L 9 KR 65/25 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 223 KR 1416/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 65/25 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Bei einem auf § 1 IFG und auf bereichsspezifische Informationszugangsrechte gestützten Akteneinsichtsanspruch handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände mit der Folge, dass § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht eingreift. In einem zweitinstanzlichen Eilverfahren vor dem Landessozialgericht ist der Rechtsstreit hinsichtlich des IFG-Anspruchs, sofern keine Bindung nach § 17a Abs. 5 GVG besteht, an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen. Einer Vorabentscheidung gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG bedarf es in einem solchen Verfahren auch dann nicht, wenn der Rechtsweg gerügt wird.   

2. Die Anfechtungsklage des Herstellers eines im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Produkts gegen eine Entscheidung des GKV-Spitzenverbandes, mit der das Produkt eines anderen Herstellers in eine neu geschaffene andere Gruppe des Hilfsmittelverzeichnis eingruppiert wird, ist jedenfalls dann wegen fehlender Klagebefugnis offensichtlich unzulässig, wenn ein im Hilfsmittelverzeichnis angeordneter Nachrang des Produkts des anderen Herstellers bewirkt, dass dem anfechtenden Hersteller keine relevanten Wettbewerbsnachteile entstehen können. Die Anfechtungsklage hat in einem solchen Fall keine aufschiebende Wirkung. 
 

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist hinsichtlich des auf § 1 IFG gestützten Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes unzulässig. Hinsichtlich dieses Streitgegenstandes wird das Verfahren abgetrennt, der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2025 aufgehoben und der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten.

 

Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2025 zurückgewiesen.

 

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

 

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren endgültig auf 5.000 Euro festgesetzt.

 

 

 

 

 

Gründe

 

Der Rechtsstreit war teilweise nach Abtrennung an das insoweit zuständige Verwaltungsgericht Berlin zu verweisen (I.). Die danach verbliebene Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 24. Januar 2025 hat keinen Erfolg (II.).

 

I.  Soweit die Antragstellerin im Wege des Eilrechtsschutzes begehrt, den Antragsgegner nach § 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu verpflichten, weitere Akteneinsicht – insbesondere durch Übersendung aller Verwaltungsvorgänge in Bezug auf die Fortschreibung der Produktuntergruppe 15.25.14 des HMV, die Schaffung der neuen Produktart 15.25.14.0, die Umgruppierung des Produkts „Luja Männer“ von der Produktuntergruppe 15.25.14.7 in die neu geschaffene Produktuntergruppe 15.25.14.0 und die Aufnahme des Produkts „Luja Frauen“ in die neu geschaffene Produktuntergruppe 15.25.14.0 – zu gewähren, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet.

 

Beim Streit um den Zugang zu amtlichen Informationen nach dem IFG handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art, für die gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. November 2016, 10 AV 1/16, zitiert nach juris, Rn. 10; Schoch, IFG, 3. Aufl. 2024, § 9, Rn. 77). Eine abdrängende Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten besteht nicht. Keine der Voraussetzungen des § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt für IFG-Ansprüche vor. Anspruchsgrundlage, Anspruchsberechtigung, sachlicher Anwendungsbereich, Ausnahme- und Beschränkungstatbestände dieses Anspruchs sowie das diesbezügliche Verfahren sind umfassend und speziell im IFG geregelt; die Klärung der streitigen Rechtsfragen erfolgt anhand von Vorschriften, die dem materiellen oder formellen Sozialrecht nicht angehören (vgl. BSG, Beschluss vom 4. April 2012, B 12 SF 1/10 R, zitiert nach juris, Rn. 18 ff.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 51, Rn. 39; Schoch, IFG, 3. Aufl. 2024, § 9, Rn. 73c). 

 

Der Rechtswegzuweisung an das Verwaltungsgericht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, nicht entgegen. Insbesondere folgt eine Zuständigkeit der Sozialgerichte für den Anspruch aus § 1 IFG – entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts – nicht daraus, dass die Antragstellerin ihr Informationsbegehren auch auf § 25 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) stützt. Denn insoweit handelt es sich um zwei unterschiedliche Streitgegenstände mit der Folge, dass § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht eingreift (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 51, Rn. 39; BSG, Beschluss vom 4. April 2012, B 12 SF 1/10 R, zitiert nach juris, Rn. 20, mit Hinweis darauf, dass der IFG-Anspruch ein aliud gegenüber den bereichsspezifischen Informationszugangsrechten darstelle und in seinen Voraussetzungen unabhängig von diesen Rechten bestehe; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 21. November 2016, 10 AV 1/16, zitiert nach juris, Rn. 12). Dass die Antragstellerin ihr Informationsbegehren einheitlich formuliert hat, ist unerheblich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2013, III ZB 59/13, zitiert nach juris, Rn. 17).

 

Eine Bindung des Landessozialgerichts gemäß § 17a Abs. 5 GVG an die inzidente Rechtswegentscheidung des Sozialgerichts besteht nicht. Die in § 17a Abs. 5 GVG angeordnete Bindungswirkung entfällt, wenn das Eingangsgericht trotz einer Rechtswegrüge keine Vorabentscheidung gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG getroffen hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2024, VIII ZR 293/23, zitiert nach juris, Rn. 16; Flint, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 51 SGG, Stand 3. Juni 2025, Rn. 441); eine Rückausnahme gilt, wenn die Rechtswegrüge gegenüber dem Rechtsmittelgericht zurückgezogen wird (vgl. Schneider, in: Schoch/Schneider, GVG, Stand August 2024, § 17a, Rn. 35). Im vorliegenden Fall hat das Sozialgericht keine Vorabentscheidung getroffen, obwohl die Beigeladene mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2024 geltend gemacht hat, dass eine Zuständigkeit des Sozialgerichts hinsichtlich des auf § 1 IFG gestützten Informationsbegehrens nicht bestehe. Die Beigeladene hat ihre Rüge auch nicht zurückgenommen.

 

Der Senat hat das Verfahren daher hinsichtlich des den Anspruch nach § 1 IFG betreffenden Streitgegenstandes abgetrennt (vgl. § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 145 Zivilprozessordnung – ZPO), den Beschluss des Sozialgerichts insoweit aufgehoben (vgl. Schneider, in: Schoch/Schneider, GVG, Stand August 2024, § 17a, Rn. 36) und den abgetrennten IFG-Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht Berlin (vgl. §§ 45, 52 Nr. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 217e Abs. 1 Satz 2 SGB V; zum GKV-Spitzenverband als bundesunmittelbare Körperschaft vgl. Schoch, IFG, 3. Aufl. 2024, § 1, Rn. 164) verwiesen (vgl. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).   

 

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren bedurfte es – anders als im erstinstanzlichen Verfahren – keiner Vorabentscheidung über den Rechtsweg gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG. Die Vorabentscheidung ist nur sinnvoll, wenn gegen diese ein Rechtsmittelzug zur Verfügung steht (vgl. Schneider, in: Schoch/Schneider, GVG, Stand August 2024, § 17a, Rn. 26 und 36). Daran fehlt es hier. Den Beteiligten steht die Rechtswegbeschwerde gegen einen Beschluss des Landessozialgerichts (wenn sie in dem Beschluss zugelassen worden ist, vgl. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG) nur in Hauptsacheverfahren, nicht aber in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wie dem vorliegenden zu (vgl. Flint, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 51 SGG, Stand 3. Juni 2025, Rn. 448; vgl. BSG, Beschluss vom 6. März 2019, B 3 SF 1/18 R, zitiert nach juris, Rn. 13; s.a. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2023, L 7 KA 29/22 B ER, zitiert nach juris, Rn. 30).

 

Die Kostenentscheidung bleibt hinsichtlich des verwiesenen Streitgegenstandes der Endentscheidung vorbehalten (§ 17b Abs. 2 GVG).

 

II.  Im Übrigen – soweit das Sozialgericht es abgelehnt hat, (1.) festzustellen, dass die Anfechtungsklagen vom 16. September 2024 (S 223 KR 1334/24) und 14. Oktober 2024 (S 193 KR 1573/24) aufschiebende Wirkung haben, (2.) den Antragsgegner zu verpflichten, die Umgruppierung des Produkts „Luja Männer“ in die Produktuntergruppe 15.25.14.0 und die Aufnahme des Produkts „Luja Frauen“ in die Produktuntergruppe 15.25.14.0 rückgängig zu machen und (3.) den Antragsgegner zur Gewährung von Akteneinsicht (auf der Grundlage bereichsspezifischer Akteneinsichtsregelungen) zu verpflichten – bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

 

(1.)  Das Sozialgericht hat den Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der – gegen die Umgruppierung des Produkts „Luja Männer“ und die Aufnahme des Produkts „Luja Frauen“ in die Gruppe 15.25.14.0 des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) gerichteten – Anfechtungsklagen zu Recht abgelehnt.

 

Der Antrag ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG als Minus zu der Befugnis, die aufschiebende Wirkung anzuordnen, zulässig (vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 86b SGG, Stand 22. Mai 2025, Rn. 254). Der Antrag ist jedoch unbegründet.

 

Ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist dann begründet, wenn der Widerspruch oder die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Widerspruch oder die Anfechtungsklage zulässig ist. Anderes gilt aber dann, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist. Eine offensichtlich unzulässige (Dritt-)Anfechtung entfaltet keine aufschiebende Wirkung (vgl. Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 86b, Rn. 24; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. Oktober 2015, L 3 KA 42/15 B ER, zitiert nach juris, Rn. 19).

 

So liegt der Fall hier. Die Anfechtungsklagen vom 16. September 2024 (S 223 KR 1334/24) und 14. Oktober 2024 (S 193 KR 1573/24) sind wegen unzweifelhaft fehlender Klagebefugnis offensichtlich unzulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch die Umgruppierung des – von der Beigeladenen hergestellten – Produkts „Luja Männer“ und die Aufnahme des – von der Beigeladenen hergestellten – Produkts „Luja Frauen“ in die Gruppe 15.25.14.0 des HMV in (drittschützenden) subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist (vgl. allgemein zur Klagebefugnis Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54, Rn. 9).

 

Dabei kann dahinstehen, ob die Umgruppierung und Aufnahme dieser Produkte angesichts der Funktion des HMV als Auslegungs- und Orientierungshilfe (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2020, B 3 KR 15/19 R, zitiert nach juris, Rn. 14) überhaupt eine für die Drittanfechtung ausreichende Betroffenheit der Antragstellerin auslösen kann. Offen bleiben kann insbesondere, ob sich eine solche Betroffenheit aus der objektiv berufsregelnden Tendenz der Entscheidungen über die Aufnahme bzw. Nichtaufnahme von Hilfsmitteln in das HMV ableiten lässt, die in Bezug auf Hersteller dieser Hilfsmittel angenommen wird (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juli 2015, B 3 KR 6/14 R, zitiert nach juris, Rn. 29; vgl. zum grundrechtlichen Schutz vor sachlich nicht gerechtfertigten staatlichen Begünstigungen von Konkurrenten und Wettbewerbsverfälschungen auch BSG, Urteil vom 3. Mai 2018, zitiert nach juris, Rn. 18; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Mai 2008, L 5 KR 6125/06, zitiert nach juris, Rn. 57, das eine berufsregelnde Tendenz von Fortschreibungen des HMV ablehnt).

 

Denn im vorliegenden Fall fehlt es an einer für die Drittanfechtung ausreichenden Betroffenheit durch die streitige Umgruppierung und Aufnahme jedenfalls offensichtlich deshalb, weil die Produkte der Beigeladenen „Luja Männer“ und „Luja Frauen“ nach der im HMV angegebenen „Indikation“ nur für solche Versicherte geeignet sind, für die Einmalkatheter der Produktarten 15.25.14.4 bis 15.25.14.9 (wozu auch die von der Antragstellerin hergestellten Einmalkatheter gehören), medizinisch nicht anwendbar sind. Damit sieht das HMV ein Nachrangverhältnis vor, das relevante (Wettbewerbs-)Nachteile zu Lasten der Antragstellerin durch die streitige Umgruppierung und Aufnahme ausschließt (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. April 2025, L 14 KR 47/25 B ER, Seite 24 des Umdrucks).

 

Der die Klagebefugnis ausschließende Nachrang kann im vorliegenden Verfahren berücksichtigt werden, obwohl er erst durch die Bekanntmachung des Antragsgegners vom 30. Januar 2025 „Fortschreibung der Produktgruppe 15 Inkontinenzhilfen“ in das HMV aufgenommen wurde. Denn nach allgemeiner Meinung müssen die Prozessvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen berücksichtigt werden (vgl. BSG, Beschluss vom 15. Oktober 2020, B 6 KA 16/20 B, zitiert nach juris, Rn. 7; zur Klagebefugnis als Prozessvoraussetzung vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, Vorbemerkung vor § 51, Rn. 15). Dass der Nachrang zwischenzeitlich wieder aufgehoben oder im Zuge eines Rechtsschutzverfahrens vorläufig außer Kraft gesetzt wurde, ist – ausgehend vom Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im vorliegenden Verfahren – nicht ersichtlich (vgl. SG Berlin, Beschluss vom 15. Mai 2025, S 31 KR 266/25 ER, mit dem ein Antrag der Beigeladenen auf vorläufige Löschung abgelehnt wurde; die dagegen erhobene Beschwerde ist unter dem Aktenzeichen L 9 KR 195/25 B ER seit dem 17. Juni 2025 beim Senat anhängig).

 

Der Einwand der Antragstellerin, das Nachrangverhältnis bestehe „in dieser Form nicht“, überzeugt nicht. Nach der im HMV angegebenen Indikation sind die Produkte der Beigeladenen „Luja Männer“ und „Luja Frauen“ (nur) „geeignet“, wenn die Einmalkatheter (unter anderem) der Antragstellerin medizinisch nicht anwendbar sind. Danach besteht nach Maßgabe des HMV kein Anspruch der Versicherten der GKV auf eine Versorgung mit den Produkten der Beigeladenen, sofern (unter anderem) die Produkte der Antragstellerin anwendbar sind. Denn die Eignung eines Hilfsmittels ist Voraussetzung des Anspruchs auf die Hilfsmittelversorgung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Der Anspruch besteht mit Blick auf die „Erforderlichkeit im Einzelfall“ nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs. 1 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) nicht bewilligen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2015, B 3 KR 13/13 R, zitiert nach juris, Rn. 15; Urteil des Senats vom 4. Juni 2019, L 9 KR 363/17, zitiert nach juris, Rn. 36).

 

Nichts anderes folgt aus dem Einwand der Antragstellerin, dass der Nachrang ihren Erkenntnissen zufolge „in der Praxis […] nicht gelebt“ werde. Streitig ist im vorliegenden Fall allein, ob von der Kategorisierung im HMV eine für die Drittanfechtung ausreichende Betroffenheit ausgeht. Daher besteht hinsichtlich der – vom HMV möglicherweise abweichenden – Praxis auch kein weiterer Aufklärungsbedarf.

 

Der Hinweis der Antragstellerin, das Vorgehen der Beigeladenen gegen die Fortschreibung (den Nachrang) belege das Fortbestehen der Wettbewerbssituation, geht fehl. Maßgeblich im Rahmen der Klagebefugnis der Antragstellerin ist nicht, ob eine Wettbewerbssituation besteht, sondern ob gerade die Antragstellerin benachteiligt wird. Dass die Beigeladene durch den zu ihren Lasten vorgegebenen Nachrang in eigenen Rechten verletzt sein könnte, ist im vorliegenden Verfahren unerheblich.

 

Eine Klagebefugnis ist auch nicht im Hinblick darauf zu bejahen, dass für die Produkte der Beigeladenen „Luja Männer“ und „Luja Frauen“ keine Festbeträge gelten. Da ein anwendungsbereichsbezogenes Ausschlussverhältnis besteht, das die Produkte der Beigeladenen klar von denen der Antragstellerin abgrenzt, können die möglicherweise besseren Verdienstchancen der Beigeladenen hinsichtlich ihrer Produkte keine ausreichende Drittbetroffenheit auslösen.

 

Der Senat folgt der Antragstellerin auch nicht insoweit, als sie geltend macht, dass eine offensichtliche Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs erst dann angenommen werden könne, wenn höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Unzulässigkeit vorliege. Der im HMV vorgegebene Nachrang ist nach Auffassung des Senats klar formuliert.

 

Da die Anfechtungsklagen vom 16. September 2024 und 14. Oktober 2024 (solange der Nachrang besteht) wegen fehlender Klagebefugnis offensichtlich unzulässig sind, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung, ob der Umgruppierung bzw. Aufnahme Verwaltungsakte zugrunde liegen, was ebenfalls Voraussetzung für die Zulässigkeit der Anfechtungsklagen wäre.

 

Von einer Auslegung des Antrags auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung als (Vornahme-)Antrag nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG im Hinblick darauf, dass in der Hauptsache eine Feststellungsklage zulässig sein könnte (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. April 2025, L 14 KR 47/25 B ER, Seite 20 des Umdrucks), sieht der Senat ab, weil die Antragstellerin ein solches Vorgehen als „abenteuerlich“ bezeichnet hat (Schriftsatz vom 20. Mai 2025, Seite 4). Ein solcher Antrag hätte unter Berücksichtigung des Nachrangs auch keinen Erfolg.

 

(2.)  Der von der Antragstellerin geltend gemachte Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch (§ 86b Abs. 1 Satz 2 SGG) scheidet nach Maßgabe der Ausführungen zu 1. aus.   

 

(3.)  Der Antragsgegner war auch nicht im Wege des Eilrechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin (bereichsspezifisch, gemäß § 25 SGB X oder § 120 SGG) weitere Akteneinsicht – insbesondere durch Übersendung aller Verwaltungsvorgänge in Bezug auf die Fortschreibung der Produktuntergruppe 15.25.14 des HMV, die Schaffung der neuen Produktart 15.25.14.0, die Umgruppierung des Produkts „Luja Männer“ von der Produktuntergruppe 15.25.14.7 in die neu geschaffene Produktuntergruppe 15.25.14.0 und die Aufnahme des Produkts „Luja Frauen“ in die neue geschaffene Produktuntergruppe 15.25.14.0 – zu gewähren.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund).

 

Dabei sind im vorliegenden Fall an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen, weil die Gewährung der begehrten Akteneinsicht – entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin – zu einer „echten“ Vorwegnahme der Hauptsache führen würde. Mit der Akteneinsicht würden für die Zukunft irreversible Fakten geschaffen und die Hauptsache würde vollständig vorweggenommen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b, Rn. 31; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 123, Stand 42. EL 2022, Rn. 156; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. April 2018, OVG 12 S 13.18, zitiert nach juris, Rn. 2; VG Köln, Beschluss vom 18. Juni 2019, 13 L 1113/19, zitiert nach juris, Rn. 8 ff.). Eine einstweilige Anordnung kann daher regelmäßig nur ergehen, wenn ohne den die Hauptsache vorwegnehmenden Informationszugang schwere und irreparable Nachteile drohen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. Juli 2016, 2 M 14/16, zitiert nach juris, Rn. 29).

 

Derartige Nachteile hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, obwohl sie vom Sozialgericht ausdrücklich aufgefordert wurde, die den Anordnungsgrund begründenden Umstände darzulegen (vgl. gerichtliches Schreiben vom 11. November 2024 zum Verfahren S 193 KR 1572/24 ER), und obwohl das Sozialgericht die angefochtene Entscheidung darauf gestützt hat, dass die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen habe, die eine Akteneinsicht erst in den bereits anhängigen Hauptsacheverfahren unzumutbar erscheinen ließen. Die Antragstellerin hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Gewährung von Akteneinsicht durch den Antragsgegner sei aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes „zwingend geboten“ und von ganz erheblicher Bedeutung für das Eilverfahren, weil sie nur so darlegen könne, wie der Entwurf zur Fortschreibung bzw. Eingruppierung der Produkte der Beigeladenen zustande gekommen sei. Daraus folgt der erforderliche Anordnungsgrund nicht. Insbesondere schwere, nicht reparable Nachteile sind nicht ersichtlich. Das Zustandekommen der Fortschreibung bzw. Eingruppierung ist für die Beurteilung der Anträge zu 1. und 2. zudem unerheblich. Diese scheitern bereits an dem im HMV vorgegebenen Ausschlussverhältnis. Der Antragstellerin ist es bis auf Weiteres zumutbar, ihr Akteneinsichtsbegehren im Hauptsacheverfahren zu verfolgen.

 

Soweit die Antragstellerin gestützt auf § 120 SGG begehrt, den Antragsgegner zur Zugänglichmachung weiterer Akten zu verpflichten, bemerkt der Senat ergänzend, dass diese Vorschrift keinen Anspruch auf Einsicht in Akten vermittelt, die dem Gericht nicht vorliegen (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Januar 2021, B 14 AS 73/20 BH, zitiert nach juris, Rn. 6).

 

Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Antragstellerin trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, weil diese einen Antrag gestellt hat und der Antrag erfolgreich war.

 

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG. Sie entspricht der Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts.

 

III.  Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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