1. Der Bescheid des Beklagten vom 07.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2020 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige, mit der der Beklagte einen seiner Ansicht nach bestehenden Schenkungsrückforderungsanspruch des Beigeladenen gegen den Kläger auf sich übergeleitet hat.
Der 1961 geborene Beigeladene ist der Vater des Klägers. Er ist seit 2014 geschieden und lebte zuletzt – vor einem im Februar 2019 erlittenen schweren Schlaganfall – mit seinem Sohn (dem Kläger) und seiner im April 1939 geborenen Mutter, der ein Wohnrecht eingeräumt worden war, in seinem Haus A-Straße in A-Stadt. Der Vater war früher als Metzger selbstständig gewesen. Seit einem Schlaganfall 2015 war er nicht mehr arbeitsfähig. Nach dem erneuten Schlaganfall am 24. Februar 2019 wurde nach Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalt zum 23. Mai 2019 die Aufnahme des Vaters im Bereich Schwerstpflege des Pflegezentrum M. mitgeteilt.
Am 02. Mai 2019 hat der Kläger unter Vorlage einer Generalvollmacht seines Vaters vom 11. Dezember 2018 bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten für dessen Betreuung und Pflege in einer vollstationären Einrichtung beantragt. Dieser verfüge über keinerlei Einkommen und Vermögen. Der Kläger leiste seit Jahren sämtliche Zahlungen, um das Haus zu halten, und habe durch eigene Zahlungen im Dezember 2018 dessen Zwangsversteigerung abgewendet. Zum Vermögen wurde angegeben, in den letzten zehn Jahren seien im Februar 2014 Ländereien im Wert von 70.000 € übertragen und im April 2019 ein Haus im Wert von 240.000 € verkauft worden. Nach dem so bezeichneten „Übertragungsvertrag“ vom 11. Februar 2014 sollten verschiedene Grundstücke im Wege vorweggenommener Erbfolge nebst allen Rechten, Pflichten, Bestandteilen und Zubehör auf den Kläger übertragen werden. Die Grundstücke waren (neben einem Altenteil für die Großeltern) in Abteilung III mit Grundschulden in unterschiedlicher Höhe belastet. Nachdem die Gläubiger einer Mithaftentlassung aller Grundstücke bis auf ein mit 65.000 € belastetes nicht zugestimmt hatten, wurde mit ergänzendem Vertrag vom 16. April 2014 die Übernahme sämtlicher Belastungen vereinbart. Den als Kaufvertrag bezeichneten Vertrag vom 23. April 2019 über das Hausgrundstück hat der Kläger im Wege des Insichgeschäfts mit sich selbst als Vertreter seines Vaters abgeschlossen, was in der notariellen Generalvollmacht vom 11. Dezember 2018 ausdrücklich gestattet wurde. Vereinbart wurde hier ein Kaufpreis von 240.000 €, der nach Festlegung des Amtsgerichts Fritzlar in dem Zwangsversteigerungsverfahren im Oktober 2018 dem Verkehrswert entsprach. Zu dessen Begleichung wurde ausgeführt, der Sohn habe Zahlungsverpflichtungen des Vaters gegenüber Dritten bzw. für seinen Lebensunterhalt und den Erhalt der Immobilie sowie Abwehr der Zwangsversteigerung in Höhe von 119.982,77 € übernommen. Diese wurden in einer Anlage detailliert aufgelistet. Der Betrag sollte auf den Kaufpreis angerechnet werden; im Gegenzug werde die diesbezügliche Darlehensschuld erlassen. Weiter übernehme der Kläger das den Großeltern eingeräumte Wohnungsrecht, das nach Vorversterben des Großvaters im Wert von 25.638,19 € für die Großmutter vermerkt und der Kaufpreis entsprechend reduziert wurde. Zudem räume der Kläger dem Vater ein Wohnungsrecht ein, dessen Wert mit 44.783,05 € angegeben und der Kaufpreis entsprechend reduziert wurde. Der verbleibende Restkaufpreis von knapp 49.596,00 € werde unverzinst gestundet und sei in monatlichen Raten von 750,00 € zu zahlen. Außerdem verpflichtete sich der Kläger zur Pflege seines Vaters, sofern dieser sich auf dem Grundstück aufhalte, wofür dann 350,00 € monatlich von der Rate in Abzug zu bringen seien.
Mit Schreiben vom 13. August 2019 an den Kläger teilte der Beklagte ihm den Wortlaut des beabsichtigten Bescheids zur Überleitung des Schenkungsrückforderungsanspruches mit. Es werde Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung relevanten Tatsachen zu äußern.
Nach Vertretungsanzeige durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers nahm dieser zu der Anhörung dahingehend Stellung, dass es sich bei dem Vertrag über das Hausgrundstück anders als bei dem Übergabevertrag 2014 nicht um eine Schenkung gehandelt habe. Einem Rückforderungsanspruch sei daher nur der Übergabevertrag zugänglich; insoweit werde um Mitteilung des erforderlichen Betrages zur Abwendung der Herausgabe gebeten.
Am 07. Februar 2020 erließ der Beklagte den angekündigten Bescheid mit der Überleitungsanzeige bezüglich Schenkungsrückforderungsansprüchen hinsichtlich des Übergabevertrags aus 2014 und des Grundstückskaufvertrags aus 2019 wegen der von ihm seit 23. Mai 2019 geleisteten Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe sowie des sichergestellten notwendigen Lebensunterhalts in der Einrichtung und ergänzend gezahlter Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Da der Vater Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsse und nicht in der Lage sei, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, lägen die Voraussetzungen des Schenkungsrückforderungsanspruchs vor. Der Beklagte mache von der gesetzlich eingeräumten Überleitungsbefugnis hinsichtlich dieses Anspruchs Gebrauch. Die Überleitung sei gerechtfertigt, weil auf andere Weise die Kosten der Betreuung des Leistungsberechtigten ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe nicht gedeckt werden könnten. Der Rückforderungsanspruch gehöre zum verwertbaren Vermögen. Gründe für eine Unzumutbarkeit der Verwertung wegen einer Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII seien nicht ersichtlich. Der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe verlange deshalb, dass der Träger der Sozialhilfe von der Möglichkeit der Überleitung des Rückforderungsanspruchs wegen Verarmung des Schenkers Gebrauch mache. Auch sonstige sozialhilferechtliche Gesichtspunkte, die ein Absehen von der Überleitung gebieten würden, lägen nicht vor. Es werde darauf hingewiesen, dass in einem Widerspruchsverfahren nur die Rechtmäßigkeit der Überleitung geprüft werde, nicht hingegen, ob der übergeleitete Anspruch dem Grunde nach bestehe, soweit dies nicht offensichtlich sei.
Einen weiteren Bescheid gleichen Datums mit Mitteilung der Überleitungsanzeige an den Vater versandte der Beklagte an die Mutter des Klägers als „Betreuerin“ des Vaters (obgleich zum damaligen Zeitpunkt keine rechtliche Betreuung bestand).
Mit Bescheid vom 10. Februar 2020 hat der Beklagte dem Vater sodann Sozialhilfe in Form der Übernahme der Betreuungskosten in dem Pflegeheim einschließlich Leistungen der Grundsicherung nebst Barbetrag und Bekleidungspauschale bewilligt.
Am 25. Februar 2020 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch gegen den Überleitungsanzeige-Bescheid und trug erneut vor, die Überleitung sei nicht gerechtfertigt, weil das Haus nicht schenkweise übertragen, sondern verkauft worden sei und insoweit auch keine teilweise Schenkung vorliege. Außerdem habe der Kläger nach dem Kauf weitere Verbindlichkeiten des Vaters getilgt und zahle die vereinbarte Rate von 750,00 € auf den Restkaufpreis.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2020 zurück. Eine Überleitung werde nur dann nicht vorgenommen, wenn offensichtlich sei, dass kein Rückforderungsanspruch bestehe, so genannte Negativevidenz. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Insoweit ging er im Einzelnen auf die Einwendungen des Klägers gegen das Vorliegen einer Schenkung ein.
Dagegen richtet sich die am 20. Juli 2020 (entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid) bei dem Sozialgericht Kassel erhobenen Klage, die mit Beschluss vom 18. August 2020 an das örtlich zuständige Sozialgericht Marburg verwiesen wurde.
Zur Begründung trägt der Kläger erneut inhaltliche Einwendungen gegen die Annahme einer Schenkung bezüglich des Hausgrundstücks vor. Er verweist auf die weitere laufende Zahlung des Kaufpreises in den vereinbarten Raten sowie auf weitere nach dem Kaufvertrag übernommene Verpflichtungen des Vaters. Auch der Übergabevertrag 2014 sei nicht unentgeltlich gewesen, da der Kläger die damals noch voll valutierte Grundschuld i. H. v. 65.000 € und weitere Belastungen übernommen habe. Das Nichtbestehen eines Schenkungsrückforderungsanspruchs sei daher offensichtlich.
Mit Beschluss vom 24. März 2022 hat das Gericht den Vater des Klägers als Schenker zu dem Rechtsstreit beigeladen.
Nach Hinweis des Gerichts auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 23. Februar 2023, Az. B 8 SO 9/21 R, wonach für die erforderliche Ermessensentscheidung hinsichtlich der Überleitung sämtliche relevante Tatsachen zu ermitteln und insoweit auch der Schenker zu befragen sei, um die familiären Belange hinreichend berücksichtigen zu können, stellt der Kläger eine ordnungsgemäße Anhörung in Abrede. Dafür hätte der Betreuer des Vaters angehört werden müssen. Eine Anhörung über den Kläger wäre allein wegen ein der bestehenden Interessenkollision nicht zulässig gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 07.02.2020 in der Fassung des Wider-spruchsbescheides vom 18.06.2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden und insbesondere auf die bei einer Überleitungsanzeige nur zu prüfende Negativevidenz. Mit ausführlicher Begründung hält er daran fest, dass bezüglich des Übertragungsvertrages 2014 eine Schenkung und bezüglich des Hausgrundstücks zumindest eine gemischte Schenkung vorliege, was letztlich im zivilrechtlichen Klageverfahren zu klären sei; jedenfalls bestehe keine Negativevidenz hinsichtlich der übergeleiteten Forderung.
Die Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheides hält er für ausreichend. Es sei nicht Aufgabe der Behörde, den Betroffenen entgegensprechende Gründe geradezu in den Mund zu legen. Eine gesonderte Anhörung oder Befragung des Vaters sei nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger diesen im Rahmen der notariell erteilten Generalvollmacht vertrete und daher ausreichend Gelegenheit bestanden habe, sämtliche relevanten Belange vorzutragen. Zudem sei der Vater aufgrund seiner eingetretenen Behinderung zur eigener Stellungnahme gar nicht mehr in der Lage gewesen. Außerdem sei der Bescheid auch der Betreuerin des Vaters zugestellt worden, die jedenfalls daraufhin entsprechend hätte vortragen können; ein eventueller Anhörungsmangel sei daher jedenfalls geheilt.
Auch das Ermessen sei im Bescheid vom 07. Februar 2020 ordnungsgemäß ausgeübt worden. Sonstige Umstände, insbesondere familiäre Belange des Klägers oder des Schenkers seien nicht vorgetragen worden und hätten daher nicht in die Ermessensausübung einbezogen werden können. Der Nachrang der Sozialhilfe sei jedenfalls ein zulässig zu berücksichtigender Belang im Rahmen der Ermessensentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als (isolierte) Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige bewirken, dass ein Anspruch, den eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die ihr Leistungen erbracht werden, gegen einen anderen hat, der nicht Leistungsträger i. S. d. § 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ist, bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht.
Dem Grunde nach kommt hier insoweit ein Schenkungsrückforderungsanspruch des beigeladenen Vaters des Klägers gegen diesen wegen Verarmung gemäß § 528 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Betracht. Für die Wirksamkeit der Überleitung genügt bereits, dass ein überleitungsfähiger Anspruch nicht von vornherein objektiv ausgeschlossen ist; zu prüfen ist nur die so genannte Negativevidenz (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 23. Februar 2023, Az. B 8 SO 9/21 R, Rn. 19; Beschluss vom 25. April 2013, Az. B 8 SO 104/12 B, Rn. 9; alle Entscheidungen zitiert nach juris). Diese liegt hier nicht vor.
Im Hinblick auf den Grundstücksübertragungsvertrag 2014 ist dabei zu berücksichtigen, dass nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung die Übernahme dinglicher Belastungen bei der Schenkung eines Grundstücks in der Regel keine Gegenleistung des Beschenkten darstellt und insoweit nicht die Schenkung als solche ausschließt (vgl. Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 07. April 1989, Az. V ZR 252/87). Sie mindert allerdings den Wert des Geschenkes (BGH ebenda). Ob dies vorliegend bei mitgeteilten Belastungen in Höhe von 65.000 € und einem in dem Notarvertrag angegebenen Grundstückswert von 70.000 € zu einem verbleibenden Wert der Schenkung von 5.000 € führt oder ob mit der Lastenübernahme der Schenkungswert als vollständig ausgeglichen angesehen werden sollte, weil wie im Falle einer fraglichen Teilschenkung auf die subjektive Vorstellung der Vertragsparteien abzustellen wäre und dabei danach zu unterscheiden ist, ob diese sich über einen überschießenden Leistungsanteil und die unentgeltliche Zuwendung der Differenz einig waren oder es sich lediglich um einen gewollt günstigen Preis handelte, und dabei auch schützenswerte Interessen Dritter zu berücksichtigen sind (vgl. BGB, Urteil vom 01. Februar 1995, Az. IV ZR 36/94, Rn. 14), ist eine auf dem Zivilrechtsweg zu klärende Frage. Ebenso ist der tatsächlich noch valutierte Umfang der Belastungen bislang nicht gewiesen, was Gegenstand eines Zivilverfahrens sein müsste. Das Fehlen eines überschießenden Wertes der übertragenen Grundstücke ist jedenfalls nicht evident.
Bezüglich des Hausgrundstücks stellt sich zum Einen die Frage, ob (auch) bei einem Insichgeschäft eine privatschriftliche Forderungsaufstellung genügt, um die Grundlage für eine Aufrechnung gegen einen Teil des Kaufpreises zu schaffen. Weiterhin erscheint die Bewertung des Wohnrechts des Vaters problematisch, bei dem angesichts der durch den Rehabilitationsentlassungsbericht vom 20. Mai 2019 dokumentierten gesundheitlichen Einschränkungen allenfalls eine vage Aussicht bestanden haben dürfte, dass er jemals wieder in das Familienhaus einziehen könnte. Der Kostenübernahmeantrag vom 02. Mai 2019 geht zumindest von einer dauerhaften stationären Aufnahme aus. Möglicherweise kommt daher im Hinblick auf den angerechneten Wert dieses Wohnrechts eine teilweise Schenkung in Betracht, was zivilrechtlich zu klären ist. Weiterhin ist unklar und nicht im sozialgerichtlichen Verfahren zu klären, ob der Verzicht auf Zinsen auf den Restkaufpreis als rückforderbare Teilschenkung einzustufen sein könnten. Auch insoweit ist daher der Ausschluss eines Schenkungsrückforderungsanspruchs jedenfalls nicht evident. Mehr ist im sozialgerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige zu den übergeleiteten Forderungen nicht zu prüfen.
Die Überleitungsanzeige ist zur Überzeugung der Kammer jedoch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß angehört und bei seiner Entscheidung das ihm zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt hat. Das Gericht darf insoweit nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen (allgemeine Ansicht, vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auf¬lage 2023, § 54 Rn. 28; Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, § 54 SGG <Stand: 15.06.2022>, Rn. 58). Es hat jedoch zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten sind und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Die Behörde ist in ihrem Ermessen nicht „frei“, sondern hat dieses – nicht nur im Rahmen der Leistungsverwaltung, § 39 Abs. 1 SGB I – pflichtgemäß auszuüben (vgl. Keller a. a. O. Rn. 26).
Nach § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Welche Tatsachen erheblich in diesem Sinne sind, hängt maßgeblich von Art und Inhalt der beabsichtigten Entscheidung ab, wobei von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Behörde auszugehen ist (vgl. Apel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Auflage, § 24 <Stand: 15.11.2023>, Rn. 28).
Soweit der Beklagte in dem Zusammenhang allerdings meint, es sei nicht seine Aufgabe, Betroffenen „Worte in den Mund zu legen“, stimmt dies allenfalls bedingt, nämlich insoweit, dass selbstverständlich keine nur unterstellten oder behaupteten Umstände zu berücksichtigen sind. Anders als im kontradiktorischen Zivilverfahren darf die rechtsstaatliche Sozialleistungsbehörde jedoch nicht darauf hoffen, dass von ihren Maßnahmen Betroffenen die Relevanz einzelner für sie sprechender Umstände nicht bewusst wird und sie sie deshalb nicht von sich aus vortragen. Es gibt im Sozialleistungsverfahren und auch im Sozialgerichtsverfahren keine „gegnerische Partei“; weiterhin gilt nicht der Beibringungsgrundsatz, sondern der Untersuchungsgrundsatz. Danach ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, ausdrücklich auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen, § 20 Abs. 2 SGB X. Um diese zu ermitteln, muss sie dem Betroffenen aber auch deutlich machen, welche Umstände überhaupt relevant sein könnten. Dem entspricht das als „Anhörung“ bezeichnete Schreiben des Beklagten vom 13. August 2019, in dem lediglich der Wortlaut des beabsichtigten Bescheides wiedergegeben war, nicht ansatzweise. Betroffene, die nicht selbst wissen, dass es überhaupt auf auszuübendes Ermessen ankommt und dass insbesondere für die Ermessensentscheidung Umstände auch außerhalb des Bestehens des Schenkungsrückforderungsanspruches als solchem relevant sind, können dies daraus in keiner Weise ableiten. Die Behörde muss aber im Rahmen der Anhörung nicht nur über die rechtserheblichen Tatsachen, sondern auch über die Entscheidungserheblichkeit der Tatsachen und den Umstand, dass überhaupt eine Ermessensentscheidung zu treffen ist, aufklären (vgl. Vogelgesang in: Hauck/Noftz SGB X, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 24, Rn. 14; Apel a. a. O. Rn. 29; Mutschler in: BeckOGK <Kasseler Kommentar>, 01.06.2019, SGB X § 24Rn. 11a; vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 26. Juni 1980, Az. 5 RJ 86/79, Rn. 29: „Nur der kann von seinem Recht darauf, von der Verwaltung vor einer Entscheidung gehört zu werden, den vollen und sinnentsprechenden Gebrauch machen, der weiß, worauf es ankommt und der sich dementsprechend bemühen kann, die für ihn sprechenden Umstände vorzutragen.“).
Aus dem Schreiben geht aber schon nicht eindeutig hervor, dass die Behörde überhaupt erkannt hat, dass Ermessen auszuüben ist. Der Textbaustein, der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe „verlangt deshalb“, dass der Träger der Sozialhilfe von der Möglichkeit der Überleitung … Gebrauch macht, lässt jedenfalls daran zweifeln, dass sich der Beklagte des Umstandes bewusst war, dass die zuvor erfolgte tatbestandliche Prüfung gerade erst die Grundlage für die sodann im zweiten Schritt zu treffende Ermessensentscheidung liefert. Der Nachranggrundsatz ist nur ein (unstreitig zulässiger, vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2023, Rn. 25) Abwägungsgesichtspunkt von mehreren und „verlangt“ für sich genommen noch nichts.
Wenn man – ausschließlich mit einschlägigem sozialrechtlichen Hintergrundwissen – aus dem nachfolgenden Satz, sonstige sozialhilferechtliche Gesichtspunkte, die ein Absehen von der Überleitung gebieten würden, lägen nicht vor, überhaupt eine rudimentäre Ermessenserwägung ableiten wollte, ist dies jedenfalls für die angehörte Privatperson – und wie aus dem vorliegenden und auch anderen Verfahren ersichtlich wird, auch für Rechtsanwält*innen nicht ohne Weiteres – nicht erkennbar. Auch ist nicht ersichtlich, ob es sich bei den angeführten „sozialhilferechtlichen“ Gesichtspunkten um Rechtsfragen handeln soll oder welche tatsächlichen Umstände hier eine Rolle spielen könnten.
Eine rechts- und sozialstaatlich orientierte Anhörung würde vielmehr zunächst ausdrücklich darauf hinweisen, dass überhaupt Ermessen auszuüben ist, und weiterhin darauf, dass Betroffene auch Gründe vorbringen können, die gegen die Rückforderung der Schenkung sprechen, selbst für dem Fall, dass tatsächlich eine solche vorlag. Wie das BSG in seinem (wenngleich bei Erlass des hiesigen Bescheides noch nicht ergangenen) Urteil vom 23. Februar 2023 dargestellt hat, sind dabei gerade auch familiäre Umstände zu berücksichtigen, um dem gesetzlichen Gebot familiengerechter Leistungen aus § 16 SGB XII Folge zu leisten. Da das zwar der Behörde bekannt ist (oder spätestens nach dem Urteil des BSG bekannt sein sollte), nicht aber den angehörten Laien, müssen diese notwendig, um dem gesetzlichen Auftrag der Ermittlung auch der zu deren Gunsten sprechenden Umstände nachzukommen, darauf ausdrücklich hingewiesen werden. Damit werden ihnen keine Argumente „in den Mund gelegt“, sondern es wird der rechts- und sozialstaatliche Amtsermittlungsauftrag der Sozialleistungsbehörde aus § 20 Abs. 2 SGB X verwirklicht.
Im Übrigen liegt es im Interesse der Behörde selbst, die Anhörung so zu gestalten, dass Betroffene sämtliche relevanten Tatsachen bereits im Verwaltungsverfahren vortragen. Nur dann ist eine Entscheidung ohne Ermessensfehler möglich, der unter anderem dann vorliegt, wenn die Behörde von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. statt vieler Keller a. a. O. Rn. 27; BSG a. a. O. Rn. 23). Dabei kommt es nicht darauf an, welcher Sachverhalt der Behörde bei Erlass ihrer Entscheidung bekannt war. Vielmehr haben die Gerichte bei der Überprüfung der Behördenentscheidung unter anderem in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen, die sie ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (Keller a. a. O. Rn. 28b; BSG a. a. O.). War dies nicht der Fall, ist die Ermessensentscheidung bereits deshalb rechtswidrig, weil das Gericht keine eigenen Erwägungen an die Stelle derer der Behörde setzen darf (vgl. Keller a. a. O. Rn. 28). Es darf daher auch nicht darüber befinden, ob im Nachgang zu der Behördenentscheidung zutage getretene Umstände geeignet wären, zu deren Änderung zu führen. Der Bescheid muss dann vielmehr aufgehoben werden (vgl. Keller a. a. O. Rn. 28d), um der Behörde selbst die Möglichkeit zu geben, die allein ihr zustehende Ermessensentscheidung auf sodann vollständiger Tatsachengrundlage zu treffen (soweit dies im konkreten Fall noch fristgemäß möglich ist).
Es geht im Sozialleistungsrecht nicht darum, etwa aus Ersparnisgründen möglichst wenige Sozialleistungen auszuzahlen bzw. möglichst viele Mittel wieder „hereinzuholen“. Vielmehr ist darauf hinzuwirken, dass Betroffenen die ihnen zustehenden Sozialleistungen möglichst umfassend zugute kommen (vgl. § 17 Abs. 1 SGB I) und es sind aus rechtsstaatlichen Gründen auch nur solche Zahlungen von Dritten zu fordern, die der Behörde objektiv-rechtlich zustehen, nicht auch solche, die die Dritten aus Unwissenheit nicht abwehren können.
Bereits unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist ersichtlich, dass die Ermessensausübung durch den Beklagten nicht rechtmäßig erfolgt ist. Ohne umfassend ermittelte Tatsachen kann dies schon materiell nicht der Fall sein. Zudem ist – wie bereits zur Gestaltung der Anhörung ausgeführt – nicht erkennbar, dass der Behörde bzw. der konkret ausführenden Mitarbeiterin die Notwendigkeit einer Ermessensausübung überhaupt bewusst war, wodurch nicht „nur“ ein Ermessensfehlgebrauch, sondern ein Nichtgebrauch vorläge. Ganz offensichtlich wurde lediglich die vorhandene abstrakte Bescheidvorlage eingesetzt (was dem Grunde nach nicht zu bemängeln wäre), ohne sie jedoch gerade im Hinblick auf die erforderlichen Ermessenserwägungen auch nur ansatzweise auf den konkreten Einzelfall anzuwenden.
Insoweit könnte sich anbieten, das Wort „Ermessen“ ausdrücklich in die Textvorlage aufzunehmen, um die Mitarbeiter*innen zu sensibilisieren. Im Widerspruchsbescheid waren sodann selbst die rudimentären in dem Textbaustein enthaltenen Ansätze einer Ermessens¬entscheidung nicht mehr vorhanden. Eine grundsätzlich bis zu diesem Zeitpunkt mögliche Heilung unzureichender Ermessenshandhabung scheidet daher vorliegend aus.
Dass bei Bescheiderlass keine sonstigen Gesichtspunkte, die gegen die Überleitung sprechen könnten, vorgelegen hätten, war weiterhin selbst ungeachtet der unzureichenden Tatsachenermittlung im Rahmen der Anhörung falsch. Aus der schon mit dem Kaufvertrag vorgelegten Aufstellung der nach seinen Angaben von dem Kläger für seinen Vater beglichenen, nunmehr aufgerechneten Forderungen geht vielmehr sehr deutlich hervor, dass der Sohn hier bereits lange vor der Übertragung des Hausgrundstücks in erheblichem Umfang Verantwortung für den Lebensunterhalt – und zudem die Schulden – seines Vaters übernommen hat. Es war der Akte bereits zu entnehmen, dass dieser schon seit mehreren Jahren über keinerlei Einkommen mehr verfügt hatte. Dennoch wurde keine Sozialhilfe beantragt, sondern die Unterstützung ist innerfamiliär durch den Sohn erfolgt. Gerade wenn der Beklagte die Ansicht vertritt, dass vergangene Zahlungen keine Gegenleistung für die Grundstücksübertragung darstellen und insoweit das Vorliegen einer Schenkung nicht ausschließen könnten, hätte umso mehr Veranlassung bestanden, diesen Umstand im Rahmen der Ermessenserwägungen zu dem Ob und dem Umfang der Überleitung ausdrücklich zu berücksichtigen.
Zusätzlich geht aus dem Grundstückskaufvertrag hervor, dass auch die Großmutter des Klägers ein Wohnrecht in dem Haus hatte, das bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages und Verwertung des Grundstücks zur Sicherung des Bedarfs des hilfebedürftigen Vaters zumindest beeinträchtigt wäre. Möglicherweise wäre aber auch eine Verwertung wegen des Bestehens des Wohnrechts wenig wahrscheinlich gewesen, wodurch die Sinnhaftigkeit der Rückforderung von dem Kläger infrage gestellt würde. Weiter ist bislang völlig offen, ob und ggf. in welchem Umfang die immerhin bereits betagte Großmutter auch der Unterstützung, möglicherweise sogar Pflege im Alltag bedarf, die angesichts des Zusammenlebens unter einem Dach von dem Kläger (mit-) erbracht werden könnte. Es erscheint nicht fernliegend, dass auch insoweit die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch innerfamiliäre Selbsthilfe vermieden oder zumindest hinausgezögert werden kann.
Bereits daraus ist abzuleiten, dass der Erhalt des Wohnhauses im Familienverbund dem innerfamiliären Zusammenhalt, der innerfamiliären Unterstützung und damit letztlich auch der Entlastung des Sozialhilfeträgers dient. Das müsste bei durchzuführenden Ermessenserwägungen jedenfalls Berücksichtigung finden, ohne dass die allein der Behörde zustehende Ermessensentscheidung in ihrem Ergebnis vorweggenommen werden könnte. Hier wären gerade Einzelheiten zu ermitteln gewesen, um festzustellen, in welchem Umfang – selbst bei unterstellter teilweiser Schenkung – eine Rückforderung angemessen erscheint, ohne das innerfamiliäre Unterstützungssystem infrage zu stellen, und auf der anderen Seite mögliche zustehende Ersatzansprüche des Sozialleistungsträgers gegen Dritte zu realisieren.
Darauf, ob der Vater als Gläubiger der überzuleitenden Forderung hier (anders als nach der Entscheidung des BSG vom 23. Februar 2023 a. a. O.) ausnahmsweise nicht zusätzlich zu befragen war, weil er sich wegen der eingetretenen erheblichen Behinderung ohnehin nicht selbst äußern konnte und während des Verwaltungsverfahrens noch von dem Kläger vertreten wurde, bevor später eine rechtliche Betreuung eingerichtet wurde, kommt es nach alledem nicht mehr an. Die maßgeblich in die Ermessensentscheidung einzubeziehenden familiären Umstände wurden nirgendwo ermittelt, weder bei dem Kläger noch bei dem potentiell rückforderungsberechtigten Vater. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die wirksame Anhörung bzw. (in der hiesigen Konstellation) Befragung von Vertretenen durch Anschreiben an den Vertreter / die Vertreterin in aller Regel voraussetzen wird, dass deutlich gemacht wird, dass die Befragung gerade für die / den Vertretenen erfolgt, also Umstände vorgetragen werden können / sollen, die aus deren Sicht relevant sein können. Das ist umso mehr dann der Fall, wenn Vertretende von der Angelegenheit auch selbst unmittelbar betroffen sind, so dass nahe liegt, den Fokus bei einem an sie selbst adressierten Schreiben auf die eigene Interessenlage zu richten.
Nach alledem kann vorliegend weder von einer ausreichenden Anhörung des Klägers noch von ausreichenden Ermessenserwägungen ausgegangen werden. Der Bescheid des Beklagten ist deshalb rechtswidrig und daher aufzuheben. Der Klage ist stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens.