L 16 KR 102/24

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 198 KR 102/24
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 KR 102/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Begrenzung einer Satzungsmehrleistung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung auf "die ersten drei Versuche" bedeutet nicht, dass nur die Versuche bei der Zählung zu berücksichtigen sind, die während der Mitgliedschaft bei der Krankenkasse durchgeführt werden. 

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2024 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Im Streit steht im Berufungsverfahren noch die Erstattung der weiteren Kosten der Klägerin als Satzungsleistung einer am 27. April 2022 durchgeführten Maßnahme zur künstlichen Befruchtung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) iHv insgesamt noch 2.330,62 €.

Die am 1. Januar 1986 geborene Klägerin ist mit dem am 14. März 1979 geborenen Kläger verheiratet. Beide Kläger waren zunächst Mitglieder bei der DAK Gesundheit. Während der dortigen Mitgliedschaft wurden folgende Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung durchgeführt:

1. ICSI, Punktionsdatum: 2. August 2019, klinische Schwangerschaft, Abort.

2. ICSI, Punktionsdatum: 27. Januar 2020, Embryonentransfer, keine Schwangerschaft.

3. ICSI, Punktionsdatum: 26. Mai 2020, keine Eizellgewinnung, Abbruch des Zyklus.

In der Folge wechselten die Kläger die Krankenkasse (KK) und wurden Mitglieder der AOK Nordost. Während dieser Mitgliedschaft wurde eine weitere Maßnahme zur künstlichen Befruchtung durchgeführt:

4. ICSI, Punktionsdatum 11. Januar 2021, klinische Schwangerschaft, Abort.

Die Kläger wechselten sodann erneut die KK und wurden Mitglieder bei der Beklagten.

Die Satzung der Beklagten sah zu diesem Zeitpunkt in § 26a (Zusätzliche Leistungen bei künstlicher Befruchtung) in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden und vom Bundesamt für Soziale Sicherung genehmigten Fassung folgende Regelung vor:

„(1) Die IKK übernimmt für ihre Versicherten, die nach § 27a SGB V Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung haben, zusätzlich zu den gesetzlich geregelten Ansprüchen für die ersten drei Versuche, für die In-vitro-Fertilisation (IvF) und die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) weitere 50 v. H. der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstandenen Kosten.

(2) Die Kostenerstattung erfolgt aufgrund eines vor Behandlungsbeginn genehmigten ärztlichen Behandlungsplanes der IKK nach Vorlage der spezifizierten Rechnung."

Mit Datum vom 1. April 2022 legten die Kläger der Beklagten – nach einer entsprechenden ärztlichen Beratung – einen weiteren Behandlungsplan für eine Maßnahme zur künstlichen Befruchtung mittels ICSI zur Genehmigung vor. Darin gaben sie an, dass bereits drei Versuche mittels ICSI durchgeführt worden seien, zwei mit klinischer Schwangerschaft und Abort. Die Kosten pro Zyklus wurden für die Klägerin mit insgesamt 1.621,83 € (50 vH von insgesamt: 3.243,66 €) und für den Kläger mit insgesamt 38,32 € (50 vH von insgesamt 76,63 €) pro Behandlungsversuch beziffert.

Mit Bescheiden vom 4. April 2022 erteilte die Beklagte den Klägern eine Kostenzusage für zwei Behandlungsversuche mittels ICSI gemäß § 27a Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – (SGB V) (50 % der Kosten). Den verbleibenden Eigenanteil, der sich laut des Behandlungsplanes auf 1.621,83 € pro Zyklus belaufe, müssten die Kläger selbst tragen. Die ersten drei Behandlungsversuche seien im Fall der Kläger bereits erfolgt, so dass kein Anspruch auf die Satzungsleistung (§ 26a der Satzung) bestehe.

Die Kläger setzten die Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung sodann fort und ließen am 27. April 2022 die hier noch streitgegenständliche ICSI (erfolglos) durchführen. Die Praxis (W – Kinderwunschzentrum am K) stellte der Klägerin für die ärztlichen Leistungen einen Betrag iHv 811,01 € in Rechnung (Rechnung vom 4. Mai 2022). Die Kosten für die Medikamente (Eigenanteil) beliefen sich laut der an die Klägerin adressierten Rechnung der Kastanien-Apotheke vom 12. Mai 2022 auf insgesamt 1.519,61 € (Gesamtkosten: 2.330,63 €).

Mit Wirkung zum 1. Mai 2022 wurde die Regelung in § 26a der Satzung, genehmigt durch das Bundesamt für Soziale Sicherung, wie folgt gefasst:

„Die IKK übernimmt für ihre Versicherten, die nach § 27a SGB V Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung haben, zusätzlich zu den gesetzlich geregelten Ansprüchen und mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten für die In-vitro-Fertilisation (IvF) und die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) 1.000 EUR je Versuch, jedoch nicht mehr als die dem Versicherten tatsächlich entstandenen Kosten."

Am 20. Juni 2022 wurde bei der Klägerin eine weitere Maßnahme zur künstlichen Befruchtung mittels ICSI durchgeführt.

Die Beklagte zahlte für die Maßnahmen am 27. April 2022 und am 20. Juni 2022 die Hälfte der angefallenen Kosten nach Maßgabe des § 27 SGB V.

Mit Schreiben vom 16. August 2022 beantragten die Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 4. April 2022 mit Blick auf die abgelehnte Satzungsleistung. Mit Bescheid vom 17. August 2022 teilte die Beklagte mit, dass der Bescheid vom 4. April 2022 weiterhin Bestand habe. Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 26a der Satzung bestehe nicht, da die ersten drei Versuche der ICSI bereits bei einer anderen gesetzlichen KK erfolgt seien. Zu verweisen sei auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 2019 (Az. B 1 KR 7/19 R). Den dagegen eingelegten Widerspruch der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2023 zurück.

Mit ihrer am 23. März 2023 erhobenen Klage haben die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Das Urteil des BSG vom 17. Dezember 2019 sei nicht einschlägig. Das BSG habe dort nicht über einen Sachverhalt entscheiden müssen, bei dem zu klären sei, ob Behandlungszyklen „mitzuzählen“ seien, die während der Mitgliedschaft bei einer anderen KK durchgeführt worden seien.

Mit Urteil vom 5. März 2024 hat das Sozialgericht (SG) Berlin unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verpflichtet, den Klägern unter Änderung des Bescheides vom 4. April 2022 für den Behandlungsversuch am 20. Juni 2022 1.000 € als Satzungsleistung zu zahlen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Für den ersten hier streitgegenständlichen Behandlungszyklus am 27. April 2022 hätten die Kläger dagegen keinen Anspruch auf die Erstattung ihres – von § 27a SGB V vorgesehenen – Eigenanteils als Satzungsleistung. Dieser ergebe sich nicht aus § 26a Abs. 1 der Satzung in der bis zum 30. April 2022 geltenden Fassung. Dort sei eine Beschränkung auf „die ersten drei Versuche“ vorgenommen worden. Die Klägerin habe jedoch bereits drei Behandlungsversuche mittels ICSI durchgeführt. Als Versuch iSd Satzungsregelung zähle jeder begonnene Behandlungszyklus, auch wenn er vorzeitig habe abgebrochen werden müssen. Dies habe das BSG zu einer annähernd gleichlautenden Satzungsbestimmung einer anderen KK entschieden (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019 — B 1 KR 7/19 R –, juris). Die Auffassung der Kläger, es dürften nur Versuche berücksichtigt werden, die während ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten durchgeführt worden seien, finde hingegen weder im Wortlaut noch in der Regelungssystematik eine Andeutung. Sie widerspreche auch dem Regelungszweck, die Satzungsleistungen in einem überschaubaren Rahmen zu halten, und würde Versicherte gerade dazu einladen, immer wieder die KK zu wechseln, um erneut einen Zuschuss zu einer künstlichen Befruchtung zu erhalten. Für den Behandlungsversuch am 20. Juni 2022 sei die Satzung in der ab dem 1. Mai 2022 geltenden Fassung zugrunde zu legen. In dieser Fassung enthalte § 26a keine Beschränkung mehr auf drei Versuche.

Mit ihrer Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren hinsichtlich der Satzungsleistung für die Maßnahme der künstlichen Befruchtung am 27. April 2022 weiter. Erneut sei darauf hinzuweisen, dass das Urteil des BSG vom 17. Dezember 2019 nicht einschlägig sei, weil die Beklagte hier Behandlungsversuche in Bezug nehme, die vor der Mitgliedschaft bei ihr durchgeführt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt habe kein Rechtsverhältnis zwischen ihnen und der Beklagten bestanden. Die Satzung könne immer nur in der Rechtsbeziehung zu den jeweiligen Mitgliedern zum Tragen kommen. Die Leistungszusage aus der Satzung der Beklagten für die ersten drei Versuche der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen könne sich insoweit auch nur auf die ersten drei Versuche eines Behandlungsplans beziehen, den die Beklagte geprüft und genehmigt habe. Würde man den Regelungen der Satzung über den Satzungsregelungsbereich hinaus Bedeutung zusprechen und externe Behandlungsversuche für die Satzung mitzählen, müsste man ihnen im Umkehrschluss auch Satzungsleistungen für diese ersten drei Versuche zusprechen, weil es dann ja auch insoweit auf eine Mitgliedschaft bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Durchführung der Versuche gar nicht ankomme. Die sehr kurzen Ausführungen des SG dazu seien insoweit auch nicht überzeugend. Der Wortlaut einer Satzung müsse nicht darauf hinweisen, dass externe Ansprüche nicht erfasst seien, weil dies eine rechtliche Selbstverständlichkeit sei. Vielmehr müsse im Umkehrschluss gelten, dass es einen Hinweis in der Satzung geben müsse, wenn auch Versuche berücksichtigt würden, die außerhalb der Mitgliedschaft bei der Beklagten durchgeführt wurden. Auch lasse sich aus der gesetzlichen Regelungssystematik nichts anderes herleiten. Es gebe keinen Zusammenhang dahingehend, dass das Ziel, Satzungsleistungen in einem überschaubaren Rahmen zu halten, dadurch erreicht werden solle, Versicherte von einem Krankenkassenwechsel abzuhalten, um durch solche Wechsel nicht immer wieder zusätzliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Hierzu sei zunächst festzustellen, dass Satzungsleistungen einer KK grundsätzlich nicht den Sinn und Zweck hätten, eine Gesamtentlastung des Systems vorzunehmen und andere KK zu entlasten bzw. durch Leistungen anderer KK sich selber zu entlasten. Die Leistungen blieben unter Berücksichtigung der BSG-Rechtsprechung grundsätzlich überschaubar, da sie sich maximal auf die ersten drei Versuche des von der jeweiligen KK genehmigten Behandlungsplans bezögen, unabhängig davon, ob gesetzlich Krankenversicherte ihre Versicherung wechselten oder nicht. Ein solcher Wechsel lasse eine KK im Zweifel sogar profitieren, weil die gesetzlichen Voraussetzungen durch extern durchgeführte Versuche in der Regel dazu führten, dass auch die rechtlichen Voraussetzungen für weniger als die Maximalzahl von drei Versuchen vorlägen.

Mit Schriftsatz vom 10. April 2025 ist der Antrag auf die Kosten iHv 2.330,62 € (statt 2.495,66 €) beschränkt und die Berufung im Übrigen zurückgenommen worden. Die Forderungen sind nunmehr ausschließlich auf die an die Klägerin adressierten Rechnungen vom 4. Mai 2022 (811,01 €) und vom 12. Mai 2022 (1.519,61 €) bezogen worden.

Die Klägerin beantragt, sachgerecht gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2024 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 17. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2024 zu verurteilen, den Bescheid vom 4. April 2022 insoweit aufzuheben, als darin die Satzungsleistung für die Maßnahme zur künstlichen Befruchtung am 27. April 2022 abgelehnt wurde, und an sie weitere 2.330,62 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

          die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil, soweit darin die Klage abgewiesen wurde, für zutreffend. Ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag weist sie darauf hin, dass die Satzungsregelung vom 1. Januar 2022 für beide ursprünglich streitgegenständlichen Behandlungsversuche Anwendung finde, weil es auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankomme. Der Eigenanteil werde als Satzungsleistung maximal in Höhe der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten erstattet. Ausweislich des Bescheides vom 4. April 2022 habe dieser für die Klägerin 1.621,83 € betragen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Entscheidungsgründe

Der Senat hatte nur noch über die Berufung der Klägerin zu entscheiden. Der Schriftsatz der Kläger vom 10. April 2025 ist dahingehend auszulegen, dass damit die Berufung des Klägers vollständig und die der Klägerin teilweise zurückgenommen wurde. Der nach dem Schriftsatz vom 10. April 2025 noch geltend gemachte Betrag iHv 2.330,62 € ergibt sich – worauf auch in dem Schriftsatz ausdrücklich hingewiesen wurde – ausschließlich aus Rechnungen, mit denen gegenüber der Klägerin Leistungen abgerechnet wurden und die entsprechend nur an die Klägerin adressiert waren. Die Rechnung der K-Apotheke vom 12. Mai 2022 beinhaltet die Kosten für die Medikamente Elonva ®, Menopur HP ®, Orgalutran ®, Brevactid ® und Utrogest Luteal ®, welche ausschließlich von der Klägerin eingenommen wurden. Die Arztrechnung vom 5. Mai 2022 betrifft ärztliche Leistungen, die gegenüber der Klägerin erbracht wurden. Mit der in § 26a Abs. 1 der Satzung gewählten Formulierung „für ihre Versicherten“ soll deutlich gemacht werden, dass nur die Leistungen erstattungsfähig sind, die bei der konkreten bei der Beklagten versicherten Person angefallen sind. Die Leistungen für den anderen Ehegatten sind damit keine „Nebenleistungen“ der Leistungen an den versicherten Ehegatten. Die Regelung ist insoweit vergleichbar mit der in § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V (vgl. dazu Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 27a SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 63). Vor diesem Hintergrund konnte der Schriftsatz vom 10. April 2025 nur dahingehend verstanden werden, dass die Berufung des Klägers zurückgenommen wurde, da er keine ihn betreffenden Forderungen mehr geltend macht.

Die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG iVm § 56 SGG (vgl. zur richtigen Klageart im Fall der Anfechtung einer Überprüfungsentscheidung, mit der die Rücknahme einer ablehnenden Leistungsentscheidung abgelehnt wurde ua BSG, Urteil vom 10. November 2021 – B 1 KR 7/21 R –, juris Rn. 11) auf Gewährung der Satzungsleistung iHv noch 2.330,62 € für die Maßnahme zur künstlichen Befruchtung vom 27. April 2022 weiterverfolgt, ist zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass der Überprüfungsbescheid vom 17. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2024 rechtmäßig ist, soweit die hier noch streitige Satzungsleistung betroffen ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die Beklagte hat bei Erlass der Bescheide vom 4. April 2022 das Recht insoweit richtig angewandt, als es für den fünften Behandlungszyklus (27. April 2022) keine Satzungsleistung gewährt hat.

Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung ist allein § 26a (Zusätzliche Leistungen bei künstlicher Befruchtung) der Satzung der Beklagten in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung. Ein Anspruch auf Kostenerstattung wegen Systemversagens (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V) kommt nicht in Betracht und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Der Sachleistungsanspruch der Klägerin auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V wurde durch die Beklagte erfüllt und ist auch nicht streitgegenständlich.

Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob es hinsichtlich der anwendbaren Fassung der Satzung der Beklagten auf den Zeitpunkt der Antragstellung und der Genehmigung des Behandlungsplanes oder auf den Zeitpunkt der Behandlung – hier der 27. April 2022 – ankommt. Denn in allen Fällen ist die Satzung der Beklagten idF vom 1. Januar 2022 anwendbar. Die Satzung wurde erst mit Wirkung zum 1. Mai 2022 wieder geändert. Die Satzungsleistungen für die Behandlung am 20. Juni 2022 macht die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr geltend. Nach § 26a Abs. 1 der Satzung der Beklagten idF vom 1. Januar 2022 übernimmt die Beklagte „für ihre Versicherten, die nach § 27a SGB V Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung haben, zusätzlich zu den gesetzlich geregelten Ansprüchen für die ersten drei Versuche, für die In-vitro-Fertilisation (IvF) und die ICSI weitere 50 v. H. der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstandenen Kosten“.

Die Voraussetzungen für die zusätzliche Satzungsleistung liegen für die am 27. April 2022 vorgenommene Maßnahme zur künstlichen Befruchtung nicht vor. Die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt schon „die ersten drei Versuche“ iSd Satzung der Beklagten durchgeführt.

Die Satzung setzt nach ihrem Wortlaut zunächst voraus, dass für den Behandlungszyklus, für den Kostenerstattung begehrt wird, die Anspruchsvoraussetzungen des § 27a SGB V erfüllt sind ("Für ihre Versicherten, die nach § 27a SGB V Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung haben“): Die Leistung muss erforderlich sein (vgl. § 27a Abs. 1 Nr. 1 SGB V), hinreichende Erfolgsaussicht haben (vgl. § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V), miteinander verheiratete Eheleute (vgl. § 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V), die die Altersgrenzen erfüllen (vgl. § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V), und eine homologe Insemination betreffen (vgl. § 27a Abs. 1 Nr. 4 SGB V), darf erst nach erfolgter Beratung stattfinden (vgl. § 27a Abs. 1 Nr. 5 SGB V) und muss vor ihrem Beginn genehmigt sein (vgl. § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V). Die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a SGB V bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in den Richtlinien (RL) nach § 92 SGB V (vgl. § 27a Abs. 5 SGB V). Weitere Voraussetzungen normiert die Satzung nicht.

Insbesondere verlangt diese nicht, dass der Versuch ein bestimmtes Stadium erreicht hat und damit als "durchgeführt" gilt (vgl. § 27a Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 SGB V; Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 RL über künstliche Befruchtung - KB-RL – idF vom 14. August 1990, BArbBl 1990, Nr. 12, zuletzt geändert durch Beschluss vom 16. Dezember 2021, BAnz AT 02.08.2022 B3 mWv 9. Februar 2022: "vollständig durchgeführt"). Bei der ICSI gilt die Maßnahme als vollständig durchgeführt, wenn die Spermieninjektion in die Eizelle erfolgt ist (Nr. 8 Abs. 4 Satz 1 KB-RL). Dies wiederum hat zur Folge, dass der Versuch vom 25. Mai 2020, bei dem keine Eizellgewinnung erfolgte, zwar nicht als Versuch iSd § 27a SGB V und der KB-RL zählt, aber als ein Versuch iSd § 26a der Satzung der Beklagten anzusehen ist (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019 – B 1 KR 7/19 R –, juris Rn. 12 ff.).

Die Satzung der Beklagten nimmt – anders als § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V (Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 KB-RL: „ohne dass eine klinisch nachgewiesene Schwangerschaft eingetreten ist“) – auch keine Beschränkung auf erfolglose Versuche vor. Damit zählen auch die Versuche, bei denen es zu einer Schwangerschaft ggf. mit anschließendem Abort kam, zwar nicht zu Versuchen iSd § 27a SGB V, aber zu solchen iSd § 26a der Satzung der Beklagten (Versuch vom 2. August 2019 und vom 11. Januar 2021).

Die Klägerin hatte damit hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Versuchs am 27. April 2022 zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Kostenerstattung, weil dieser Versuch erst der 2. Versuch iSd § 27a SGB V war. Da jedoch alle zuvor vorgenommenen Versuche als Versuche iSd § 26a der Satzung zählten, stellt der Versuch am 27. April 2022 bereits den 5. Versuch iSd Satzung dar, weshalb die Satzungsleistung für diesen Versuch ausgeschlossen ist.

Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die vorherigen Versuche vorgenommen wurden, als die Klägerin noch nicht Mitglied bei der Beklagten war. Dies kann schon dem Wortlaut der Satzung nicht entnommen werden. Dort wird ausdrücklich auf die „ersten drei“ Versuche Bezug genommen. Dass damit nur die Versuche gemeint sind, die während der Mitgliedschaft bei der Beklagten durchgeführt wurden, kann dem Wortlaut der Regelung nicht entnommen werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Anspruch, den die Satzung gewährt und den Tatbestandsvoraussetzungen, die für den entsprechenden Anspruch erfüllt seien müssen. Der Anspruch bezieht sich auf die zusätzlichen 50 Prozent der Kosten für einen Versuch der künstlichen Befruchtung. Für jeden einzelnen Kostenerstattungsanspruch ist zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Eine der Voraussetzung ist, dass es sich bei dem konkreten Versuch um einen der „ersten drei Versuche“ handelt. Dass zu dem Zeitpunkt, an dem der Versuch, für den die Kostenerstattung nach § 26a der Satzung begehrt wird, eine Mitgliedschaft bestehen muss, ist selbstverständlich. Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung, ob es sich dabei um einen der ersten drei Versuche handelt, ist dies hingegen nicht erforderlich.

Dies ergibt sich schon daraus, dass es auch hinsichtlich des Vorliegens der anderen Tatbestandsvoraussetzungen nicht auf die Mitgliedschaft bei der Beklagten ankommen kann. Die Satzung der Beklagten koppelt – wie oben dargestellt – die Kostenübernahme für eine Maßnahme der künstlichen Befruchtung an den gesetzlichen Anspruch. Entsprechend muss die Beklagte ua prüfen, ob gemäß § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V  nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Anders hätte die Beklagte den Satzungsanspruch auch nicht regeln dürfen. Die hinreichenden Erfolgsaussichten der Maßnahme zur künstlichen Befruchtung iSd § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V gehören zu den prägenden Merkmalen der Leistung, von deren Erfordernis die Beklagte in der Satzung nicht abweichen darf (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 A 1/14 R –, juris Rn. 12).

Der Senat hat in einem Urteil aus dem Jahr 2024 bereits entschieden, dass die in § 27a SGB V vorgenommene zahlenmäßige Begrenzung der Versuche primär auf medizinischen Erkenntnissen beruht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Oktober 2024 – L 16 KR 101/22 –, juris Rn. 31, insbesondere unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 11/6760 S. 15). Mit Blick auf die medizinische Begründung der zahlenmäßigen Begrenzung in § 27a SGB V kann es deshalb nicht darauf ankommen, ob die vorherigen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung von den Versicherten selbst oder von einer anderen KK finanziert wurden. Wurden zB bereits drei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung iSd § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V vor einem Wechsel der KK durchgeführt, besteht auch dann kein Anspruch mehr nach § 27a SGB V, wenn die konkrete KK selbst noch keine Maßnahme zur künstlichen Befruchtung übernommen hatte. Letztlich sieht dies auch die Klägerin so, indem sie darauf hinweist, dass eine KK im Zweifel sogar von einem Kassenwechsel profitieren könne, weil die gesetzlichen Voraussetzungen durch extern durchgeführte Versuche in der Regel dazu führten, dass auch die rechtlichen Voraussetzungen für weniger als die Maximalzahl von drei Versuchen vorlägen.

Damit wird deutlich, dass aufgrund der Regelungssystematik des § 26a der Satzung auch hinsichtlich der Prüfung, ob ein Anspruch auf die Satzungsleistung besteht, auf Sachverhalte zurückgegriffen werden muss, die sich ggf. vor der Mitgliedschaft bei der Beklagten ereignet haben. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang einwendet, die Satzung und ihre dortigen Vorgaben und Leistungsversprechen könnten sich immer nur auf Sachverhalt beziehen, die während der Mitgliedschaft bei der Beklagten entstanden sind, ist dies – so pauschal dargestellt – nicht zutreffend. Denn es ist – wie oben ausgeführt – zu trennen zwischen der Frage, ob zum Zeitpunkt der konkret beantragten Leistung eine Mitgliedschaft besteht und der Frage, ob die Voraussetzungen für diesen Anspruch vorliegen. Um Letzteres geht es hier. Unstreitig war die Klägerin bei der Beantragung der hier noch streitgegenständlichen Satzungsleistung Mitglied der Beklagten.

Indem auch Versuche, die vor der Mitgliedschaft bei der Beklagten durchgeführt wurden, bei der Zählung der Versuche iSd Satzung mit berücksichtigt werden, wird – anders als die Klägerin dies ausführt – auch nicht den Regelungen der Satzung über den Satzungsregelungsbereich hinaus Bedeutung zugesprochen. Der von der Klägerin in den Raum gestellte Umkehrschluss, dass ihr dann auch Satzungsleistungen für diese ersten drei Versuche zugesprochen werden müssten, weil es ja auch insoweit auf eine Mitgliedschaft bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Durchführung der Versuche gar nicht ankomme, ist irreführend. Nur, weil zur Prüfung der Voraussetzungen eines Satzungsanspruches auf Sachverhalte aus Zeiten vor der Mitgliedschaft zurückgegriffen werden muss, bedeutet dies noch nicht, dass zum Zeitpunkt der Beantragung der Satzungsleistung keine Mitgliedschaft bei der jeweiligen KK bestehen muss.

Soweit die Klägerin weiter ausführt, die Leistungszusage aus der Satzung der Beklagten für die ersten drei Versuche der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen könne sich insoweit auch nur auf die ersten drei Versuche eines Behandlungsplans beziehen, den die Beklagte geprüft und genehmigt habe, nimmt sie eine Auslegung vor, die sich so aus dem Wortlaut der Satzung nicht ergibt. Denn die dort genannten „ersten drei Versuche“ müssen nicht „auf einem Behandlungsplan“ beruhen. Vielmehr können davon auch Konstellationen erfasst sein, bei denen – bei einem gewissen zeitlichen Abstand – jedem Versuch ein anderer Behandlungsplan zugrunde liegt. Genehmigt haben muss die Beklagte selbst nur den Behandlungsplan, der dem konkreten Anspruch auf Kostenübernahme zugrunde liegt.

Auch der Aspekt der Normenklarheit (vgl. hierzu BSG, aaO, Rn 20 mwN) spricht für die hier erfolgte Auslegung. Die Kostenübernahme wird immer jeweils gesondert für den konkreten Behandlungsversuch geprüft. Dass es bei der Frage, um den wievielten Versuch es sich handelt, auf die Mitgliedschaft bei der Beklagten ankommt, ist für einen durchschnittlich verständigen Versicherten nicht naheliegend. Dies ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Anders als die Satzungsregelung, die der og Rechtsprechung des BSG zugrunde lag, macht § 26a der Satzung der Beklagten den Anspruch auf die vorgesehene zusätzliche Kostenübernahme nicht davon abhängig, dass beide Ehepartner bei ihr versichert sind. Es sind also auch Konstellationen denkbar, in denen ein Ehepartner zB bei den ersten beiden Versuchen schon bei der Beklagten versichert war und die für ihn anfallenden Kosten erstattet bekam. Wird der andere Ehepartner zu einem späteren Zeitpunkt Mitglied bei der Beklagten, hätte dies – die Auffassung der Klägerin zugrunde gelegt – das für die Versicherten nur schwer nachvollziehbare Ergebnis zur Folge, dass der eine Ehepartner nur noch einen Versuch finanziert bekäme, der andere aber ggf. noch Anspruch auf die Kostenerstattung für weitere Versuche hätte, obwohl es sich faktisch um denselben Versuch aufgrund desselben Behandlungsplanes handelt. Dass die Zählung der Versuche für beide Ehepartner gleich ist, entspricht hingegen dem, was ein durchschnittlich verständiger Versicherter von der Satzungsregelung erwartet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür (§ 160 Absatz 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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