L 16 KR 408/23 KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 293/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 408/23 KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.03.2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.526,32 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

 

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 SGB V zugelassenes Plankrankenhaus. In diesem wurde die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte S., geb. 00.00.0000 (im Folgenden: Versicherte), in der Zeit vom 29.01.2016 bis zum 17.02.2016 vollstationär behandelt. Im Rahmen des stationären Aufenthalts erfolgte bei hochgradiger Mitralklappeninsuffizienz am 10.02.2016 die minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion mittels Implantation eines „MitraClips“.

 

Für die Behandlung der Versicherten stellte die Klägerin der Beklagten mit Rechnung vom 10.03.2016 unter Ansteuerung der Diagnosis Related Group (DRG) F98C (Komplexe minimalinvasive Operationen an Herzklappen ohne minimalinvasiven Eingriff an mehreren Herzklappen, ohne hochkomplexen Eingriff, ohne komplexe Diagnose > 15 Jahre, ohne sehr komplexen Eingriff) einen Gesamtbetrag in Höhe von 32.195,91 € in Rechnung. Die Beklagte zahlte diesen Betrag zunächst, leitete anschließend jedoch eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankversicherung (MDK) hinsichtlich der DRG und des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) 5-35a.41 (Minimalinvasive Operationen an Herzklappen: Mitralklappenrekonstruktion: Transvenös) ein und teilte der Klägerin dies mit Schreiben vom 30.03.2016 mit. Die Prüfanzeige des MDK ging bei der Klägerin am 07.04.2016 ein.

 

In seinem im Rahmen eines Hausbesuchs in einer anderen Einrichtung „nach Aktenlage“ erstellten Fallgutachten vom 13.10.2016 kam J. (Facharzt für Innere Medizin) für den MDK im Dissens mit den Krankenhausverantwortlichen zu dem Ergebnis, dass der OPS 5-35a.41 zu streichen sei. Das agierende Herzteam müsse aufgrund der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Durchführung von minimalinvasiven Herzklappeninterventionen gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser (Richtlinie zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen in der Fassung vom 22.01.2015, im Folgenden: MHI-RL) auch aus einer Fachärztin bzw. einem Facharzt für Anästhesiologie mit nachweisbarer Erfahrung in der Kardioanästhesie bestehen (§ 5 Abs. 3 Personelle und fachliche Anforderungen). Dies sei zwingende Voraussetzung für die Anerkennung der kathetergestützten Aortenklappenimplantationen (TAVI). In der vorliegenden Teambesprechung (vgl. Protokoll der HeartTeam-Konferenz vom 02.02.2016) werde Frau M. (nunmehr K.) als Fachärztin für Kardiologie und Anästhesiologie aufgeführt. Sie sei aber als Oberärztin in der Kardiologie angestellt und nicht in der Anästhesiologie. Somit seien die Voraussetzungen nicht erfüllt. Aufgrund ihrer Ausbildungszeiten könne Frau M. (Studium 2000 beendet) auch keine nachweisbare Erfahrung in der Kardioanästhesie haben. Nach Streichung der OPS 5-35a.41 (sowie der nicht erlösrelevanten 1-274.3, 1-279.9 und 1-276.21) komme die DRG F69B (Herzklappenerkrankungen ohne äußerst schwere oder schwere CC) zur Abrechnung.

 

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 18.10.2016 das Prüfergebnis des MDK mit und forderte sie zur Erstellung eines korrigierten Datensatzes und Gutschrift des Erstattungsbetrages i.H.v. 28.095,09 € bis zum 15.11.2016 auf. Bei der Neuberechnung seien auch alle fallindividuellen Zu- und Abschläge zu berücksichtigen. Mit Schreiben vom 15.11.2016 erinnerte die Beklagte die Klägerin. Nach fruchtlosem Fristablauf teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 12.01.2017 die Aufrechnung ihrer offenen Forderung in Höhe von 28.226,23 € mit den Vergütungsansprüchen der Klägerin aus den Fallnummern N02 und N03 mit.

 

Die Klägerin hat am 12.03.2018 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben und die Zahlung des gegen die unstreitigen Vergütungsansprüche aufgerechneten Betrages sowie die Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 € verlangt. Ausweislich des beigefügten Lebenslaufes und der Facharzturkunden von Frau M. (Anästhesiologie 2011, Innere Medizin und Kardiologie 2015 sowie Notfallmedizin 2011) sowie der Bescheinigung über die Teilnahme an der 2. Fortbildung „Kardioanästhesie“ der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin e.V. (DGAI) vom 00.00. bis 00.00.2016 verfüge diese über „nachweisbare Erfahrungen in der Kardioanästhesie“ im Sinne der MHI-RL. Im Übrigen enthielten die tragenden Gründe zur MHI-RL keine besonderen spezifischen Anforderungen für die „nachweisbare Erfahrung“. Es sei anzunehmen, dass sich, sofern der GBA konkrete Anforderungen vor Augen gehabt hätte, diese sich in den tragenden Gründen niedergeschlagen hätten. Da dies nicht geschehen sei, dürfe auch der MDK keine zusätzlichen leistungsbegrenzenden Anforderungen, welche sich nicht selbst im Kontext der MHI-RL wiederfänden, stellen. In diesem Zusammenhang werde auch darauf hingewiesen, dass die „eigenwillige Interpretation“ des Begriffs Facharzt für Anästhesiologie eine „spezielle Marotte“ des MDK-Gutachters J. zu sein scheine. Deshalb seien bereits fünf parallele Verfahren am SG Duisburg anhängig. Alle anderen MDK-Gutachter rügten diesen Punkt nicht, auch sei mit diversen anderen Krankenkassen bereits Einvernehmen erzielt worden, dass M. die nach der MHI-RL erforderlichen Voraussetzungen erfülle und J. insoweit nicht zu folgen sei. Besonders erstaunlich sei, dass J. in zwei Gutachten vom 20.09.2016 und 13.10.2016 (also dem gleichen Tag, an dem auch das Gutachten im streitgegenständlichen Fall erstellt worden sei) trotz Mitwirkung von M. und identischer Fallgestaltung weder formale noch sonstige Fehler i. S. d. MHI-RL festgestellt habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R – juris) seien Vergütungsregelungen streng nach ihrem Wortlaut auszulegen, darüberhinausgehende Wünsche und Vorstellungen der Kostenträger oder des MDK hätten außen vor zu bleiben. Ferner sehe die MHI-RL keine konkreten Maßnahmen vor, wie auf Qualitätsverletzungen zu reagieren sei. Eine Leistungskürzung auf Null sei nicht vorgesehen, dies wäre jedoch gemäß der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 1 SGB V erforderlich gewesen. Mangels Rechtsgrundlage sei den Kostenträgern damit die Vornahme von Vergütungsabschlägen oder vollständigen Kürzungen verwehrt. Da die MDK-Prüfung im Ergebnis nicht zu einer Kürzung des Rechnungsbetrages geführt habe, sei eine Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 € fällig.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an sie 28.226,32 € nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.02.2017 zu zahlen,

 

die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 300,00 € nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf die Ausführungen im MDK-Gutachten Bezug genommen. Da die Vorgaben der MHI-RL nicht erfüllt seien und der OPS 5-35a.41 nicht abgerechnet werden dürfe, habe ein zur Aufrechnung berechtigender Erstattungsanspruch bestanden. Da entscheidend allein der konkrete Behandlungsfall sei, führe der Verweis auf andere MDK-Gutachten und Klageverfahren nicht weiter. Die Klägerin sei in allen Punkten beweisbelastet.

 

Im Rahmen der „KR-Klagewelle“ hat die Beklagte am 06.11.2018 zunächst Hilfswiderklagen hinsichtlich der Wirksamkeit der Aufrechnung und einer Ausschlussfrist aus § 7 Abs. 2 Satz 3-4 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) erhoben, diese sind jedoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung am SG nicht aufrechterhalten worden.

 

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 20.11.2019 eine Stellungnahme des Krankenhauses zur Akte gereicht, in welcher der Direktor der Klinik für Kardiologie N. sowie der Leiter des Controllings I. unter Darstellung der zur MHI-RL vorhandenen Literatur ausgeführt haben, dass die personellen und strukturellen Voraussetzungen für minimalinvasive Herzklappeninterventionen in ihrem Hause, insbesondere durch das Herzteam, erfüllt seien.

 

Nachdem die Klägerin auf Anforderung des SG die Patientenakte übersandt hatte, hat die Beklagte den MDK mit der Erstellung einer erneuten gutachterlichen Stellungnahme beauftragt. In seinem Gutachten vom 07.07.2020 ist J. bei seiner Einschätzung geblieben, dass der OPS 5.35a.41 nicht zu kodieren sei. Zwar sei die Indikation für einen „MitraClip“ bei der Versicherten aufgrund einer Osteoporose gegeben gewesen, jedoch werde die Qualifikation der M. durch den Fachbereich stationäre Versorgung als nicht ausreichend angesehen. Nach dem im Gutachten dargestellten Schriftwechsel mit dem Leiter des Controllings im klägerischen Krankenhaus I. sei diesem mitgeteilt worden, man vertrete die Auffassung, dass es sich bei einem Kardioanästhesisten um einen Anästhesisten handele, der neben interventionellen kardiologischen und interventionellen kardiochirurgischen Eingriffen auch die Palette der herzchirurgischen Eingriffe unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine mit der in der Empfehlung der DGAI genannten Qualifikation und zeitlichen Mindestdauer der Erfahrung durchführe bzw. über diese Erfahrung verfüge. Dies sei insbesondere auch zur optimalen Notfallversorgung bei Eingriffen, die eine Notfallthorakotomie und den sofortigen Einsatz der Herz-Lungen-Maschine erforderten, notwendig. Hinsichtlich der curricularen Anforderungen an den Kardioanästhesisten sei auf die Webseite der DGAI zu verweisen. Auch im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) werde zum Herzteam ausgeführt, dass dort mindestens zwei Anästhesiologen mit mindestens einjähriger Erfahrung in der Durchführung von Anästhesien bei TAVI-Prozeduren und herzchirurgischen Eingriffen integriert sein müssten. Diese Voraussetzungen lägen bei M. nicht vor. Auch wenn sie über eine umfangreiche Erfahrung im Zusammenhang mit interventionellen Eingriffen verfüge, fehle ihr die nötige Kenntnis im Bereich der konventionellen Herzchirurgie. Protokolle über eigenständige Narkosen in diesem Bereich seien nicht vorgelegt worden. I. habe hierauf mit Schreiben vom 23.02.2017 geantwortet, dass man die Auffassung des MDK zur Kenntnis genommen habe, jedoch nicht teile. M. habe den Fortbildungskurs Kardioanästhesie absolviert und habe damit entsprechend nachweisbare Erfahrung auf diesem Gebiet. Die Zusammensetzung des Herzteams sei zum 01.01.2017 durch Integration weiterer Fachärzte für Anästhesiologie mit Erfahrung im Bereich der offenen herzchirurgischen Eingriffe geändert worden. J. hat im Hinblick auf den klägerischen Vortrag im Klageverfahren ausgeführt, dass M. ausweislich ihres Lebenslaufes die Facharztausbildung für Anästhesiologie im B. und im Z. absolviert habe, wo keine kardioanästhesistischen Eingriffe durchgeführt würden. Die Betreuung von MitraClip-Patienten sei nicht ausreichend, da hier z.B. kein Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine erfolge, die regelhaft in der Kardioanästhesie verwendet werde. Aus diesem Grunde sei der OPS 5-35a.41 weiterhin formal nicht anzuerkennen, da die in § 5 MHI-RL formulierten personellen und fachlichen Anforderungen nicht erfüllt seien.

 

Die Klägerin hat in Reaktion auf dieses MDK-Gutachten darauf hingewiesen, dass sie bei ihrer Ansicht verbleibe. Rein vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die Klage schon wegen Verstoßes gegen das Aufrechnungsverbot des § 15 Abs. 4 Landesvertrag NRW begründet sei. Die Beklagte hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung in Kardioanästhesie erst nach dem streitgegenständlichen Aufenthalt erfolgt sei. Es seien weitere Ermittlungen zur Qualifikation von M. erforderlich, hierbei handele es sich auch um ein Strukturmerkmal.

 

Das SG hat die Beteiligten mit Schreiben vom 30.06.2021 darauf hingewiesen, dass, soweit ersichtlich, streitig allein die Frage sei, ob M. als Fachärztin für Anästhesiologie mit nachweisbarer Erfahrung in der Kardioanästhesie im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 3 MHI-RL tätig werden könne, wenn sie auch Erfahrungen in der konventionellen Herzchirurgie, insbesondere mit dem Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, vorweisen könne. Die Klägerin werde daher um klarstellende Mitteilung gebeten, ob M. im Januar 2016 über Erfahrung als Anästhesistin bei konventionellen herzchirurgischen Eingriffen verfügt habe, insbesondere, ob sie Erfahrung als Anästhesistin mit dem Einsatz der Herz-Lungen-Maschine vorweisen könne. Hierzu werde um Vorlage entsprechender Belege, z.B. OP-Berichte, gebeten.

 

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 09.07.2021 mitgeteilt, dass sich bereits aus den überreichten Unterlagen zweifelsfrei ergebe, dass die Ärztin auch schon zum streitgegenständlichen Zeitpunkt im Februar 2016 über nachweisbare Erfahrung in der Kardioanästhesie verfügt habe, weitere konkrete Anforderungen würden vom GBA nicht gefordert, erst recht keine spezifischen Erfahrungen beim Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine. Die MHI-RL sei erst am 25.07.2015 in Kraft getreten, weshalb im hier streitgegenständlichen Zeitpunkt im Februar 2016 noch die Übergangsregelung des § 9 MHI-RL gegolten habe. Deshalb habe es zunächst noch Unsicherheiten bei der Umsetzung der Richtlinie hinsichtlich des Einsatzes des ärztlichen Personals gegeben. Es hätten Gespräche zwischen der Klägerin und dem MDK stattgefunden. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin zunächst davon habe ausgehen können, die personellen Voraussetzungen vollständig erfüllt zu haben. Die Sichtweise des MDK sei nicht nachzuvollziehen, da sie allein der Interpretation des MDK entspringe und in den Richtlinien des GBA keinen Niederschlag gefunden hätte. Selbst wenn das Gericht der Auffassung wäre, die strengeren, nicht in die Richtlinie eingegangenen personellen Voraussetzungen der DGAI und des MDK seien bei Auslegung des Begriffs „nachweisbare Erfahrungen in der Kardioanästhesie“ anwendbar, so sei dies erst ab Mitte Januar 2017 möglich, weil die Klägerin erst zu diesem Zeitpunkt nähere Kenntnis von dieser Interpretation erlangt habe, wie sich aus dem Vermerk des Medizincontrollings vom 30.03.2016 über die Gespräche mit dem MDK zur MHI-RL ergebe.

 

Das SG hat die Klägerin mit Schreiben vom 14.07.2021 erneut um Klarstellung der streitigen Punkte sowie um Mitteilung gebeten, ob M. auch Erfahrungen im Bereich der offenen Herzchirurgie vorweisen könne. Es werde ausdrücklich darum gebeten, nicht nur auf den Lebenslauf zu verweisen, sondern mit ja oder nein zu antworten und gegebenenfalls Ort und Datum von begleiteten offenen Eingriffen am Herz mitzuteilen. Zudem werde auf § 9 S. 4 Nr. 2 MHI-RL aF hingewiesen, wonach ein Wechsel zur offenen Herz-OP möglich sein müsse. Das Gericht halte es für den Wechsel zur offenen Herz-OP für zwingend erforderlich, dass ein Anästhesist mit Erfahrung mit dieser Art von Operationen, einschließlich der Nutzung der Herz-Lungen-Maschine, sofort verfügbar sei.

 

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 26.08.2021 wiederum auf die bereits bekannten Unterlagen verwiesen. M. arbeite nicht mehr im Hause der Klägerin, ihr beruflicher Verbleib sei unklar. Weitere Nachweise über Qualifikation bzw. konkrete OP-Einsätze lägen nicht vor. Für die Klägerin stehe aber fest, dass sie die in § 9 S. 4 Nr. 2 MHI-RL genannten Anforderungen erfüllt habe und zwar in vollem Umfang. Sie gebe auch zu bedenken, dass M. zum fraglichen Zeitpunkt bereits Oberärztin gewesen sei, insoweit verweise man auf die gerade in Universitätskliniken gestellten sehr hohen Anforderungen an Oberärzte. Wer im Haus der Klägerin als Oberarzt oder –ärztin tätig sei, stelle die Spitze seines Berufsstandes dar.

 

Mit weiterem Schreiben vom 12.04.2022 hat das SG die Klägerin um Mitteilung gebeten, ob es Nachweise darüber gebe, dass M. während der Durchführung der streitgegenständlichen Operation durchgängig anwesend gewesen sei. Bisher lägen solche Dokumentationen, insbesondere im Herzkatheterbericht vom 10.02.2016, nicht vor.

 

Die Klägerin hat daraufhin mit Schreiben vom 28.04.2022 darauf hingewiesen, dass M. auf Seite 1 des Herzkatheterberichts vom 10.02.2026 als Assistenz aufgeführt sei, ihre Unterschrift sei nicht vorhanden, was aber auch die MHI-RL nicht fordere. Die Tatsache, dass sie während der Gesamtdauer des Eingriffs anwesend gewesen sei, sei eigentlich selbstverständlich. Zudem werde das Sedierungsprotokoll überreicht, das von ihr persönlich ausgefüllt worden sei und belege, dass sie von 7:30 bis 9:05 Uhr vor Ort gewesen sei und den Eingriff anästhesistisch begleitet habe.

 

Das SG hat Beweis erhoben durch eine schriftliche Zeugenvernehmung von M.. In ihrer schriftlichen Aussage vom 15.08.2022 hat K. auf die Frage nach dem Besuch von Fortbildungsveranstaltungen und ihrer Einarbeitung in die Kardioanästhesie auf die bereits bekannte Fortbildung im August 2016 hingewiesen. Inhalte im Einzelnen seien ihr nicht erinnerlich, ebenso ihre Einarbeitungsdauer. Bereits in den Jahren 2012 bis 2014 habe sie im Universitätsklinikum E. als Fachärztin für Anästhesiologie und in Weiterbildung zur Fachärztin für Kardiologie die Kardioanalgosedierung bei Herzklappeneingriffen durchgeführt. Hinsichtlich der weiteren Fragen des Gerichts zum streitgegenständlichen Eingriff seien ihr wegen des Zeitablaufs keine Details in Erinnerung.

 

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 16.03.2023 vollumfänglich stattgegeben. Hinsichtlich des Klageantrages zu 1) habe bereits mangels Erstattungsanspruchs keine Aufrechnungslage bestanden, denn die Vergütung für die stationäre Behandlung der Versicherten S. sei von der Beklagten nicht rechtsgrundlos geleistet worden. Nach Auffassung der Kammer seien die Voraussetzungen des von der Klägerin kodierten OPS 5-35a.41 erwiesen. Denn es stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die durchgeführte Mitralklappenrekonstruktion erforderlich gewesen sei. Auch habe die Klägerin die zwingenden Qualitätsvorgaben der MHI-RL – insbesondere die personellen Voraussetzungen – eingehalten. Insbesondere habe es sich bei der Zeugin M. bereits im Behandlungszeitpunkt um eine Fachärztin für Anästhesiologie mit nachweisbarer Erfahrung in der Kardioanästhesie im Sinne des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 MHI-RL gehandelt. Nach den Empfehlungen der DGAI werde ein Facharzt mit praktischen und theoretischen Fortbildungen als „in der Kardioanästhesie erfahren“ bezeichnet. Dabei stütze sich die Kammer zum einen auf den seit dem Jahr 2015 vorliegenden doppelten Facharzttitel der Ärztin (seitdem sei sie auch Fachärztin für Kardiologie und Innere Medizin). Zum anderen spreche aber auch die Tätigkeit der Zeugin am Universitätsklinikum E. in den Jahren 2012 bis 2014 für eine ausreichende Erfahrung in der Kardioanästhesie. Damit seien für die Kammer nicht nur die praktischen Erfahrungen (von hier 15 Monaten), sondern auch die theoretischen Erfahrungen nachgewiesen. Dabei verkenne die Kammer nicht, dass die Zeugin im Behandlungszeitpunkt die Fortbildung „Kardioanästhesie“ der DGAI noch nicht absolviert gehabt habe. Die Kammer sei aber davon überzeugt, dass es vorliegend unterstellt werden könne, dass sich die Zeugin im Rahmen des praktischen Teils ihrer Ausbildung in der Kardioanästhesie im Universitätsklinikum E. abteilungsintern auch theoretisch gleichwertig fortgebildet habe. Der Klageantrag zu 2) sei ebenfalls begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 €, da die hier durchgeführte, durch die Beklagte veranlasste MDK-Prüfung aufgrund der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Behandlungsunterlagen letztlich zu keiner Minderung der Abrechnung führe. Die Behandlung der Versicherten S. sei nach Auffassung der Kammer ordnungsgemäß kodiert.

 

Gegen dieses ihr am 14.04.2023 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 02.05.2023. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Der Streit reduziere sich hier auf die Frage, ob die Fachärztin für Anästhesiologie M. über eine nachweisbare Erfahrung in der Kardioanästhesie im Zeitpunkt der Behandlung verfügt habe. Das SG habe diese Frage zu Unrecht bejaht. Nach den Empfehlungen der DGAI werde ein Facharzt mit praktischen und theoretischen Fortbildungen als „in der Kardioanästhesie erfahren“ bezeichnet. Der praktische Teil gliedere sich in zwei Phasen: Direkte Einarbeitung am Patienten durch einen in der Kardioanästhesie erfahrenen Anästhesisten in einer in der Regel dreimonatigen Vollzeittätigkeit und dann durch den Bereichsleiter/Oberarzt supervidierte Arbeit am Patienten in einer neunmonatigen Vollzeittätigkeit, wobei die Dauer jeder Phase von den vorhandenen Fähigkeiten und Erfahrungen abhängig sei. Der theoretische Anteil der Fortbildung beinhalte laut DGAI die Teilnahme an mindestens 40 Unterrichtseinheiten. Hierzu gebe es keine konkrete belastbare Dokumentation. Die Zeugin habe zudem selbst vorgetragen, vor der Operation keine Fortbildung in der Kardioanästhesie absolviert zu haben. Soweit das SG diesbezüglich auf den seit dem Jahr 2015 vorliegenden doppelten Facharzttitel sowie auf eine „erhebliche“ praktische Erfahrung abstelle und sich davon überzeugt zeige, dass vorliegend unterstellt werden könne, dass sich die Zeugin im Rahmen des praktischen Teils ihrer Ausbildung in der Kardioanästhesie im Universitätsklinikum E. abteilungsintern auch theoretisch gleichwertig fortgebildet habe, so verkenne es dabei, dass vergütungsrelevante Umstände vom Krankenhaus so zu dokumentieren seien, dass sie einer Überprüfung durch die Krankenkasse als Kostenträgerin zugänglich seien. Eine Dokumentation habe soweit nachvollziehbar stattzufinden, dass sich die Abrechnungsvoraussetzungen aus ihr ableiten ließen. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Abrechnung lägen bei der Klägerin. Mängel oder Fehler der Dokumentation gingen zu ihren Lasten. Mit Blick auf die Rechtsprechung des BSG zur Qualitätssicherungs-Richtlinie zum Bauchaortenaneurysma (QBAA-RL) dürften die Anforderungen an die „nachweisbare Erfahrung in der Kardioanästhesie“ am Qualitätsgebot des SGB V zu messen sein. Es dürfte sich insoweit um eine nach fachmedizinischen Maßstäben zu beurteilende und dem Sachverständigenbeweis zugängliche Tatsachenfrage handeln. Die Leistungserbringer seien zudem nach § 135a Abs. 1 SGB V zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Ihre erbrachten Leistungen müssten dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Insoweit sollten bei der Wissensgewinnung und Aufarbeitung des Prozessstoffs die Empfehlungen der DGAI zur personellen, räumlichen, apparativen und organisatorischen Voraussetzungen sowie zu Anforderungen bei der Erbringung von Anästhesieleistungen bei herzchirurgischen und interventionellen kardiologischen Eingriffen berücksichtigt werden, nach denen ein Facharzt für Anästhesiologie als „in der Kardioanästhesie erfahren“ bezeichnet werde, wenn er sich entsprechend dieser Empfehlung praktisch und theoretisch fortgebildet habe (Hinweis auf Kronenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, G-BA, 1. Aufl., § 5 MHI-RL, Stand 23.08.2019, Rn. 30). Zu beachten sei diesbezüglich, dass die Richtlinie insbesondere dem Patientenschutz diene und daher nicht jedwede Erfahrung ausreichen lassen könne, sondern gewisse qualitative Mindeststandards wie die Teilnahme an einer entsprechenden Fortbildung mit sämtlichen Fortbildungsinhalten gewahrt sein müssten, um von einer Erfahrung im Sinne der Richtlinie sprechen zu können.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des SG Duisburg vom 16.03.2023 abzuändern und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die theoretischen Ausführungen der Beklagten zum Qualitätsgebot des SGB V und zum Patientenschutz könnten auch von der Klägerin unterschrieben werden, brächten aber in concreto keine weiteren Erkenntnisse. Irrelevant sei der Hinweis der Beklagten auf die Beweislastverteilung. Hierauf käme es erst an, wenn der streitige Terminus „in der Kardioanästhesie erfahren“ vorliegend nicht nachweisbar wäre. Gerade dies habe das SG aber eindeutig verneint.

 

Der Senat hat die Gerichtsakte S 9 KR 320/18 vom SG Duisburg beigezogen. Ferner hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin K.. Wegen der Einzelheiten des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30.01.2025 verwiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und sowie der Verwaltungsakte der Beklagten und der Patientendokumentation der Klägerin Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige, insbesondere statthafte und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG hat keinen Erfolg. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben, weil sie in vollem Umfang begründet ist. Die Klägerin hat gegen die Beklagte sowohl Anspruch auf Zahlung von Krankenhausvergütung in Höhe von 28.226,32 € als auch auf Zahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 €.

 

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten (Fallnummern N02 und N03) Anspruch auf die abgerechnete Vergütung weiterer 28.226,32 € hat; eine nähere Prüfung des Senats erübrigt sich insoweit (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 31/18 RRn. 9, juris; BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 57/12 R – Rn. 8, juris, jeweils m.w.N.).

 

Diese Vergütungsansprüche (Hauptforderung) sind nicht durch Erfüllung infolge der von der Beklagten erklärten und gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 387 BGB möglichen Aufrechnung erloschen, weil dieser ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in entsprechender Höhe aus dem Behandlungsfall der Versicherten S. als Gegenforderung nicht zustand.

 

Die mit Schreiben vom 12.01.2017 erklärte Aufrechnung der Beklagten scheitert im Anschluss an die zutreffenden Ausführungen des SG nicht am Aufrechnungsverbot aus § 15 Abs. 4 Satz 2 des Sicherstellungsvertrags NRW nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Es hat sich um eine der PrüfvV 2014 unterliegende Prüfung für den hier streitigen Behandlungsfall S. gehandelt, so dass die landesvertragliche Regelung insoweit verdrängt wird. Die Möglichkeit einer Aufrechnung sieht § 9 PrüfvV 2014 ausdrücklich vor. Die PrüfvV 2014 war auf den vorliegenden Behandlungsfall aus dem Jahr 2016 zeitlich und sachlich anwendbar. In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dies aus § 12 Abs. 1 PrüfvV 2014, der erst mit dem Inkrafttreten der PrüfvV 2016 zum 01.01.2017 abgelöst wurde. Die PrüfvV 2014 galt – anders als im Jahr 2015 – im Jahr 2016 auch für sachlich-rechnerische Prüfungen von Behandlungsfällen (BSG, Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 36/20 R –,  Rn. 11 ff., juris).

 

Die Beklagte hat auch mit Schreiben vom 18.10.2016 das Ergebnis der Prüfung durch den MDK unter Darlegung der wesentlichen Gründe (Streichung des OPS 5-35a.41, dadurch Ansteuerung der DRG F69B, Benennung der strittigen Summe) nach Maßgabe des § 8 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 3 PrüfvV 2014 fristgerecht innerhalb von neun Monaten nach Übermittlung der Prüfanzeige (Schreiben vom 30.03.2016 bzw. MDK-Prüfanzeige mit Eingang vom 07.04.2016) mitgeteilt (§ 8 Satz 1 und 2 PrüfvV). Den sich hieraus ergebenden Erstattungsanspruch hat sie den formalen Anforderungen des § 9 Satz 2 PrüfvV gemäß unter genauer Benennung von Leistungsanspruch und Erstattungsanspruch, sodann durch Erklärung im Schreiben an die Klägerin vom 12.01.2017 mit der Hauptforderung aufgerechnet. Denn sie hat die (insoweit unstreitigen) Behandlungsfälle sowohl mit den jeweiligen Fall- als auch Rechnungsnummern explizit aufgeführt und den Erstattungsanspruch in Höhe von 28.226,32 € ausdrücklich benannt. Ob sich aus dem Umstand, dass die in den Schreiben vom 18.10.2016 und 12.01.2017 genannte Erstattungssumme um etwa 100 € abweicht, ein Verstoß gegen § 8 S. 1 PrüfvV 2014 ergibt, wonach die Krankenkasse dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen und dabei konkret zu beziffern hat (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2024 – B 1 KR 33/23 R –, Rn. 24 ff., juris), kann der Senat vorliegend dahinstehen lassen.

 

Denn die Beklagte hat jedenfalls in der Sache keinen zur Aufrechnung berechtigenden Anspruch auf Rückzahlung von 28.226,32 € gegen die Klägerin nach Maßgabe der im Krankenhausvergütungsrecht zwischen den Krankenkassen und Krankenhausträgern geltenden Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, die an die Stelle des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach §§ 812 ff. BGB treten (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11.05.2017 – L 16 KR 523/14 –, Rn. 20 f., juris), da die Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten vom 29.01.2026 bis 17.02.2016 einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte unter Ansteuerung der DRG F98C hat. Die Voraussetzungen zur Abrechnung des OPS 5-35a.41 („Mitralklappensrekonstruktion: Mitralklappensegelplastik, transvenös Inkl.: Transvenöse Clip-Rekonstruktion der Mitralklappe“) haben vorgelegen und konnten von der Klägerin kodiert werden.

 

Rechtsgrundlage der von der Klägerin geltend gemachten und von der Beklagten gezahlten Vergütung sind § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 KHEntgG und § 17b KHG, die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2016 und die von den Vertragsparteien auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für das Jahr 2016. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes (§ 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V), wenn die Versorgung – wie vorliegend der Fall – in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V) durchgeführt wird und i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 08.09.2009 – B 1 KR 11/09 R –, Rn. 11, juris m.w.N.).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat folgt, ist eine nach zwingenden normativen Vorgaben ungeeignete Versorgung Versicherter nicht im Rechtssinne "erforderlich" mit der Folge, dass das Krankenhaus hierfür keine Vergütung beanspruchen kann. Versicherte haben aufgrund des Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) keinen Anspruch auf ungeeignete Leistungen, insbesondere auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 SGB V) einschließlich Krankenhausbehandlung. Krankenhäuser sind dementsprechend – außer in Notfällen – auch innerhalb ihres Versorgungsauftrags weder befugt, ungeeignet zu behandeln, noch berechtigt, eine Vergütung hierfür zu fordern. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes für alle Leistungsbereiche des SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V sowie § 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 3, § 70 Abs. 1 SGB V). Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt nach dieser Gesetzeskonzeption uneingeschränkt auch im Leistungserbringungsrecht. Das SGB V macht keine Ausnahme hiervon für Krankenhausbehandlung (vgl. zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 19.04.2016 – B 1 KR 28/15 R –, Rn. 13, juris, jeweils m.w.N.).

 

Die im vorliegenden Behandlungsfall streitentscheidenden, ursprünglich am 25.07.2015 in Kraft getretenen Vorschriften der MHI-RL vom 22.01.2015, deren Erfüllung zur Kodierung des streitigen OPS 5-35a.41 führt (s. Anlage 1 der RL), regeln als außenwirksame Normen (§ 91 Abs. 6 SGB V) im Range untergesetzlichen Rechts in Gestalt von Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V zwingende Vorgaben zur Qualitätssicherung, auch soweit es sich um das hier zur Anwendung gelangte Clipverfahren an der Mitralklappe (transvenöse Clip-Rekonstruktion) bei einem erwachsenen Versicherten handelt (s. §§ 1 und 2 MHI-RL; Senat, Urteil vom 25.11.2021 – L 16 KR 527/19 – n.v.).

 

Entgegen den Ausführungen der Beklagten auch im Berufungsverfahren ist das klägerische Krankenhaus den aus § 5 Abs. 3 MHI-RL folgenden zwingenden personellen Vorgaben zur Qualitätssicherung nachgekommen.

 

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 MHI-RL muss die Behandlung der in dieser Richtlinie adressierten herzkranken Patientinnen und Patienten durch die Mitglieder eines interdisziplinären, ärztlichen Herzteams erfolgen, das in enger Kooperation zusammenarbeitet. Dieses Herzteam besteht mindestens aus einer oder einem 1. Fachärztin oder Facharzt für Herzchirurgie, 2. Fachärztin oder Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie sowie 3. Fachärztin oder Facharzt für Anästhesiologie mit nachweisbarer Erfahrung in der Kardioanästhesie.

 

Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung von K. als Zeugin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist der Senat überzeugt, dass diese bei Durchführung der streitgegenständlichen Behandlung, an der sie als Fachärztin für Anästhesiologie beteiligt war, über die von der MHI-RL geforderte nachweisbare Erfahrung in der Kardioanästhesie verfügte.

 

Zutreffend hat das SG sich bei der Definition der „nachweisbaren Erfahrung in der Kardioanästhesie“ an den Vorgaben der medizinischen Fachgesellschaft DGAI orientiert. Mit Blick auf die Rechtsprechung des BSG zur QBAA-RL sind die Anforderungen an die „nachweisbare Erfahrung in der Kardioanästhesie“ am Qualitätsgebot des SGB V zu messen. Es handelt sich insoweit um eine nach fachmedizinischen Maßstäben zu beurteilende (generelle) und – soweit erforderlich – auch dem Beweis zugängliche Tatsachenfrage, die von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten zu ermitteln ist und für welche die Beschränkungen des § 163 SGG nicht gelten. Denn die Richtlinien des GBA konkretisieren durch die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgeformte Mindeststandards, basierend auf dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts. Gleichzeitig sind nach § 135a Abs. 1 SGB V die Leistungserbringer zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen auch dann verpflichtet, wenn hierüber keine näheren Vereinbarungen bestehen. Ihre erbrachten Leistungen müssen auch in diesem Fall dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Insoweit können bei der Wissensgewinnung und Aufarbeitung des Prozessstoffs etwa die Empfehlungen der DGAI zu personellen, räumlichen, apparativen und organisatorischen Voraussetzungen sowie zu Anforderungen bei der Erbringung von Anästhesieleistungen bei herzchirurgischen und interventionellen kardiologischen Eingriffen berücksichtigt werden, nach denen ein Facharzt für Anästhesiologie als „in der Kardioanästhesie“ erfahren bezeichnet wird, wenn er sich entsprechend den Empfehlungen (vgl. Anästh. Intensivmed. 2016; 57:1-4) praktisch und theoretisch fortgebildet hat (Kronenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, G-BA, 1. Aufl., § 5 MHI-RL <Stand: 23.08.2019>, Rn. 30).

 

Dem SG ist grundsätzlich darin zuzustimmen, dass der bereits seit dem Jahr 2015 bei K. vorliegende doppelte Facharzttitel in Anästhesiologie sowie Innere Medizin und Kardiologie auf umfangreiches Wissen in beiden Bereichen schließen lässt. Auch die Angaben in ihrer schriftlichen Zeugenaussage sowie in ihrem Lebenslauf zu ihrer Tätigkeit im Universitätsklinikum E. von 2012 bis 2014 und die dort durchgeführten Kardioanalgosedierungen bei Herzklappeneingriffen und die anästhesiologische Mitbetreuung von Patienten bei TAVI- und MitraClip-Prozeduren belegen zur Überzeugung des Senats das Vorhandensein der von der DGAI geforderten praktischen Voraussetzungen.

 

Anders als die Beklagte meint, lagen zur Überzeugung des Senats bei der Zeugin bereits im Zeitraum der Durchführung der streitgegenständlichen Behandlung die nach den Vorgaben der DGAI erforderlichen theoretischen Kenntnisse nachweisbar vor. Unabhängig davon, dass der Erwerb der praktischen Kenntnisse seiner Natur nach das Vorhandensein der theoretischen Grundlagen voraussetzen dürfte, hat K. im Rahmen ihrer mündlichen Aussage für den Senat in jeder Hinsicht plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass sie als Fachärztin für Anästhesiologie sowie Innere Medizin und Kardiologie über die im Curriculum der DGAI niedergelegten theoretischen Kenntnisse verfügte und die von ihr erst im Nachgang zur streitgegenständlichen Behandlung im August 2016 absolvierte Fortbildung zur Erlangung des Teilnahmezertifikats ihr diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse vermittelt hat. Das überzeugt den Senat insbesondere vor dem Hintergrund, dass die von der – anästhesiologischen – Fachgesellschaft DGAI durchgeführte Fortbildung „Kardioanästhesie“ sich an Fachärzte für Anästhesiologie ohne vertiefte kardiologische Vorkenntnisse richtet. Demgegenüber verfügte die Zeugin bereits seit 2015 über einen doppelten Facharzttitel in Anästhesiologie sowie Innere Medizin und Kardiologie, sodass für den Senat ihre theoretische Qualifikation in beiden Teilbereichen außer Frage steht. Die Einwände des MDK-Gutachters zur fehlenden fachlichen Qualifikation aufgrund des erst im Jahre 2000 beendeten Studiums berücksichtigen die weitere berufliche Entwicklung der Zeugin und damit den besonderen Einzelfall nicht ausreichend. Tatsächlich verfügte die Zeugin im Jahre 2015 – also rund 15 Jahre nach Studienende – über die theoretischen und praktischen Kenntnisse aus zwei Facharzttiteln, nachgewiesen durch die vorgelegten Urkunden. Darüber hinaus wird ihre fachliche Befähigung in der Kardioanalgosedierung durch ihre Angabe belegt, sie habe gemeinsam mit X. bereits in der Zeit ihrer Tätigkeit bei der Uniklinik E. Handlungsempfehlungen für die Kardioanalgosedierung erstellt, was ohne einschlägige theoretische Kenntnisse nicht möglich sein dürfte. Schließlich zeigt der Umstand, dass sie bereits in der Uniklinik E. eigenständig Anästhesien bei kardiologischen Eingriffen durchgeführt und parallel hierzu in einem weiteren Krankenhaus zwei- bis dreimal die Woche an weiteren Anästhesien, auch bei offenen herzchirurgischen Eingriffen, teilgenommen hat, die breite fachliche Kompetenz der Zeugin auf. Vor diesem Hintergrund sieht es der Senat als glaubhaft an, wenn die Zeugin angibt, mit jedweder Komplikation im Bereich der Analgosedierung bei Herzeingriffen, seien sie invasiv oder offen durchgeführt, umgehen zu können.

 

Die Klägerin hat damit zur Überzeugung des Senats den nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 MHI-RL vorgeschriebenen Nachweis erbracht, dass die Fachärztin (u.a.) für Anästhesiologie K. im Behandlungszeitpunkt über nachweisbare Erfahrungen in der Kardioanästhesie verfügte, sodass der OPS 5-35a.41 für die Behandlung der Versicherten zutreffend abzurechnen war.

 

Hinsichtlich des Zinsanspruches sowie des Klageantrages zu 2) verweist der Senat im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, § 153 Abs. 2 SGG.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 HS. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 HS. 1 GG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 GKG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) lagen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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