L 5 AS 244/24

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 1611/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 5 AS 244/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine Rechtsmittelbelehrung ist nicht schon dann unwirksam bzw unverständlich, wenn sie mehrere Gerichtstandorte für die Einlegung des Rechtsmiitels benennt (hier: Einlegung des Rechtsmittels bei einer Außenstelle dees Sozialgerichts). Dies gilt auch für die Nennung unterschiedlicher Möglichkeiten der Form der Einlegung des Rechtsmittels (bei der Außenstelle nur mündliich zur Niederschrift des Urkundsbeamten bei der Rechtsantragstelle).

Die Berufungen werden als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeiträume vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 (S 24 AS 2290/16, nunmehr L 5 AS 243/24) sowie vom 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2017 (S 24 AS 1611/18, nunmehr L 5 AS 244/24).

Der am ... 1979 geborene, alleinstehende Kläger beantragte jeweils für die einzelnen Bewilligungsabschnitte beim Beklagten die Gewährung von SGB II-Leistungen. Er bewohnte zum damaligen Zeitpunkt eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Dieses stand nach eigenen Angaben im Eigentum seiner Mutter und seines Vaters.

Eine anonyme Anzeige beim Beklagten löste weitere Ermittlungen zu den Wohn- und Vermögensverhältnissen des Klägers aus. Im Ergebnis lehnte der Beklagte die Bewilligung von Leistungen mit Bescheiden vom 5. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2016 und vom 4. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2018 ab.

Die jeweils dagegen fristgerecht beim Sozialgericht M. erhobenen Klagen hat dieses mit Urteilen vom 12. Juni 2024 abgewiesen.

Gegen die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der übersandten Empfangsbekenntnisse am 25. Juni 2024 zugestellten Urteile hat dieser am 26. Juli 2024 jeweils Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) eingelegt.

Der Senat hat den Kläger auf die verspätete Einlegung der Rechtsmittel und die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig hingewiesen.

Nach der klägerischen Ansicht seien die Berufungen jedoch zulässig. Die den Urteilen des Sozialgerichts M. angefügten Rechtsmittelbelehrungen seien falsch. Es gelte mithin die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

In der Rechtsmittelbelehrung heiße es: „Die Berufung kann auch mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten bei der Rechtsantragstelle des Sozialgerichts M. in S., Justizzentrum, S., ... S., eingelegt werden.“ Dies sei falsch und irritierend, da der Kläger so habe annehmen müssen, dass er eine Berufung zur Niederschrift im weit entfernt liegenden S. anbringen müsse und nicht in M.. Selbst wenn dies gemäß dem rechtlichen Hinweis vom 18. September 2024 als zusätzliche Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels zu verstehen sein sollte, sei dieser Zusatz unzutreffend und verwirrend. Das Sozialgericht S. sei aufgelöst worden. Eine Rechtsantragstelle gäbe es in S. nicht.

Die Ausführungen in der Rechtsmittelbelehrung zur elektronischen Einreichung der Berufung entsprächen nicht den gesetzlichen Anforderungen.

In der Rechtsmittelbelehrung heiße es weiter: „Wird die Berufung schriftlich bei dem Sozialgericht M. eingelegt, ist sie ausschließlich an dessen Postanschrift bzw. Postfach in M. zu richten“. Gäbe es eine Stelle des Sozialgerichts M. in S., so müsste dort die Berufungsschrift auch schriftlich eingereicht werden können. Zumindest durch Abgabe in der Rechtsantragsstelle.

Schließlich heiße es in der Rechtsmittelbelehrung auch: „Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen.“ Dies sei missverständlich. Denn es könne auch so verstanden werden, dass die Berufungsschrift nun doch in S. eingehen dürfe. Dies sei auch deshalb verwirrend, weil die Berufung in S. nur mündlich, schriftlich aber nur in Magdeburg eingelegt werden dürfe.

Der Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Die Beteiligten sind zu einer beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss angehört worden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die nach § 151 Abs. 1 SGG formgerecht eingelegte Berufung ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs. 2 SGG beim LSG eingegangen.

Der Senat kann nach § 158 Abs. 1 SGG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden. 

Die Urteile sind dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich dessen Empfangsbekenntnissen am 25. Juni 2024 zugestellt worden. Die oben bezeichnete Monatsfrist für die Einlegung der Berufung endete mithin mit Ablauf des 25. Juli 2024 (§ 64 SGG).

Entgegen der klägerischen Ansicht läuft nicht die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG. Denn die den Urteilen des Sozialgerichts angefügte Rechtsmittelbelehrung ist nicht unrichtig erteilt worden.

Unrichtig i.S. des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG ist jede Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht zumindest diejenigen Merkmale zutreffend wiedergibt, die § 66 Abs. 1 SGG als Bestandteile der Belehrung ausdrücklich nennt: (1) den statthaften Rechtsbehelf als solchen (also seine Bezeichnung der Art nach), (2) die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, (3) deren bzw. dessen Sitz und (4) die einzuhaltende Frist. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ist nach ihrem Sinn und Zweck, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur (fristgerechten) Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen, aber auch (5) eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erforderlich (vgl. (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14. März 2013 – B 13 R 19/12 R – [15, 16] Juris). Zudem ist eine Belehrung zur Einlegung des Rechtsmittels in „elektronischer Form“ notwendig (6). 

(1)

Das statthafte Rechtsmittel der Berufung ist in der Belehrung benannt worden. Der Kläger begehrt in den o.g. Verfahren Grundsicherungsleistungen für jeweils ein Jahr. Allein die Summe der monatlichen Regelsätze übersteigt den Berufungswert des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG i.H.v. 750 €.

(2), (3)

Auch die Gerichte, bei denen die Berufung nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG eingelegt werden kann, sind klar und unmissverständlich genannt. Dieses sind hier das Sozialgericht M. in M. und das LSG Sachsen-Anhalt in Halle (Saale).

Soweit die Rechtsmittelbelehrung die Möglichkeit der Einlegung der Berufung auch mündlich zur Niederschrift der Rechtsantragstelle in S. nennt, handelt es sich um eine zusätzliche, nicht – wie vom Kläger zunächst suggeriert – um die einzige Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung. Das Aufzeigen dieser Möglichkeit ist weder unrichtig noch verwirrend.

Dem Kläger ist zuzugeben, dass das Sozialgericht S. aufgelöst worden ist. Das Sozialgericht M. unterhält am ehemaligen Standort des Sozialgerichts in S. jedoch noch eine Rechtsantragstelle (vgl. https://sg-md.sachsen-anhalt.de/sozialgericht/rechtsantragstelle-des-sozialgerichts-magdeburg-in-stendal). Insoweit ist der Zusatz nicht falsch. 

Nicht nachvollzogen werden kann, inwieweit der Hinweis auf die o.g. Möglichkeit verwirrend sein soll. In der Rechtsmittelbelehrung werden jeweils nur die verschiedenen Möglichkeiten der Einlegung des Rechtsmittels aufgeführt, wie dies vom Gesetz verlangt wird.

Eine Verwirrung kann auch nicht hinsichtlich der Sitze der Gerichte entstehen. So weist die Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich darauf hin, dass das Sozialgericht M. die Rechtsantragstelle in S. unterhält. Dies bedeutet weiter, dass das Sozialgericht dort keinen weiteren Sitz hat. Denn in S. ist keine Außenstelle etabliert. Insoweit erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die darauf fußende Argumentation des Klägers.  

Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, warum es verwirrend sein soll, dass die Berufung in S. nur mündlich zur Niederschrift der Rechtsantragstelle eingelegt werden kann, während eine schriftliche Berufung nur beim Sozialgericht in M. möglich ist.

Wie oben bereits ausgeführt, weist die Rechtsmittelbelehrung auf die diversen Möglichkeiten der Einlegung der Berufung hin. Sie ist klar gegliedert und in einfachen Sätzen abgefasst. Der bestehende Unterschied findet seinen Sinn darin, den Klägern aus dem Einzugsgebiet des ehemaligen Sozialgerichts S. weite Wege zur Rechtsantragstelle in M. zu ersparen. Wird der Postweg zur Einlegung der Berufung gewählt, wird dieser „Service“ obsolet.

(4), (5)

Die einzuhaltende Monatsfrist und der notwendige Inhalt der Berufungsschrift sind ebenfalls in der Rechtsmittelbelehrung deutlich niedergeschrieben.

Die Rechtsmittelbelehrung ermöglicht mithin den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur (fristgerechten) Wahrung ihrer Rechte.

(6)

Die in der Rechtsmittelbelehrung benannten Ausführungen zur elektronischen Einreichung des Rechtsmittels entsprechen den gesetzlichen Anforderungen.

In der Rechtsmittelbelehrung heißt es hierzu:

„Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder
von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.“

Damit weist die Rechtsmittelbelehrung zum einen auf die geltende Pflicht zur elektronischen Einlegung des Rechtsmittels für den benannten Personenkreis hin (§ 65d SGG). Zum anderen werden die Voraussetzungen zur Einhaltung der „elektronischen Form“ im Einzelnen durch Verweis auf entsprechende Vorschriften und weitere Informationsquellen benannt.

Der Richtigkeit, Klarheit und Verständlichkeit einer Rechtsmittelbelehrung ist mithin Genüge getan.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) hat der Kläger weder behauptet noch sind solche erkennbar. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dieser habe ihn erst am 26. Juli 2024 mit der Einlegung der Berufung beauftragt, vermag ein unverschuldetes Versäumen der Frist nicht zu rechtfertigen. Es sind keine Gründe benannt, die eine frühere Mandatierung schuldlos verhindert haben könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage.

Rechtskraft
Aus
Saved