L 2 RA 278/01

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 RA 1894/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 RA 278/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Weitergewährung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1948 geborene Klägerin hat den Beruf einer Kinderpflegerin (1970) und Erzieherin (1978) erlernt. Sie war in der Folgezeit als Erzieherin bei der Stadt L. beschäftigt. Im Juni 1990 erlitt die Klägerin einen Autounfall. In der Folgezeit war sie arbeitsunfähig.

Am 28. November 1991 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch den Neurologen und Psychiater Dr. H ... Dieser kam im Gutachten vom 1. Oktober 1991 zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestehe eine neurotische Fehlentwicklung und Fehlverarbeitung im Sinne einer fixierten konversionsneurotischen Fehlentwicklung nach Bagatellunfall im Juni 1990. Als Erzieherin könne die Klägerin nicht mehr tätig sein. Auch in einer anderen Berufstätigkeit könne die Klägerin nur stundenweise unter halbschichtig arbeiten. Mit Bescheid vom 24. November 1992 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 1. Juli 1991 bis 30. Juni 1994. Auf den Antrag der Klägerin wurde die Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit weitergewährt bis zum 30. Juni 1997 (Bescheid vom 1. Juli 1994).

Am 21. März 1997 beantragte die Klägerin erneut die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie legte hierzu Behandlungsbescheinigungen der Praxis für Physikalische Therapie S. und der Praxis V. vor. Die Beklagte ließ die Klägerin orthopädisch begutachten. Der Arzt für Orthopädie Dr. F. diagnostizierte im Gutachten vom 5. Mai 1997 eine ausgeprägte vegetative Dysregulation, eine dezente Rechts-Linksskoliose BWS/LWS und eine initiale Spondylarthrose. Von orthopädischer Seite her sei die Klägerin in der Lage, vollschichtig leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung auszuführen. Vermieden werden sollten das gehäufte Heben und Tragen von Lasten mit mehr als 10 kg. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen den von der Klägerin angegebenen Beschwerden und den objektiv zu erhebenden klinischen und röntgenologischen Befunden. Er empfehle dringend eine neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung. Hierauf holte die Beklagte ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. ein. Dr. Sch. kam in seinem Gutachten vom 13. Juni 1997 zu dem Ergebnis, bei Durchsicht der früheren Gutachten ergäben sich keine objektivierbaren neurologischen Defizite. Zusammenfassend handele es sich um einen Zustand nach HWS-Schleudertrauma bei degenerativen HWS-Veränderungen. Objektive neurologische Defizite ergäben sich nicht und es träten auch keine widersprüchlichen Verhaltensweisen auf. Hinweise auf eine schwere neurotische Entwicklung bzw. Konversionsneurose hätten sich nicht ergeben. Die Klägerin sei bisher auch nie in psychiatrischer, psychotherapeutischer oder psychologischer Behandlung gewesen. Sie könne noch als Erzieherin vollschichtig arbeiten, ebenso in Tätigkeiten ohne schweres Heben und ohne Zwangshaltung. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag mit Bescheid vom 10. Juli 1997 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin, zu dem sie trotz Aufforderung der Beklagten keinen Befundbericht beifügte, wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 1998 zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 22. Mai 1998 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Die Klägerin vertrat die Auffassung, ihr Leistungsvermögen habe sich zwischenzeitlich nicht verbessert. Tatsächlich sei sie nicht mehr im Erwerbsleben einsetzbar, insbesondere nicht in ihrer bisherigen Tätigkeit als Erzieherin. Die Klägerin legte in Kopie ein Gutachten des MDK Hessen vom 14. November 1991 vor.

Das Sozialgericht holte einen Befundbericht ein von dem Internisten Dr. S. vom 18. Februar 1999. Medizinische Unterlagen der Klägerin vom MDK Hanau konnten nicht beigezogen werden, da laut Mitteilung des MDK Hanau vom 11. Januar 1999 keine Krankenversicherungsmappe der Klägerin vorhanden war. Weiter erhob das Sozialgericht Beweis durch die Einholung eines fachchirurgisch-sozialmedizinischen Gutachtens des Dr. NJ. vom 3. März 2000. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine leichte Fehlstellung der Wirbelsäule mit belastungsabhängigen Beschwerden und ein abgeflachtes Fußgewölbe. Außerdem leide die Klägerin an einer vegetativen Dystonie und neurotischen Fehlentwicklung nach Verkehrsunfall, einer Übergewichtigkeit und einer Hypercholesterieämie. Sie könne als Erzieherin im Kindergarten oder im Hort noch vollschichtig tätig sein. Im Übrigen könne die Klägerin vollschichtig leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Eine Exposition gegenüber Kälte, Nässe, Zugluft und starken Temperaturschwankungen sei als ungünstig einzustufen. Das Besteigen von Leitern sei zeitweise möglich. Die Klägerin könne Lasten bis 10 kg zeitweise heben und über kurze Strecken tragen. Weiterhin seien der Klägerin zumindest Tätigkeiten in Tagesschicht bzw. Früh- oder Spätschicht zumutbar. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit dem Ende der Rentenzahlung am 30. Juni 1997. Nach dem persönlichen Eindruck liege bei der Klägerin keine psychische Beeinträchtigung vor, aus der ein unter vollschichtiges Leistungsvermögen resultiere.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Februar 2001 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, die Klägerin sei seit 1. Juli 1997 nicht mehr berufsunfähig oder erwerbsunfähig. Dabei stütze das Gericht seine Entscheidung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. NJ ... Dieser habe überzeugend und schlüssig ausgeführt, dass die Klägerin noch in der Lage sei, mit qualitativen Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Mit diesem Leistungsvermögen könne die Klägerin noch als Erzieherin vollschichtig tätig sein, wenn auch nicht in einem Kindergarten, so doch in einem Hort. Im Hortbereich entfalle das Heben und Tragen von Kindern und die Möblierung sei für Erzieherinnen erwachsenengerecht. Die Körperhaltung könne in dieser Tätigkeit den eigenen Bedürfnissen angepasst werden. Damit sei die Klägerin nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig.

Mit ihrer am 12. März 2001 eingelegten Berufung richtet sich die Klägerin gegen den ihr am 21. Februar 2001 zugestellten Gerichtsbescheid. Die Klägerin ist der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von Dr. NJ. festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen ein Einsatz als Erzieherin im Kindergartenbereich und auch im Hortbereich nicht möglich sei. Eine Tätigkeit im Hort bringe sogar eine erheblich höhere körperliche Belastung mit sich. Den Anforderungen einer Tätigkeit in einer Kindertagesstätte bzw. in einem Hort sei sie körperlich und nervlich nicht (mehr) gewachsen.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juli 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1998 zu verurteilen, ihr über den 30. Juni 1997 hinaus Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise,
Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und legt eine Niederschrift über eine öffentliche Sitzung des Sozialgerichts München vom 8. August 2001 (Az.: S 11 RA 1029/98) vor, die die Vernehmung der Dipl.-Pädagogin I. AJ.-T. als Sachverständige enthält. Die Sachverständige, die Leiterin des Referats VI 4 - Kindergärten, Horte, Netz für Kinder - beim Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen ist, hat in der Vernehmung ausgeführt, das Berufsbild der Hortnerin unterscheide sich auch hinsichtlich der Ausbildung nicht wesentlich von dem einer Erzieherin. Eine Hortnerin habe Schulkinder vor Schulbeginn und nach der Schule zu betreuen. In der Zwischenzeit würden organisatorische Aufgaben, Verwaltungsaufgaben, Kooperation mit der Schule und anderen psychosozialen Diensten durchgeführt. Nach Ende des Schulunterrichtes sei die Begleitung zum Mittagessen durchzuführen, die Hausaufgabenbetreuung und die Freizeitgestaltung. Die Hortnerin begleite das freie Spiel (Aufsicht), wobei es ihr freistehe, ob sie aktiv mitspiele oder die Kinder nur betreue. Schulkinder müssten weder gehoben noch getragen werden. Das Fachpersonal habe reguläre erwachsenengerechte Schreibtische und Stühle.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist zulässig, aber sachlich unbegründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin über den 30. Juni 1997 hinaus keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat, weil sie nicht mehr erwerbsunfähig oder berufsunfähig ist.

Der Rechtsstreit richtet sich noch nach der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen Rechtslage (vgl. § 302 b Sozialgesetzbuch VI - SGB VI - in der ab 1. Januar 2001 gültigen Fassung). Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Demgegenüber sind erwerbsunfähig nach § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, Erwerbstätigkeiten in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 630,00 DM monatlich übersteigt. Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin seit Juli 1997 nicht mehr erfüllt.

Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen kann die Klägerin wieder vollschichtig leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Nicht mehr zumutbar sind der Klägerin Arbeiten mit einer Exposition gegenüber Nässe, Kälte, Zugluft und starken Temperaturschwankungen. Im Übrigen kann die Klägerin noch Leitern zeitweise besteigen; auch das Tragen von Lasten bis 10 kg ist der Klägerin zeitweise und über kurze Strecken zumutbar. Der Senat stützt seine Überzeugung zum Leistungsvermögen der Klägerin auf das im Klageverfahren eingeholte fachchirurgisch-sozialmedizinische Gutachten des Dr. NJ. vom 3. März 2000. Nach dem Gutachten des Dr. NJ. leidet die Klägerin an einer leichten Fehlstellung der Wirbelsäule mit belastungsabhängigen Beschwerden und einem abgeflachten Fußgewölbe sowie einer vegetativen Dystonie und neurotischer Fehlentwicklung nach Verkehrsunfall, einer Übergewichtigkeit und einer Hypercholesterinämie. Diese Gesundheitsstörungen bewirken nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. NJ., dass die Klägerin nur noch leichte Tätigkeiten vollschichtig unter den oben angegebenen qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten kann. Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieses Gutachtens zu zweifeln. Das Gutachten ist in sich schlüssig und berücksichtigt die Befundberichte der behandelnden Ärzte, frühere medizinische Feststellungen sowie die Beschwerden der Klägerin. Widersprüche zwischen Befunderhebung und der Beurteilung des Leistungsvermögens sind nicht ersichtlich. So hat der Sachverständige auch die mit den festgestellten Gesundheitsstörungen verbundenen Funktionseinschränkungen beschrieben und die hieraus resultierende Einschätzung des noch vorhandenen Leistungsvermögens der Klägerin ausführlich begründet. Auch die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. F. vom 5. Mai 1997 und des Dr. Sch. vom 13. Juni 1997 beschreiben des Leistungsvermögen der Klägerin im Wesentlichen übereinstimmend mit dem Sachverständigen Dr. NJ ... Der Senat hält den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen der Klägerin damit für geklärt und weitere medizinische Ermittlungen mit dem Sachverständigen Dr. NJ. nicht für erforderlich. Insbesondere bedarf es danach keiner erneuten nervenärztlichen Begutachtung der Klägerin.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen kann die Klägerin in ihrem bisherigen Beruf als Erzieherin weiterhin eingesetzt werden. Hier kommt jedenfalls ein Einsatz als Erzieherin in einem Hort in Betracht. Wie von der Sachverständigen AJ.-T. in ihrer Vernehmung vor dem Sozialgericht München am 8. August 2001 ausgeführt worden ist, unterscheidet sich das Berufsbild der Hortnerin auch hinsichtlich der Ausbildung nicht wesentlich von dem der Erzieherin. Bei einer vollschichtigen Arbeitszeit fallen 50 % Verwaltungs- und organisatorische Aufgaben an. Im Übrigen hat die Hortnerin im Wesentlichen Schulkinder zu betreuen sowie deren Freizeitgestaltung vorzunehmen. Dabei steht es der Hortnerin frei, aktiv mitzuspielen oder die Kinder nur zu betreuen. Auch müssen Schulkinder nach der Aussage der Sachverständigen AJ.-T. weder gehoben noch getragen werden. Außerdem verfügt das Fachpersonal über erwachsenengerechte Schreibtische und Stühle. Damit entspricht die Berufstätigkeit einer Erzieherin im Hortbereich in vollem Umfang dem bei der Klägerin bestehenden gesundheitlichen Leistungsvermögen. Hieraus folgt, dass die Klägerin nicht berufsunfähig und damit erst recht nicht erwerbsunfähig ist.

Die Berufung konnte somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
Rechtskraft
Aus
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