Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 5 SB 97/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 140/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Oktober 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Änderungsantrages (noch) die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Bei dem 1959 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 3. April 2001 ein GdB von 40 festgestellt worden. Auf den Änderungsantrag des Klägers vom 6. Mai 2003 holte der Beklagte einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. N vom 12. Mai 2003 ein und zog
Behandlungsunterlagen der Rheumaklinik E, über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 28. Februar bis 28. März 2002 bei. Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen stellte der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 3. April 2001 mit Bescheid vom 17. November 2003 einen GdB von 50 ab 6. Mai 2003 wegen einer chronischen Rheumaerkrankung mit Befall mehrerer Gelenke fest und erkannte das Vorliegen der gesund-heitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" an, lehnte jedoch eine entsprechende Feststellung im Hinblick auf das Merkzeichen "aG" ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung von Befundberichten der Fachärztin für Orthopädie Dr. E vom 22. Januar 2004 sowie des Internisten und Rheumatologen B vom 7. Februar 2004 mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2004 zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 7. Mai 2004 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben, um sein Begehren weiterzuverfolgen. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe nicht alle bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen zutreffend erfasst. Er sei kaum bewegungsfähig und ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Er könne sich nicht allein im Straßenverkehr bewegen. Ergänzend hat der Kläger ein in einem ebenfalls beim Sozialgericht anhängigen Rentenverfahren eingeholtes Gutachten des Arztes für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und physika-lische Medizin Prof. Dr. S vom 18. Juli 2005 eingereicht.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. N vom 24. August 2004 und des Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie B vom 6. August 2004 eingeholt.
Der als Sachverständiger bestellte Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und physikalische Medizin Prof. Dr. S hat in seinem Gutachten vom 11. April 2005 unter anderem ausgeführt, bei dem Kläger liege eine Erkrankung aus dem engeren rheumatischen Formenkreis vor, mit erheblichen Destruktionen zahlreicher Gelenke, insbesondere am oberen und unteren Sprunggelenk und am Mittel- und Vorfuß. Weiterhin bestehe eine Fehlform des Achsorganes und eine deutliche Osteoporose. Der Gesamt-GdB betrage 60. Die Gehfähigkeit sei aufgrund der Achsfehlform, der erheblichen Achsabweichung beidseits, des Mal perforans und der destruktiven Veränderungen eingeschränkt. Der Kläger könne wegen der Schwere der Leiden außerhalb eines Kraftfahrzeuges dauernd nur mit großer Anstrengung gehen. Er benötige hierfür keine fremde Hilfe. Selbst unter Zuhilfenahme von orthopädischen Hilfsmitteln könne der Kläger auch die ersten Schritte nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges zurücklegen. Er könne Wegstrecken von ca. 50 bis 100 m zurücklegen, dies könne er mit oder ohne Benutzung von Gehstützen durchführen. Gehstützen würden vorliegend nicht zu einer wesentlichen Entlastung führen. Der Kläger sei zurzeit noch nicht auf einen Rollstuhl angewiesen. Aus den genannten Gründen sei der Kläger mit einem Doppeloberschenkelampu-tierten gleichzusetzen, das heiße, die Gehfähigkeit des Klägers sei dauernd in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 18. Juli 2005 einen GdB von 60 ab April 2005 anerkannt.
Mit Urteil vom 9. Oktober 2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar gehöre der Kläger nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen sei. Er sei diesem Personenkreis aber gleichzustellen, denn er sei nur unter großer Anstrengung in der Lage, sich zu Fuß 50 bis 100 m zu bewegen. Er sei daher hinsichtlich seiner Gehfähigkeit schlechter gestellt als ein Doppeloberschenkelamputierter. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" lägen damit vor.
Gegen dieses ihm am 23. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. November 2006 Berufung eingelegt. Er hält das angefochtene Urteil für unzutreffend und führt zur Begründung unter anderem aus, das Merkzeichen "aG" sei nur zu zuerkennen, wenn wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste eingeschränkt sei. Dies lasse sich bei dem Kläger nicht feststellen.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Oktober 2006 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat eine erneute gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. S vom 23. Januar 2007 eingeholt, in der der Sachverständige im Wesentlichen bei seiner Einschätzung verblieben ist.
Der als Sachverständiger bestellte Arzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr. S hat in seinem Gutachten vom 25. Juni 2007 unter anderem ausgeführt, die Fortbewegungsfähigkeit des Klägers sei derzeitig nur durch die rheumatischen Veränderungen an den Sprunggelenken und Vorfüßen begrenzt. Durch die eingeschränkte Beweglichkeit der Fußgelenke sei die Gangabwicklung gestört. Durch die Veränderungen im Vorfußbereich sei die Belastbarkeit des Fußes herabgesetzt. Längere Gehstrecken könnten nicht durchgeführt werden, kürzere Strecken (bis zu 400 m) seien jedoch durchaus möglich. Der Kläger könne nach eigenen Aussagen bis zu 200 m laufen. Zwar liege unbestritten eine Einschränkung der Gehfähigkeit vor, es seien je-doch keine fremde Hilfe oder übergroße Anstrengungen nötig, die ersten Schritte außerhalb eines Kraftfahrzeuges zurückzulegen. Damit sei die Gehfähigkeit zwar eingeschränkt, aber nicht mit den Einschränkungen der Gehfähigkeit des ausdrücklich genannten Personenkreises vergleichbar. Auch in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. September 2007 ist der Sachverständige bei seiner Aussage verblieben.
Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständiger bestellte Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie, Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. G hat in seinem Gutachten vom 5. Februar 2008 unter anderem ausgeführt, auf die Fortbewegungsfähigkeit des
Klägers wirkten sich die Vor-, Mittel- und Rückfußveränderungen negativ aus. Die komplette Einschränkung der Sprunggelenksbeweglichkeit führe zu einer gestörten Gangabwicklung. Der Kläger könne sich auch ohne fremde Hilfe von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges mit großer Anstrengung bewegen. Die Einschränkung der Gehfähigkeit sei nicht mit den Einschränkungen der Gehfähigkeit des ausdrücklich genannten Personenkreises gleichzusetzen. Aus seiner Sicht bestehe eine erhebliche, nicht jedoch eine außergewöhnliche Gehbehinderung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: ) verwiesen. Der Inhalt dieser Unterlagen war Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 i. V. m. 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 22. August 2008 bzw. 25 August 2008 damit einverstanden erklärt.
Die Berufung hat Erfolg. Sie ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch begründet, denn das Sozialgericht Potsdam hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und den Beklagten zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" verurteilt.
Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; eine solche ist vorliegend nicht gegeben.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (dessen Regelungen am 1. Juli 2001 in Kraft getreten und zuletzt durch Art. 8 Abs. 2 Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 18. Dezember 2007, BGBl. I S. 2984 geändert worden sind - SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gebehinderung i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehinder-tenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen i. S von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen". Darüber hinaus führt sie u. a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3 a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB XI) und ggfs. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gebehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419; vgl. zur insoweit unveränderten Fassung vom 22. Oktober 1998: BAnz 1998, Nr. 246b, S 47). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 38 f). Schwierigkeiten bereitet hierbei der
Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen kön-nen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 S 87; Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 182). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht ankommen (Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22; Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37). Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von "aG" bezweckten Nachteilsausgleiches nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StvO bzw § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 183). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150, S. 9 f. in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 39).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das BSG bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen. Auch soweit die genannten großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des
Merkzeichens "aG" reichen jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes aber auch der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar.
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden, denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994, Az. 9 RVs 3/94, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 11 S 45).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens "aG" herleiten. Es kommt daher nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Das Merkzeichen "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06. November 1985, Az. 9a RVs 7/83, BSG SozR 3870 § 3 Nr. 18 S. 58). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahe legen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2001, Az. L 11 SB 4527/00, zitiert nach iuris). Aber auch diesem Ansatz hat das BSG nicht zugestimmt (BSG, Urteil vom 29. März 2007, Az. B 9a SB 1/06 R, zitiert nach juris), denn abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze zu kurz, da den nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO gewährten Erleichterungen weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie z. B. die Ausnahme vom
eingeschränkten Halteverbot, gewährt werden.
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann.
Vorliegend steht für den Senat trotz der erheblichen bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen fest, dass dieser sich noch wesentlich besser als der Kreis der ausdrücklich genannten Schwerbehinderten, denen das Merkzeichen "aG" zusteht, fortbewegen kann. Dies folgt aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen Dr. S und des Prof. Dr. G, die übereinstimmend beschrieben haben, dass sich der Kläger wesentlich besser fortbewegen kann, als die Schwerbehinderten, die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführt sind. So beschreibt der Sachverständige Dr. S, dass der Kläger zwar keine längeren Gehstrecken mehr zu Fuß zurücklegen kann, dass dies aber über "kürzere" Wegstrecken bis zu ca. 400 m noch möglich ist. Nach seinen eigenen Angaben anlässlich der Untersuchung durch den Sachverständigen ist ihm eine Gehstrecke von bis zu 200 m noch möglich. Dass er hierbei bereits ab den ersten Schritten fremder Hilfe bedarf oder sich nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, lässt sich demgegenüber den Gutachten nicht entnehmen. Auch der auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. Gräfenstein hat ausgeführt, der Kläger sei nicht ebenso schwer in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt wie der ausdrücklich genannte Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen ist. Übereinstimmend beschreiben beide Sachverständigen das Gangbild des Klägers zwar als kleinschrittig mit einem gestörten Abrollvorgang im Bereich der Sprunggelenke, eine Gleichstellung mit den Gruppen der Querschnittsgelähmten,
Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten, Hüftexartikulierten und einseitig Oberschenkelamputierten, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, ergibt sich daraus jedoch nicht.
Nach alledem ist der Berufung stattzugeben.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Änderungsantrages (noch) die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).
Bei dem 1959 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 3. April 2001 ein GdB von 40 festgestellt worden. Auf den Änderungsantrag des Klägers vom 6. Mai 2003 holte der Beklagte einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. N vom 12. Mai 2003 ein und zog
Behandlungsunterlagen der Rheumaklinik E, über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 28. Februar bis 28. März 2002 bei. Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen stellte der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 3. April 2001 mit Bescheid vom 17. November 2003 einen GdB von 50 ab 6. Mai 2003 wegen einer chronischen Rheumaerkrankung mit Befall mehrerer Gelenke fest und erkannte das Vorliegen der gesund-heitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" an, lehnte jedoch eine entsprechende Feststellung im Hinblick auf das Merkzeichen "aG" ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung von Befundberichten der Fachärztin für Orthopädie Dr. E vom 22. Januar 2004 sowie des Internisten und Rheumatologen B vom 7. Februar 2004 mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2004 zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 7. Mai 2004 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben, um sein Begehren weiterzuverfolgen. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe nicht alle bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen zutreffend erfasst. Er sei kaum bewegungsfähig und ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Er könne sich nicht allein im Straßenverkehr bewegen. Ergänzend hat der Kläger ein in einem ebenfalls beim Sozialgericht anhängigen Rentenverfahren eingeholtes Gutachten des Arztes für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und physika-lische Medizin Prof. Dr. S vom 18. Juli 2005 eingereicht.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. N vom 24. August 2004 und des Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie B vom 6. August 2004 eingeholt.
Der als Sachverständiger bestellte Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und physikalische Medizin Prof. Dr. S hat in seinem Gutachten vom 11. April 2005 unter anderem ausgeführt, bei dem Kläger liege eine Erkrankung aus dem engeren rheumatischen Formenkreis vor, mit erheblichen Destruktionen zahlreicher Gelenke, insbesondere am oberen und unteren Sprunggelenk und am Mittel- und Vorfuß. Weiterhin bestehe eine Fehlform des Achsorganes und eine deutliche Osteoporose. Der Gesamt-GdB betrage 60. Die Gehfähigkeit sei aufgrund der Achsfehlform, der erheblichen Achsabweichung beidseits, des Mal perforans und der destruktiven Veränderungen eingeschränkt. Der Kläger könne wegen der Schwere der Leiden außerhalb eines Kraftfahrzeuges dauernd nur mit großer Anstrengung gehen. Er benötige hierfür keine fremde Hilfe. Selbst unter Zuhilfenahme von orthopädischen Hilfsmitteln könne der Kläger auch die ersten Schritte nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges zurücklegen. Er könne Wegstrecken von ca. 50 bis 100 m zurücklegen, dies könne er mit oder ohne Benutzung von Gehstützen durchführen. Gehstützen würden vorliegend nicht zu einer wesentlichen Entlastung führen. Der Kläger sei zurzeit noch nicht auf einen Rollstuhl angewiesen. Aus den genannten Gründen sei der Kläger mit einem Doppeloberschenkelampu-tierten gleichzusetzen, das heiße, die Gehfähigkeit des Klägers sei dauernd in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 18. Juli 2005 einen GdB von 60 ab April 2005 anerkannt.
Mit Urteil vom 9. Oktober 2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar gehöre der Kläger nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen sei. Er sei diesem Personenkreis aber gleichzustellen, denn er sei nur unter großer Anstrengung in der Lage, sich zu Fuß 50 bis 100 m zu bewegen. Er sei daher hinsichtlich seiner Gehfähigkeit schlechter gestellt als ein Doppeloberschenkelamputierter. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" lägen damit vor.
Gegen dieses ihm am 23. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. November 2006 Berufung eingelegt. Er hält das angefochtene Urteil für unzutreffend und führt zur Begründung unter anderem aus, das Merkzeichen "aG" sei nur zu zuerkennen, wenn wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste eingeschränkt sei. Dies lasse sich bei dem Kläger nicht feststellen.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Oktober 2006 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat eine erneute gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. S vom 23. Januar 2007 eingeholt, in der der Sachverständige im Wesentlichen bei seiner Einschätzung verblieben ist.
Der als Sachverständiger bestellte Arzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr. S hat in seinem Gutachten vom 25. Juni 2007 unter anderem ausgeführt, die Fortbewegungsfähigkeit des Klägers sei derzeitig nur durch die rheumatischen Veränderungen an den Sprunggelenken und Vorfüßen begrenzt. Durch die eingeschränkte Beweglichkeit der Fußgelenke sei die Gangabwicklung gestört. Durch die Veränderungen im Vorfußbereich sei die Belastbarkeit des Fußes herabgesetzt. Längere Gehstrecken könnten nicht durchgeführt werden, kürzere Strecken (bis zu 400 m) seien jedoch durchaus möglich. Der Kläger könne nach eigenen Aussagen bis zu 200 m laufen. Zwar liege unbestritten eine Einschränkung der Gehfähigkeit vor, es seien je-doch keine fremde Hilfe oder übergroße Anstrengungen nötig, die ersten Schritte außerhalb eines Kraftfahrzeuges zurückzulegen. Damit sei die Gehfähigkeit zwar eingeschränkt, aber nicht mit den Einschränkungen der Gehfähigkeit des ausdrücklich genannten Personenkreises vergleichbar. Auch in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. September 2007 ist der Sachverständige bei seiner Aussage verblieben.
Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständiger bestellte Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie, Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. G hat in seinem Gutachten vom 5. Februar 2008 unter anderem ausgeführt, auf die Fortbewegungsfähigkeit des
Klägers wirkten sich die Vor-, Mittel- und Rückfußveränderungen negativ aus. Die komplette Einschränkung der Sprunggelenksbeweglichkeit führe zu einer gestörten Gangabwicklung. Der Kläger könne sich auch ohne fremde Hilfe von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges mit großer Anstrengung bewegen. Die Einschränkung der Gehfähigkeit sei nicht mit den Einschränkungen der Gehfähigkeit des ausdrücklich genannten Personenkreises gleichzusetzen. Aus seiner Sicht bestehe eine erhebliche, nicht jedoch eine außergewöhnliche Gehbehinderung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: ) verwiesen. Der Inhalt dieser Unterlagen war Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 i. V. m. 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 22. August 2008 bzw. 25 August 2008 damit einverstanden erklärt.
Die Berufung hat Erfolg. Sie ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch begründet, denn das Sozialgericht Potsdam hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und den Beklagten zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" verurteilt.
Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; eine solche ist vorliegend nicht gegeben.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (dessen Regelungen am 1. Juli 2001 in Kraft getreten und zuletzt durch Art. 8 Abs. 2 Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 18. Dezember 2007, BGBl. I S. 2984 geändert worden sind - SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gebehinderung i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehinder-tenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen i. S von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen". Darüber hinaus führt sie u. a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3 a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB XI) und ggfs. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gebehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419; vgl. zur insoweit unveränderten Fassung vom 22. Oktober 1998: BAnz 1998, Nr. 246b, S 47). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 38 f). Schwierigkeiten bereitet hierbei der
Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen kön-nen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 S 87; Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 182). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht ankommen (Urteil vom 17. Dezember 1997, Az. 9 RVs 16/96, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22; Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37). Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von "aG" bezweckten Nachteilsausgleiches nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StvO bzw § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (Urteil vom 10. Dezember 2002, Az. B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180, 183). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150, S. 9 f. in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (Urteil vom 11. März 1998, Az. B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37, 39).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das BSG bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen. Auch soweit die genannten großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des
Merkzeichens "aG" reichen jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes aber auch der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar.
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden, denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994, Az. 9 RVs 3/94, BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 11 S 45).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens "aG" herleiten. Es kommt daher nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Das Merkzeichen "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06. November 1985, Az. 9a RVs 7/83, BSG SozR 3870 § 3 Nr. 18 S. 58). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahe legen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2001, Az. L 11 SB 4527/00, zitiert nach iuris). Aber auch diesem Ansatz hat das BSG nicht zugestimmt (BSG, Urteil vom 29. März 2007, Az. B 9a SB 1/06 R, zitiert nach juris), denn abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze zu kurz, da den nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO gewährten Erleichterungen weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie z. B. die Ausnahme vom
eingeschränkten Halteverbot, gewährt werden.
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann.
Vorliegend steht für den Senat trotz der erheblichen bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen fest, dass dieser sich noch wesentlich besser als der Kreis der ausdrücklich genannten Schwerbehinderten, denen das Merkzeichen "aG" zusteht, fortbewegen kann. Dies folgt aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen Dr. S und des Prof. Dr. G, die übereinstimmend beschrieben haben, dass sich der Kläger wesentlich besser fortbewegen kann, als die Schwerbehinderten, die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführt sind. So beschreibt der Sachverständige Dr. S, dass der Kläger zwar keine längeren Gehstrecken mehr zu Fuß zurücklegen kann, dass dies aber über "kürzere" Wegstrecken bis zu ca. 400 m noch möglich ist. Nach seinen eigenen Angaben anlässlich der Untersuchung durch den Sachverständigen ist ihm eine Gehstrecke von bis zu 200 m noch möglich. Dass er hierbei bereits ab den ersten Schritten fremder Hilfe bedarf oder sich nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, lässt sich demgegenüber den Gutachten nicht entnehmen. Auch der auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. Gräfenstein hat ausgeführt, der Kläger sei nicht ebenso schwer in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt wie der ausdrücklich genannte Personenkreis, dem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen ist. Übereinstimmend beschreiben beide Sachverständigen das Gangbild des Klägers zwar als kleinschrittig mit einem gestörten Abrollvorgang im Bereich der Sprunggelenke, eine Gleichstellung mit den Gruppen der Querschnittsgelähmten,
Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten, Hüftexartikulierten und einseitig Oberschenkelamputierten, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, ergibt sich daraus jedoch nicht.
Nach alledem ist der Berufung stattzugeben.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
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