Auf die Berufung des Klägers wird das als Urteil vom 11.12.2020 bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Köln klarstellend aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Sozialgericht Köln zurückver-wiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger über Dezember 2017 hinaus eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, und über deren Höhe.
Der 00.00.0000 geborene Kläger erlitt am 09.02.2017 während seiner Tätigkeit als Schlosser bei der Firma L. einen Arbeitsunfall. Der Kläger stand während der Ausführung von Montagearbeiten auf einer Leiter in Höhe von ca. 3 m, als diese wegrutschte und der Kläger mit der linken Körperseite auf den Betonboden aufschlug. Der Kläger wurde unter Notarztbegleitung in das Krankenhaus X. gebracht, wo als Erstdiagnose Prellungen im Bereich der linken Wange, des linken Schultergelenks, des linken Ellenbogens sowie des oberen Sprunggelenks links und eine Thoraxprellung mit leichter Lungenkontusion dokumentiert wurden. Die weiterführende Diagnostik mittels MRT und CT zeigte eine knöcherne Bankart-Läsion der Schulter links bei Zustand nach traumatischer Schulterluxation, die operativ versorgt wurde, sowie eine Rippenkontusion, eine Distorsion des oberen Sprunggelenkes und eine Kontusion des Ellenbogengelenkes jeweils links. Vom Unfalltag bis zum 21.02.2017 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Krankenhaus X..
In der Folgezeit fanden ambulante Behandlungsmaßnahmen einschließlich einer zahnärztlichen Behandlung mit prothetischer Versorgung aufgrund eines unfallbedingten Zahnschadens auf Kosten der Beklagten statt. Weiterhin erhielt der Kläger erweiterte ambulante Physiotherapie. Laut Zwischenbericht des Krankenhauses X. vom 17.05.2017 betrug die Beweglichkeit der Schulter nach der ersten EAP-Maßnahme für die Vorhebung 120°, für die Seithebung ca. 105°. Die Außenrotation bei angelegtem Arm war mit 10° noch behindert. Weiterhin bestand ein Spannungsgefühl in der linken Hand und ein Ziehen von der linken Schulter ausstrahlend bis in die linke Hand.
Im Rahmen einer neurologischen Untersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik W. am 18.07.2017 wurde eine umschriebene Sensibilitätsstörung am vorderen Anteil der Schulter und des proximalen Oberarms festgestellt. Darüberhinausgehende neurologische Defizite fanden sich nicht. Anlässlich einer Untersuchung im BG-Klinikum W. durch den Chirurgen Q. wurde die Indikation zur arthroskopischen Arthrolyse der linken Schulter mit nachfolgender intensiver physiotherapeutischer Übung gesehen. Die Arthroskopie fand am 20.07.2017 statt. Anschließend erfolgten weitere Rehabilitationsmaßnahmen. Laut Zwischenbericht des Krankenhauses X. vom 17.08.2017 stellte sich postoperativ eine fast freie Beweglichkeit der linken Schulter ein.
Da eine ABE-Maßnahme im Betrieb des Klägers nicht durchgeführt werden konnte, absolvierte der Kläger eine arbeitsplatzspezifische Rehabilitationsmaßnahme in C. bis zum 27.09.2017. Im Abschlussbericht hierzu wurde festgehalten, dass der Kläger noch über belastungsabhängige Schmerzen in der linken Schulter klage, er jedoch für seine zuvor ausgeübte Tätigkeit nahezu ausbelastet habe werden können. Es wurde Arbeitsfähigkeit attestiert.
Als der Kläger am 28.09.2017 bei seinem Arbeitgeber zur Wiederaufnahme der Arbeit erschien, erhielt er die Kündigung zum 31.10.2017. Der Kläger meldete sich daraufhin arbeitslos. Verletztengeld wurde bis zum 27.09.2017 gezahlt. Der Kläger nahm am 01.05.2018 eine Tätigkeit als Landmaschinenmechaniker bei der V. GmbH & Co. KG auf, die die Beklagte mit einem Eingliederungszuschuss förderte. Dieses Arbeitsverhältnis endete zum 30.09.2019 aufgrund eines Aufhebungsvertrages.
Zur Prüfung eventueller Rentenansprüche des Klägers holte die Beklagte ein Gutachten des Chirurgen E. vom 09.03.2018 ein. Als Unfallfolgen beschrieb E. darin im Wesentlichen eine arthroskopisch refixierte knöcherne Bankart-Läsion der linken Schulter mit einer Bewegungseinschränkung für die Außenrotation auf 40°, Schmerzen im Bereich der linken Schulter bei Bewegungen über 90° Elevation bzw. Abduktion bei insgesamt komplettem Bewegungsumfang in diesen Ebenen, eine Sensibilitätsstörung im Bereich des linken Oberarms sowie eine im Röntgenbefund beschriebene Konturunregelmäßigkeit am vorderen unteren Pfannenrand. Er führte aus, nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % für drei Monate anzunehmen. Darüber hinaus werde die MdE auf kleiner als 10 % eingeschätzt.
Mit Bescheid vom 08.01.2019 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin für die Zeit vom 28.09.2017 bis 31.12.2017 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 % und lehnte die Rentengewährung über Dezember 2017 hinaus ab.
Der Kläger legte am 29.01.2019 Widerspruch ein und machte geltend, ihm sei eine höhere Rente über einen längeren Zeitraum zu zahlen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2019 unter Bezugnahme auf das Gutachten von E. als unbegründet zurück.
Der Kläger erhob am 04.06.2019 Klage beim Sozialgericht Köln. Er hat die Auffassung vertreten, die von der Beklagten festgestellte MdE von lediglich 20 % sei zu niedrig. Ihm stehe darüber hinaus auch über Dezember 2017 eine Verletztenrente zu. Er habe noch erhebliche Einschränkungen und Beschwerden im Bereich der linken Schulter. Er könne keine Schmerzmittel mehr einnehmen, da diese keine lindernde Wirkung mehr bei ihm hätten. Darüber hinaus leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung, seitdem er bei einer MRT-Untersuchung „in der Röhre vergessen worden sei“.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2019 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 09.02.2017 ab dem 28.09.2017 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung für zutreffend gehalten.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Chirurgen M.. Dieser kam in seinem Gutachten vom 11.03.2020 zu dem Ergebnis, bei dem Kläger lägen unfallbedingt eine geringgradige Einschränkung der Schulterfunktion links mit Schmerzangabe vor. Radiologisch seien gewisse Konturunregelmäßigkeiten im Sinne einer beginnenden Omarthrose festzustellen. Die MdE ab 01.01.2018 schätzte er mit unter 10 % ein.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 11.12.2020 geladen. Laut der in der Gerichtsakte sich befindenden Sitzungsniederschrift, die weder vom Kammervorsitzenden noch von der Urkundsbeamtin unterzeichnet ist, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In dem von der Geschäftsstelle den Beteiligten zugesandten Urteil vom 11.12.2020 stützt sich das Sozialgericht zur Begründung der Klagabweisung auf das Gutachten von M.. Weiterhin führt es aus, sofern der Kläger im Laufe des Gerichtsverfahrens noch eine posttraumatische Belastungsstörung geltend gemacht habe, hätten sich hierfür keine Anhaltspunkte ergeben. Eine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen habe sich nicht ergeben. Der Kammervorsitzende, der die mündliche Verhandlung am 11.12.2020 geleitet und das den Beteiligten zugestellte, als Urteil vom 11.12.2020 überschriebene Schriftstück unterzeichnet hat, ist aufgrund Pensionierung nicht mehr im richterlichen Dienst.
Der Kläger hat gegen das seinem Bevollmächtigten am 15.01.2021 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2020 am 15.02.2021 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass bei ihm unfallbedingte Gesundheitsstörungen vorliegen, die einen Rentenanspruch begründen. Im Hinblick darauf, dass die Sitzungsniederschrift des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2020 nicht unterzeichnet ist, geht der Kläger nach entsprechendem Hinweis des Senats davon aus, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht Köln mangels eines ordnungsgemäß verkündeten Urteils noch nicht abgeschlossen ist und begehrt die Zurückverweisung an das Sozialgericht Köln.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das als Urteil vom 11.12.2020 bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Köln klarstellend aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Klage an das Sozialgericht Köln zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil inhaltlich für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und klinische Neuropsychologie S. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.04.2022 als Unfallfolgen eine geringe Funktionseinschränkung der linken Schulter nach knöcherner arthroskopisch refixierter Bankart-Läsion, eine radiologisch nachweisbare Omarthrose, folgenlos ausgeheilte OSG-Distorsion links, Zustand nach verheilter Rippenkontusion und Kontusion des Ellenbogens und des Verlustes des Zahnes 24 angegeben. Weiterhin sieht er „Anhalt“ dafür, dass unfallbedingt eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vorliege. Die MdE schätzt er mit 20 vH ein.
Der Senat hat weiterhin von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von U. eingeholt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 05.03.2024 aus, dass auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet keine Unfallfolgen verblieben seien, die eine MdE rechtfertigten. Der neurologische Untersuchungsbefund sei völlig normal. Es habe nur ein sehr unterschwelliges nozizeptives Schmerzsyndrom nach der Schulterverletzung aufgezeigt werden können, die Einschätzung der MdE insoweit sei chirurgisch vorzunehmen. Es habe weder ein neuropathisches noch ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom oder eine psychogen bedingte Schmerzsymptomatik im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung festgestellt werden können. Dem Gutachten von S. könne er nicht folgen.
Der Kläger hat das Gutachten von U. für fehlerhaft und unbrauchbar sowie U. für befangen gehalten. Der Befangenheitsantrag wurde mit Beschluss vom 11.02.2025 abgelehnt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, die dieser zuletzt nur noch mit dem Begehren auf klarstellende Aufhebung des als Urteil vom 11.12.2020 bezeichneten Schriftstücks des Sozialgerichts Köln und Zurückverweisung des Verfahrens an das Sozialgericht Köln führt, ist zulässig und begründet.
Das Verfahren vor dem Sozialgericht Köln, in dem der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente anlässlich seines Arbeitsunfalls vom 09.02.2017 geltend macht, ist mangels einer Verkündung oder einer anderen gerichtlichen Verlautbarung eines Urteils noch nicht abgeschlossen. Bei dem von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Köln den Beteiligten zugestellten, als „Urteil“ vom 11.12.2020 bezeichneten Schriftstück handelt es sich nur um einen Urteilsentwurf bzw. ein Scheinurteil, da es an einer ordnungsgemäßen Verkündung oder anderweitigen Verlautbarung fehlt. Eine Berufung zur Beseitigung des äußeren Anscheins, dass es sich bei dem „Urteil“ vom 11.12.2020 um eine das erstinstanzliche Verfahren abschließende wirksame Entscheidung handelt, ist zulässig. Entsprechend § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichts-gesetz (SGG) ist das Scheinurteil vom 11.12.2020 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Köln zur erneuten Verhandlung und Erlass einer Entscheidung zurückzuverweisen.
1. Das mit Klage vom 04.06.2019 eingeleitete Verfahren vor dem Sozialgericht Köln (S 18 U 220/19), in dem der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente anlässlich seines Arbeitsunfalls vom 09.02.2017 begehrt, ist noch nicht beendet. Es fehlt bislang an einer wirksamen, die erste Instanz abschließenden Entscheidung, da eine ordnungsgemäße Verkündung des „Urteils“ vom 11.12.2020 mangels unterzeichneter Sitzungsniederschrift nicht nachweisbar und auch eine anderweitige gerichtliche Verlautbarung nicht erfolgt ist.
a) Die ordnungsgemäße Verkündung eines Urteils nach § 132 SGG ist nur dann erfolgt, wenn diese in einer Sitzungsniederschrift, der die Beweiskraft nach § 165 Zivilprozessordnung (ZPO) zukommt, festgestellt wird.
aa) Gemäß § 132 Abs. 1 S. 1 und 2 SGG ergeht das Urteil im Namen des Volkes und wird grundsätzlich in dem Termin verkündet, in dem die mündliche Verhandlung abgeschlossen wird. Das Urteil wird gemäß § 132 Abs. 2 SGG durch Verlesung der vollständigen Urteilsformel einschließlich Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung verkündet, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel (§ 202 SGG i.V.m. § 311 Abs. 2 S. 2 ZPO); sie hat immer in öffentlicher Sitzung zu ergehen (§ 202 SGG i.V.m. § 173 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)). Ein Urteil wird erst durch diese förmliche Verlautbarung in Form der Verkündung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Solange die Entscheidung noch nicht verkündet wurde, liegt rechtlich nur ein – allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender – Entscheidungsentwurf vor (BGH, Beschluss vom 08.02.2012 - XII ZB 165/11 -, juris Rn. 11).
bb) Die Verkündung einer Entscheidung ist nach § 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO im Protokoll festzustellen. Die Feststellung der Verkündung ist eine nach § 165 ZPO wesentliche Förmlichkeit, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2012 - XII ZB 165/11 -, juris Rn. 12). Findet sich im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung des Urteils, steht infolge der Beweiskraft des Protokolls gemäß §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen das aus § 132 SGG, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis der Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest (vgl. BAG, Urteil vom 14.10.2020 - 5 AZR 712/19 -, juris Rn. 11; zur Beweiskraft bezüglich der Nichtbeachtung einer wesentlichen Förmlichkeit: BGH, Beschluss vom 23.05.2012 - IV ZR 224/10 -, juris Rn. 5). Da der Beweis der Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten nur durch das Sitzungsprotokoll erbracht werden kann, beweist der nach § 134 Abs. 3 SGG auf der Urschrift des Urteils anzubringende Verkündungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eine Verkündung nicht (vgl. zu § 315 Abs. 3 ZPO: BGH, Beschluss vom 07.02.1990 - XII ZB 6/90 -, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 05.06.2024 - XII ZB 493/22 -, juris Rn. 16). Zweck dieses Verkündungsvermerks ist lediglich die Bescheinigung der Übereinstimmung des Urteilstenors mit der verkündeten Urteilsformel (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 07.12.1994 - 17 U 288/93 -, juris Rn. 3).
cc) Ein Sitzungsprotokoll hat nur dann Beweiskraft gemäß § 165 ZPO, wenn es wirksam ist. Mindestvoraussetzung für ein wirksames Protokoll ist bei dem hier erfolgten und auch im Übrigen in der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit üblichen Verzicht auf die Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als Protokollführer (§ 122 SGG i.V.m. §§ 159 Abs. 1, 160a ZPO), dass es gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ZPO von dem Vorsitzenden, der die mündliche Verhandlung geleitet hat, mit vollständigem Namen unterschrieben oder unter Einhaltung der Vorgaben des § 65a Abs. 7 SGG elektronisch signiert worden ist. Das Fehlen der nach § 163 ZPO erforderlichen Unterschrift des Vorsitzenden führt dazu, dass dem Sitzungsprotokoll jede Beweiskraft fehlt, es liegt nur ein bloßer Entwurf vor (vgl. BGH, Urteil vom 31.05.2007 - X ZR 172/04 -, juris Rn. 13; BGH, Beschluss vom 25.01.2017 - XII ZB 504/15 -, juris Rn. 11; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 165 ZPO, Rn. 6).
b) Vorliegend fehlt es am Nachweis einer Verkündung eines erstinstanzlichen Urteils, da eine Sitzungsniederschrift, der die Beweiskraft nach § 165 ZPO zukommt, nicht vorhanden ist (vgl. BAG, Urteil vom 23.03.2021 - 3 AZR 224/20 -, juris Rn. 22). Die in der Gerichtsakte des Sozialgerichts Köln niedergelegte Sitzungsniederschrift enthält keine Unterschrift des Kammervorsitzenden, der die mündliche Verhandlung am 11.12.2020 geleitet hat. Da der Nachweis einer Verkündung des Urteils nur durch die Sitzungsniederschrift geführt werden kann, ist auch unbeachtlich, dass viel dafürspricht, dass die Verkündung des den Beteiligten zugestellten Urteils tatsächlich stattgefunden hat und nur die Unterzeichnung des Protokolls versäumt wurde. Ohne Nachweis einer Verkündung durch das Sitzungsprotokoll ist jedoch von deren Fehlen auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 31.05. 2007 - X ZR 172/04 -, juris Rn, 13). Insoweit besteht kein Unterschied zu der Fallkonstellation, in der nur die Protokollierung der Verkündung in der Sitzungsniederschrift fehlt, im Übrigen aber ein ordnungsgemäß erstelltes Sitzungsprotokoll vorhanden ist (vgl. BAG, Urteil vom 23.03.2021 - 3 AZR 224/20 -, juris Rn. 22).
c) Die Entscheidung des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2020 wurde auch nicht durch die von der Geschäftsstelle veranlasste Zustellung an die Beteiligten wirksam. Zwar kann bei Fehlen der gesetzlich vorgeschriebenen Verkündung ein Urteil auch durch Zustellung an die Beteiligten wirksam werden (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.1956 - 3 RJ 293/55 -, juris Rn. 8), doch fehlt es vorliegend im Zusammenhang mit der erfolgten Zustellung des schriftlichen Urteils an einer vom Gericht beabsichtigten Verlautbarung.
Verkündungsmängel stehen dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht. Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2012 - XII ZB 165/11 - juris Rn. 13 mwN). Diese Mindestanforderungen wurden vorliegend nicht durch die Zustellung des als Urteil vom 11.12.2020 bezeichneten Schriftstückes an die Beteiligten erfüllt. Eine Verfügung des Kammervorsitzenden, mit der er die Übersendung des von ihm verfassten „Urteils“ an die Parteien selbst veranlasst und seinen Willen, das Urteil im Wege der Bekanntgabe einer schriftlichen Entscheidung zu erlassen, verlautbart hat, enthält die Gerichtsakte nicht (vgl. BAG, Urteil vom 23.03.2021 - 3 AZR 224/20 -, juris Rn. 27). Diese war auch aus Sicht des Kammervorsitzenden nicht erforderlich, da er offensichtlich von einer bereits erfolgten Verlautbarung durch Verkündung ausgegangen ist. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von der der Entscheidung des BSG vom 23.08.1956 (3 RJ 293/55) zugrundeliegenden Fallkonstellation. In dieser Entscheidung hat das BSG ein wirksames Urteil trotz eines Verkündungsmangels angenommen, da das Gericht unter Verkennung des Verkündungserfordernisses eine Zustellung des Urteils sozusagen anstatt der – eigentlich erforderlichen – Verkündung veranlasst hatte, so dass eine gerichtliche Verlautbarung der Entscheidung zu bejahen war. Dies kann vorliegend allerdings nicht angenommen werden. Der auf dem Urteil aufgebrachte Verkündungsvermerk zeigt, dass das Urteil vom 11.12.2020 durch Verkündung und nicht durch Zustellung verlautbart werden sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 05.06.2024 - XII ZB 493/22 -, juris Rn. 16).
d) Der fehlende Nachweis einer Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung ist vorliegend auch nicht durch nachträgliche Erstellung eines ordnungsgemäßen Sitzungsprotokolls heilbar. Die Nachholung der erforderlichen Unterschrift unter ein Sitzungsprotokoll ist grundsätzlich möglich, auch noch nach Rüge in höherer Instanz (vgl. BGH, Urteil vom 15.04.1958 - VIII ZR 72/57 -, juris, zur Rechtslage vor Einführung von § 516 ZPO; BSG, Beschluss vom 08.03.1993 - 4 RA 12/92 -, juris Rn. 10; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 122 Rn. 8). Ein ordnungsgemäßes, beweiskräftiges Protokoll kann nachträglich jedoch nur entstehen, wenn der das Protokoll verantwortende Richter durch seine Unterschrift die Richtigkeit des Inhaltes der Sitzungsniederschrift bestätigt (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2011 - XII ZR 131/09 -, juris Rn. 22). Im vorliegenden Verfahren kann die Nachholung der erforderlichen Unterschrift des Kammervorsitzenden, der die mündliche Verhandlung am 11.12.2020 geleitet und das in der Gerichtsakte enthaltene „Urteil“ unterzeichnet hat, allerdings nicht mehr erfolgen, da dieser aufgrund mittlerweile erfolgter Pensionierung an der Ausübung einer richterlichen Tätigkeit dauerhaft gehindert ist (BGH, Urteil vom 13.04.2011 - XII ZR 131/09 -, juris Rn. 22; BVerwG, Beschluss vom 01.06.1990 - 2 CB 5/90 -, juris Rn. 5). Die Erstellung und Unterzeichnung eines Sitzungsprotokolls ist unzweifelhaft wie auch die Unterzeichnung eines Urteils Teil der richterlichen Tätigkeit, wozu ein in den Ruhestand getretener Richter rechtlich nicht mehr in der Lage ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.06.1990 - 2 CB 5/90 -, juris Rn. 5 m.w.N.; zur Protokollberichtigung: LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2018 - 4 Ta 2128/18 -, juris Rn. 19).
Vorliegend kann ein beweiskräftiges Protokoll auch nicht durch Nachholung der Unterschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erstellt werden, da die Vertretungsregel des § 163 Abs. 2 ZPO nicht greift (vgl. LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2018 - 4 Ta 2128/18 -, juris Rn. 20). Zur Protokollierung in der mündlichen Verhandlung am 11.12.2020 war keine Urkundsbeamtin zugezogen, sondern diese hat lediglich nach der Aufzeichnung des Kammervorsitzenden das Sitzungsprotokoll erstellt.
Vor diesem Hintergrund kann auch dahingestellt bleiben, ob für die Nachholung einer Unterschrift für ein Sitzungsprotokoll Ausschlussfristen zu beachten sind (hierzu unter Berufung auf die im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbare Vorschrift des § 517 ZPO: BGH, Urteil vom 13.04.2011 - XII ZR 131/09 -, juris Rn. 21; kritisch zur uneingeschränkten Geltung der Fünfmonatsfrist im sozialgerichtlichen Verfahren z.B. Steinwedel, jurisPR-SozR 4/2025 Anm. 3) oder das Verstreichen eines langen Zeitraumes zwischen mündlicher Verhandlung und Erstellung des Sitzungsprotokolls der Beweiskraft eines entsprechend nachträglich erstellten Protokolls entgegensteht.
2. Das Scheinurteil des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2020 ist auf die Berufung des Klägers aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Köln zur neuen Verhandlung und zum Erlass einer das erstinstanzliche Verfahren abschließenden Entscheidung zurückzuverweisen. Es liegt zwar keine Entscheidung im Sinne von § 143 SGG vor, die mit der Berufung anfechtbar ist. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung der verschiedenen Gerichtsbarkeiten anerkannt, dass ein Scheinurteil mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann, um den dadurch erzeugten Rechtsschein zu beseitigen, und die Sache nach klarstellender Aufhebung des Scheinurteils durch das Rechtsmittelgericht an das Gericht, das das Scheinurteil verursacht und die Nachholung der fehlenden Entscheidung vorzunehmen hat, zurückzuverweisen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 03.11.1994 - LwZB 5/94 -, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 16.10.1984 - VI ZB 25/83 -, juris Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 03.12.1992 - 5 C 9/89 -, juris Rn. 3; BAG, Urteil vom 14.10.2020 - 5 AZR 712/19 -, juris Rn.15, 17; BSG, Beschluss vom 17.12.2015 - B 2 U 150/15 B -, juris Rn. 12; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 97/12 -, juris Rn. 17; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21.05.2024 - L 2 AS 137/24 -, juris Rn. 14).
Die vom Senat vorgenommene Zurückverweisung an das Sozialgericht Köln ergibt sich dabei aus einer entsprechenden Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die durch § 159 Abs. 1 SGG dem Berufungsgericht eröffneten Rückverweisungs-möglichkeiten erfassen nicht die Fallkonstellation, dass es bereits an einer wirksamen erstinstanzlichen Entscheidung fehlt. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG lässt die Zurückver-weisung in den Fällen zu, in denen das Sozialgericht aufgrund fehlerhafter Rechtsauffassung keine Entscheidung in der Sache oder über den (zutreffenden) Streitgegenstand getroffen hat, setzt aber eine wirksame erstinstanzliche Entscheidung voraus. Weiterhin kann eine Zurückverweisung vorliegend auch nicht auf § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG gestützt werden. Die fehlende Verkündung des erstinstanzlichen Urteils stellt zwar einen wesentlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens dar. Dieser begründet jedoch nicht die Notwendigkeit einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme wie in § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG gefordert, sondern allein die Notwendigkeit der Nachholung der erstinstanzlichen Entscheidung. Da dieser Verfahrensfehler im Berufungsverfahren nicht geheilt werden kann, sondern nur durch den Erlass einer verfahrensbeendenden Entscheidung durch das Sozialgericht, stellt das Fehlen einer entsprechenden gesetzlich vorgesehenen Zurückverweisungsmöglichkeit in diesen Fällen eine planwidrige Regelungslücke dar. Diese kann nur durch entsprechende Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG geschlossen werden. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG eröffnet dem Berufungsgericht die Möglichkeit, ein Verfahren an das Sozialgericht zurückzuweisen, sofern dieses rechtsfehlerhaft nicht in der Sache entschieden hat, also statt einem Sachurteil ein Prozessurteil erlassen oder unter Verkennung des Klagebegehrens keine Sachentscheidung über den Streitgegenstand getroffen hat (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 159 Rn 2a). Eine Zurückverweisung in diesen Fällen soll vermeiden, dass dem Kläger ein Instanzenzug verloren geht, da andernfalls das Berufungsgericht erstmals über das Klagebegehren in der Sache entscheiden würde. Wenn jedoch § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Möglichkeit der Zurückverweisung bereits eröffnet, wenn das Sozialgericht zwar eine wirksame Entscheidung getroffen, jedoch zu Unrecht nicht in der Sache entschieden hat, so muss eine Zurückverweisung erst Recht dann zulässig sein, wenn es an einer wirksamen Entscheidung des Sozialgerichts selbst fehlt, zumal diese nicht durch das Berufungsgericht ersetzt werden kann (vgl. entsprechend zu § 130 Abs. 2 VwGO: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.01.2024 – 12 S 1787/23 –, juris Rn. 16). Aus diesen Gründen ist auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei Berücksichtigung dieser Fallkonstellation eine entsprechende Zurückverweisungs-möglichkeit vorgesehen hätte.
Das Sozialgericht hat im Rahmen der zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des zweiten Rechtszuges zu entscheiden.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen in Anbetracht der umfangreichen und eindeutigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vor.