Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 21 SI 87/07 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 B 24/08 SO-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts setzt eine wenigstens kurzzeitige tatsächliche Aufenthaltsnahme an diesem Ort voraus.
2. § 98 SGB XII ist die gegenüber § 43 Abs. 1 SGB I speziellere Vorschrift.
3. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners und Beschwerdeführers gegen eine stattgebende einstweilige Anordnung des Sozialgerichts entfällt nicht, wenn der Beschwerdeführer der Anordnung zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung nachgekommen ist.
2. § 98 SGB XII ist die gegenüber § 43 Abs. 1 SGB I speziellere Vorschrift.
3. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners und Beschwerdeführers gegen eine stattgebende einstweilige Anordnung des Sozialgerichts entfällt nicht, wenn der Beschwerdeführer der Anordnung zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung nachgekommen ist.
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 30.11.2007 geändert. Der Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme von Heimkosten gewähren.
II. Der Beigeladene hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist die vorläufige Übernahme der Kosten für eine Heimunterbringung.
Der am ...- ...1990 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsteller) ist griechischer Staatsangehöriger. Er leidet unter einer schweren geistigen Behinderung und schweren Verhaltensstörung, ist nur mit Unterstützung gehfähig, inkontinent und braucht Hilfe bei der Nahrungsaufnahme.
1991 reiste er mit seinen Eltern, die seither in L. eine griechische Gaststätte betreiben, nach Deutschland ein. 1993 kehrte er nach Griechenland zurück, wo er von seiner Großmutter gepflegt wurde; der Kontakt zu seinen Eltern und seinen drei jüngeren Geschwistern wurde über Besuche aufrecht erhalten. Nachdem die Großmutter den Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr pflegen konnte, erkundigten sich die Eltern am 01.12.2006 bei der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) nach der Möglichkeit einer stationären Unterbringung. Am 27.02.2007 beantragten sie für den Antragsteller Heimunterbringung und Sozialhilfe. Am 01.03.2007 meldeten sie ihn unter ihrer Wohnanschrift in L. an.
Nach seiner Einreise in Deutschland am 21.03.2007 wurde der Antragsteller unmittelbar im Kinderwohnheim R. der Stiftung X in Thüringen im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen untergebracht. Der Beigeladene und die Antragsgegnerin stritten im weiteren Verlauf über die Zuständigkeit hinsichtlich der Übernahme der Heimkosten.
Am 28.03.2007 schloss der durch seine Eltern vertretene Antragsteller mit Wirkung vom 22.03.2007 mit dem Träger des Wohnheimes, der Stiftung X , einen Heimvertrag auf unbestimmte Zeit.
Die Antragsgegnerin lehnte die Übernahme der Kosten für die vollstationäre Unterbringung des Antragstellers mit Bescheid vom 09.05.2007 ab. Da ein gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland nicht festzustellen sei, sei der Leistungsträger am Ort des tatsächlichen Aufenthaltes zuständig. Am 29.05.2007 wurde gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt. Mit Rechnung vom 07.08.2007 stellte die Stiftung X. dem Vater des Antragstellers für die Monate Mai bis Juli 2007 einen Betrag von insgesamt 9.910,83 EUR in Rechnung.
Am 10.09.2007 ist beim Sozialgericht Leipzig (SG) Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Begehren der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gestellt worden. Der Anordnungsanspruch gründe sich auf §§ 8, 53 ff. SGB XII. Als Bürger der Europäischen Union sei der Antragsteller, der ein Daueraufenthaltsrecht EU innehabe, leistungsberechtigt. Er sei auch bedürftig. Die Voraussetzungen für Leistungen der Eingliederungshilfe für die vollstationäre Unterbringung in der "Stiftung X " hätten mit der Aufnahme des Antragstellers am 21.03.2007 vorgelegen, wobei von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin auszugehen sei. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltes sei darauf abzustellen, wo sich die Lebensverhältnisse des Betroffenen an einem Ort in familiärer, sozialer und beruflicher Hinsicht verfestigten. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass die Familie den Sohn nach Deutschland gebracht habe, damit er hier bei seiner Familie lebe, auch wenn er sich einer Einrichtung aufhalte. Hinzu komme, dass nach dem hier maßgeblichen Willen der Eltern ein gewöhnlicher Aufenthalt des Sohnes in Deutschland habe begründet werden sollen, dass die persönlichen Kontakte und die Fürsorge der Familie in L. seien und die Betreuung und Beherbergung in R ... Da wegen § 109 SGB XII der Aufenthaltsort in R. nicht als gewöhnlicher Aufenthalt gelte, sei vorliegend auf den Aufenthalt bei der Familie abzustellen. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben. Der Antragsteller sei bedürftig. Die erheblichen Kosten für den Aufenthalt in der Einrichtung könnten weder er noch seine Eltern tragen. Bei Nichtzahlung der Kosten sei ein Verbleib in der Einrichtung nicht möglich, eine andere geeignete Maßnahme stehe nicht zur Verfügung. Dem Antrag war u. a. der Einkommensteuerbescheid der Eltern des Antragstellers für 2005 vom 07.02.2007 beigefügt. Er weist ein zu versteuerndes Einkommen von 39.526,00 EUR und eine festzusetzende Einkommensteuer von 5.363,00 EUR aus.
Mit Beschluss vom 11.09.2007 hat das SG den Landkreis Sömmerda gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.
Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass ihres Erachtens der Beigeladene gemäß § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorleistungspflichtig sei. Der Antragsteller habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Letztlich unterfalle die gegebene Fallkonstellation jedoch § 108 SGB XII.
Nach Ansicht des Beigeladenen hat der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in L ... Fraglich sei, ob überhaupt ein Anspruch bestehe. Gemäß § 23 SGB XII seien Leistungen für Ausländer eingeschränkt.
Mit Rechnung vom 16.11.2007 hat die Stiftung X für den Aufenthalt des Antragstellers im Wohnheim R. von Mai bis November 2007 insgesamt 19.821,66 EUR in Rechnung gestellt.
Das SG hat mit Beschluss vom 30.11.2007 die Antragsgegnerin verpflichtet, vorläufig Leistungen der Eingliederungshilfe für den Antragsteller zu bewilligen. Anordnungsgrund und –anspruch seien glaubhaft gemacht. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Gewährung von Sozialhilfe für den Antragsteller nicht gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen sei. Es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller eingereist sei, um Sozialhilfe zu erlangen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass prägendes Motiv der Einreise des Antragstellers die Familienzusammenführung gewesen sei. Für die Gewährung der vorläufigen Sozialleistungen sei die Antragsgegnerin zuständig. Da zwischen ihr und dem Beigeladenen Streit über die vorläufige Leistungserbringung bestehe, sei sie als der zuerst angegangene Leistungsträger gemäß § 43 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) leistungspflichtig. Diese Verpflichtung könne nur entfallen, wenn nach materiellem Recht, unter keinen denkbaren Umständen, eine Leistungsgewährung ausscheide. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Antragsteller habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen, sondern bei seiner Familie in L. , da seine familiären Bindungen und Beziehungen ausschließlich dort lägen.
Gegen den ihr am 07.12.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 21.12.2007 Beschwerde eingelegt. Es sei unstreitig, dass ein Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe bestehe. Jedoch sei nicht sie, sondern der Beigeladene zur vorläufigen Kostenübernahme verpflichtet. Der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers sei streitig. Für diesen Fall bestimme § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII, dass der Träger am tatsächlichen Aufenthaltsort vorläufig zu leisten habe. § 43 Abs. 1 SGB I sei nachrangig. Daher sei nicht sie, sondern der Beigeladene zur Leistung verpflichtet. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 30.11.2007 zu ändern und den Beigeladenen zur vorläufigen Kostenübernahme zu verpflichten.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe des Beschlusses vom 30.11.2007.
Der Beigeladene führt aus, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt, wie vom Gericht richtig festgestellt, nicht im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen, sondern in der Stadt L. habe. Am Wohnort seiner Familie sei auch sein Lebensmittelpunkt zu sehen. Gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sei somit für stationäre Leistungen der Träger der örtlichen Sozialhilfe, mithin die Stadt Leipzig, zuständig. Er beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht deswegen an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde, weil der Antragsgegner, ohne die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Absatz 2 SGG zu nutzen, seiner Verpflichtung aus dem Beschluss vom 30.11.2007 nachgekommen ist und sich der Rechtsstreit dadurch erledigt haben könnte (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.10.2006, L 10 B 654/06 AS, Rz. 1f., zitiert nach Juris). Vielmehr ist davon auszugehen, dass das zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung Geleistete den Rechtsstreit nicht erledigt (BGH, Urteil vom 16.11.1993 – X ZR 7/92 –, NJW 1994, 942; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2007 – L 32 B 1565/07 AS ER, Rz. 2f. m. w. N., zitiert nach Juris). Es gibt nämlich keine gesetzliche Grundlage, aufgrund derer von einer Beschränkung des Rechtsschutzes der unterlegenen Behörde ausschließlich auf das Hauptsacheverfahren ausgegangen werden könnte; die Beschwerde setzt nur voraus, dass der Beschwerdeführer sein Begehren auf eine vorläufige Regelung beschränkt und nicht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine endgültige Klärung begehrt (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rz. 2). Somit ist die Möglichkeit der Durchsetzung eines Erstattungsanspruches bei Aufhebung der einstweiligen Anordnung noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens grundsätzlich ausreichend, um ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners für die Beschwerde zu bejahen (so bereits SächsLSG, Beschluss vom 03.11.2008, L 7 B 405/07 AS-ER, ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.05.2008, L 23 B 26/08 SO ER, Rz. 12, zitiert nach Juris).
Die Beschwerde ist auch begründet. Der Beigeladene, der mit Beschluss des SG vom 11.07.2007 gemäß § 75 Abs. 2 SGG notwendig beigeladen worden ist, hat die Heimkosten des Antragstellers vorläufig zu tragen und kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hierzu gemäß § 75 Abs. 5 SGG analog verpflichtet werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2006, L 7 AY 3106/06 ER-B; vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 75 RdNr. 18b). Er ist zudem gemäß § 8 Nr. 4 SGB XII i. V. m. §§ 1, 3 des Thüringer Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (GVBl. Nr. 22 vom 29.12.2004, S. 891, 20.12.2007, S. 267) der für Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zuständige Träger.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 86b RdNr. 16c), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in: Hk-SGG, 2. Aufl. 2006, § 86b RdNr. 42).
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, RdNr. 154-156 m. w. N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff.). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O, § 86b RdNr. 27a).
Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht auf Grund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfahren mit demselben Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist (Krodel, NZS 2002, 234 ff.; Finkelnburg/Jank, a. a. O., RdNr. 152, 338; jeweils m. w. N.).
Vorliegend sind sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat, wie bereits das SG dargelegt hat und was zwischen den Beteiligten nunmehr auch unstreitig ist, Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 8 Nr. 4 i. V. m. §§ 53 ff. SGB XII. Streitig ist lediglich, welcher Träger die Leistung vorläufig zu erbringen hat.
Insoweit regelt § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, dass für eine stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt hatte. Satz 3 der Vorschrift bestimmt weiter, dass, wenn innerhalb von vier Wochen nicht feststeht, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach Satz 1 oder 2 begründet worden ist oder wenn ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln ist oder wenn ein Eilfall vorliegt, der nach § 98 Abs. 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe über die Leistung unverzüglich zu entscheiden oder sie vorläufig zu erbringen hat. § 98 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass für die Sozialhilfe der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten.
Vorliegend bestimmt sich die vorläufige Leistungspflicht nach § 98 Abs. 1 Satz 3 2. Variante i. V. m. § 98 Abs. 1 SGB XII, da der Antragsteller keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Da § 109 SGB XII regelt, dass hinsichtlich der Zuständigkeits- und Kostenerstattungsregelungen der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des § 98 Abs. 2 SGB XII gilt (vgl. Schoch in: Münder u. a., Sozialgesetzbuch XII, LPK, 8. Auflage 2008, § 109 RdNr. 2), kommt, worauf auch das SG hingewiesen hat, das Kinderwohnheim der Stiftung X. in R ... nicht als gewöhnlicher Aufenthaltsort des Antragstellers in Betracht.
Jedoch ist entgegen den Ausführungen des SG der Aufenthaltsort und Wohnsitz der Familie ebenfalls nicht gewöhnlicher Aufenthaltsort des Antragstellers. Insoweit fehlt es an der nach Ansicht des Senates zwingend erforderlichen wenigstens kurzzeitigen tatsächlichen Aufenthaltsnahme an diesem Ort. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, wonach jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts ist hiernach notwendige Voraussetzung, dass die Person, die an einem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen will, sich zumindest kurzfristig auch tatsächlich dort aufhält; der tatsächliche Aufenthalt ist zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingung für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Der physische Aufenthalt am Ort des (zu begründenden) gewöhnlichen Aufenthalts ist daher unabhängig von allen weiteren Indizien und dem Willen, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, der frühest denkbare Zeitpunkt der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts.
Dies gilt vorliegend unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit des Antragstellers bzw. unabhängig vom Willen seiner Eltern. Der mindestens kurzzeitige physische Aufenthalt kann auch bei Kindern nicht durch den bloßen Willen eines personensorgeberechtigten Elternteils, an diesem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt für das Kind zu begründen, oder durch entsprechende objektive Vorbereitungshandlungen (etwa Anmietung und Einrichtung einer Wohnung; melderechtliche Anmeldung) ersetzt werden. Da die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch bei minderjährigen Kindern rechtlich selbständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen ist, können zwar der Wille, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, den selbständig zu bilden zumindest ein Kleinkind auch tatsächlich nicht in der Lage ist, und die erforderlichen Vorbereitungs- und Umsetzungshandlungen für die Begründung oder einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts durch die Eltern bzw. den die Personensorge ausübenden Elternteil ersetzt werden, nicht hingegen der physische Aufenthalt. Dieser wird auch nicht durch eine melderechtliche Anmeldung ersetzt (BVerwG, Urteil vom 26.09.2002, Az. 5 C 46/01, 5 B 37/07, Rz. 18, 19, zitiert nach Juris).
Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Antragstellers befindet sich somit nicht am Wohnort seiner Familie in L ... Er hat diese Wohnung, soweit ersichtlich, nie betreten; Besuche dort sind, soweit nach dem Akteninhalt erkennbar, auch nicht geplant. Vielmehr besucht die Familie den Antragsteller an dessen tatsächlichem Aufenthaltsort.
Da auch das Kinderwohnheim R. nicht als gewöhnlicher Aufenthaltsort in Betracht kommt (s. o.), hat der Antragsteller keinen gewöhnlicher Aufenthaltsort. Damit hat der nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe die Leistung vorläufig zu erbringen. Da nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift für die Sozialhilfe der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten und da es sich vorliegend um Leistungen der Sozialhilfe handelt, ist der Beigeladene für die vorläufige Erbringung der Leistungen örtlich zuständig.
Da § 98 SGB XII die gegenüber § 43 Abs. 1 SGB I speziellere Vorschrift ist (Mergler/ Zink, Kommentar zum SGB XII, Stand August 2008, § 98 SGB XII, RdNr. 20), ist der zuerst angegangene Leistungsträger nicht gemäß § 43 Abs. 1 SGB I zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet.
Des Weiteren ist ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Bei Nichtzahlung der Heimkosten droht dem Antragsteller ein schwerer Nachteil, nämlich die Entlassung aus der Einrichtung. Er selbst kann die Kosten nicht tragen. Eine genaue Prüfung der Einkommensverhältnisse seiner Eltern konnte unterbleiben, da bei volljährigen behinderten Kindern deren Unterhaltsansprüche gegenüber den Eltern in Höhe von (derzeit) maximal 46 EUR monatlich auf den Leistungsträger übergehen (Münder u. a., SGB XII § 94 Rn. 34 ff), in dieser Höhe wird die Leistungsfähigkeit der Eltern vermutet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Der Beigeladene hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist die vorläufige Übernahme der Kosten für eine Heimunterbringung.
Der am ...- ...1990 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsteller) ist griechischer Staatsangehöriger. Er leidet unter einer schweren geistigen Behinderung und schweren Verhaltensstörung, ist nur mit Unterstützung gehfähig, inkontinent und braucht Hilfe bei der Nahrungsaufnahme.
1991 reiste er mit seinen Eltern, die seither in L. eine griechische Gaststätte betreiben, nach Deutschland ein. 1993 kehrte er nach Griechenland zurück, wo er von seiner Großmutter gepflegt wurde; der Kontakt zu seinen Eltern und seinen drei jüngeren Geschwistern wurde über Besuche aufrecht erhalten. Nachdem die Großmutter den Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr pflegen konnte, erkundigten sich die Eltern am 01.12.2006 bei der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) nach der Möglichkeit einer stationären Unterbringung. Am 27.02.2007 beantragten sie für den Antragsteller Heimunterbringung und Sozialhilfe. Am 01.03.2007 meldeten sie ihn unter ihrer Wohnanschrift in L. an.
Nach seiner Einreise in Deutschland am 21.03.2007 wurde der Antragsteller unmittelbar im Kinderwohnheim R. der Stiftung X in Thüringen im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen untergebracht. Der Beigeladene und die Antragsgegnerin stritten im weiteren Verlauf über die Zuständigkeit hinsichtlich der Übernahme der Heimkosten.
Am 28.03.2007 schloss der durch seine Eltern vertretene Antragsteller mit Wirkung vom 22.03.2007 mit dem Träger des Wohnheimes, der Stiftung X , einen Heimvertrag auf unbestimmte Zeit.
Die Antragsgegnerin lehnte die Übernahme der Kosten für die vollstationäre Unterbringung des Antragstellers mit Bescheid vom 09.05.2007 ab. Da ein gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland nicht festzustellen sei, sei der Leistungsträger am Ort des tatsächlichen Aufenthaltes zuständig. Am 29.05.2007 wurde gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt. Mit Rechnung vom 07.08.2007 stellte die Stiftung X. dem Vater des Antragstellers für die Monate Mai bis Juli 2007 einen Betrag von insgesamt 9.910,83 EUR in Rechnung.
Am 10.09.2007 ist beim Sozialgericht Leipzig (SG) Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Begehren der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gestellt worden. Der Anordnungsanspruch gründe sich auf §§ 8, 53 ff. SGB XII. Als Bürger der Europäischen Union sei der Antragsteller, der ein Daueraufenthaltsrecht EU innehabe, leistungsberechtigt. Er sei auch bedürftig. Die Voraussetzungen für Leistungen der Eingliederungshilfe für die vollstationäre Unterbringung in der "Stiftung X " hätten mit der Aufnahme des Antragstellers am 21.03.2007 vorgelegen, wobei von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin auszugehen sei. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltes sei darauf abzustellen, wo sich die Lebensverhältnisse des Betroffenen an einem Ort in familiärer, sozialer und beruflicher Hinsicht verfestigten. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass die Familie den Sohn nach Deutschland gebracht habe, damit er hier bei seiner Familie lebe, auch wenn er sich einer Einrichtung aufhalte. Hinzu komme, dass nach dem hier maßgeblichen Willen der Eltern ein gewöhnlicher Aufenthalt des Sohnes in Deutschland habe begründet werden sollen, dass die persönlichen Kontakte und die Fürsorge der Familie in L. seien und die Betreuung und Beherbergung in R ... Da wegen § 109 SGB XII der Aufenthaltsort in R. nicht als gewöhnlicher Aufenthalt gelte, sei vorliegend auf den Aufenthalt bei der Familie abzustellen. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben. Der Antragsteller sei bedürftig. Die erheblichen Kosten für den Aufenthalt in der Einrichtung könnten weder er noch seine Eltern tragen. Bei Nichtzahlung der Kosten sei ein Verbleib in der Einrichtung nicht möglich, eine andere geeignete Maßnahme stehe nicht zur Verfügung. Dem Antrag war u. a. der Einkommensteuerbescheid der Eltern des Antragstellers für 2005 vom 07.02.2007 beigefügt. Er weist ein zu versteuerndes Einkommen von 39.526,00 EUR und eine festzusetzende Einkommensteuer von 5.363,00 EUR aus.
Mit Beschluss vom 11.09.2007 hat das SG den Landkreis Sömmerda gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.
Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass ihres Erachtens der Beigeladene gemäß § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorleistungspflichtig sei. Der Antragsteller habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Letztlich unterfalle die gegebene Fallkonstellation jedoch § 108 SGB XII.
Nach Ansicht des Beigeladenen hat der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in L ... Fraglich sei, ob überhaupt ein Anspruch bestehe. Gemäß § 23 SGB XII seien Leistungen für Ausländer eingeschränkt.
Mit Rechnung vom 16.11.2007 hat die Stiftung X für den Aufenthalt des Antragstellers im Wohnheim R. von Mai bis November 2007 insgesamt 19.821,66 EUR in Rechnung gestellt.
Das SG hat mit Beschluss vom 30.11.2007 die Antragsgegnerin verpflichtet, vorläufig Leistungen der Eingliederungshilfe für den Antragsteller zu bewilligen. Anordnungsgrund und –anspruch seien glaubhaft gemacht. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Gewährung von Sozialhilfe für den Antragsteller nicht gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen sei. Es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller eingereist sei, um Sozialhilfe zu erlangen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass prägendes Motiv der Einreise des Antragstellers die Familienzusammenführung gewesen sei. Für die Gewährung der vorläufigen Sozialleistungen sei die Antragsgegnerin zuständig. Da zwischen ihr und dem Beigeladenen Streit über die vorläufige Leistungserbringung bestehe, sei sie als der zuerst angegangene Leistungsträger gemäß § 43 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) leistungspflichtig. Diese Verpflichtung könne nur entfallen, wenn nach materiellem Recht, unter keinen denkbaren Umständen, eine Leistungsgewährung ausscheide. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Antragsteller habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen, sondern bei seiner Familie in L. , da seine familiären Bindungen und Beziehungen ausschließlich dort lägen.
Gegen den ihr am 07.12.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 21.12.2007 Beschwerde eingelegt. Es sei unstreitig, dass ein Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe bestehe. Jedoch sei nicht sie, sondern der Beigeladene zur vorläufigen Kostenübernahme verpflichtet. Der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers sei streitig. Für diesen Fall bestimme § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII, dass der Träger am tatsächlichen Aufenthaltsort vorläufig zu leisten habe. § 43 Abs. 1 SGB I sei nachrangig. Daher sei nicht sie, sondern der Beigeladene zur Leistung verpflichtet. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 30.11.2007 zu ändern und den Beigeladenen zur vorläufigen Kostenübernahme zu verpflichten.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe des Beschlusses vom 30.11.2007.
Der Beigeladene führt aus, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt, wie vom Gericht richtig festgestellt, nicht im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen, sondern in der Stadt L. habe. Am Wohnort seiner Familie sei auch sein Lebensmittelpunkt zu sehen. Gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sei somit für stationäre Leistungen der Träger der örtlichen Sozialhilfe, mithin die Stadt Leipzig, zuständig. Er beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht deswegen an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde, weil der Antragsgegner, ohne die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Absatz 2 SGG zu nutzen, seiner Verpflichtung aus dem Beschluss vom 30.11.2007 nachgekommen ist und sich der Rechtsstreit dadurch erledigt haben könnte (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.10.2006, L 10 B 654/06 AS, Rz. 1f., zitiert nach Juris). Vielmehr ist davon auszugehen, dass das zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung Geleistete den Rechtsstreit nicht erledigt (BGH, Urteil vom 16.11.1993 – X ZR 7/92 –, NJW 1994, 942; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2007 – L 32 B 1565/07 AS ER, Rz. 2f. m. w. N., zitiert nach Juris). Es gibt nämlich keine gesetzliche Grundlage, aufgrund derer von einer Beschränkung des Rechtsschutzes der unterlegenen Behörde ausschließlich auf das Hauptsacheverfahren ausgegangen werden könnte; die Beschwerde setzt nur voraus, dass der Beschwerdeführer sein Begehren auf eine vorläufige Regelung beschränkt und nicht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine endgültige Klärung begehrt (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rz. 2). Somit ist die Möglichkeit der Durchsetzung eines Erstattungsanspruches bei Aufhebung der einstweiligen Anordnung noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens grundsätzlich ausreichend, um ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners für die Beschwerde zu bejahen (so bereits SächsLSG, Beschluss vom 03.11.2008, L 7 B 405/07 AS-ER, ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.05.2008, L 23 B 26/08 SO ER, Rz. 12, zitiert nach Juris).
Die Beschwerde ist auch begründet. Der Beigeladene, der mit Beschluss des SG vom 11.07.2007 gemäß § 75 Abs. 2 SGG notwendig beigeladen worden ist, hat die Heimkosten des Antragstellers vorläufig zu tragen und kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hierzu gemäß § 75 Abs. 5 SGG analog verpflichtet werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2006, L 7 AY 3106/06 ER-B; vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 75 RdNr. 18b). Er ist zudem gemäß § 8 Nr. 4 SGB XII i. V. m. §§ 1, 3 des Thüringer Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (GVBl. Nr. 22 vom 29.12.2004, S. 891, 20.12.2007, S. 267) der für Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zuständige Träger.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 86b RdNr. 16c), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in: Hk-SGG, 2. Aufl. 2006, § 86b RdNr. 42).
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, RdNr. 154-156 m. w. N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff.). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O, § 86b RdNr. 27a).
Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht auf Grund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfahren mit demselben Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist (Krodel, NZS 2002, 234 ff.; Finkelnburg/Jank, a. a. O., RdNr. 152, 338; jeweils m. w. N.).
Vorliegend sind sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat, wie bereits das SG dargelegt hat und was zwischen den Beteiligten nunmehr auch unstreitig ist, Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 8 Nr. 4 i. V. m. §§ 53 ff. SGB XII. Streitig ist lediglich, welcher Träger die Leistung vorläufig zu erbringen hat.
Insoweit regelt § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, dass für eine stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt hatte. Satz 3 der Vorschrift bestimmt weiter, dass, wenn innerhalb von vier Wochen nicht feststeht, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach Satz 1 oder 2 begründet worden ist oder wenn ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln ist oder wenn ein Eilfall vorliegt, der nach § 98 Abs. 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe über die Leistung unverzüglich zu entscheiden oder sie vorläufig zu erbringen hat. § 98 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass für die Sozialhilfe der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten.
Vorliegend bestimmt sich die vorläufige Leistungspflicht nach § 98 Abs. 1 Satz 3 2. Variante i. V. m. § 98 Abs. 1 SGB XII, da der Antragsteller keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Da § 109 SGB XII regelt, dass hinsichtlich der Zuständigkeits- und Kostenerstattungsregelungen der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des § 98 Abs. 2 SGB XII gilt (vgl. Schoch in: Münder u. a., Sozialgesetzbuch XII, LPK, 8. Auflage 2008, § 109 RdNr. 2), kommt, worauf auch das SG hingewiesen hat, das Kinderwohnheim der Stiftung X. in R ... nicht als gewöhnlicher Aufenthaltsort des Antragstellers in Betracht.
Jedoch ist entgegen den Ausführungen des SG der Aufenthaltsort und Wohnsitz der Familie ebenfalls nicht gewöhnlicher Aufenthaltsort des Antragstellers. Insoweit fehlt es an der nach Ansicht des Senates zwingend erforderlichen wenigstens kurzzeitigen tatsächlichen Aufenthaltsnahme an diesem Ort. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, wonach jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts ist hiernach notwendige Voraussetzung, dass die Person, die an einem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen will, sich zumindest kurzfristig auch tatsächlich dort aufhält; der tatsächliche Aufenthalt ist zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingung für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Der physische Aufenthalt am Ort des (zu begründenden) gewöhnlichen Aufenthalts ist daher unabhängig von allen weiteren Indizien und dem Willen, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, der frühest denkbare Zeitpunkt der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts.
Dies gilt vorliegend unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit des Antragstellers bzw. unabhängig vom Willen seiner Eltern. Der mindestens kurzzeitige physische Aufenthalt kann auch bei Kindern nicht durch den bloßen Willen eines personensorgeberechtigten Elternteils, an diesem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt für das Kind zu begründen, oder durch entsprechende objektive Vorbereitungshandlungen (etwa Anmietung und Einrichtung einer Wohnung; melderechtliche Anmeldung) ersetzt werden. Da die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch bei minderjährigen Kindern rechtlich selbständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen ist, können zwar der Wille, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, den selbständig zu bilden zumindest ein Kleinkind auch tatsächlich nicht in der Lage ist, und die erforderlichen Vorbereitungs- und Umsetzungshandlungen für die Begründung oder einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts durch die Eltern bzw. den die Personensorge ausübenden Elternteil ersetzt werden, nicht hingegen der physische Aufenthalt. Dieser wird auch nicht durch eine melderechtliche Anmeldung ersetzt (BVerwG, Urteil vom 26.09.2002, Az. 5 C 46/01, 5 B 37/07, Rz. 18, 19, zitiert nach Juris).
Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Antragstellers befindet sich somit nicht am Wohnort seiner Familie in L ... Er hat diese Wohnung, soweit ersichtlich, nie betreten; Besuche dort sind, soweit nach dem Akteninhalt erkennbar, auch nicht geplant. Vielmehr besucht die Familie den Antragsteller an dessen tatsächlichem Aufenthaltsort.
Da auch das Kinderwohnheim R. nicht als gewöhnlicher Aufenthaltsort in Betracht kommt (s. o.), hat der Antragsteller keinen gewöhnlicher Aufenthaltsort. Damit hat der nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe die Leistung vorläufig zu erbringen. Da nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift für die Sozialhilfe der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten und da es sich vorliegend um Leistungen der Sozialhilfe handelt, ist der Beigeladene für die vorläufige Erbringung der Leistungen örtlich zuständig.
Da § 98 SGB XII die gegenüber § 43 Abs. 1 SGB I speziellere Vorschrift ist (Mergler/ Zink, Kommentar zum SGB XII, Stand August 2008, § 98 SGB XII, RdNr. 20), ist der zuerst angegangene Leistungsträger nicht gemäß § 43 Abs. 1 SGB I zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet.
Des Weiteren ist ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Bei Nichtzahlung der Heimkosten droht dem Antragsteller ein schwerer Nachteil, nämlich die Entlassung aus der Einrichtung. Er selbst kann die Kosten nicht tragen. Eine genaue Prüfung der Einkommensverhältnisse seiner Eltern konnte unterbleiben, da bei volljährigen behinderten Kindern deren Unterhaltsansprüche gegenüber den Eltern in Höhe von (derzeit) maximal 46 EUR monatlich auf den Leistungsträger übergehen (Münder u. a., SGB XII § 94 Rn. 34 ff), in dieser Höhe wird die Leistungsfähigkeit der Eltern vermutet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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