L 2 U 11/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 125/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 11/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2004 und der Bescheid der Beklagten vom 10. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2003 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV wegen der bei ihm drohenden Gefahr einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV dem Grunde nach zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Berufskrankheitenverordnung (BKV) wegen der Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) der Anlage zur BKV.

Der 1972 geborene Kläger war nach einer Lehre als Fleischer seit 1991 bei der Firma B als Bauwerker und Maschinist im Straßenbau beschäftigt, davon seit August 1997 mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Asphalt- und Betonarbeiten. Nachdem er zunächst vom 27. März bis 4. August 2000 und sodann ab 9. August 2000 arbeitsunfähig erkrankt war, endete das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2000.

Im September 2000 erstattete die AOK Berlin eine Anzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit, da der Kläger an einem allergischen Asthma bronchiale und einer COLD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) leide. In der Folgezeit zog die Beklagte Vorerkrankungsverzeichnisse der AOK Osthessen für die Zeit von November 1988 bis Juli 1997 und der AOK Berlin für die Folgezeit und das Ergebnis einer arbeitsmedizinischen Untersuchung vom 11. Februar 1999 bei und holte Befundberichte der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Schott und des den Kläger seit Januar 1998 behandelnden Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S ein, der am 22. November 2000 ein allergisches Bronchialasthma, eine allergische Rhinokonjunktivitis bei polyvalenter Sensibilisierung und eine schwergradige bronchiale Hyperreaktivität bei einem Nikotinkonsum seit dem 18. Lebensjahr von gegenwärtig einer Schachtel pro Tag mitteilte. Das Arbeitsamt Spandau übersandte einen Reha-Antrag des Klägers vom 17. Juli 2000, in dem dieser angab, die Beschäftigung auf ärztliches Anraten aufgegeben zu haben.

Die Beklagte ließ durch ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) eine Arbeitsplatzanalyse erstellen. In dieser vertrat der TAD am 7. Mai 2001 die Auffassung, der Kläger sei Dämpfen und Aerosolen aus bitumengebundenem Asphalt ausgesetzt gewesen. Diese Stoffe seien nicht als reizend oder ätzend eingestuft, eine geringe Reizwirkung von Bitumendämpfen auf Schleimhäute sei jedoch nach der "Gestis-Stoffdatenbank" nicht ausgeschlossen.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin Prof. Dr. H vom 25. Oktober 2001 ein, dem gegenüber der Kläger bei seiner Untersuchung am 22. August 2001 angab, seit 14 Monaten nicht mehr zu rauchen. Auch zuvor habe es immer wieder Unterbrechungen des Nikotinkonsums gegeben. Etwa zwei Monate nach Aufnahme der Tätigkeit als Asphaltbauer im Jahr 1997 sei es erstmals zu einer bronchopulmonalen Symptomatik gekommen, die mit Husten und Atemnotzuständen einhergegangen sei. Nach Fernbleiben von der Tätigkeit sei bei gleichzeitiger antiasthmatischer Therapie eine deutliche Linderung der Beschwerden eingetreten. Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, dass die Angaben ohne Zweifel auf eine mögliche Reaktion der Atemwege auf inhalative Schadstoffe am Arbeitsplatz hindeuteten. Zwar könne nicht behauptet werden, dass die unspezifische bronchiale Hyperreaktivität zweifelsohne auf eine Schadstoffbelastung an dem Arbeitsplatz zurückzuführen sei, vielmehr werde dies mit der seit der Kindheit bestehenden allergischen Rhino-Konjunktivitis zusammenhängen. Durch Exposition gegenüber Bitumendämpfen sei es jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlimmerung der unspezifischen bronchialen Hyperreaktivität gekommen. Es bestehe noch keine obstruktive Lungenerkrankung, die gefährdende Tätigkeit sei jedoch zu unterlassen. Die von der Beklagten angehörte Ärztin im Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Potsdam T verneinte das Erfordernis von Maßnahmen nach § 3 BKV, weil eine wesentliche Verschlimmerung der Atemwegssymptomatik durch berufliche Expositionen nicht nachvollzogen werden könne. Außerdem bleibe der jahrelange Nikotin-Abusus unberücksichtigt.

Daraufhin holte die Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme des Leiters des Zentrums für Allergien, Asthma und Umwelterkrankungen Gifhorn, Dr. S, ein, der die Auffassung vertrat, es müssten zur Abgrenzung außerberuflicher und beruflicher Einwirkungen arbeitsplatzbezogene Expositionstestungen durchgeführt werden, da die Arbeitsplatzbedingungen primär nicht geeignet seien, eine chemisch-irritative obstruktive Atemwegserkrankung auszulösen.

Nachdem der Kläger hierzu nicht bereit war, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. September 2002 einen Anspruch auf Sozialleistungen wegen der Atemwegserkrankung ab. Die Ermittlungen auf arbeitstechnischem Fachgebiet hätten ergeben, dass der Kläger von 1991 bis 2000 möglicherweise einer Belastung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 ausgesetzt gewesen sei. Es hätten jedoch keine Befunde erhoben werden können, durch die eine Sensibilisierung gegenüber arbeitsplatzbezogenen Substanzen hätte nachgewiesen werden können. Die Tatsache, dass der Kläger bereits seit frühester Kindheit an einer allergischen Rhinokonjunktivitis gelitten und früher Nikotinkonsum betrieben habe, weise darauf hin, dass die Erkrankung schicksalhafte Ursachen haben könne. Wegen des fehlenden Nachweises eines Zusammenhangs drohe auch nicht die Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit, so dass keine vorbeugenden Maßnahmen zu erbringen seien.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass zwar keine Berufskrankheit eingetreten sei, wohl aber vorbeugende Leistungen zu erbringen seien. Der Zusammenhang zwischen der belastenden Tätigkeit im Asphaltbau und der Erkrankung sei offensichtlich, da sie nach der Aufnahme der Tätigkeit eingetreten und nach der Aufgabe besser geworden sei. Eine Arbeitsplatzanalyse vor Ort sei nicht durchgeführt worden. Dabei würde sich ergeben, dass Dieselöl als Trennmittel verwendet worden sei, was erhebliche gesundheitsschädliche Dämpfe verursache.

Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es habe nicht mit dem notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit bewiesen werden können, dass die gefährdende Einwirkung von heißen bitumengebundenen Asphalten die Erkrankung rechtlich wesentlich verursacht habe. Da keine Berufskrankheit drohe, seien keine vorbeugenden Maßnahmen zu erbringen.

Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger zunächst "Übergangsleistungen im Sinne von §§ 9 Abs. 1 SGB VII, 3 BKV" beantragt und die Belastungen während der Tätigkeit in der Niederlassung Berlin/Brandenburg im Bereich des Asphalteinbaus im Einzelnen geschildert. Er nehme an einer Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten teil, wodurch er gegenüber der Tätigkeit bei der Firma B erhebliche Vermögenseinbußen erlitten habe. Zu seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat er ein Gutachten des MDK vom 5. Oktober 2000 zur Akte gereicht. Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme des TAD vom 31. Oktober 2003 eingeholt, der darauf hingewiesen hat, dass Dieselkraftstoff nicht akut toxisch wirke, sondern wegen des Verdachts auf krebserzeugende Wirkung nicht als Trennmittel verwendet werden dürfe. Bei einem vierminütigen Einsprühen des Fertigers mit Dieseltreibstoff sei die Nachweisgrenze für Kohlenwasserstoffgemische und Aerosole nicht erreicht worden. Messungen beim Aufbringen von Haftklebern hätten Bitumendampf und –aerosolwerte von mehr als 2,2 mg/m³ erreicht. Des weiteren hat die Beklagte Auskünfte des Arbeitgebers des Klägers vorgelegt, der die Verwendung von Diesel als Trennmittel bestritten und 1442 Stunden Tätigkeiten des Klägers im Asphaltbau von 1997 bis 2000 mitgeteilt hat. Der Kläger hat demgegenüber eine Berechnung vorgelegt, nach der er in diesem Zeitraum 2558 Stunden im Asphaltbau tätig gewesen ist.

Durch Urteil vom 19. November 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit der Kläger zuletzt vorbeugende Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BKV wegen der Gefahr des Entstehens einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV begehrt habe, entspreche dies zwar seinem im Widerspruchsverfahren formulierten Begehren. Da er jedoch mit der Klageschrift ursprünglich nur Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV geltend gemacht habe, sei die Entscheidung der Beklagten, keine vorbeugenden Maßnahmen im Sinne des § 3 Abs.1 BKV zu gewähren, bestandskräftig geworden. Dem Begehren, auch Übergangsleistungen zu erhalten, stehe entgegen, dass der Kläger mit seinem Widerspruch den auch diese Leistungen ablehnenden Bescheid der Beklagten nicht angefochten habe, weil er im Widerspruchsverfahren nur vorbeugende Leistungen geltend gemacht habe. Die Klage hätte aber auch keinen Erfolg gehabt, wenn sie zulässig gewesen wäre. Vom behandelnden Arzt sei ausschließlich ein allergisches Asthma bronchiale mitgeteilt worden, für das ein ursächlicher Zusammenhang mit der belastenden Tätigkeit mangels berufsspezifischer allergisierend wirkender Expositionen nicht erkennbar sei. Auch eine berufsbedingte Verschlimmerung habe entgegen der Annahme von Prof. Dr. H nicht bestanden, weil der Kläger bereits vor der Aufnahme der Tätigkeit in der Asphalteinbaukolonne im Jahr 1997 gehäuft wegen Bronchitis arbeitsunfähig gewesen sei, während von November 1997 bis Mai 1999 keine Arbeitsunfähigkeit wegen bronchialer Beschwerden bestanden habe. Erst ab 9. August 2000, also bereits nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit, habe Dr. S eine COLD diagnostiziert. Auch habe der Kläger bei der Vorsorgeuntersuchung im Februar 1999 angegeben, in den letzten zwei Jahren nicht während mindestens 3 Monaten pro Jahr unter Husten und Auswurf gelitten zu haben. Vor diesem Hintergrund sei es überzeugend, dass eine Berufsbezogenheit der Erkrankung nur durch weitere Provokationstests nachzuweisen sei, die der Kläger abgelehnt habe.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien im Bescheid vom 10. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2003 alle unter § 3 BKV fallende Leistungen, die insgesamt wegen des Nichteintritts einer Berufskrankheit präventiven Charakter hätten, abgelehnt worden. Es seien auch die Belastungen durch Haftkleber und Primer zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2004 sowie den Bescheid vom 10. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Übergangsleistungen wegen der ihm drohenden Gefahr einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Zusammenhang zwischen der gefährdenden Tätigkeit und der Erkrankung des Klägers nicht wahrscheinlich sei.

Der Senat hat die Arbeitskollegen des Klägers M C, A D, M K, S T und KG als Zeugen zu den verwendeten Trennmitteln und dem zeitlichen Einsatz von Haftkleber und Primer vernommen und die Sicherheitsblätter zu den verwendeten Produkten zur Akte genommen. Der mit einem Gutachten beauftragte Prof. Dr. S vom Institut für arbeits- und sozialmedizinische Allergiediagnostik, Bad S, hat mitgeteilt, dass für die Gutachtenerstellung weitere arbeitsplatzbezogene inhalative Expositionstests erforderlich seien, zu denen der Kläger sich erneut nicht bereit erklärt hat.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein Gutachten nach Aktenlage des Chefarztes der Klinik für Pneumologie der Lungenklinik H Dr. B vom 11. Oktober 2007 eingeholt worden. Dieser hat darauf hingewiesen, dass der Auszug der Gestis-Stoffdatenbank zu Bitumen sowohl unter akuter Toxizität eine Schleimhautreizung der Atemwege bei Inhalation von Dämpfen als auch unter chronischer Toxizität bei wiederholter Inhalation Atemfunktionsstörungen angebe. Diese seien insbesondere vor dem Hintergrund der bei dem Kläger bestehenden unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität zu sehen und somit stärker zu gewichten. Die berufliche Belastung werde unter anderem für die Symptome verantwortlich gemacht und habe den Schwergrad der Symptomatik zum Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit ausgelöst. Insbesondere sei die Beschwerdeabnahme in arbeitskarenten Zeiten zu beachten, deretwegen eine beruflich induzierte Symptomzunahme zu postulieren sei. Entgegen der Auffassung von Dr. S bestehe keine Indikation zur Durchführung arbeitsplatzbezogener Provokationstests, weil auch derartige positive Tests nicht sicher eine berufliche Veranlassung beinhalteten, sondern auch Ausdruck der unspezifischen Hyperreagibilität sein könnten. Die seit Juni 2000 bestehende Zigarettenkarenz sei unstrittig gesundheitsförderlich, erkläre die bis zur letzten Krankschreibung vom 9. August 2000 bestehenden bronchopulmonalen Symptome jedoch nicht, da schon eine Linderung der Beschwerden hätte eintreten müssen, um eine ausschließlich durch den inhalativen Zigaretten-Konsum verursachte Symptomatik annehmen zu können. Bei fortgesetzter Exposition sei das Entstehen einer Berufskrankheit wahrscheinlich.

Hierzu hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Internisten Dr. D vom 16. November 2007 eingereicht, der darauf verwiesen hat, das sich erste Hinweise auf das Vorliegen von Atembeschwerden im Sinne eines Asthmas bereits 1989 ergäben, da wiederholt "Bronchitis, grippaler Infekt" genannt werde. Die Diagnose einer Bronchitits werde häufig zu Beginn der Entstehung eines Asthmas gestellt Eine pneumologische Behandlung wegen "Asthma bronchiale" erfolge seit 1999. Da der Kläger von Anfang 1997 erstmals aufgetretenen Atembeschwerden berichte, weise dies auf einen Etagenwechsel bei bestehender Sensibilisierung mit Beginn der Pollensaison hin. Die meisten Personen, die an einem Asthma erkrankten, entwickelten klinische Beschwerden während der Zeit, in der gewöhnlich die allergische Rhinokonjunktivitis starke Beschwerden verursache. Angesichts der Häufung von Bronchitis in den Frühjahrs- und Sommermonaten im Zeitraum von 1989 bis 1996 sei es sehr wahrscheinlich, dass es sich um Asthmasymptome gehandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des SG) und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist die Klage zulässig. Dem im Klageverfahren geltend gemachten Anspruch steht nicht entgegen, dass die angefochtenen Bescheide insoweit bestandskräftig geworden wären, weil der Kläger mit seinem Widerspruch nur vorbeugende Leistungen geltend gemacht hat. Denn Übergangsleistungen sind Teil der "vorbeugenden Leistungen" im Sinne des § 3 BKVO, dessen Zweck es ist, Gesundheitsschäden vor Eintritt des Versicherungsfalls zu vermeiden.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BKV haben die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln der Gefahr entgegenzuwirken, dass für einen Versicherten eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BKV). Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, haben zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BKV). Die für eine Berufskrankheit relevanten, besonderen schädigenden Einwirkungen, bei der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV also chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe, müssen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen, nach den in der Unfallversicherung geltenden Kausalitätsanforderungen eine Berufskrankheit entstehen zu lassen. Eine Gefahr liegt dann vor, wenn das Risiko einer Schädigung für den Betroffenen am konkreten Arbeitsplatz über den Grad hinausgeht, der bei anderen Versicherten bei einer vergleichbaren Beschäftigung besteht (BSG, Urteil vom 22.3.1983 -2 RU 22/81-, MesoB 70/126).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger war bei seiner Tätigkeit in der Asphaltbaukolonne seit August 1997 schädigenden Einwirkungen durch irritativ wirkenden Dämpfen und Aerosolen aus bitumengebundenem Asphalt ausgesetzt. Dabei handelte es sich den übereinstimmenden Angaben der Zeugen zufolge in den Sommermonaten um Arbeitszeiten von bis zu 12 Stunden, während derer der Fertiger cirka 10 Stunden im Einsatz war. Ergänzend waren die Belastungen durch Haftkleber und Primer zu berücksichtigen, deren zeitlicher Umfang durch die Zeugenvernehmung im Einzelnen nicht mehr zu ermitteln war.

Diese Einwirkungen haben auch bei dem Kläger wesentlich mitursächlich die Gefahr verstärkt, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu erleiden. Dass der Kläger an einer unspezifischen bronchopulmonalen Hyperreagibilität litt, somit ein erhöhtes Erkrankungsrisiko bestand, steht der Anwendung des § 3 BKV nicht entgegen, weil der Versicherte grundsätzlich auch gegen Berufskrankheiten in dem Zustand geschützt ist, in dem er seine Tätigkeit verrichtet. Es genügt insoweit, dass die Einwirkung chemisch-irritativ wirkender Stoffe wesentlich mitursächlich für die Gefahr ist, dass sich eine obstruktive Atemwegserkrankung entwickelt. Wesentlich ist auch eine nicht annähernd gleichwertig, rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006,-B 2 U 7/05 R-).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. B, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass wesentliche Ursache der Verschlimmerung der Asthmaerkrankung des Klägers die Einwirkung der Bitumen-Dämpfe war, so dass eine konkret individuelle Gefahr der Entstehung bzw. Verschlimmerung einer obstruktiven Atemwegserkrankung bestand. Dr. B hat nachvollziehbar dargelegt, dass eine arbeitsplatzbezogene Beschwerdeverstärkung auf dem Boden einer präexistenter bronchopulmonaler Hyperreagibilität bestand, die sich bei Fortsetzung der ausgeübten Tätigkeit wahrscheinlich verstärkt hätte. Zur Begründung verweist er insbesondere auf die Beschwerdeabnahme in arbeitsfreien Zeiten, die in Übereinstimmung mit den dokumentierten Arbeitsunfähigkeitszeiten seit November 1997 steht. Insbesondere war der Kläger entgegen der Auffassung des Sozialgerichts vor der erstmaligen Diagnose einer COLD auch unmittelbar- wenn auch nur zwei Tage am 7. und 8. August 2000 - belastenden Einwirkungen ausgesetzt. Denn die Diagnose einer bronchopulmonalen Hyperreagibilität wurde dem Befundbericht von Dr. S zufolge erstmals am 21. August 2000 gestellt.

Allerdings gelangen Dr. S und Dr. D zu dem Ergebnis, dass berufsfremde Ursachen die wesentliche Bedingung für die bei dem Kläger bestehende Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 bilden. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zunächst einmal legt Dr. S einen unzutreffenden Beweismaßstab zugrunde, wenn er davon ausgeht, dass es eines "Vollbeweises bezüglich des Berufsbezuges der Krankheitszeichen" bedürfe. Denn der Ursachenzusammenhang muss nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Außerdem geht er davon aus, dass das erstmalige Auftreten der Atemwegserkrankung mit dem Beginn der Tätigkeit im Straßenbau nicht eindeutig sei. Hierbei unterstellt er einen Beginn der pneumologischen Behandlung im Jahr 1997 und datiert den Beginn der Straßenbautätigkeit auf das Jahr 1998. Der behandelnde Lungenfacharzt hat demgegenüber eine erstmalige Behandlung im Januar 1998 mitgeteilt, eine vorherige lungenfachärztliche Behandlung ist aus der Übersicht der behandelnden Ärzte, die die AOK erstellt hat, nicht ersichtlich. Auch hat der Kläger im August 1997 seine Tätigkeit in der Zweigstelle Berlin-Brandenburg und damit im Straßenbau aufgenommen, wie dem Wechsel zur AOK Berlin zum 1. August 1997 zu entnehmen ist. Schließlich führt auch die Tatsache, dass Provokationstests nicht durchgeführt wurden, nicht zum Ausschluss eines Wahrscheinlichkeitszusammenhangs, da Dr. Bauer darauf verwiesen hat, dass schon Zweifel an der Mitwirkungspflicht derartiger Tests bestünden und ein positives Ergebnis wegen der allgemeinen Reaktionsbereitschaft bei einer unspezifischen Hyperreagibilität keinen Rückschluss auf die Verursachung durch die Arbeitstoffe zulasse.

Auch soweit Dr. D wegen eines schicksalhaften Verlaufs der Atemwegserkrankung des Klägers den Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung verneint, kann dem nicht gefolgt werden. Er begründet dies damit, dass Anfang 1997 erstmals Atembeschwerden aufgetreten seien. Ein Beginn im Frühjahr sei kennzeichnend dafür, dass bei bestehender allergischer Sensibilisierung gegen Gräserpollen ein "Etagenwechsel" eingetreten sei. Dies weise auf ein schicksalhaft entstandenes Asthma hin. Auch seien bereits seit 1989 zunehmend Bronchitis-Erkrankungen aufgetreten, die im Nachhinein als Beginn des Asthmas zu werten seien. Dieser Argumentation kann aus zwei Gründen nicht gefolgt werden. Zum Einen ist es nicht erforderlich, dass die berufsbedingten Stoffe die Asthmaerkrankung ausgelöst haben, weshalb Dr. B auch nachvollziehbar darauf hinweist, dass nur eine berufsbedingte Symptomzunahme vorgelegen habe. Zum Anderen übersieht Dr. D, dass nach einer Arbeitsunfähigkeit wegen Bronchitis im August 1996 die nächste Erkrankung erst im November 1997 und weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten erst ein Jahr später im Mai 1999 und sodann im Juni 2000 dokumentiert sind, so dass eine Verschlimmerung der Symptomatik durch die bestehende Sensibilisierung gegen Gräserpollen spekulativ erscheint.

Schließlich konnte eine überragende Bedeutung des Nikotinabusus als einer anderen Ursache für die Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit nicht festgestellt werden. Zwar konnte der Senat der Einschätzung von Dr. B, eine von ihm für die Zeit ab Juni 2000 angenommene Nikotinkarenz hätte schon im August 2000 eine Linderung der Beschwerden herbeiführen müssen, nicht folgen, weil eine Aufgabe des Rauchens zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt werden konnte. Denn der Kläger hatte noch im Oktober 2000 gegenüber dem Gutachter des MDK einen täglichen Zigarettenkonsum von 6 Stück angegeben. Dem Nikotinabusus wird jedoch weder von Dr. S noch von Dr. D eine kausalitätsauschließende Bedeutung zugemessen, so dass der Senat insoweit keinen weiteren Aufklärungsbedarf erkennen kann.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Übergangsleistungen sind erfüllt. Wegen der in der Anreizfunktion liegenden Zweckbestimmung des § 3 Abs. 2 BKV ist es erforderlich, dass der Versicherte die gefährdende Tätigkeit aufgibt, um der Gefahr, an einer Berufskrankheit zu erkranken, zu entgehen. Da der Kläger schon vor der betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber zum 31. Oktober 2000 in seinem Reha-Antrag vom 17. Juni 2000 geltend gemacht hat, die Tätigkeit auf Anraten seines Lungenarztes aufgeben zu wollen, bestehen am Vorliegen eines subjektiven Beweggrundes für die Tätigkeitsaufgabe keine Zweifel. Schließlich ist auch ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit und der Minderung des Verdienstes gegeben, da der Kläger seit dem 1. November 2000 zunächst Arbeitslosengeld bezog und während seiner Umschulung ab 21. Februar 2002 Übergangsgeld bezog.

Nach alledem hatte die Berufung des Klägers Erfolg.

Die dem Ergebnis in der Hauptsache folgende Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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