S 12 R 223/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 223/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
  1. Ein gerichtlicher Vergleich kann dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Vorsitzenden schriftlich gegenüber dem Gericht annehmen.

 

2. Für den Eintritt eines sozialmedizinischen Leistungsfalls ist maßgeblich, wann die den Nachweis erbringenden Untersuchungen durchgeführt wurden, und nicht, an welchem Tag der untersuchende Mediziner seinen diesbezüglichen Bericht abgefasst oder unterschrieben hat.

 

Tenor:

 

  1. Das Sozialgericht schlägt den Beteiligten den folgenden Vergleich vor:

Vergleich

 

1.) Die Beklagte gewährt dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.03.2024 bis 31.08.2026.

 

2.) Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

3.) Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit S 12 R 223/23 für erledigt.

 

  1. Der auf Dienstag, den 10.06.2025, bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung wird aufgehoben.

 

Gründe:

I. Ein gerichtlicher Vergleich kann gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Vorsitzenden schriftlich gegenüber dem Gericht annehmen.

Den Abschluss eines dem Ermittlungsergebnis entsprechenden Gerichtsvergleiches schlägt der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten nach Abschluss der sozialmedizinischen Sachverhaltsaufklärung zur schriftlichen Annahme gegenüber dem Gericht aus nachfolgenden Erwägungen vor:

Die sozialmedizinische Sachverhaltsaufklärung hat im Fall des eine volle Erwerbsminderungsrente begehrenden Klägers ergeben, dass mehrere Gesundheitsstörungen auf den Gebieten der Gastroenterologie, der Neurologie und der Psychiatrie bestehen. Indes sind für sein berufliches Restleistungsvermögen nach Auswertung der von den behandelnden Ärzten und Kliniken beigezogenen Krankenunterlagen die im Februar 2021 diagnostizierte Grunderkrankung der Autoimmunhepatitis und die ihretwegen konsekutiv eingetretene Leberzirrhose Child B mitsamt hepatischer Enzephalopathie ersten Grades maßgeblich.

Wegen eben dieser Behinderungen kann der Kläger unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch leichte körperliche Tätigkeiten von arbeitstäglich weniger als 3 Stunden verrichten. Darin stimmen seit dem (heutigen) 03.06.2025 gerichtsbekanntermaßen die Einschätzungen des Ärztlichen Dienstes der Beklagten, des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. XXXXXX und der den Kläger (während der zuletzt vom 14.01.2025 bis 11.02.2025 durchgeführten gastroenterologischen Rehabilitationsbehandlung) behandelnden Mediziner überein.

Ob seiner demgemäß vollen Erwerbsminderung kann der Kläger nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beanspruchen, da er auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der sog. Vorversicherungszeit (von drei Jahren Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) und der allgemeinen Wartezeit erfüllt.

Der wohl – zunächst nur – bis 31.08.2026 bestehende Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung dürfte indes aus nachfolgenden Gründen am 01.03.2024 und damit an einem anderen Zeitpunkt begonnen haben, als die Beteiligten meinen:

Soweit der Kläger in der Vergangenheit meinte, der Leistungsfall seiner Erwerbsminderung sei bereits lange vor dem 08.08.2023 eingetreten, dürfte dem nicht zu folgen sein. Ein früherer Eintritt der Erwerbsminderung ist nach Ausschöpfung aller Beweismittel wohl nicht nachweisbar. Nach Abschluss der sozialmedizinischen Ermittlungen des Gerichts lag die rentenberechtigende Leberzirrhose Child B mit hepatischer Enzephalopathie Grad I noch nicht vor, als er außergerichtlich erstmalig bei der Beklagten die Bewilligung einer Erwerbsminderung beantragte, oder, als sie dies mit den angefochtenen Bescheiden vom 12.08.2022 und 04.01.2023 abgelehnt hatte.

Insbesondere war zum Zeitpunkt der erstmaligen Diagnose der Autoimmunhepatitis während des Klinikaufenthaltes im Universitätsklinikum Tübingen im Februar 2022 histologisch gerade noch keine Leberzirrhose nachgewiesen worden. Die für den Nachweis der Erwerbsminderung erforderliche Erstdiagnose einer Leberzirrhose erfolgte hingegen erst durch das im Auftrag des Sozialgerichts Karlsruhe angefertigte Gerichtsgutachten vom 07.09.2023. Im Rahmen der hierfür am 08.08.2023 im Städtischen Klinikum Karlsruhe von Prof. Dr. XXXXXX durchgeführten ambulanten Untersuchung des Klägers zeigten sich nämlich erstmalig in der Scherwellenelastographie sonographisch und auch laborchemisch die für die Diagnose einer Leberzirrhose erforderlichen Befunde. Erst hierdurch sowie durch das zugleich sachverständig beschriebene klinische Bild einer hepatischen Enzephalopathie ersten Grades ist die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers auf ein rentenberechtigendes Ausmaß belegt worden.

Soweit die Beklagte wegen des Rentenbeginns bis zuletzt meint, die volle Erwerbsminderung sei erst ab dem 07.09.2023 nachgewiesen, dürfte auch ihr nicht zu folgen sein. Beim 07.09.2023 handelt es sich um dasjenige Datum, an dem der Gerichtssachverständige die Verschriftlichung seines Gutachtens auf Grundlage der bereits am 08.08.2023 durchgeführten Untersuchungen abgeschlossen und dieses unterzeichnet hatte. Für den Zeitpunkt des Rentenbeginns maßgeblich ist aber, ab wann das Leistungsvermögen nachweislich gemindert ist. Für den Eintritt eines sozialmedizinischen Leistungsfalls ist maßgeblich, wann die den Nachweis erbringenden Untersuchungen durchgeführt wurden, und nicht, an welchem Tag der untersuchende Mediziner seinen diesbezüglichen Bericht abgefasst oder unterschrieben hat.

Aus dem Nachweis des Eintritts des rentenversicherungsrechtlichen Leistungsfalls am 08.08.2023 und dem Umstand, dass nach Auskunft von Dr. XXX infolge der bereits stattgehabten Lebertransplantation eine Besserung des Leistungsvermögens bis August 2026 nicht unwahrscheinlich ist, folgt die aus dem Vergleichsvorschlag ersichtliche Dauer der – ggfs. künftig wiederholt – auf Zeit zu gewährenden Rente.

Renten wegen Erwerbsminderung sind nämlich gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI grundsätzlich – und auch hier – zu befristen. Dabei werden gemäß § 101 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. In Anbetracht des Leistungsfalls im August 2023 und der nicht unwahrscheinlichen Besserung bis August 2026 ist die Erwerbsminderungsrente nach alldem wohl vom 01.03.2024 bis zum 31.08.2026 zu befristeten.

Dass ein deutlich früherer Rentenbeginn auch im Klageverfahren geltend gemacht worden ist und die Klage zu daher einem wesentlichen Teil erfolglos geblieben wäre, müsste bei einer nach § 193 SGG zu treffenden Kostenentscheidung berücksichtigt werden, weshalb eine hälftige Erstattung der außergerichtlichen Kosten ermessensgerecht erscheint und Ziff. 2.) des Vergleichsvorschlags zugrunde liegt.

Sofern die beiden Beteiligten auch den diesbezüglichen Ausführungen des Vorsitzenden zustimmen sollten, bittet Letzterer um eine schriftliche Erklärung bis zum 01.07.2025, ob der Vergleichsvorschlag angenommen wird unter gleichzeitiger Abgabe der unter Ziff. 3.) zum bloßen Zwecke der Klarstellung ebenfalls angeregten Prozesserklärungen.

 

II. Der schon lange vor dem Eingang der sozialmedizinischen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Beklagten beim Sozialgericht Karlsruhe am 03.06.2025 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.06.2025 wird von Amts wegen aufgehoben, weil deren Durchführung nicht mehr zweckmäßig erscheint, nachdem seit heute gerichtsbekannt ist, dass die Beklagte den Eintritt der strittigen Erwerbsminderung nicht länger bestreitet und nur noch in Frage steht, wann die Rente beginnt und aufhört.

Hierbei berücksichtigt das Gericht, dass es allein wegen dieser Nebenfragen dem voll erwerbsgeminderten und in seiner Wegefähigkeit stark eingeschränkten Kläger aktuell nicht zuzumuten sein dürfte, persönlich bei Gericht zu erscheinen, zumal die Sache nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Der Beschluss ist ob des Vergleichsvorschlags und der Terminaufhebung unanfechtbar.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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