L 18 AL 5 /22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 54 AL 1018/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 5/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Klägerin meldete sich nach fast 25-jähriger Beschäftigung am 3. Dezember 2019 bei der Beklagten mit Wirkung zum 1. Februar 2020 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Im persönlichen Gespräch teilte sie mit, dass sie sich vom 11. Februar bis 7. April 2020 im Ausland aufhalten werde. Im Verbis-Vermerk heißt es weiter: „Abmeldung ab 100220 besprochen. Auf erneute persönliche Arbeitslosmeldung nach Rückkehr hingewiesen."

 

Mit E-Mail vom 3. Januar 2020 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie nur bis 31. März 2020 im Ausland sein werde, woraufhin ihr die Beklagte am selben Tag mitteilte, dass die Abmeldung dann für diesen Zeitraum erfolgen werde und sie sich nach Rückkehr in der Eingangszone arbeitslos melden solle.

 

Mit Bewilligungsbescheid vom 10. Februar 2020 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg ab 1. Februar 2020 bis „auf weiteres 1)" mit einer Anspruchsdauer von 360 Tagen in Höhe von (iHv) 42,24 € täglich. Unter „Auszahlung der Leistung" wurde für den Zeitraum vom 1. bis 10. Februar 2020 ein Zahlbetrag von 422,40 € ausgewiesen. In der Anmerkung 1) heißt es:

„Ihr Leistungsanspruch ändert sich durch Ereignisse in der Zukunft (z.B. Aufnahme einer Beschäftigung mit einem Umfang ab 15 Stunden wöchentlich). Ihr Leistungsanspruch wurde daher bis auf weiteres festgesetzt. Über die in der Zukunft liegende Änderung Ihres Leistungsanspruchs erhalten Sie einen gesonderten Bescheid (z.B. Aufhebungsbescheid zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme).“

 

Ausweislich der Entgeltbescheinigung vom 11. Februar 2020 wurde die Zahlung von Alg eingestellt und der Zeitraum vom 1. bis 10. Februar 2020 an die Rentenversicherung gemeldet.

 

Am 11. Februar 2020 flog die Klägerin nach Trinidad. Aufgrund eines Flugverbots wegen der Corona-Pandemie wurde ihr geplanter Rückflug von der Fluggesellschaft storniert. Die Klägerin informierte die Beklagte hierüber per E-Mail vom 27. März 2020 und fragte an, ob ihr trotzdem ab 1. April 2020 Alg zustünde. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin am 1. April 2020 mit, dass eine telefonische Arbeitslosmeldung wegen des Auslandsaufenthalts nicht möglich sei und ihr nicht bekannt sei, ob die Klägerin anderweitig Leistungen beantragen könne. Sie wies zugleich darauf hin, dass sich die Klägerin sofort nach der Wiedereinreise telefonisch arbeitslos melden solle. Mit weiterer E-Mail vom 3. April 2020 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie den Anspruch auf Alg nicht verliere, sondern dieser ruhe und die Klägerin ihn geltend machen könne, sobald sie sich zurückmelden könne. Die Rückreise nach Deutschland war der Klägerin erst am 28. Juni 2020 möglich.

 

Am 29. Juni 2020 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten erneut arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 1. Juli 2020 nahm die Beklagte die Gewährung von Alg ab 11. Februar 2020 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei ab diesem Tag nicht mehr arbeitslos, da sie wegen einer Ortsabwesenheit, die von vornherein mindestens sechs Wochen betragen sollte, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe. Deshalb sei die Arbeitslosmeldung unwirksam. Der Vermittlungsbereich habe ihr am 3. Januar 2020 mitgeteilt, dass sie für die Zeit des Auslandsaufenthalts abgemeldet werde, so dass sie hätte erkennen können, dass sie ab 11. Februar 2020 keinen Anspruch mehr habe.

 

Sodann bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 3. Juli 2020 den Restanspruch auf Alg ab 29. Juni 2020 weiter. Mit ihrem gegen den Rücknahmebescheid vom 1. Juli 2020 gerichteten Widerspruch trug die Klägerin vor, sie sei wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie an der Rückkehr in den zeit- und ortsnahen Bereich gehindert gewesen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) – sei nicht geprüft worden.

 

Mit Schreiben vom 20. Juli 2020 hörte die Beklagte die Klägerin an und wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2020 den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach Mitteilung des geplanten Auslandsaufenthalts sei mit der Klägerin das Prozedere besprochen worden, insbesondere die Abmeldung. Auch sei ein Hinweis auf die erneute persönliche Arbeitslosmeldung bei Rückkehr erfolgt. Ab 11. Februar 2020 habe sie den Vermittlungsbemühungen nicht mehr zur Verfügung gestanden und sei damit nicht arbeitslos gewesen. Aufgrund der Hinweise in den Merkblättern läge grobe Fahrlässigkeit vor.

 

 

Am 24. August 2020 nahm die Klägerin eine neue Beschäftigung auf, sodass die Beklagte mit Bescheid vom 2. September 2020 die Bewilligung von Alg ab diesem Tag aufhob.

 

Mit der am 3. September 2020 erhobenen Klage hat die anwaltlich vertretene Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. August 2020 begehrt (vgl. Antrag im Schriftsatz vom 18. Dezember 2020) und im Wesentlichen ergänzend vorgetragen: Es liege kein rechtswidriger Verwaltungsakt vor, der aufzuheben wäre. Zwar habe sie wegen des mehr als sechs Wochen umfassenden Auslandsaufenthalts nicht zur Verfügung gestanden. Dies sei wegen des Instituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs indes unschädlich. Die Beklagte habe es unterlassen, sie über die maximal unschädliche Abwesenheit zu informieren, so dass sie ihren Urlaub von vornherein kürzer geplant hätte. Die fehlende Erreichbarkeit könne somit im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden. Im Übrigen sei ihr Vertrauen schutzwürdig. Die Beklagte habe durch ein Nichteingehen auf die mitgeteilten Ortsabwesenheitszeiten ihr Vertrauen in den zuerkannten Anspruch auch während ihres Urlaubs gestärkt. Trotz Kenntnis der Beklagten von der Urlaubslänge habe sie Leistungen ab 1. Februar 2020 gewährt. Dies habe die Klägerin so verstehen müssen, dass ihr trotz des Urlaubs Leistungen zugestanden hätten. Die Merkblätter enthielten keine ausreichenden Hinweise. Ermessen habe die Beklagte nicht ausgeübt. Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid vom 1. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2020 dahingehend abzuändern, dass die Bewilligung von Alg nur für den Zeitraum vom 11. Februar 2020 bis 31. März 2020 zurückgenommen werde.

 

Die Beklagte hat vorgetragen, eine Falschberatung läge nicht vor. Die Klägerin habe von Anfang an einen mehr als dreiwöchigen Urlaub geplant. Durch mehrfach ausgehändigte Merkblätter sei sie hinreichend über die Regelungen zur Ortsabwesenheit informiert gewesen. Darüber hinaus habe sie anlässlich einer früheren Arbeitslosmeldung das Merkblatt „Umzug und Reisen" erhalten. Ihr sei bereits im August 2019 eine Ortsabwesenheit genehmigt worden. Sie habe daher gewusst, dass die Ortsabwesenheit der vorherigen Zustimmung bedürfe, welche hier nicht vorgelegen habe, und dass eine mehr als sechswöchige Ortsabwesenheit zum Wegfall des Anspruchs auf Alg führe. Zudem könne die Verfügbarkeit nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden. Da die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X iVm § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) vorlägen, greife weder Vertrauensschutz noch eine Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ein.

 

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 2021 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Denn der Klägerin stehe kein Anspruch auf Alg für den streitigen Zeitraum zu. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligung von Alg sei § 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 3 SGB X iVm § 330 Abs. 3 SGB III. Nach § 45 Abs. 1 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt habe (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig sei, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Beklagte gehe zutreffend davon aus, dass die Klägerin ab 11. Februar 2020 nicht mehr verfügbar gewesen und damit ihr Anspruch auf Alg entfallen sei. Der Bescheid vom 10. Februar 2020, mit dem der Klägerin ab 1. Februar 2020 Alg bewilligt worden sei, sei ab diesem Zeitpunkt rechtswidrig geworden. Denn Anspruch auf Alg hätten Arbeitnehmer gemäß §§ 136 Abs. 1 Nr. 1, 137 Abs. 1 SGB III unter anderem nur, wenn sie arbeitslos seien. Arbeitslosigkeit setze nach § 138 Abs. 1 SGB III voraus, dass der Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe (Beschäftigungslosigkeit), sich bemühe, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehe (Verfügbarkeit). Verfügbarkeit in diesem Sinne erfordere nach § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III auch, dass der Arbeitslose den Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten könne. Im Ergebnis dürfe der Arbeitslose durch nichts gehindert sein, ohne Verzug eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufzunehmen (objektive Verfügbarkeit). Er müsse sich deshalb der Vermittlungstätigkeit der Agentur für Arbeit aktuell zur Verfügung halten und der Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit sein (subjektive Verfügbarkeit).

 

§ 1 Abs. 1 Satz 1 der aufgrund der §§ 164 Nr. 2 SGB III erlassenen Erreichbarkeits- Anordnung (EAO) bestimme hierzu, dass Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten könne, wer in der Lage sei, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, das Arbeitsamt aufzusuchen, mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Satz 2 dieser Vorschrift bestimme daher, dass der Arbeitslose deshalb sicherzustellen habe, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen könne. Dies sei im Fall der Klägerin ab 11. Februar 2020 aufgrund ihrer Reise in die Karibik nicht mehr der Fall gewesen. Sie habe sich damit nicht mehr im Nahbereich ihrer Agentur für Arbeit aufgehalten. Ihre Verfügbarkeit könne auch nicht aufgrund der Regelung des § 3 Abs. 1 EAO angenommen werden. Danach stehe eine Ortsabwesenheit der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn die Agentur für Arbeit vorher ihre Zustimmung erteilt habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob von einer Zustimmung der Beklagten auszugehen wäre. Ausdrücklich sei diese jedenfalls nicht erklärt worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen seien jedoch bereits deshalb nicht erfüllt, da der Auslandsaufenthalt der Klägerin hier einen Zeitraum von mehr als drei Wochen, nämlich sieben Wochen, umfasst habe. Zwar sei die erhebliche Verzögerung ihres Rückfluges aufgrund der pandemiebedingten Auswirkungen für die Klägerin vorab nicht erkennbar gewesen. Die EAO habe in § 3 Abs. 3 jedoch bestimmt, dass in Fällen außergewöhnlicher Härten, die aufgrund unvorhersehbarer und für den Arbeitslosen unvermeidbarer Ereignisse entstünden, die Drei-Wochenfrist nach Abs. 1 und 2 vom Arbeitsamt verlängert werden könne, jedoch nur tageweise und höchstens um drei Tage. Zudem schließe § 3 Abs. 4 EAO die Anwendung der Absätze 1 und 2 aus, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten wolle. Die Verfügbarkeit und damit die Arbeitslosigkeit seien daher ab 11. Februar 2020 entfallen. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die fehlende Erreichbarkeit auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geheilt werden. Es sei weder ein Beratungsfehler ersichtlich noch zu erkennen, dass die Klägerin ihren langersehnten Wunsch nach einem längeren Auslandsaufenthalt ggf. entsprechend verkürzt hätte. Die von der Klägerin benannten Entscheidungen seien auf ihren Fall nicht übertragbar. Die Bewilligung habe auch rückwirkend ab 11. Februar 2020 zurückgenommen werden können, da die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ab 11. Februar 2020 zumindest grob fahrlässig nicht gekannt habe. Die grobe fahrlässige Unkenntnis werde dabei weder durch die erstmalige Arbeitslosigkeit noch den Bewilligungsbescheid vom 10. Februar 2020 ausgeschlossen. Denn die Klägerin habe zum einen das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und mit ihrer Unterschrift bestätigt, von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Dieses enthalte klare Hinweise auf die Mitteilungspflichten bei Ortsabwesenheit. Zum anderen habe sie bereits im August 2019 eine Ortsabwesenheit beantragt und sei daher mit dem Prozedere vertraut gewesen. Insbesondere jedoch der mit der Beklagten persönlich und schriftlich geführte Austausch begründe hier das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit. Zwar habe die Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 2020 Alg ab 1. Februar 2020 trotz Kenntnis des geplanten Auslandsaufenthalts unbefristet bewilligt. Jedoch sei kein genaues Enddatum für die Bewilligung genannt worden, sondern es sei die Anmerkung bis „auf weiteres 1)" erfolgt. Unter „Auszahlung der Leistung" habe die Beklagte dagegen ausschließlich nur für den Zeitraum vom 1. bis 10. Februar 2020 einen Zahlbetrag von 422,40 € ausgewiesen. Aufgrund dieser Formulierungen habe die Klägerin nicht ernsthaft davon ausgehen können, dass ihr ab 11. Februar 2020 weiter ein Alg-Anspruch zustehe. Auch aufgrund der Entgeltbescheinigung vom 11. Februar 2020 sowie der Hinweise der Beklagten vom 3. Dezember 2019 und 3. Januar 2020, wonach eine Abmeldung erfolgt sei und sich die Klägerin nach Rückkehr erneut persönlich arbeitslos melden solle, habe ihr klar sein müssen, dass sie für die Zeit ihres Auslandsaufenthalts keinen Anspruch habe. Dies habe sie letztlich selbst in ihrer E-Mail vom 1. Juli 2020 bestätigt, in der sie angegeben habe, dass ihr von der Beklagten mitgeteilt worden, dass sie ihre Leistungen erhalte, sobald sie wieder in Deutschland sei. Unter Würdigung aller Umstände hätte die Klägerin auch erkennen können, dass ihr ein Anspruch auf Alg dann auch nicht - trotz schuldloser Verhinderung - für den begehrten Zeitraum ab 1. April 2020 zustehe, da sie mehrfach auf die Notwendigkeit der erneuten Arbeitslosmeldung hingewiesen worden sei und das Merkblatt entsprechende Hinweise enthalten habe.

 

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor: Sie müsse nicht schlauer als die Behörde sein, die entgegen der mitgeteilten anspruchsschädlichen Umstände die Leistung gewährt habe. Das Merkblatt für Arbeitslose enthalte keine Ausführungen über die spezielle Regelung in § 3 Abs. 4 EAO. Das SG habe zudem verkannt, dass die Bösgläubigkeit im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben müsse. Zu diesem Zeitpunkt sei ihr aber noch nicht bekannt gewesen, dass sich ihr Auslandaufenthalt unfreiwillig verlängern werde.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2021 aufzuheben und die Beklagte insoweit zur Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. August 2020 zu verurteilen, als eine Leistungsaufhebung über den 31. März 2020 vorgenommen wird.

 

Die Beklagte beantragt,

 

                 die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Die Gerichtsakte und die elektronische Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Im Einverständnis mit den Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

 

Die zulässige Berufung der Klägerin, mit der diese sich mit ihrer statthaften isolierten Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 10. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2020 wendet, ist unbegründet.

 

Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Verwaltungsakt, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit ab 11. Februar 2020 zurückgenommen hat, ist rechtswidrig; er verletzt die Klägerin aber nicht in ihren subjektiven Rechten. Sämtliche Rücknahme- bzw. Aufhebungsvorschriften nach den §§ 44ff. SGB X, darunter die hier allein in Betracht kommen §§ 45 und 48 SGB X, setzen als zulässiges Objekt einer Aufhebungsentscheidung einen Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X voraus. Nach § 31 Satz 1 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Entgegen der Auffassung der Beteiligten enthält der Bescheid vom 10. Februar 2020 keine Regelung über die Bewilligung von Alg für den Zeitraum ab 11. Februar 2020, sondern lediglich für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis 10. Februar 2020. Wie sich aus den Ausführungen dieses Bescheids unter der Überschrift „Auszahlung der Leistung“ ergibt, enthält der Bescheid lediglich für die ersten zehn Tage des Monats Februar 2020 eine Festsetzung eines Leistungsbetrages. Soweit der Bescheid weiterhin die Formulierung enthält, dass Alg ab 1. Februar 2020 bis „auf weiteres 1)“ bewilligt werde, lässt dies unter der gebotenen Berücksichtigung der in Bezug genommenen Anmerkung sowie des den Beteiligten bekannten Sachverhalts keineswegs den Schluss zu, dass auch für die Zeit ab 11. Februar 2020 ein konkreter Leistungsanspruch zuerkannt werden sollte, vielmehr sollte – wie die Auslegung nach dem objektivem Empfängerhorizont ergibt – eine Entscheidung insoweit zurückgestellt werden. Denn mit der Anmerkung 1) wurde darauf hingewiesen, dass wegen der zu erwartenden „Ereignisse in der Zukunft“ lediglich ein Zahlungsanspruch bis „auf weiteres“ zuzuerkennen war. Unter den „Ereignissen in der Zukunft“ war angesichts der von der Klägerin zuvor mitgeteilten Reiseabsicht und der dazu zwischen den Beteiligten erfolgten Kommunikation eindeutig nicht die im Klammerzusatz lediglich exemplarisch aufgeführte Aufnahme einer Beschäftigung zu verstehen, sondern es wurde damit ersichtlich auf die unmittelbar bevorstehende Ortsabwesenheit der Klägerin und eine Arbeitslosmeldung nach Rückkehr, auf deren Erforderlichkeit für einen erneuten Bezug von Alg die Klägerin von der Beklagten am 3. Dezember 2019 und 3. Januar 2020 ausdrücklich hingewiesen worden war, Bezug genommen. In der Anmerkung wurde die Klägerin zudem darauf hingewiesen, dass sie über die in der Zukunft liegende Änderung ihres Leistungsanspruchs einen gesonderten Bescheid erhalten würde. Nach alledem ging die verfügte Rücknahme der Leistungsbewilligung ab 11. Februar 2020 mangels Vorliegens eines diesbezüglichen Verwaltungsaktes „ins Leere“. Aus der objektiven Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 1. Juli 2020 folgt indes keine Rechtsverletzung der Klägerin, weil mit der Rücknahme eines nicht existenten Verwaltungsaktes regelmäßig nicht in eine geschützte Rechtsposition des Adressaten eingegriffen wird. Die Klägerin könnte mit einer Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes ihr allein auf der Grundlage des - bereits im Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Rücknahmeentscheidung vom 1. Juli 2020 bestandskräftigen -Bewilligungsbescheides vom 10. Februar 2020 begründbares Begehren auf Zahlung von Alg für die Zeit vom 1. April 2020 bis 28. Juni 2020 nicht erreichen, weil durch die bloße Beseitigung des Rechtsscheins des hier streitgegenständlichen Bescheids sich kein Wiederaufleben eines ursprünglich zuerkannten Alg-Anspruchs ergibt. Dies gilt unabhängig davon, ob in der Bewilligung vom 3. Juli 2020 ab 29. Juni 2020 zugleich eine – von der Klägerin nicht angegriffene – negative Entscheidung über den mit dem Bescheid vom 10. Januar 2020 zurückgestellten Antrag für die Zeit nach der Rückkehr aus dem Urlaub zu sehen sein sollte oder ob noch keine Verwaltungsentscheidung betreffend den Zeitraum 1. April 2020 bis 28. Juni 2020 vorliegt. Sofern in dem angegriffenen Bescheid vom 1. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August  2020 neben der verlautbarten Rücknahmeentscheidung zugleich eine Ablehnung der Leistungsgewährung für die Zeit ab 11.  Februar 2020 bzw. 1. April 2020 zu erblicken sein sollte, so würde auch die von der anwaltlich vertretenen Klägerin mit der isolierten Anfechtungsklage verfolgte Aufhebung des angegriffenen Bescheides nicht zu einer Verbesserung ihrer Rechtsposition führen, denn sie hat mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 18. Dezember 2020 im Klageverfahren lediglich die Aufhebung des angegriffenen Bescheids begehrt, sodass schon deshalb im vorliegenden Verfahren keine Verurteilung zu einer Leistung begehrt werden kann und im Übrigen auch nicht im Berufungsverfahren begehrt wird.

 

Die Klage ist schließlich auch unbegründet, wenn entgegen den vorstehenden Ausführungen und mit der Klägerin davon ausgegangen wird, dass mit dem Bewilligungsbescheid vom 10. Februar 2020 der Klägerin ein Leistungsanspruch für die Zeit ab 1. April 2020 zuerkannt worden war. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung dieser Bewilligungsentscheidung kommt in diesem Fall § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei einer wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Änderung der Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, mWv Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Kläger wusste bzw. nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). Ermessen ist dabei auch in so genannten atypischen Fällen nicht auszuüben (§ 330 Abs. 3 SGB III).

 

Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass der Alg-Bewilligung vom 10. Februar 2020 vorgelegen haben, lag spätestens am 1. April 2020 vor, denn die Klägerin hatte aufgrund ihres fortdauernden Auslandsaufenthalts keinen Anspruch (mehr) auf die Zahlung von Alg. Sie wusste bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides vom 10. Februar 2020, dass ein auf der Bewilligung beruhender Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen kommen würde, sobald sie sich im Ausland aufhalten würde bzw. sie wusste dies nicht, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hatte. Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug (S. 5 - 6 UA), denen er in vollem Umfang folgt. Diese sind im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren lediglich wie folgt zu ergänzen: Soweit die Klägerin unter Berufung auf das Urteil des SG Berlin vom 21. August 2013 – S 205 AS 5324/11 – (juris) eine erweiternde Auslegung der Härtefallregelung der EAO befürwortet, verfängt dies nicht, weil diese Entscheidung ausdrücklich die zeitliche Begrenzung von § 3 Abs. 3 EAO nur im Grundsicherungsrecht für nicht entsprechend anwendbar hält. Soweit die Klägerin ihre fehlende Anhörung rügt, ist darauf hinzuweisen, dass nach § 24 Abs. 2 Nr  3 SGB X von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn – wie hier – nicht von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten zu dessen Ungunsten abgesehen worden ist. Im Übrigen wäre ein Anhörungsmangel im Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 SGB X (vgl. Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., Stand: 15. November 2023, § 41 SGB X Rn. 56) geheilt worden, denn die Klägerin hatte dort Gelegenheit, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, und die Beklagte hat ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid hinreichend gewürdigt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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