte gemäß § 31 Abs. 1 BVG als Einzelperson nur eine bestimmte, nicht aber eine "durchschnittliche" MdE aufweisen kann. Auch würde sich bei einem wörtlichen Verständnis von § 31 Abs. 2, 2. Halbsatz BVG keine Grenz-MdE von 25 % (sondern eine solche von 28,5 %) ergeben (vgl. dazu Urteil des Senats vom 27.9.2005, L 4 V 9/02). Das kann jedoch auf sich beruhen, denn selbst wenn man § 31 Abs. 2 BVG als bloße Rundungsanordnung im mathematischen Sinne begreift, könnte der Kläger mit ihrer Hilfe nicht auf eine MdE von 30 % kommen. Indem nämlich der Sachverständige Dr. P. ausgeführt hat, 25 % würden "mit Mühe" erreicht, brachte er zum Ausdruck, dass dieser Wert bereits das Ergebnis einer (Auf-)Rundung ist. Es widerspricht indes arithmetischen Regeln, bereits gerundete Zahlen abermals zu runden, wie überhaupt die Kombination verschiedener Rundungen mathematisch nicht erlaubt ist, weil dies zu falschen Ergebnissen führen kann. Aus diesem Grunde wäre auch eine Aufrundung des "mit Mühe" erreichten Werts der MdE von 25 % auf 30 % nicht zulässig.
Ob, wie vom Bundessozialgericht in Frage gestellt, auch ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 1 OEG zu Lasten des Klägers eingreift, weil er die fragliche Schädigung jedenfalls selbst (mit-)verursacht hat (siehe Beschluss des Senats vom 27.3.2006), braucht nach alledem nicht entschieden zu werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.3.2007, B 9a VG 2/05 R). Die Kostenentscheidung, die auch die Kosten des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht umfasst, beruht auf § 193 SGG. Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
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