L 7 AS 1744/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 61 AS 2822/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1744/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
B 4 AS 22/24 B
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21.10.2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen

I.

Die Kläger betreiben seit September 2017 selbstständig eine Pizzeria. Sie beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten.

 

Mit Bescheid vom 08.05.2019 bewilligte der Beklagte vorläufig Leistungen nach dem SGB II von Juni bis November 2019 i.H.v. 500,68 € monatlich. Dabei berücksichtigte er bedarfsmindernd ein prognostisches Durchschnittseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 1.129,79 €.

 

Die Kläger erhoben am 25.09.2019 Widerspruch. Sie erzielten lediglich Einnahmen i.H.v. monatlich 0 bis 300 €. Es bestünden Schulden i.H.v. 20.000 € für Investitionen im Geschäftsbetrieb. Diese müssten abbezahlt werden, weshalb im Ergebnis kein anrechenbares Einkommen verbleibe.

 

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2019 als unbegründet zurück. Das berücksichtigte Einkommen entsprechen im Wesentlichen den Angaben, die in der „Anlage EKS“ vom 02.05.2019 von den Klägern selbst gemacht worden seien. Lediglich die sonstigen Betriebsausgaben, die Fremdleistungen und Provisionen seien nicht anerkannt worden, weil hierzu keine Nachweise vorgelegt worden seien. Etwaige Forderungen aus der Vergangenheit seien für die Gewinnermittlung unerheblich. Die hierzu angeforderten Nachweise seien nicht eingereicht worden.

 

Die Kläger haben am 05.07.2019 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben.

 

Mit Schreiben vom 10.12.2019 hat der Beklagte die Kläger aufgefordert, die Anlage EKS mit den abschließenden Angaben für den Zeitraum Juni bis November 2019 bis zum 08.02.2020 einzureichen. Mit Schreiben vom 13.02.2020 hat er die Kläger aufgefordert, folgende Unterlagen zur Selbstständigkeit einzureichen: Kontoauszüge aller Konten, auf die die Bedarfsgemeinschaft Zugriff hatte, inklusive X., Z. und Kreditkarten; betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWA), monatliche Summen- und Saldenlisten, Kassenbuch, Umsatzsteuervoranmeldung, Rechnung zum Wareneinkauf, Zahlungsnachweis zu den Gehältern, Anmeldung bei den Sozialversicherungen. Abrechnungen der betrieblichen Versicherung, Fahrtenbuch für das KFZ, Tankbelege, Abrechnung der KFZ-Versicherung, KFZ-Steuerbescheid, Zahlungsnachweis für die KFZ-Steuer, die Werbungskosten, Rechnungen des Steuerberaters, Kontendruck zu dem sonstigen Betriebsbedarf, schriftliche Erklärung, wie die Verluste aus Gewerbebetrieb ausgeglichen wurden, inklusive Nachweis z.B. Darlehensverträge. Sollten die Kläger die Unterlagen nicht einreichen, werde festgestellt, dass kein Leistungsanspruch bestand und die Kläger Leistungen i.H.v. 3.004,08 € erstatten müssten. Mit der Aufforderung zur Mitwirkung vom 07.05.2020 hat der Beklagte dies wiederholt und eine Frist bis zum 07.07.2020 gesetzt.

 

Die Kläger haben keine Unterlagen eingereicht. Mit Bescheid vom 23.07.2020 hat der Beklagte festgestellt, dass ein Leistungsanspruch von Juni bis November 2019 nicht bestand. Die Leistungsbewilligung werde auf „null“ festgesetzt, da die fehlenden Unterlagen nicht eingereicht worden seien.

 

Mit Bescheid vom 27.08.2020 hat der Beklagte unter Bezugnahme auf die endgültige Festsetzung vom 23.07.2023 eine Erstattung i.H.v. 1.502,04 € von dem Kläger zu 1), mit weiterem Bescheid vom 27.08.2020 eine Erstattung i.H.v. 1.502,04 € von der Klägerin zu 1) gefordert.

 

Das Sozialgericht hat die Kläger aufgefordert, die vom Beklagten mit Schreiben vom 13.02.2020 angeforderten Unterlagen bis zum 05.10.2020 einzureichen, und auf die Rechtsfolgen des § 106a SGG hingewiesen. Das Schreiben ist den Klägern gegen Postzustellungsurkunde am 08.09.2022 zugegangen.

 

Die Kläger haben mit Schreiben vom 12.09.2022 mitgeteilt, dass sie einen Gesamtverlust i.H.v. 1.869,46 € erwirtschaftet hätten und die angeforderten Unterlagen und Belege nicht mehr beigebracht werden könnten. Sie haben lediglich eine BWA für April bis November 2019 eingereicht.

 

Die Kläger machen geltend, dass die Berechnung des Leistungsanspruchs unzutreffend sei. Es sei fehlerhaft ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 1.129,79 € im Zeitraum Juni bis November 2019 berücksichtigt worden.

 

Bei den „Sonstigen Betriebsausgaben“ in der Anlage EKS i.H.v. 1.052,82 € handele es sich um eine Vielzahl von kleinen Einkäufen wie zum Beispiel Reinigungsmittel, Servietten, Kerzen, Dekorationsartikel etc. Bei der Position „Fremdleistungen und Provisionen“ i.H.v. 571,14 € handele es ich um Kosten und Gebühren für die Dienstleister Y., J. und C.. Die Kläger hätten auch einen privaten Darlehensvertrag i.H.v. 20.000 € vorgelegt, der dokumentiere, dass ein Kredit für die Verbindlichkeiten der Pizzeria, insbesondere Investitionen, aufgenommen worden sei. Die ersten geringen Gewinne seien deshalb dringend erforderlich, die Schulden abzubezahlen. Im Ergebnis verbleibe keinerlei anrechenbares Einkommen.

 

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 08.05.2019 in der Fassung des Bescheides vom 23.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2019 zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 01.06.2019 bis 30.11.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

 

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Es bestünden Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Darlehensvertrages. In den vorherigen Anlagen EKS sei nie auf ein Darlehen hingewiesen worden. Selbst wenn man von einem Darlehen ausgehen wollte, wären etwaige damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben keinesfalls als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Ein Nachweis über die Verwendung des Darlehens sei nicht erbracht worden. Die Gewinne müssten zur Sicherung des Lebensunterhalts genutzt werden. Es sei nicht Aufgabe der Allgemeinheit, über den SGB II-Bezug Schulden zu tilgen.

 

Die Klage gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 08.05.2019 sei durch Zeitablauf unzulässig geworden. Die Kläger seien aufgefordert worden, die Angaben für die endgültige Festsetzung einzureichen.

 

Der Beklagte hat mitgeteilt, dass der von den Klägern am 16.09.2010 gestellte Überprüfungsantrag betreffend den Bescheid vom 23.07.2020 für die Zeit von Juni bis November 2019 mit Bescheid vom 29.10.2020 abschlägig beschieden worden sei. Die Kläger seien aufgefordert worden die Unterlagen einzureichen. Dies sei nicht geschehen.

 

Das Sozialgericht Duisburg hat die Klage mit Urteil vom 21.10.2022 abgewiesen.

 

Soweit die Kläger aus dem vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 08.05.2019 höhere Leistungen begehrten, fehle hierfür das Rechtsschutzbedürfnis, denn dieser habe sich gem. § 39 SGB X erledigt und sei durch den endgültigen Bescheid vom 23.07.2020 gem. § 96 Abs. 1 SGG ersetzt worden, welcher nunmehr Gegenstand des Verfahrens sei. Die Kläger hätten im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, da ihre Hilfebedürftigkeit nicht hinreichend nachgewiesen sei. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit habe das Gericht alle Erkenntnisse zugrunde zu legen, insbesondere auch die Angaben/Unterlagen, die die Kläger erst im Laufe des Klageverfahrens gemacht bzw. vorgelegt hätten.

 

Nach § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II sei festgestellt worden, dass ein Leistungsanspruch nicht bestehe. Es lasse sich nicht hinreichend feststellen, ob und in welchem Umfang die Kläger hilfebedürftig seien. Der Beklagte habe die Kläger mit Schriftsätzen vom 13.02.2022 und 07.05.222 aufgefordert, umfangreiche Unterlagen und Angaben als Nachweis ihres Leitungsanspruchs vorzulegen. Dieser Aufforderung seien die Kläger nicht vollumfänglich nachgekommen, sondern hätten vielmehr nur die BWA ihres Steuerberaters vorgelegt, ohne die entsprechenden Nachweise und Quittungen beizulegen. Diese Unterlagen seien auch im Klageverfahren nicht nachgereicht worden. Es sei lediglich die BWA übersandt worden. Die Kläger seien gem. § 106a SGG nunmehr präkludiert.

 

Die Kläger haben am 19.11.2022 Berufung eingelegt.

 

Der Beklagte gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass im betroffenen Zeitraum bei der Berechnung der Sozialleistungen Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit sozialleistungsmindernd zu berücksichtigen seien. In der Vergangenheit seien bedauerlicherweise infolge eines Beratungsfehlers seitens des Steuerberaters der Kläger unzutreffende BWAs eingereicht worden. Dies betreffe vor allem den angegebenen „Unternehmerselbstverzehr“ i.H.v. monatlich 566,84 €. Die Berücksichtigung dieser Pauschale sei jedoch optional. Der durchschnittliche Selbstverzehr der Kläger belaufe sich auf lediglich 54,41 €. Außerdem seien die privaten Darlehensverträge zu berücksichtigen. Die Kläger haben auch eine „berichtigte“ EKS eingereicht.

 

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

die angefochtene erstinstanzliche gerichtliche Entscheidungsfindung aufzuheben und die Beklagte gemäß der klägerseitigen Anträge aus dem dem Berufungsverfahren vorangegangenen erstinstanzlichen Verfahren zu verurteilen.

 

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Hilfebedürftigkeit sei auch im Berufungsverfahren nicht durch Vorlage der angeforderten Unterlagen nachgewiesen worden.

 

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 27.09.2023.10.2023 – den Klägern gegen Postzustellungsurkunde am 29.09.2023 und dem Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 02.10.2023 zugegangen – darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen.

 

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

 

II.

 

Die Berufung der Kläger ist zulässig, aber unbegründet.

 

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Die Berufung ist einen Monat nach Zustellung des Urteils einzulegen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Kläger haben trotz mehrfacher Aufforderung das Empfangsbekenntnis für das angegriffene Urteil vom 21.10.20222 nicht übersandt. Wann das Urteil zugestellt wurde, kann nicht festgestellt werden. Ausweislich der Verfügung der Geschäftsstelle wurde das Urteil jedoch erst am 28.10.2022 versandt. Die Monatsfrist kann demnach gem. § 64 Abs. 1 SGG frühestens mit dem Tag nach der Zustellung – hier dem 29.10.2022 – begonnen haben. Sie endet gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG frühestens am 29.10.2022. Die Berufung ist auch am 29.11.2022 eingegangen.

 

Die Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet. Eine weitere mündliche Verhandlung hält der Senat nicht für erforderlich. Das Rechtsmittel wird daher durch Beschluss zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind
(§ 153 Abs. 4 SGG).

 

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt zur Begründung auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) sowie die Verfügung des Senats vom 27.10.2023 Bezug.

 

Das Berufungsgericht konnte gemäß § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG ohne die Vornahme weiterer Ermittlungen entscheiden. Notwendig hierfür ist, dass der klagenden Person gemäß § 106a Abs. 1, Abs. 2 SGG eine Frist gesetzt wurde, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen. § 106a SGG gilt vor allem für Tatsachen und Beweismittel, die aus der Sphäre der Beteiligten stammen und zu denen nähere Angaben zu machen in der Regel auch in deren Interesse liegt. Erklärungen und Beweismittel, die durch das Sozialgericht zur Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen (vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 14. Aufl. 2023, § 106a SGG, Rn. 18). Die Entscheidung ist für das Landessozialgericht bindend (Adolf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 157a SGG <Stand: 15.06.2022> Rn. 26 ff.). Es bestand für das Gericht keine Möglichkeit, sich die angeforderten Angaben ohne die aktive Mitwirkung der Kläger selbst zu beschaffen. Da die Kläger keinerlei Belege aus ihrer selbstständigen Tätigkeit für den streitgegenständlichen Zeitraum eingereicht haben, kommt es auf die von den Klägern geltend gemachten Zahlungen auf ein Darlehen und die Verzehrpauschale als lediglich einzelne Positionen im Rahmen der Betriebsausgaben von vornherein nicht an. Die Präklusionsentscheidung des Sozialgerichts war auch rechtsfehlerfrei. Das Sozialgericht hat den Klägern mit Verfügung vom 06.09.2022 eine Frist zur Vorlage der entscheidungserheblichen Unterlagen bis zum 05.10.2022 gesetzt. Die Verfügung wurde von der Vorsitzenden eingenhändig unterzeichnet und den Klägers gegen Postzustellungsurkunde am 08.09.2022 übermittelt. Die entsprechenden Unterlagen wurden nicht eingereicht, sondern lediglich mitgeteilt, dass diese nicht mehr vorlägen. Ermessensfehler wurden weder geltend gemacht noch sind sie ersichtlich. Die Kläger tragen die objektive Beweislast für die Feststellung ihrer Hilfebedürftigkeit. Die Unerweislichkeit einer Tatsache - vorliegend der Hilfebedürftigkeit - geht zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet. Auch derjenige, der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II beantragt, trägt die Folgen der objektiven Beweislosigkeit, wenn sich nach Ausschöpfung der verfügbaren Beweismittel die Leistungsvoraussetzungen nicht feststellen lassen. Weigern sich die Kläger im Rahmen der sie treffenden Obliegenheit, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, geht dieses materiell-rechtlich zu ihren Lasten, wenn das Vorliegen ihrer Bedürftigkeit und damit ihre Leistungsberechtigung nicht festgestellt werden kann (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 10/08 R -). Ist die Höhe des konkreten Einkommens nicht feststellbar und bleiben die Angaben zum Einkommen unvollständig, weil die Kläger an der Sachverhaltsaufklärung nicht in der erforderlichen Weise mitwirken, sind Grundsicherungsleistungen mangels nachgewiesener Hilfebedürftigkeit nicht zu bewilligen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.

Rechtskraft
Aus
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