L 27 B 119/08 P

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 16 P 17/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 B 119/08 P
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Juli 2008 aufgehoben.

Gründe:

Die nach §§ 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und im Übrigen nach § 173 SGG zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht Cottbus hat mit dem angefochtenen Beschluss das Verfahren zu Unrecht ausgesetzt.

Zunächst kommt eine Aussetzung nach § 114 SGG nicht in Betracht. § 114 SGG regelt die Aussetzung bei familien- oder erbrechtlichen Vorfragen (§ 114 Abs. 1 SGG), bei Vorgreiflichkeit der gerichtlichen Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines bestehenden Rechtsverhältnisses im Rahmen eines anderen Rechtsstreits (§ 114 Abs. 2 S. 1 SGG), zur
Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 114 Abs. 2 S. 2 SGG) und bei Verdacht einer strafbaren Handlung, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist (§ 114 Abs. 3 SGG). Keiner dieser Fälle ist vorliegend gegeben. Insbesondere weist nichts auf einen anderen von den Beteiligten gegeneinander geführten Rechtsstreit hin, in welchem es um die Klärung einer vorgreiflichen Rechtsfrage ginge. Soweit sich die Klägerin in einem weiteren Rechtsstreit gegen die Beitragspflichtigkeit von Direktversicherungsleistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wendet, ist dies lediglich ein parallel gelagertes Klageverfahren, zudem mit einer anderen Beklagten, nämlich der Krankenkasse, welche gerade nicht über die Bei-tragspflichtigkeit im Rahmen der gesetzlichen Pflegekasse (mit-)entscheidet.

Das Verfahren ist auch nicht unter analoger Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG auszusetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) findet § 114 Abs. 2 SGG in eng umgrenzten Fällen entsprechende Anwendung. Durch die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens soll unter anderem verhindert werden, dass die obersten Gerichtshöfe des Bundes und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle befasst werden, ohne dass dies der Klärung eines vorgreiflichen Problems dient. Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Aussetzung des Verfahrens ist
deshalb, zumal es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, dass alle Erwägungen ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend für die Aussetzung sprechen. Das kann etwa der Fall sein, wenn wegen der streiterheblichen Frage beim BVerfG ein Normenkontrollverfahren oder eine Verfassungsbeschwerde bereits anhängig ist, nicht zu erwarten steht, dass weitere Vorlagen ans BVerfG dessen Entscheidung beeinflussen können, und mit der Entscheidung des BVerfG in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Anders verhält es sich, wenn eine anhängige Verfassungsbeschwerde einen in tatsächlicher Hinsicht anders gelagerten Fall betrifft. Dann kann nicht von einem Parallelfall mit präjudiziellem Charakter die Rede sein. In einem solchen Fall vermögen deshalb auch prozessökonomische Gründe nicht den Ermessensspielraum des Gerichts einzuengen (BSG, Beschluss vom 1. April 1992 – 7 Rar 16/91 -, zitiert nach juris Rn. 9 ff.).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich vom Fall, welchen die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 739/08 gegen das Urteil des BSG vom 12. Dezember 2007 – B 12 KR 6/06 R – zum Gegen-stand hat, schon deshalb, weil es hier um die Beitragspflichtigkeit im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung und im Verfahren 1 BvR 739/08 um die Beitragspflichtigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geht. Ferner liegt der dem BVerfG vorliegende Fall aus folgenden Gründen anders: Dort geht es um die Frage der Beitragspflichtigkeit von Versor-gungsbezügen, welche als Leistungen aus einer vom Arbeitgeber abgeschlossenen Direktversicherung erbracht werden. Hingegen geht es hier um die zunächst anhand der einfachgesetzlichen Regelungen des § 57 Abs. 1 S. 1 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) in Verbindung mit §§ 237 S. 1 Nr. 2, 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 und S. 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zu klärende Frage, ob auch solche Leistungen aus der Direktversicherung beitragspflichtig sind, welche nicht auf einer eigenen Beitragszahlung der Klägerin oder ihres Arbeitgebers, sondern ausschließlich auf Beitragszahlungen ihres verstorbenen Ehemanns und seines Arbeitgebers beruhen sowie als Leistung auf den Todesfall erbracht werden. Ferner stellt sich hier anders als im Verfahren 1 BvR 739/08 die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit bereits die Verpfändung der Direktversicherung zu einem Baudarlehen sowie der damit einhergehende Widerruf des Bezugsrecht für die Dauer der Verpfändung der Beitragspflichtigkeit entgegenstehen.

Ein Grund für die Aussetzung ergibt sich auch nicht aus den in §§ 239 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) enthaltenen Vorschriften über die Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens, welche gemäß § 202 SGG entsprechend anzuwenden sind, weil das SGG insofern keine Be-stimmung über das Verfahren enthält und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfah-rensarten dies nicht ausschließen. Für keinen der in §§ 239 ff. ZPO genannten Fälle – Tod der Partei, Insolvenzverfahren, Prozessunfähigkeit, Nacherbfolge, Nachlasspflegschaft, Anwaltsverlust, Stillstand der Rechtspflege, Krieg – liegt etwas vor.

Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, weil die Ausgangsentscheidung des Sozialgerichts über die Aussetzung des Verfahrens als Teil der Hauptsache zu Recht keine Kostenentscheidung enthält und das Beschwerdeverfahren nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt (vgl. vgl. Bundesgerichtshof – BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 -, zitiert nach juris Rn. 12; im Ergebnis so auch Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG – Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 114 Rn. 9).

Der Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde ans Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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