L 7 AS 347/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 2881/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 347/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03.02.2022 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Der 0000 geborene Kläger ist gelernter Maschinenbautechniker. Von 2007 bis 2015 arbeitete er als Schlosser. Er ist seit Mai 2015 geschieden und hat eine am 00.00.0000 geborene Tochter.

 

Ab dem 01.04.2015 lebte der Kläger in der M.-straße in E. (Gesamtmiete i.H.v. 410 €). Etwa ein halbes Jahr später zog er in eine voll möblierte, 60 m² große Wohnung in der I.-straße in E. mit einem Tiefgaragenstellplatz. Als „Miete“ wurde im Mietvertrag vom 05.09.2015 zunächst ein Betrag i.H.v. 810 € vereinbart. Darin waren die Nebenkosten (Heizung, Wasser, Strom, Gas, Müllentsorgung und Tiefgaragenstellplatz) enthalten. In einer Mietbescheinigung vom 05.08.2016 wurden die Kosten wie folgt aufgeschlüsselt: 500 € Kaltmiete, 150 € Betriebskosten, 100 € Heizung und Warmwasser, 60 € Möbel.

 

Der Kläger bezog ab Februar 2015 abwechselnd Krankengeld und SGB II und sodann Arbeitslosengeld I i.H.v. ca. 1.200 € monatlich. Im August 2016 beantragte er erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Beklagten. Der Kläger gab seine Gesamtmiete in der „Anlage KdU“ vom 08.08.2016 mit „810 € pauschal“ an.

 

Mit Schreiben vom 17.08.2016 informierte der Beklagter den Kläger darüber, dass seine Unterkunftskosten nicht angemessen seien. Angemessen für einen Einpersonenhaushalt in E. seien 50 m² Wohnfläche und eine Kaltmiete i.H.v. 280 €. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 09.09.2016 mit, dass es sich um eine Pauschalmiete handele und auch die Möblierung in den Kosten enthalten seien. Er habe die Wohnung durch Vermittlung eines Bekannten anmieten können, weil er wegen seiner negativen Schufa-Auskunft keine andere Wohnung bekomme.

 

Mit Schreiben vom 19.09.2016 teilte der Beklagte mit, ab dem 01.03.2017 nur noch eine Kaltmiete i.H.v. 280 € zu berücksichtigen. Der Kläger erwiderte mit Schreiben vom 17.03.2017, er habe die Mietkosten weder durch Verhandlungen mit seinem jetzigen Vermieter noch durch Bemühungen um eine andere Wohnung senken können. Ein Wohnungswechsel sei wegen seines gesundheitlichen Zustands nicht möglich. Der Kläger legte ein Attest seiner Ärztin für Psychiatrie P. vom 16.01.2017 vor, ausweislich dessen er krankheitsbedingt mindestens für sechs Monate nicht umzugsfähig sei. Der Kläger befand sich hiernach seit Februar 2015 in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung und litt an schweren Depressionen, Somatisierungsstörungen, Schlafstörungen, Hypohidrose und Zwangsneurosen.

 

Eine amtsärztliche Untersuchung des Klägers durch den Fachbereich für Gesundheit der Stadt E. ergab, dass bei diesem zwar psychische Beeinträchtigungen vorlägen, die einen vom Wohnraum getrennten Schlafraum notwendig machten, der Kläger jedoch mit Unterstützung bei Organisation und Planung umziehen könne. Es werde eine ruhige Wohn-umgebung und Fortsetzung der medizinischen Behandlung empfohlen (Gutachten V. vom 09.02.2017).

 

Mit Schreiben vom 16.02.2017 hörte der Beklagte den Kläger zu einer möglichen Senkung seiner Unterkunftskosten an. Reiche der Kläger keine Nachweise darüber ein, dass er sich erfolglos um die Anmietung einer günstigeren Wohnung bemüht habe, würden er die Unterkunftskosten nach drei Monaten auf das angemessene Maß abgesenkt. Die maximale Kaltmiete für einen Einpersonenhaushalt betrage 280 €.

 

Mit Schreiben vom 08.03.2017 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung der Unterkunftskosten auf. Angemessen sei eine Kaltmiete i.H.v. 280 €. Ab dem 01.07.2017 werde er nur noch diesen Betrag berücksichtigen. Der Kläger legte am 10.04.2017 Widerspruch gegen das Schreiben vom 08.03.2017 ein, weil die Frist von drei Monaten noch nicht abgelaufen gewesen sei. Der Beklagte half dem Widerspruch ab.

 

Mit Schreiben vom 18.04.2017 – mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen – teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die aktuelle Miete lediglich bis 31.07.2017 übernommen werde. Der Kläger erhob am 15.05.2017 Widerspruch. Er sei aus gesundheitlichen Gründen umzugsunfähig. Bei Berücksichtigung einer dreimonatigen Kündigungsfrist könne er überdies frühestens zum 01.11.2017 umziehen. Seine bisherige Wohnungssuche sei erfolgslos verlaufen. Wegen seine sozialen Phobien und Ängste sehe er sich nicht in der Lage, angemessenen Wohnraum anzumieten. Der Vermieter sei nicht bereit, die Mietkosten zu senken. Die Wohnung sei vollmöbliert, er habe nach seiner Trennung keinerlei Möbel. Außerdem übe er das Umgangsrecht mit seiner am 00.00.0000 geborenen Tochter von freitags bis sonntags aus. Mit Bescheid vom 09.08.2017 hob der Beklagter den „Formverwaltungsakt“ vom 18.04.2017 auf.

 

Mit Schreiben vom 27.09.2017 forderte der Beklagte den Kläger erneut zur Kostensenkung auf. Es werde eine angemessene Wohnungsgröße von 65 m² wegen des Wohnungsmehrbedarfs und eine Kaltmiete von 350 € zuzüglich 125 € Nebenkosten, insgesamt 475 € zugrunde gelegt. Der Kläger habe Gelegenheit zur Stellungnahme bis 19.10.2017. Im Anschluss werde nach Aktenlage entschieden.

 

Mit Bescheid vom 27.09.2017 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II von Oktober 2017 bis März 2018 i.H.v. 1.159 € monatlich und berücksichtigte dabei 500 € Kaltmiete, 100 € Heizkosten und 150 € Nebenkosten. Gegen den Änderungsbescheid vom 27.09.2017 legte der Kläger am 24.10.2017 Widerspruch ein.

 

Mit Schreiben vom 19.10.2017, dessen Erhalt der Kläger bestreitet, teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 01.04.2018 nur noch die vorgenannte Kaltmiete berücksichtigen werden, wobei er als Angemessenheitsgrenze den Betrag von 475 € angab.

 

Der Beklagte half dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27.09.2017 mit Schreiben vom 06.11.2017 ab und hob den Bescheid vom 27.09.2017 auf. Es würden „weiterhin die kompletten tatsächlichen Kosten der Unterkunft berücksichtigt“.

 

Im Weiterbewilligungsantrag vom 26.02.2018 gab der Kläger als Unterkunftskosten 560 € Kaltmiete, 150 € Nebenkosten und 100 € Heizkosten an.

 

Mit Bescheid vom 09.03.2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II von April bis September 2018 i.H.v. monatlich (416 € Regelbedarf + 280 € Kaltmiete + 96 € Betriebskosten + 100 € Heizkosten =) 892 €.

 

Der Kläger legte am 26.03.2018 Widerspruch ein. Er sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage, umzuziehen. Er müsse auch eine möblierte Wohnung beziehen, weil er über keine Möbel verfüge. Zudem lebe seine Tochter jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag bei ihm.

 

Am 26.04.2018 wurde dem Konto des Klägers ein Betrag von 1.362,19 € gutgeschrieben. Es handelt sich um eine Nachzahlung von Arbeitslosengeld I für den Zeitraum 17.03.2015 bis 19.04.2015 nach sozialgerichtlicher Auseinandersetzung des Klägers mit der Bundesagentur für Arbeit (S 13 AL 476/15).

 

Mit Änderungsbescheid vom 25.06.2018 erhöhte der Beklagte die Unterkunftsbedarfe und bewilligte dem Kläger nunmehr für April bis September 2018 monatlich 991 € (416 € Regelbedarf + 350 € Kaltmiete + 125 € Betriebskosten + 100 € Heizkosten). Nach Erlass des Änderungsbescheides wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2028 im Übrigen als unbegründet zurück. Wegen des medizinisch festgestellten erhöhten Wohnraumbedarfs werde für den Kläger die Wohnungsgröße für einen Zwei-Personen-Haushalt zugrunde gelegt. Die angemessene Kaltmiete in E. betrage (nach dem grundsicherungsrelevanten Mietspiegel durch das Fachinstitut Empirica AG) hierfür 350 €. Laut Betriebskostenspiegel NRW 2015/2016 fielen an sog. kalten Betriebskosten 1,02 € / m² an; dies entspreche bei einer angemessenen Wohnungsgröße von 65 m² 125 €. Daraus ergebe sich eine angemessene Bruttokaltmiete i.H.v. 475 €. Der Kläger könne die Höhe seiner Unterkunftsbedarfe auch durch einen Umzug senken. Wegen des Einsparpotentials von 275 € monatlich seien die Umzugskosten in kurzer Zeit zu kompensieren. Der Fachbereich für Gesundheit der Stadt E. habe am 09.02.2017 festgestellt, dass ein Umzug möglich sei. Die Tochter des Klägers werde am 27.06.2018 volljährig und ab diesem Zeitpunkt entfalle das Umgangsrecht. Ein erhöhter Wohnraummehrbedarf komme deshalb nicht in Betracht.

 

Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 12.04.2018 wegen der Miete von (eidesstattlich versichert) „gesamt 810 €“ lehnte das Sozialgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 26.04.2018 ab (S 3 AS 1508/18 ER), weil der Kläger im April 2018 eine Nachzahlung von Arbeitslosengeld I i.H.v. 1.362,38 € erhalten habe, so dass kein Anordnungsgrund vorliege. Der Kläger gab an, er habe mit der Nachzahlung am 27.04.2018 Schulden i.H.v. 1.000 € bei seinem Bruder U. F. in bar getilgt. Der Beklagte führte aus, einen Zugang des Mietsenkungsschreibens vom 19.10.2017 nicht nachweisen zu können.

 

Der Kläger hat am 19.07.2018 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und sein Vorbringen wiederholt und vertieft. Seine tatsächliche Gesamtmiete betrage monatlich 810 € (Kaltmiete 500 € + 150 € Betriebskosten + 100 € Heizkosten + 60 € Möblierung). Ein Umzug sei ihm aufgrund einer psychischen Verfassung nicht möglich. Die vom Sozialgericht angeforderte ärztliche Schweigepflichtentbindungserklärung werde er nicht abgeben, weil bereits keine ordnungsgemäße Kostensenkungsaufforderung erfolgt sei. Ein Kostenabsenkungsschreiben des Beklagten vom 19.10.2017 habe er nicht erhalten. Er habe lediglich das Anhörungsschreiben vom 27.09.2017 erhalten, in dem ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 19.10.2017 eingeräumt worden sei. Dort werde von einer angemessenen Bruttokaltmiete von 475 € ausgegangen; eine Fristsetzung, ab wenn die Unterkunftskosten gesenkt werden sollten, enthalte das Schreiben nicht. Außerdem beinhalte das Schreiben vom 06.11.2017 die Erklärung, dass der Beklagte die Unterkunftskosten komplett übernehme; dieses Schreiben enthalte keine Einschränkung bis zum 01.04.2018. Ein Umzug sei auch nicht zumutbar und wirtschaftlich, weil er nach dem Auszug aus seiner möblierten Wohnung eine Erstausstattung anschaffen müsste. Die Kosten einer umzugsbedingten notwendigen Erstausstattung ständen in keinem Verhältnis zu den ersparten Mietaufwendungen. Es sei zudem ein räumlicher Mehrbedarf wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter zu berücksichtigen, sodass von einer Mietfläche von einem Zwei-Personen-Haushalt auszugehen sei. Er sei wegen einer negativen Schufa-Auskunft und hoher Schulden ohnehin nicht in der Lage eine alternative Wohnung anzumieten, zumal Vermieter oftmals keine SGB II-Empfänger berücksichtigten. In dem Verhandlungstermin vor dem SG Düsseldorf hat das Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 03.02.2022 angegeben, dass er immer noch in der Wohnung wohne. Der Beklagte zahle lediglich Miete i.H.v. 575 €. Den Differenzbetrag zu der tatsächlich geschuldeten Miete müsse er sich bis heute von seinen Eltern leihen. Der Mietwohnungsmarkt sei für Personen mit negativer Schufa-Auskunft verschlossen. Der Betriebskostenspiegel NRW enthalte nur Näherungswerte.

Der Kläger hat beantragt,

 

den Beklagter unter Änderung des Bescheides vom 09.03.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2018 dazu zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis 30.09.2018 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von weiteren 235 € monatlich zu gewähren.

 

Der Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Es könne dahinstehen, ob der Kläger das Schreiben vom 19.10.2017 erhalten habe, denn das Schreiben vom 27.09.2017 enthalte alle notwendigen Elemente einer Kostensenkungsaufforderung. Die Benennung einer konkreten Frist sei darüber hinaus nicht erforderlich (unter Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil 28.07.2016 – L 32 AS 1945/14 – juris, Rn. 78). Die Kenntnis von der Unangemessenheit der Miete sei ausreichend und ein förmliches Kostensenkungsverfahren nicht erforderlich (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b 10/06 R –; Sächsisches LSG, Urteil vom 14.02.2017 – L 7 AS 2055/13 –). Der Kläger unternehme auch keinerlei Kostensenkungsbemühungen, weil er dies grundsätzlich ablehne. Die Schonfrist erfülle nicht ihre Schutzfunktion. Wenn der Kläger sich auf schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen beruf, müsse er auch an der Ermittlung zu seinem Gesundheitszustand mitwirken.

 

Mit Urteil vom 03.02.2022 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 09.03.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.06.2018 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2018 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.04.2018 bis 30.09.2018 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. weiteren 235 € monatlich zu gewähren. Es könne dahinstehen, ob der Beklagte die angemessenen Unterkunftskosten auf Basis eines schlüssigen Konzepts ermittelt habe. Denn dem Kläger sei eine Kostensenkung jedenfalls subjektiv nicht möglich gewesen. Im Vorfeld der Unterkunftsbedarfsabsenkung sei kein ordnungsgemäßes Kostensenkungsverfahren durchgeführt worden. Der Beklagte könne den Zugang der Kostensenkungsaufforderung vom 19.10.2017 nicht beweisen. Das Schreiben vom 27.09.2017 sei keine wirksame Kostensenkungsaufforderung, weil es zum einen keine – im Hinblick auf die Aufklärungs- und Warnfunktion erforderlich – Fristsetzung enthalte (unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 – 1 BvR 617/14 – Rn. 18). Zum anderen habe es lediglich anhörenden Charakter. Dem Kläger sei hiermit lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und im Anschluss eine Entscheidung nach Aktenlage angekündigt worden. Daraus ergebe sich, dass das Schreiben selbst noch keine Entscheidung des Beklagten über die Kostensenkung sei. Eine solche Entscheidung habe sich der Beklagte ausdrücklich vorbehalten. Zudem müsse auch ein irreführendes Verhalten des Beklagten berücksichtigt werden (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 22.11.2011 – B 4 AS 219/10 R – Rn. 21). Dieser habe dem Kläger mit Schreiben vom 06.11.2017 mitgeteilt, dass die Kostensenkung im Bescheid vom 27.09.2017 aufgehoben und die kompletten tatschlichen Kosten der Unterkunft weiter berücksichtigt würden. Das Kostensenkungsschreiben sei ebenfalls auf dem 27.09.2017 datiert gewesen. Eine Verwechslung des Bescheides und des Schreibens sei nicht völlig fernliegend. Die Zusage zur Übernahme der weiteren Kosten enthalte auch keine zeitliche Begrenzung auf den vorhergehenden Bewilligungszeitraum. Aus Sicht des Klägers sei es möglich gewesen, das Verhalten des Beklagten so zu verstehen, als ob dieser aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nunmehr von einer Kostensenkung Abstand nehmen wolle. Auch die vorherigen Kostensenkungsschreiben seien nicht geeignet, die Kostensenkung ab 01.04.2018 zu stützen. Nach dem Absehen von einer Kostensenkung müsse jeweils eine neue Kostensenkungsaufforderung ergehen (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 12.06.2013 – B 14 AS 60/12 R – Rn. 36). Es sei daher die Differenz von Gesamtmiete (810 €) und bewilligter Bedarfe (575 €) i.H.v. monatlich 235 € zuzusprechen.

 

Gegen das ihm am 02.03.2022 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10.03.2022 Berufung eingelegt.

 

Selbst wenn der Kläger das Kostensenkungsschreiben vom 19.10.2017 nicht erhalten haben sollte, habe dieser aufgrund des unstreitig zugegangenen Schreibens vom 27.09.2017 Kenntnis davon gehabt, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen und nur eine Bruttokaltmiete i.H.v. 475 € angemessen gewesen sei. Die Nennung eines konkreten Datums sei innerhalb der Kostensenkungsaufforderung nicht erforderlich (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 78/09 R –). Die Kostensenkungsaufforderung sei lediglich ein Informationsschreiben, das den Eintritt in den Dialog eröffnen solle. Erforderlich sei lediglich die Kenntnis von der Obliegenheit zur Kostensenkung, die auch auch durch andere Umstände vermittelt werden könne (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 18.04.2014 – B 4 AS 9/14 R –). Der anwaltlich vertretene Kläger habe zwischen dem Bescheid vom 27.09.2017 und dem Schreiben vom 27.09.2017 unterscheiden müssen. Auch dass der Abhilfebescheid vom 06.11.2017 sich lediglich auf den vorherigen Bewilligungszeitraum, der mit Widerspruch angegriffen worden war bezogen habe, sei ersichtlich gewesen. Zudem sei es in dem Widerspruch lediglich um die Übernahme die Möblierungskosten gegangen. Die Kostensenkungsaufforderung sei inhaltlich weit darüber hinausgegangen. Auch habe der Kläger spätestens mit Einleitung des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz Kenntnis davon gehabt, dass der Beklagte nicht bereit sei, die tatsächlichen Kosten zu bewilligen. Der Kläger habe aber zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, dass er einen Umzug in Betracht ziehe. Im Übrigen habe der Kläger am 26.04.2018 von der Bundesagentur für Arbeit einen Betrag i.H.v. 1.362,38 € erhalten, der als einmalige Einnahme angerechnet werden müsse.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03.02.2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Es mangele an einem ordnungsgemäß durchgeführten Kostensenkungsverfahren und ihm sei ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar.

 

Der Senat hat den Mietvertrag des Klägers, seine Kontoauszüge für April bis September 2018 sowie nähere Ausführungen hinsichtlich des Darlehens der Eltern des Klägers und der Umgangsregelung mit der Tochter angefordert. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, er habe von seinen Eltern keine Hilfe in der Zeit zwischen April und September 2018 erhalten. Erst später hätte diese ihn unterstützt, damit er „überlebe“. Der Vater lebe nunmehr in der Türkei, seine Mutter sei im Februar 2021 verstorben. Seine Tochter habe damals wöchentlich Umgangskontakt gepflegt. Sie habe damals bei ihrer Mutter gelebt und sei Schülerin gewesen. Nunmehr lebe seine Tochter im Ausland und sie seien zerstritten. Hinsichtlich des Mietvertrages sei darauf hinzuweisen, dass am 01.03. 2017 ein neuer Vertrag über eine pauschale Miete i.H.v. 900 € vereinbart worden sei. Er habe diese höheren Kosten vorher nicht beim Beklagter angezeigt und beantragt, weil dieser schon bei einer Gesamtmiete von 810 € erhebliche Probleme gemacht habe, so dass er es bei diesem Betrag „belassen“ habe. Außerdem wolle er eine mögliche Bedarfsüberdeckung aufgrund des Stellplatzes und der in der Miete enthaltenen Stromkosten ausgleichen. Er habe den Stellplatz für 50 € untervermietet. Ein Mitmieter sei auf ihn zugekommen und habe ihn gefragt, ob er den Stellplatz mieten könne. Er habe dafür nicht einmal Geld gewollt, der Mitmieter habe ihm dann aber 50 € angeboten. Das im Februar 2016 vom Bruder erhaltene Darlehen über 1.000 € habe er am 27.04.2018 getilgt.

 

Der Kläger hat Kontoauszüge für den Zeitraum von April 2018 bis September 2018 und darüber hinaus übersandt. Der Kontostand belief sich am 03.05.2018 auf - 11,99 Euro. Ausweislich der übersandten Kontoauszüge hat der Kläger jeweils 900 € Miete an seine Vermieterin überwiesen. Der Kläger trägt hierzu ergänzend vor, die aus den Kontoauszügen nicht ersichtliche Miete für Mai 2018 in bar auf das Vermieterkonto überwiesen zu haben.

 

Mit Schreiben vom 27.06.2022 hat der Senat den Kläger unter Hinweis auf §§ 155,106a SGG darauf hingewiesen, dass nicht klar sei, wie er eine Mietdifferenz von 325 € bei einem Regelsatz von 416 € bestritten habe und auch weiterhin die Mietdifferenz aufbringe. Die Differenz summiere sich bis heute auf über 16.000 €. Es seien die konkreten Zuwendungen der Eltern, Rückzahlungsvereinbarungen und Nachweise zu Mietschulden einzureichen. Da die Mutter verstorben sei und der Vater in der Türkei lebe, seien entsprechende Buchungsbelege über den Geldtransfer vorzulegen. Der Kläger hat erwidert, dass er keine Hilfe von seinen Eltern im Zeitraum April bis September 2018 erhalten habe. Die Sitzungsniederschrift vom 03.02.2022 sei missverständlich. Seine Eltern hätten ihn wegen einer Notlage zu einem späteren Zeitpunkt unterstützt. Die Miete sei aus dem Leistungsbezug gezahlt worden. Mietschulden existierten nicht. Die Mietdifferenz aus dem Regelsatz zu zahlen sei eine Beschwernis, jedoch nicht unmöglich. Ihm seien monatlich ein Betrag i.H.v. 91 € und ein Restbetrag aus dem Geldeingang vom 26.04.2018 verblieben. Er leite die 900 € von dem Geld des Beklagten immer direkt an die Vermieterin weiter. Von dem restlichen Geld lebe er, zuletzt habe er 121 € zum Leben gehabt. Er bettele auch mal bei Freunden nach Lebensmittel oder sammle Pfandflaschen. Er habe keine Darlehen aufgenommen. Er schulde niemandem Geld wegen der Miete. Er habe später hier und da mal einen kleineren Betrag, mal 20 €, mal 30 € erhalten.

 

Der Senat hat den Zeugen U. F. und die Zeugin L. U. vernommen. Der Bruder hat bestätigt, die 1000 € Darlehen vom Kläger erhalten zu haben. Die ehemalige Ehefrau hat ausgesagt, dass die Tochter in 2018 nicht oft Kontakt zum Kläger gehabt habe. Im Übrigen wird auf die Niederschrift zum Erörterungstermin Bezug genommen. Der Kläger hat nachher angegeben, dass die Zeugin L. U. sich zeitlich geirrt habe.

 

Auf Nachfrage des Senats haben die Nachbarn des Klägers, R. und S. T., mit Schreiben vom 19.09.2022 bestätigt, dass sie seit April oder Mai 2018 einen Tiefgaragenstellplatz vom Kläger gemietet haben und hierfür monatlich 50 € bar zahlen.

 

Der Beklagte hat ein Kontenabrufverfahren am 18.10.2022 durchgeführt, ausweislich dessen der Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum auch Inhaber des bislang unbekannten Kontos DB4941160004178000 bei der Postbank war, auf welchem in dem Zeitraum Zahlungseingänge i.H.v. 33 € und 30,56 € zu verzeichnen waren.

 

Der Kläger hat dem Senat seine Kontoauszüge von Oktober 2018 bis Dezember 2022 vorgelegt. Darauf ist ersichtlich, dass er jeden Monat nach Eingang der SGB-II-Leistungen (zuletzt im Dezember 2022: 1.021 €) von seinem Konto die 900 € direkt an die Vermieterin überweist. Daneben gibt es ganz selten gelegentlich geringe Amazon-Abbuchungen, drei Überweisungen an die Tochter und im Übrigen die Abhebung des restlichen Bargeldes.

 

Gegen die folgenden Bewilligungsbescheide vom 14.09.2018 i.d.F. 24.11.2018 (Oktober 2018 bis September 2019) und 29.08.2019 i.d.F. 23.11.2019 (Oktober 2019 bis September 2020) hat der Kläger keine Widersprüche eingelegt. Er hat jedoch unter dem 06.12.2019 einen Überprüfungsantrag gestellt, über den der Beklagte noch nicht entschieden hat. Gegen die Leistungsbescheide vom 14.09.2010 i.d.F 21.11.2020 (Oktober 2020 bis September 2021) und gegen den Bescheid vom 10.09.2021 i.d.F. vom 27.11.2021 (Oktober 2021 bis September 2022) hat der Kläger keine Widersprüche eingelegt. Er hat jedoch angegeben, für 2021 und 2022 Überprüfungsanträge gestellt zu haben.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG), denn der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von 1.410 €. Der Beklagte hat die Berufung fristgerecht am 10.03.2022 einen Monat nach Zustellung des Urteils am 02.03.2022 eingelegt, § 151 Abs. 1 SGG.

 

Die Berufung ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 09.03.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.06.2019 (§ 86 SGG) und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2018 (§ 95 SGG). Zu Unrecht hat das Sozialgericht diese Bescheide geändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis zum 30.09.2018 weitere Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. monatlich 235 € zu zahlen. Der Kläger hat die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II für diesen Zeitraum bereits dem Grunde nach nicht nachgewiesen.

Zwar hat der Kläger im streitbefangenen Zeitraum die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 2 und 4 SGB II dem Grunde nach insofern erfüllt, als er in diesem Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat und erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II gewesen ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger im streitigen Zeitraum nicht in der Lage gewesen ist, eine Erwerbstätigkeit mit einer Dauer von mindestens drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes zu verrichten.

Es ist jedoch nicht zur Überzeugung des Senats erwiesen, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum hilfebedürftig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II war. Nach §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Zwar steht der Annahme einer Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht entgegen, dass in dem streitgegenständlichen Zeitraum eine einmalige Einnahme zur Deckung seines Bedarfs (416 € Regelbedarf nach § 20 Abs. 2 Satz 1.316 € zuzüglich 900 € tatsächliche Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, insgesamt 1.316 € monatlich) zu berücksichtigen gewesen wäre. Gemäß § 11 Abs. 3 SGB II sind einmalige Einnahmen in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen. Zu den einmaligen Einnahmen gehören auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden. Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt. Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen. Am 26.04.2018 wurden dem Kläger 1.362,19 € auf seinem Konto gutgeschrieben. Es handelt sich um eine Nachzahlung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum 17.03. bis 19.04.2015 nach sozialgerichtlicher Auseinandersetzung des Klägers mit der Bundesagentur für Arbeit (S 13 AL 476/15). Hierbei handelt es sich um eine einmalige Einnahme. Der tatsächliche Bedarf des Klägers belief sich auf (416 + 900 =) 1.316 €. Bei Berücksichtigung der einmaligen Einnahme entfiele der Bedarf, so dass er ab dem Folgemonat mit jeweils 1/6 zu berücksichtigen wäre, mithin 227 € von Mai bis Oktober 2018. Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen zu den „bereiten Mitteln“ kann eine einmalige Einnahme im Verteilzeitraum jedoch nicht als Einkommen berücksichtigt werden, soweit sie bereits zu anderen Zwecken als zur Bestreitung einer aktuellen Notlage verwendet wurde und daher nicht mehr geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.2020 – B 4 AS 9/20 R – juris, Rn. 28). Dies ist hier der Fall. Von dem Betrag i.H.v. 1.316 € hat der Kläger am 27.04.2018 bereits 1.000 € abgehoben und aufgrund eines früheren Darlehens an seinen Bruder gezahlt. Dieser hat als Zeuge im Erörterungstermin bestätigt, diese 1.000 € erhalten zu haben. Außerdem hat der Kläger direkt im Anschluss 150 € an seiner Tochter Q. überwiesen. Bereits Ende April 2018 waren von den 1.316 € nur noch 166 € übrig. Bereits zum 01.05.2018 und damit im ersten Monat war der fiktiv zu berücksichtigende Anteil von 227 € nicht mehr vorhanden. Lediglich eine Anrechnung von 166 € im Mai 2018 kommt in Betracht.

Durchgreifende Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers ergeben sich jedoch aus anderen Gesichtspunkten. Der tatsächliche Bedarf des Klägers belief sich auf 416 € Regelleistung zuzüglich 900 € Kosten der Unterkunft und Heizung, mithin insgesamt 1.316 €. Der Beklagte hat dagegen lediglich 416 € Regelleistung zuzüglich 575 € Kosten der Unterkunft und Heizung, mithin insgesamt 991 € bewilligt, so dass eine Bedarfsunterdeckung i.H.v. 325 € bestand. Der Kläger hat angegeben, diese Bedarfsunterdeckung aus dem Regelsatz beglichen zu haben, mithin von 91 € monatlich gelebt zu haben. Es seien weder Mietschulden entstanden noch habe er Darlehen seiner Eltern in Anspruch genommen. Dieser Vortrag ist nicht glaubhaft. Der von dem Kläger in Bezug genommene „Restbetrag“ der einmaligen Einnahme war bereits im Mai 2018 fast nicht mehr vorhanden (siehe oben), und konnte zur Bestreitung seines Lebensunterhalts – sowie dem seiner nach seinen Angaben an jedem Wochenende bei ihm lebenden Tochter – nicht genutzt werden.

Dazu kommen weitere Angaben des Klägers, die nicht nachvollziehbar sind. So hat der Kläger trotz seiner angespannten finanziellen Situation gegenüber dem Beklagten zu keinem Zeitpunkt angegeben, dass die Miete in Wirklichkeit noch höher war, und so „freiwillig“ auf die Geltendmachung von 90 € verzichtet. Zwar ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seine Unterkunftskosten durch die Untervermietung des Parkplatzes um 50 € gesenkt hat (Untervermietungen von Teilen der angemieteten Unterkunft sind als Kostensenkungsmaßnahmen bei der Bedarfsberechnung der Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen und kein Einkommen, vgl. BSG, Urteil vom 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R – juris), jedoch hat er auch dies nie gegenüber dem Beklagten angegeben. Stattdessen wurde beides erst im Berufungsverfahren angegeben, mit der Erläuterung, der Kläger habe eigentlich gar kein Geld von der Familie T. für die Untervermietung haben wollen. Auch dies ist ein einer finanziell angespannten Situation nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Rückzahlung eines seit langem bestehenden Darlehens an seinen Bruder zu einem Zeitpunkt, in dem der Kläger eine monatliche Bedarfsunterdeckung i.H.v. 325 € decken musste. Den Kontoauszügen des Klägers sind keinerlei Ausgaben zu entnehmen, kein Handyvertrag, keine Nutzung des ÖPNV, kein Einkauf in Supermärkten, Apotheken, Drogerien. Nach Eingang der Leistungen des Beklagten hat der Kläger die Miete i.H.v. 900 € überweisen und sodann den geringen Restbetrag in bar abgehoben. Dieses Bild zeigt sich auch nicht nur in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum. Auch den Kontoauszügen von Oktober 2018 bis Dezember 2022 ist zu entnehmen, dass der Kläger weiterhin jeden Monat von seinem Konto die 900 € direkt an den Vermieter überweist (2019: 999 €, 2020: 1.007 €, 2020: 1.021 €, 2022: 1.024 €). In diesem gesamten Zeitraum finden sich neben diesen Abbuchungen ganz gelegentlich geringe Amazon-Abbuchungen drei Überweisungen an die Tochter des Klägers; das restliche Bargeld wird abgehoben. Es ist jedoch nicht glaubhaft, dass der Kläger seit nunmehr über fünf Jahren die Unterkunftsbedarfslücke aus seinem Regelbedarf bestreitet. Selbst wenn man unterstellen könnte, dass man für einige wenige Monate von so wenig Geld – wenn auch „beschwerlich“ – leben könnte, gilt dies nicht mehr für über fünf Jahre. Dieser schlicht nicht nachvollziehbare Vortrag wird auch nicht dadurch realitätsnäher, dass der Kläger angegeben hat, „auch mal“ bei Freunden um Lebensmittel zu betteln oder Pfandflaschen zu sammeln und „hier und da mal 20, 30 €“ erhalten zu haben. Zu etwaigen Unterstützungsleistungen der Eltern zu einem „späteren Zeitpunkt“ hat der Kläger trotz Aufforderung und unter Hinweis auf §§ 155,106a SGG weder zur Höhe der konkreten Zuwendung noch zu etwaigen Rückzahlungsvereinbarungen oder zum konkreten Geldtransfer (aus der Türkei) Substantielles vorgetragen.

Dieses Ergebnis geht zu Lasten des Klägers, denn dieser trägt die objektive Beweislast für die Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 –B 4 AS 10/08 R – Rn. 21; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 01.02.2010 – 1 BvR 20/10 – juris). Grundsätzlich ist für den Nachweis einer Tatsache der sogenannte Vollbeweis erforderlich. Hierfür muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsachen verschaffen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. BSG, Urteile vom 27.06.2006 – B 2 U 20/04 R – juris, Rn. 15 und vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R – juris, Rn. 55). Gewisse Zweifel sind unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl. 2020, Rn. 3b m.w.N.). Für das sozialgerichtliche Verfahren ergibt sich dies aus § 103 S 1 Hs. 1§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 15.12. 2016 – B 5 RS 8/16 R –, juris, Rn. 14, m.w.N.). Die Unerweislichkeit einer Tatsache – vorliegend der Hilfebedürftigkeit – geht zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet (vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2006 – B 11a AL 7/05 R – juris, Rn. 32). Hier hat der Kläger weder plausibel dargelegt noch nachgewiesen, wie er seinen Bedarf gedeckt hat, so dass eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht in Betracht kam.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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