Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9.2.2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und insbesondere darum, ob Vermögen der Klägerin nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II in der vom 1.4.2011 bis zum 31.12.2021 gültigen Fassung (a.F.) nicht zu berücksichtigen ist.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall am 00.00.1991 erheblich verletzt. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr („Merkzeichen G“) festgestellt. In einer „Vergleichs- und Abfindungserklärung“ vom 00.00.1996, die die Eltern der Klägerin als gesetzliche Vertreter für diese mit der Versicherung des Unfallgegners, dem C., schlossen, erklärten sich die Eltern der Klägerin mit der Zahlung von 160.000 DM „mit allen Ansprüchen für jetzt und die Zukunft vorbehaltlos, also auch wegen unerwarteter und unvorhersehbarer Folgen endgültig abgefunden“. Nach Angaben der Klägerin wurden zudem weitere 50.000 DM von der damaligen S. (jetzt: T.) gezahlt.
Die Klägerin absolvierte das Abitur und eine kaufmännische Ausbildung zur A. für die Sprachen B. und D.. Bis auf eine vorübergehende geringfügige Beschäftigung war sie bislang nicht beruflich tätig.
Am 9.5.2016 beantragte die Klägerin erstmals Leistungen nach dem SGB II. Dabei gab sie an, über Vermögen in Form von Geldanlagen in Höhe von 215.860,29 € zu verfügen. Sie habe seinerzeit 210.000 DM als Schmerzensgeld erhalten. Dieses Vermögen sei durch Anlage auf den derzeitigen Stand angewachsen. Sowohl der aus dem Schmerzensgeld in Höhe von 210.000 DM bestehende Grundstock, als auch die damit erwirtschafteten Zinsen seien nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II a.F. nicht zu berücksichtigen. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15.4.2008 (B 14/7b AS 6/07 R). Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17.11.2016 für den Zeitraum Mai bis Oktober 2016 ab. Es sei nicht erwiesen, dass es sich bei dem vorhandenen Vermögen (ausschließlich) um Schmerzensgeld handele. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus der Abfindungsvereinbarung von 1996. Das derzeitige Vermögen sei im Übrigen ca. doppelt so hoch wie die behaupteten Zahlungen wegen des Unfalls. Der Beklagte wies einen Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21.2.2017 zurück.
In einem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund (S 33 AS 1312/17) machte die Klägerin weiterhin geltend, auch die mit dem Schmerzensgeld erwirtschafteten Zinseinkünfte seien nicht zu berücksichtigen. Nach Anhörung der Klägerin in einem Erörterungstermin am 15.11.2018 wies das SG die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 24.7.2020 ab. Die Klägerin verfüge über Vermögen in einer Höhe, das Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II ausschließe. Es sei unklar, in welcher Höhe die Klägerin seinerzeit Schmerzensgeld erhalten habe. Es sei weiter unklar, ob und in welcher Höhe das Vermögen zum Zeitpunkt der Antragstellung aus Schmerzensgeld bestanden habe. Die aus einem ggf. geschützten Vermögen erwirtschafteten Zinsen seien jedenfalls nach dem Urteil des BSG vom 22.8.2012 (B 14 AS 103/11 R) nicht geschützt.
In einem sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (L 19 AS 1238/20) trug die Klägerin vor, allenfalls die während des streitigen Zeitraums erwirtschafteten Zinsen seien anzurechnen. Dass der damalige Abfindungsbetrag allein als Schmerzensgeld gedacht gewesen sei, zeige der Umstand, dass ein glatter Betrag vereinbart worden sei. Aus Schriftverkehr der in den 1990er Jahren von den Eltern der Klägerin wegen des Verkehrsunfalls mandatierten K. ergebe sich, dass lediglich Schmerzensgeld geltend gemacht worden sei. Der Beklagte entgegnete, dass die vor dem streitigen Bewilligungszeitraum erwirtschafteten Zinsen als Vermögen zu berücksichtigen seien. In einer vom seinerzeit zuständigen Senat eingeholten Auskunft vom 30.3.2022 teilte der C. mit, die damalige Abfindungszahlung habe „alle bereits entstandenen und zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche“ aus dem Verkehrsunfall erfasst. Sie habe „den Schmerzensgeldanspruch, aber auch den Anspruch auf Ersatz materieller Schäden (z.B. Verdienstausfall, vermehrte Bedürfnisse, Haushaltsführungsschaden)“ abgedeckt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim LSG am 19.5.2022 nahm die Klägerin die Berufung auf Hinweis des Senats zurück.
Ein Antrag der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB II vom 20.10.2016 wurde mit Bescheid vom 28.2.2017 abgelehnt, der dagegen eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1.8.2017 zurückgewiesen. In dessen Begründung hieß es u.a., Schmerzensgeld in Höhe von 107.371,30 € finde „insoweit als Vermögen keine Berücksichtigung.“ Klage wurde hiergegen nicht erhoben.
2019 erwarb die Klägerin eine 56 qm große Eigentumswohnung zum Preis von 47.000 € und zog dort Ende 2019 ein.
Am 5.3.2020 stellte die Klägerin den im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Leistungsantrag. Ihr Anlagevermögen, das allein aus dem damaligen Schmerzensgeld bestehe, betrage nur noch ca. 92.000 €. Außer der Eigentumswohnung und dem verbliebenen Schmerzensgeld habe sie kein weiteres Vermögen. In einer E-Mail vom 28.5.2020 gab die Klägerin die aktuelle Höhe des Anlagevermögens mit ca. 104.000 € an.
Der Beklagte lehnte den Antrag „für die Zeit vom 1.3.2020 bis 31.8.2020“ ab (Bescheid vom 3.7.2020). Es sei schon kein Nachweis erbracht, dass das noch vorhandene Anlagevermögen überhaupt aus Schmerzensgeld bestehe. Damit sei das Anlagevermögen verwertbar. Nach dem aus Anlass der COVID-19-Pandemie eingeführten § 67 Abs. 2 SGB II sei in Anlehnung an das Wohngeldrecht aktuell zwar ein Freibetrag von 60.000 € anzusetzen. Auch dieser werde deutlich überschritten. Die Klägerin legte am 8.7.2020 Widerspruch ein. Von den aus dem Schmerzensgeld erwirtschafteten Zinsen habe sie ihren Lebensunterhalt sowie ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge erwirtschaftet. Der verbliebene Rest sei das damals erhaltene Schmerzensgeld. Einen entsprechenden Betrag habe der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 1.8.2017 anerkannt. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2020 zurück.
Am 1.9.2020 stellte die Klägerin einen Weiterzahlungsantrag, der zum Ruhen gebracht wurde.
Die Klägerin hat am 18.12.2020 Klage beim SG Dortmund erhoben. Sie hat unter Vorlage zahlreicher Unterlagen zu ihrem Anlagevermögen und von Schriftverkehr im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall aus den 1990er Jahren ihren Vortrag aus dem vorherigen gerichtlichen Verfahren sowie dem Vorverfahren zum aktuellen Klageverfahren wiederholt und vertieft. Im vorherigen gerichtlichen Verfahren habe sie die Berufung lediglich wegen der Hinweise zur Verwertbarkeit der Zinsen zurückgenommen. Materielle Schäden wie Fahrtkosten seien in den 1990er Jahren von dem C. gesondert erstattet worden. Im August 2020 habe ihr Anlagevermögen ca. 91.000 € betragen. Der Wert des Anlagevermögens sei Schwankungen unterworfen. In den von ihr vorgelegten Unterlagen befänden sich zahlreiche Gutachten und medizinische Unterlagen, die allein für die Feststellung immaterieller Schäden erforderlich gewesen seien. Sie habe mit ihren Eltern Darlehensverträge über monatlich 700 € bis 1.500 € abgeschlossen, die der Überbrückung bis zur Zahlung durch den Beklagten dienten. Die Rückzahlung sei entsprechend gestundet. Die Differenz zwischen dem Gesamtvermögen im Jahr 2016 und dem 2020 verbliebenen Vermögen ergebe sich im Wesentlichen aus der Anschaffung der Eigentumswohnung und könne im Übrigen nicht genauer dargelegt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3.7.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2020 zu verurteilen, ihr ab dem 1.3.2020 bis zum 31.8.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass die 1996 geschlossene Abfindungsvereinbarung sämtliche denkbaren Ansprüchen erfassen sollte und nicht auf Schmerzensgeld beschränkt gewesen sei.
Das SG hat die Klägerin in Erörterungsterminen am 13.6.2022 sowie 14.6.2023 angehört, die Akten des Vorprozesses beigezogen, die K. schriftlich als Zeugin vernommen und Auskünfte vom C. sowie der T. eingeholt. Die K. hat mitgeteilt, sie sei von der Klägerin nie mandatiert worden. Die T. hat erklärt, sie habe keine Akten mehr über Vorgänge aus den 1990er Jahren. Der C. hat mit Schreiben vom 28.7.2023 mitgeteilt, mit dem Abfindungsvergleich von 1996 seien sämtliche Schadensersatzansprüche der Klägerin aus dem Verkehrsunfall abgefunden worden. Es seien „immaterielle und materielle Ansprüche (z.B. Verdienstausfall, Pflegekosten, vermehrte Bedürfnisse etc.)“ erfasst. Eine genauere Differenzierung erfolge üblicherweise nicht. Akten zu dem Fall lägen nicht mehr vor.
Das SG hat die Klage mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9.2.2024 abgewiesen. Es liege Hilfebedürftigkeit ausschließendes Vermögen vor. Ein Härtefall im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II a.F. sei nicht erwiesen. Es könne insbesondere nicht festgestellt werden, dass bzw. in welchem Umfang die seinerzeitige Abfindungszahlung Schmerzensgeld beinhaltet habe. Nach Abzug der in § 12 Abs. 2 SGB II a.F. vorgesehenen Freibeträge verbleibe noch ein Vermögen von über 86.000 €. Dies sei auch nicht nach § 67 Abs. 1 und 2 SGB II geschützt. Anders als der Beklagte meine, könne zwar nicht von einer Beschränkung des Freibetrags auf 60.000 € in Anlehnung an das Wohngeldrecht ausgegangen werden. Allerdings sei die Sonderregel vom Gesetzgeber in erster Linie zum Schutz von Erwerbstätigen, insbesondere Selbständigen, gedacht gewesen, die infolge der COVID-19-Pandemie ihre Betriebe hätten schließen müssen. Ein solcher Fall liege bei der Klägerin nicht vor. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 22.3.2024 zugestellte Urteil am 25.3.2024 Berufung eingelegt.
Sie trägt ergänzend vor, die vom SG eingeholte Auskunft des C. sei nicht überzeugend. Es habe tatsächlich keine materiellen Schäden gegeben. Fahrtkosten zu Behandlungen seien von der Krankenkasse eigens erstattet worden. Weitere Behandlungen wegen des Unfalls habe es nicht gegeben. Eine Berücksichtigung des Vermögens sei unbillig, da ihr durch die Unfallfolgen ein normales wirtschaftliches Fortkommen nicht möglich gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9.2.2024 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3.7.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2020 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum März bis Oktober 2020 Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ohne Anrechnung von Vermögen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf das angefochtene Urteil.
Der Senat hat die Klägerin durch den Berichterstatter in einem Erörterungstermin am 22.11.2024 angehört. Die Klägerin hat in diesem angegeben, wegen der Unfallfolgen fortlaufend in Behandlung zu sein. Die Differenz des 2016 besessenen Vermögens zu dem aktuellen Vermögen, das ca. 90.000 € betrage, ergebe sich aus dem Kauf der Eigentumswohnung, Kosten für die Bestreitung des Lebensunterhalts sowie gezahlter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Ihr entstünden aufgrund der Unfallfolgen vielfältige besondere Kosten, etwa für ärztliche Behandlungen. Die Abfindung sei auch gezahlt worden, da sie nicht in gleichem Maße wie Gesunde Einkommen habe erzielen und Vermögen habe aufbauen können.
Der Senat hat zudem eine erneute schriftliche Auskunft von der K. mit dem Hinweis an diese eingeholt, dass sie seinerzeit nicht von der Klägerin, sondern von deren Eltern mandatiert worden sei. Diese hat mitgeteilt, dass sie davon ausgehe, dass sie nur bis 1993 für die Eltern der Klägerin tätig gewesen und nicht an dem Abfindungsvergleich mit dem C. beteiligt gewesen sei. Schmerzensgeld und Invaliditätsausgleich seien während der Dauer ihrer Mandatierung offenbar noch nicht abschließend verhandelt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, die Gerichtsakte des beigezogenen Verfahrens S 33 AS 1312/17 = L 19 AS 1238/20 sowie die ebenfalls beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I. Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, da die Klägerin in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und sie zudem durch ihre Eltern und ihre Bevollmächtigte wirksam vertreten worden ist.
II. Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung gegen das am 22.3.2024 der Klägerin zugestellte Urteil ist am 25.3.2024 innerhalb der gemäß § 151 Abs. 1 SGG einmonatigen Berufungsfrist beim LSG eingelegt worden. Die Berufung ist nach §§ 143, 144 SGG auch statthaft. Der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von über 750 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG) wird überschritten. Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem SGB II für sechs Monate. Auch wenn sie erklärt hat, Zinseinkünfte im Bewilligungszeitraum seien als Einkommen anzurechnen, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dies im streitgegenständlichen Zeitraum zu einem Gesamtleistungsanspruch von nicht mehr als 750 € führen würde.
III. Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Streitgegenstand ist der Ablehnungsbescheid vom 3.7.2020 in seiner durch den Widerspruchsbescheid vom 8.12.2020 erlangten Fassung. Jedenfalls aufgrund der ausdrücklichen Begrenzung der Leistungsablehnung auf den Zeitraum März bis August 2020 im Tenor des Bescheids vom 3.7.2020 sind in der Sache Leistungen nach dem SGB II für diesen Zeitraum streitig (vgl. hierzu Aubel, in: jurisPK-SGB II, § 37 (Stand: 24.1.2023) Rn. 34).
2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG), gerichtet auf die Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 3.7.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2020 und die Verpflichtung zur Erteilung eines entsprechenden Bewilligungsbescheides statthaft und auch im Übrigen zulässig erhoben worden.
3. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da dieser rechtmäßig ist. Der Beklagte hat ihren Antrag zutreffend abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum März bis August 2020.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, wenn sie 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Die 0000 geborene Klägerin war bei Antragstellung 00 Jahre alt. Sie ist deutsche Staatsangehörige. Der Senat unterstellt ihre Erwerbsfähigkeit, zumal angesichts der Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II a.F. (vgl. hierzu Brems, in: jurisPK-SGB II, § 44a (Stand: 14.1.2025) Rn. 80 ff.). Sie war aber im streitgegenständliche Zeitraum (und ist weiterhin) nicht hilfebedürftig.
Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Einer Hilfebedürftigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum steht ihr Vermögen entgegen.
a. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II a.F. sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Dazu zählen im Fall der Klägerin zum einen die von ihr 2019 erworbene Eigentumswohnung und zum anderen das Anlagevermögen der Klägerin, das ausweislich der von ihr vorgelegten Vermögensnachweise im streitgegenständlichen Zeitraum nicht unter 91.000 € lag. Ob die Klägerin über weitere Vermögenswerte verfügte, was zumindest insofern denkbar ist, als sie 2016 noch über mehr als 200.000 € verfügte und ein zwischenzeitlicher Verbrauch von gut 50.000 € (Anlagevermögen 2016 abzüglich Anlagevermögen 2020 und Kaufpreis der Eigentumswohnung) lediglich behauptet, aber nicht glaubhaft gemacht worden ist, lässt der Senat dahinstehen.
b. Die von der Klägerin bewohnte 56 qm große Eigentumswohnung ist unstreitig nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F. als selbst genutzte Eigentumswohnung nicht als Vermögen zu berücksichtigen
c. Im Hinblick auf das Anlagevermögen, das im Wesentlichen aus Wertpapierfonds und Kontoguthaben bestand, bestehen keine Zweifel an einer rechtlich und tatsächlich möglichen, insbesondere zeitnahen Verwertbarkeit (vgl. zum Maßstab der Verwertbarkeit im Bewilligungszeitraum Formann/Brems, in: jurisPK-SGB II, § 12 (Stand: 2.4.2025) Rn. 105).
d. Das Anlagevermögen war auch nicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 2. Alt. SGB II a.F. geschützt. Nach dieser Norm sind Sachen und Rechte nicht als Vermögen zu berücksichtigen, soweit ihre Verwertung für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Dies wird insbesondere angenommen bei Vermögen aus Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (vgl. BSG, Urteil vom 12.10.2017 – B 4 AS 19/16 R, juris Rn. 30; BSG, Urteil vom 22.8.2012 – B 14 AS 103/11 R, juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 6/07 R, juris Rn. 16 ff.; vgl. auch bereits BVerwG, Urteil vom 18.5.1995 – 5 C 22/93, juris zum BSHG), wobei Zinsen aus einem solchen Vermögen nicht geschützt sind (vgl. BSG, Urteil vom 22.8.2012 – B 14 AS 103/11 R, juris Rn. 21 ff.).
Es kann aber – auch nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten – nicht festgestellt werden, dass das Vermögen der Klägerin im Jahr 2020 aus einer Schmerzensgeldzahlung stammte.
Zunächst stellt sich nach einer ungefähren Verdoppelung der in den 1990er Jahren nach Klägerangaben erhaltenen 210.000 DM bis 2016 und Verringerung um mindestens 50.000 € im Zeitraum 2016 bis 2020 schon die Frage, warum die nach dem Kauf der Eigentumswohnung verbliebenen gut 90.000 € gerade der Zahlung aus den 1990er Jahren und nicht dem Zinsgewinn zugeordnet werden sollten.
Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass, vor allem aber in welcher Höhe, in der Zahlung von 210.000 DM in den 1990er Jahren Schmerzensgeld enthalten war. Der C., der die Hauptzahlung in Höhe von 160.000 DM geleistet hat, konnte hierzu auch auf mehrfaches Befragen keine Angaben machen. Akten liegen hierzu nicht mehr vor. Gleiches gilt für die seinerzeit mandatierte K..
Dass der damalige Betrag ausschließlich als Schmerzensgeld gedacht war, ist nicht nur lebensfremd, sondern auch widerlegt, u.a. durch den eigenen Vortrag der Klägerin.
Dagegen spricht bereits die Formulierung der Abfindungsvereinbarung, die ausdrücklich für „alle Ansprüche“ aus dem Verkehrsunfall gedacht war, also nicht auf einen bestimmten Anspruch wie den auf Schmerzensgeld beschränkt war. Entsprechend hat der C. mehrfach, nämlich mit Schreiben vom 22.2.2022 und 28.7.2023, bestätigt, dass immaterielle und materielle Ansprüche abgegolten werden sollten. Anders als von der Klägerin vorgetragen sind ihr auch tatsächlich diverse Vermögensschäden entstanden, angefangen von Fahrtkosten zu Behandlungen über die eigentlichen Behandlungskosten bis hin zum Erwerbs- bzw. Invaliditätsschäden. Auch der Erwerbsschaden ist Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2015 – VI ZR 183/15, juris Rn. 10; Thüringer OLG, Urteil vom 13.4.2022 – 2 U 1250/20, juris Rn. 116; jeweils zu § 842 BGB). Im Erörterungstermin am 22.11.2024 haben die Klägerin und ihre Eltern diese Nachteile und auch deren Fortbestehen bis heute eindrucksvoll geschildert.
Dass bestimmte materielle Schäden wie Fahrt- und Anwaltskosten in den 1990er Jahren und noch vor Abschluss der Abfindungsvereinbarung gesondert vom C. abgegolten wurden, spricht nicht dagegen, sondern gerade dafür, dass auch solche materiellen Schäden mit dem Abfindungsvergleich für die Zukunft abgefunden werden sollten. Denn nach Abschluss dieses Vergleichs ist die Klägerin nach ihrer ausdrücklichen Erklärung nie mehr an die gegnerischen Versicherungen herangetreten, obwohl unfallbedingte Mehrkosten nach ihren Angaben und denen ihrer Eltern im Erörterungstermin am 22.11.2024 weiterhin entstehen.
Dass gerade der Erwerbs- bzw. Invaliditätsschaden einen relevanten Faktor bei der Bemessung der Abfindungssumme darstellte, zeigen die zahlreichen aktenkundigen medizinischen Unterlagen und Gutachten, in denen ausdrücklich der Frage nach Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nachgegangen wurde.
Auch die Vereinbarung eines „glatten“ Abfindungsvertrags spricht nicht für die ausschließliche Abgeltung von Schmerzensgeldansprüchen, sondern eher für eine umfassende Regelung.
Wenn die seinerzeit bevollmächtigte K. in ihrem Schriftsatz vom 29.8.1991 an den C., also zu einem sehr frühen Zeitpunkt der danach noch fünf Jahre währenden Auseinandersetzung mit der gegnerischen Versicherung, Schmerzensgeld ausdrücklich geltend macht, zeigt dies allein, dass Schmerzensgeldansprüche Gegenstand dieser Auseinandersetzung waren, mehr aber nicht und erst recht nicht, dass es allein um Schmerzensgeld gegangen wäre.
Abweichend von diesem Befund kann auch nicht allein aufgrund der Formulierung des Widerspruchsbescheides vom 1.8.2017 von Schmerzensgeld in Höhe von über 100.000 € ausgegangen werden. Der auf Seite 2 dieses Widerspruchsbescheides befindliche Satz „Ihr Schmerzensgeld in Höhe von 107.371,30 € findet insoweit als Vermögen keine Berücksichtigung…“ stellt nach dem für die Auslegung behördlicher Erklärungen maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (§ 133 BGB entsprechend) keine rechtlich verbindliche Erklärung im Sinne einer Zusicherung nach § 34 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) dar. Zur Überzeugung des Senats folgt aus dieser sprachlichen Fassung – auch aus der Sicht eines objektiven Empfängers – keine verbindliche Selbstverpflichtung, künftig Leistungen nach dem SGB II unter Außerachtlassung dieses Vermögenswertes zu gewähren.
Kann nach Ausschöpfen aller Erkenntnismöglichkeiten nicht festgestellt werden, dass bzw. in welcher Höhe das Anlagevermögen der Klägerin aus Schmerzensgeldzahlungen stammt, ist von verwertbarem Vermögen auszugehen, da die Klägerin speziell für den Nachweis des für sie günstigen Umstandes eines Härtefalles, aber auch grundsätzlich für den Nachweis ihrer Hilfebedürftigkeit die Beweislast trägt (vgl. zu letzterem BSG, Urteil vom 19.2.2009 – B 4 AS 10/08 R, juris Rn. 21).
e.
Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer Fallgruppen von § 12 Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. sind nicht ersichtlich, auch kein anderweitiger Härtefall. Da die Anforderungen an die Annahme eines Härtefalls besonders hoch sind (vgl. BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/b AS 6/07 R, juris Rn. 15 a.E.) und nach der Rechtsprechung des BSG wie dargestellt selbst Zinsgewinne aus Schmerzensgeld nicht geschützt sind, reicht allein das Fortbestehen von Folgen des Unfalls in der Kindheit der Klägerin, der als solcher zweifellos ein schwerer Schicksalsschlag war, nicht aus. Andernfalls würden Herleitung und Abgrenzung des Härtefalltatbestandes „Schmerzensgeld“ untergraben.
f.
Der Berücksichtigung des Anlagevermögens stand auch nicht § 67 Abs. 1 und 2 SGB II in der Fassung vom 27.3.2020 (a.F.) entgegen.
Dabei kommt es hier auf die Frage, ob diese Norm nur für Erst- oder auch für Weiterbewilligungsanträge gilt (in letzterem Sinne BSG, Urteil vom 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R, juris Rn. 24), nicht an.
Nach § 67 Abs. 1 und Absatz 2 Satz 1 SGB II a.F. wurde bei Leistungen für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 30.6.2020 begannen, was hier der Fall gewesen wäre, Vermögen für die Dauer von (zunächst) sechs Monaten nicht berücksichtigt. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2, 1. HS SGB II a.F. galt dies jedoch nicht, wenn das Vermögen erheblich war.
Der Beklagte ist in entsprechender Anwendung von Grundsätzen aus dem Wohngeldrecht davon ausgegangen, dass erhebliches Vermögen ab einem Betrag über 60.000 € vorliegt (vgl. dazu Groth, in: jurisPK-SGB II, § 67 (Stand: 11.2.2025) Rn. 22.1, der diesen Ansatz für sachgerecht hält). Die Rechtsprechung hat sich dem teilweise angeschlossen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.6.2023 – L 3 AS 3160/21, juris Rn. 38 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.2.2021 – L 7 AS 1801/20 B, juris Rn. 11), teilweise aber auch vertreten, dass im Einzelfall ein höherer Vermögensbetrag unschädlich sein könne (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.1.2021 - L 7 AS 5/21 B ER, juris Rn. 17; ähnlich Knickrehm, in: BeckOGK-SGB II, § 67 (Stand 1.6.2021) Rn. 21; Lange, in: Luik u.a., SGB II, 2024 § 67 Rn. 10). Das LSG Niedersachsen-Bremen nennt als Beispiel für einen möglichen Ausnahmefall Betriebsvermögen.
Zum 1.1.2023 hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 4 Satz 1 SGB II Vermögen als erheblich definiert, wenn es einen Betrag von 40.000 € übersteigt. Im Gesetzentwurf war noch eine Grenze von 60.000 € vorgesehen, womit ausdrücklich „die während der Geltung der Regelungen zum erleichterten Zugang zu den Grundsicherungssystemen aus Anlass der COVID-19-Pandemie angewandte Grenze für erhebliches Vermögen übernommen“ werden sollte (BT-Drs. 20/3873, S. 79; vgl. zum Gesetzgebungsprozess Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 12 (Stand: 11/2023) Rn. 536).
In Anknüpfung an die von der Rechtsprechung mehrheitlich gebilligte Praxis der Leistungsträger und unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens bei der Neufassung von § 12 Abs. 4 SGB II, des Umstandes, dass der vom LSG Niedersachsen-Bremen genannte denkbare Ausnahmefall hier nicht vorliegt und des zutreffenden Hinweises des SG, dass Anlass für die Einführung von § 67 SGB II die Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie war (vgl. BT-Drs. 19/18107, S. 17 f.), die Hilfebedürftigkeit der Klägerin damit aber in keinem Zusammenhang stand, hält der Senat das zu berücksichtigende Vermögen der Klägerin von über 92.000 € Anfang März 2020 für erheblich.
g.
Nach Abzug des Grundfreibetrags nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. (wegen 00 vollendeter Lebensjahre am 1.3.2020 4.800 €) und des Freibetrags nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F (750 €) verbleiben von den Anfang März 2020 vorhandenen 92.099,33 € noch 86.549,33 € als zu berücksichtigendes Vermögen, dass der Hilfebedürftigkeit der Klägerin entgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht. Die leistungsrechtliche Qualifizierung von Schmerzensgeld sowie von Zinsen aus Schmerzensgeld und die Voraussetzungen eines Härtefalls sind in der Rechtsprechung des BSG geklärt. Bei der Frage der Erheblichkeit des Vermögens im Sinne von § 67 SGB II ging es um abgelaufenes Recht (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.6.2023 – L 3 AS 3160/21, juris Rn. 45).