Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2024 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der endgültige Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 145.924,65 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung der Beklagten in Höhe von 145.924,65 € für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2018.
Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 23.02.1999 gegründet und unter der Nr. HRB xxx956 in das Handelsregister B des Amtsgerichts S1 eingetragen. Sie betreibt ein Unternehmen zur Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Dichtungselementen und den Vertrieb von antriebstechnischen Produkten. Zu gemeinsam vertretungsberechtigten Geschäftsführern wurden der Beigeladene Ziff. 1 sowie der 2017 verstorbene J1 K1 und der 2021 verstorbene R1 V1 bestellt, die jeweils auch 1/3 des Stammkapitals übernahmen. Nach dem Tod von J1 K1 wurden die Gesellschaftsanteile auf J2 K1 in Erbengemeinschaft übertragen. Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags wurde die Klägerin im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum und wird bei mehreren Geschäftsführern durch zwei Geschäftsführer gemeinsam vertreten. Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags bedurften alle Gesellschafterbeschlüsse der Mehrheit von ¾ der Stimmen der Gesellschafter, wenn Gegenstand der Beschlussfassung die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, Änderung des Gesellschaftsvertrages, Einziehung eines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund, Auflösung der Gesellschaft oder Weisungen an den oder die Geschäftsführer war. Für alle übrigen Beschlüsse genügte die einfache Mehrheit.
Die Beklagte führte bei der Klägerin vom 22.10.2019 bis 18.01.2020 eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch. Mit Schreiben vom 28.01.2020 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Nachforderung in Höhe von 145.924,65 € an, da der Beigeladene Ziff. 1 sowie J1 K1 und R1 V1 ihre Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt hätten.
Mit Bescheid vom 31.03.2020 setzte die Beklagte einen Nachforderungsbetrag in Höhe von 145.924,65 € für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2018 gegenüber der Klägerin fest. Der Beigeladene Ziff. 1 sowie J1 K1 und R1 V1 hätten in einem jeweils abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin gestanden. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer sei nur dann nicht abhängig beschäftigt, wenn er die Rechtsmacht besitze, durch Einflussnahme auf der Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn er mehr als 50% der Anteile am Stammkapital halte oder über eine umfassende Sperrminorität verfüge. Beides sei bezüglich der drei Gesellschafter-Geschäftsführer nicht der Fall gewesen. Da die Beschlüsse, welche eine 3/4-Mehrheit benötigten, auf die in § 9 Nr. 3a bis e aufgeführten Bereiche beschränkt gewesen sei, ergebe sich für keinen der Gesellschafter-Geschäftsführer eine umfassende Sperrminorität. Für den Beigeladenen Ziff. 1 sowie J1 K1 und R1 V1 habe Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden. Bezüglich der Kranken- und Pflegeversicherungspflicht sei von Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenzen auszugehen.
Hiergegen erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch. Dieser legte eine schriftliche Vollmacht vor. Zur Begründung wurde ausgeführt, Gesellschafterbeschlüsse müssten, wenn sie eine Weisung an die Geschäftsführer enthielten, 75% der abgegebenen Stimmen erreichen. Zudem könne ein Geschäftsführer nicht ohne seinen Willen abberufen werden. Somit liege eine Sperrminorität vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die eingeräumte Sperrminorität betreffe nur bestimmte Bereiche und sei deshalb nicht umfassend. Sie sei deshalb keine echte Sperrminorität. Den Widerspruchsbescheid stellte die Beklagte der Klägerin, nicht aber deren Bevollmächtigten, mit Einschreiben zu.
Am 01.10.2021 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben. Trotz Vorlage einer schriftlichen Vollmacht habe die Beklagte den Widerspruchsbescheid nicht dem Bevollmächtigten zugestellt. Dieser habe erst in einem Telefonat vom 14.09.2021 mit dem Geschäftsführer der Klägerin von dem Widerspruchsbescheid erfahren. In der Sache hat er ausgeführt, dass jeder der Gesellschafter-Geschäftsführer über eine qualifizierte Sperrminorität verfügt habe, da jeder über Gesellschaftsanteile von 1/3 verfügt habe. Damit habe gegen den Willen eines einzelnen Geschäftsführers kein ihm nachteiliger oder sein Anstellungsverhältnis betreffender Gesellschafterbeschluss wirksam ergehen können.
Die Klägerin ist der Klage entgegengetreten. Sie hat auf die Begründungen des angefochtenen Bescheides und Widerspruchsbescheides verwiesen. Nach § 9 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages habe für alle nicht unter § 9 Ziff. 3 aufgeführten Gegenstände die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt. Eine echte Sperrminorität habe daher nicht vorgelegen.
Mit Urteil vom 10.12.2024 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 31.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2021 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anfechtungsklage sei zulässig, insbesondere sei die Klagefrist gemäß § 87 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingehalten. Danach sei Klage binnen eines Monats nach (wirksamer) Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Die Beklagte habe hier die Bekanntgabeform der Zustellung gewählt. Diese Zustellung sei jedoch nicht formgerecht bewirkt worden. Gemäß § 7 Abs.1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) könnten Zustellungen an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden. Sie seien aber an ihn zu richten, wenn er eine schriftliche Vollmacht vorgelegt habe. Dies sei hier geschehen, der Bevollmächtigte der Klägerin habe mit Schriftsatz vom 15.04.2020 eine schriftliche Vollmacht vorgelegt. Gemäß § 8 VwZG könne dieser Zustellungsmangel geheilt werden, es gelte als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem das zuzustellende Dokument dem Empfangsberechtigten - also hier dem Klägerbevollmächtigten - tatsächlich zugegangen sei. Dies könne nicht vor dem 14.06.2021 gewesen sein, denn erst zu diesem Zeitpunkt habe der Bevollmächtigte überhaupt erstmals telefonisch Kenntnis von dem Widerspruchsbescheid erhalten. Selbst wenn der Widerspruchsbescheid dem Klägerbevollmächtigten noch am selben Tag auch zugegangen sein sollte, wäre die Klagefrist eingehalten.
Die Klage sei auch begründet. Der Bescheid vom 31.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2021 sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid sei § 28p SGB IV. Danach prüften die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach der SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stünden, ordnungsgemäß erfüllten; sie prüften insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen. Die Prüfungen umfassten auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt worden seien. Die Träger der Rentenversicherung erließen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insofern gelten § 28h Abs.2 SGB IV sowie § 93 i.V.m. § 89 Abs.5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht. Zwar entscheide grundsätzlich gemäß § 28h Abs.2 Satz 1 SGB IV die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dies gelte aber ausnahmsweise nicht für Entscheidungen im Rahmen einer Arbeitgeberprüfung. Betriebsprüfungen durch den Rentenversicherungsträger hätten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur eine Kontrollfunktion. Sie sollten einerseits Beitragsausfälle verhindern, andererseits die Sozialversicherungsträger davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nichtversicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstünden. Die Entscheidung stelle sich vor diesem Hintergrund als kombinierte - positive oder negative - Feststellung von Versicherungspflicht und Beitragsnachentrichtung oder Beanstandung dar. Die Besonderheit eines Bescheides nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV liege insoweit darin, dass über das Bestehen von Versicherungspflicht und die daraus resultierende Beitragsnachforderung gemeinsam zu entscheiden sei. Dies unterscheide das Nachprüfungsverfahren hinsichtlich der Feststellung von Versicherungspflicht vom Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Die hier streitigen Beiträge würden gemäß § 28g Satz 1 und 2, 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV als Gesamtsozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber gezahlt.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) seien in den genannten Zweigen der Sozialversicherung Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt seien. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV. Danach sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Das setze voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Die Weisungsgebundenheit könne - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe gälten auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Sei ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, seien der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer sei nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern müsse, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht sei bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital halte. Ein Minderheitsgesellschafter sei grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er sei ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt sei. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müsse in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit sei der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb sei eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Bei einem am Gesellschaftskapital nicht beteiligten Fremdgeschäftsführer scheide eine selbstständige Tätigkeit grundsätzlich aus.
Nach diesen Maßstäben seien der Beigeladene Ziff. 1, J1 K1 und R1 V1 jeweils selbstständig als Gesellschafter-Geschäftsführer tätig gewesen. Sie hätten zwar jeweils nur 1/3 der Geschäftsanteile gehalten, weshalb sie jeweils umfassend weisungsunterworfen gewesen seien, wie sich aus § 37 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) ergäbe, wonach ein Geschäftsführer verpflichtet sei, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang seiner Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimme, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt seien. Im Gesellschaftsvertrag der Klägerin sei jedoch eine “qualifizierte“, umfassende Sperrminorität enthalten, die also die gesamte Unternehmenstätigkeit erfasse und damit alle Angelegenheiten. Nach § 9 des Gesellschaftsvertrages bedürften alle Gesellschafterbeschlüsse der Mehrheit von ¾ der Stimmen der Gesellschafter, wenn Gegenstand der Beschlussfassung die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, Änderung des Gesellschaftsvertrages, Einziehung eines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund, Auflösung der Gesellschaft oder Weisungen an den oder die Geschäftsführer gewesen sei. Diese Mehrheit sei nur zu erreichen, wenn alle drei Gesellschafter-Geschäftsführer einem Beschluss zustimmten. Zwar sei für alle übrigen Beschlüsse eine einfache Mehrheit ausreichend, wofür die Stimmen von zwei der Gesellschafter-Geschäftsführer ausreichend gewesen seien, also gerade dem Einzelnen keine Sperrminorität zugestanden habe. Diese übrigen Beschlüsse beträfen jedoch, wie sich aus § 46 GmbHG ergäbe, nicht die Unternehmenstätigkeit im eigentlichen Sinne, sondern beträfen vielmehr vorrangig die Stellung der Gesellschafter untereinander. Die einzigen Beschlüsse, die mit einfacher Mehrheit hätten gefasst werden können, seien nämlich die Einforderung der Einlagen, die Rückzahlung von Nachschüssen, Beschlüsse betreffend die Abschlüsse und die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, welche der Gesellschaft aus der Gründung oder Geschäftsführung gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter zustünden sowie die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen gehabt hätte. Aufgrund der Sperrminorität in Bezug auf alle anderen Beschlüsse seien die Geschäftsführer in der Lage gewesen, ihnen nicht genehme Weisungen hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer abzuwehren und ihre Entlassung sowie Änderungen der Satzung zu verhindern, was für die Einordnung einer selbstständigen Tätigkeit ausreichend sei.
Gegen das der Beklagten gegen elektronisches Empfangsbekenntnis am 13.12.2024 zugestellte Urteil hat sie am 03.01.2025 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, das SG habe verkannt, dass im Gesellschaftsvertrag der Klägerin keine „qualifizierte“, umfassende Sperrminorität enthalten gewesen sei. Auf die Geschicke der Gesellschaft habe nur der Einfluss, der als Gesellschafter sämtliche Beschlüsse verhindern könne (umfassende Sperrminorität). Die Beteiligten seien als Minderheitsgesellschafter nicht in der Lage gewesen, eine minderheitsbedingte Weisungsgebundenheit aufzuheben oder abzuschwächen. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass sich die eingeräumte (unechte) Sperrminorität auf bestimmte Bereiche und nicht allumfassend auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckt habe, sodass sie nicht jegliche Weisungen durch die Gesellschafterversammlung hätten verhindern können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2024 aufzuheben und
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Mit Schreiben vom 21.05.2025 sind die Beteiligten auf die Absicht des Senats hingewiesen worden, gemäß § 153 Abs. 4 SGG über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die zulässige Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückweisen können, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§ 143 SGG) und statthaft (§ 144 SGG).
Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.06.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat rechtswidrig ausgehend von einer Versicherungspflicht des Beigeladenen Ziff. 1 und des J1 K1 und R1 V1 bezüglich ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin in dem Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2018 in der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung eine Beitragsnachforderung in Höhe von 145.924,65 € festgesetzt. Denn diese standen als Geschäftsführer der Klägerin nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dieser. Der Senat schließt sich nach eigenen Prüfung den Gründen des SG in seinem Urteil uneingeschränkt an und weist die Berufung gem. § 153 Abs. 2 SGG aus diesen Gründen zurück.
Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Vortrag im Berufungsverfahren. Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2024 - B 12 KR 1/22 R -, in juris). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält. Ein Minderheitsgesellschafter ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (vgl. § 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Bei einem am Gesellschaftskapital nicht beteiligten Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige Tätigkeit grundsätzlich aus (st.Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 01.02.2022 - B 12 KR 37/19 R - BSGE 133, 245 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 61, Rn. 13 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.09.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 43, Rn. 15 m.w.N.).
Über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügen nicht nur Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von zumindest 50 v.H. oder - bei geringerer Kapitalbeteiligung - einer umfassenden Sperrminorität in der von ihnen geführten GmbH. Die Rechtsmacht kann auch daraus resultieren, dass der (Fremd-)Geschäftsführer kraft seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft in der Lage ist, Einfluss auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der von ihm geführten Gesellschaft zu nehmen. Denn es kann keine Rolle spielen, ob er diese Rechtsmacht allein aus seiner Gesellschafterstellung in der von ihm geführten Gesellschaft oder aus seiner Beteiligung an einer anderen Gesellschaft ableitet. Für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ist aber auch eine solche von dieser Beteiligung an einer anderen Gesellschaft abgeleitete Rechtsmacht nur beachtlich, wenn sie ihrerseits im Gesellschaftsrecht wurzelt, also durch Gesellschaftsvertrag eindeutig geregelt ist und unmittelbar auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis durchschlägt (BSG, Urteil vom 08.07.2020 - B 12 R 26/18 R - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 51, Rn. 16 m.w.N.). Entscheidend bleibt, dass der Geschäftsführer selbst und unmittelbar eine ausschlaggebende Einflussnahmemöglichkeit auf Gesellschafterbeschlüsse der von ihm geführten Gesellschaft hat oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern kann. Denn ein Geschäftsführer übt seine Tätigkeit nur dann selbstständig aus, wenn er zugleich kraft seiner Gesellschaftsanteile über die Rechtsmacht verfügt, auf die Beschlüsse der Gesellschaft einzuwirken, für die er die Geschäftsführung übernommen hat (zuletzt BSG, Urteil vom 23.02.2021 - B 12 R 18/18 R - juris Rn. 18 m.w.N.). Der Senat hat eine entsprechende Rechtsmacht bejaht, wenn dem Geschäftsführer über seine Beteiligung an einer Muttergesellschaft eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte") Sperrminorität in Bezug auf das Stimmverhalten in der von ihm geführten Tochter-GmbH eingeräumt ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.07.2020 a.a.O., Rn. 20).
Über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügen Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von mindestens 50 v.H. oder - bei geringerer Kapitalbeteiligung - einer umfassenden Sperrminorität in der von ihnen geführten GmbH. Entscheidend bleibt, dass der Geschäftsführer selbst und unmittelbar eine ausschlaggebende Einflussnahmemöglichkeit auf Gesellschafterbeschlüsse der von ihm geführten Gesellschaft hat oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern kann. Denn ein Geschäftsführer übt seine Tätigkeit nur dann selbstständig aus, wenn er zugleich kraft seiner Gesellschaftsanteile über die Rechtsmacht verfügt, auf die Beschlüsse der Gesellschaft einzuwirken, für die er die Geschäftsführung übernommen hat (vgl. BSG, Urteil vom 20.02.2024 - B 12 KR 1/22 R -, Urteil vom 23.02.2021 - B 12 R 18/18 R - beide in juris). Zutreffend hat das SG in seinem Urteil vom 10.12.2024 ausgehend von § 9 des im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Gesellschaftsvertrages der Klägerin festgestellt, dass der Beigeladene Ziff. 1, J1K1 und R1 V1 jeweils eine nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche „qualifizierte“ Sperrminorität ausgehend von ihrem jeweiligen 1/3-Gesellschaftsanteil innehatten. Damit waren sie nach § 9 Ziff. 3 des Gesellschaftsvertrages in der Lage, jegliche Weisungen der Gesellschafter an sie zu verhindern und ihre Abberufung als Geschäftsführer ebenfalls zu verhindern.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beigeladenen tragen gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Kosten aus Billigkeit der unterliegenden Beklagten aufzuerlegen, weil für die Beigeladenen keine Anträge gestellt worden sind (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, § 197a Rn. 29 m. w. N.).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 47 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 BA 3696/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 BA 55/25
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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