L 2 SO 1095/25

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 2392/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1095/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. März 2025 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe


I.
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für August 2015 bis Juni 2018 in Höhe von 12.250,00 Euro.

Der 1980 geborene, voll erwerbsgeminderte Kläger erhielt vom Beklagten über viele Jahre bis 30.09.2021 (aufstockend zu der von ihm von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg bezogenen Rente wegen voller Erwerbsminderung) laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII (vgl. Bewilligungsbescheide vom 23.06.2021 und 20.08.2021 sowie Aufhebungsbescheid vom 23.09.2021). In der Folgezeit lehnte der Beklagte mehrere (Neu-)Anträge des Klägers ab. Zahlreiche hiergegen erhobene Widerspruchs-, Klage-, Berufungs- und Beschwerdeverfahren sowie Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes blieben erfolglos. Seit 01.01.2024 erhält der Kläger wieder Grundsicherungsleistungen vom Beklagten, allerdings werden hierbei keine Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt.

Der Kläger bewohnte, nachdem er bereits zuvor in der heutigen, seiner Mutter gehörenden Wohnung, in A1, B1steige, gewohnt hatte, nach seinen Angaben ab dem 31.07.2015 eine Wohnung in B2, Am W1bach.

Für die Zeit vom 01.08.2015 bis 30.06.2018 behauptete der Kläger unter Vorlage eines schriftlichen Mietvertrags gegenüber dem Beklagten für diese Wohnung das Bestehen eines Mietverhältnisses mit W2 (Bl. 162 VA). Für die Zeit ab Juli 2018 gab der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Kauf der Immobilie Am W1bach, B2, durch seine Mutter und einen mit ihr abgeschlossenen Mietvertrag an (Bl. 65 VA) an. Bis zum 30.09.2021 berücksichtigte der Beklagte bei den Leistungsbewilligungen Unterkunftskosten aus den vom Kläger vorgelegten Mietverträgen mit seiner Mutter, auf deren Konto der Kläger seine gesamte Erwerbsminderungsrente überweist. Seit 01.10.2021 akzeptiert der Beklagte wegen gerichtlicherseits bestätigter Zweifel an einem tatsächlich gelebten Mietverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Mutter keine Unterkunftskosten mehr. Inzwischen lebt der Kläger wieder in der Wohnung in A1.

Nachdem die Gewährung der Erwerbsminderungsrente zunächst streitig und die Leistungsgewährung vom Beklagten zunächst abgelehnt worden war (vgl. Bescheid vom 07.06.2016), bewilligte der Beklagte dem Kläger mit dem Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 (Bl. 151 VA) ab Dezember 2016 Hilfe zum Lebensunterhalt. Er berücksichtigte dabei 350,00 Euro für Kosten der Unterkunft resultierend aus dem vom Kläger vorgelegten Mietvertrag mit W2. Auf Wunsch des Klägers wurde die Hilfe zum Lebensunterhalt nur für Dezember 2016 ausgezahlt.

Mit dem Bescheid vom 11.07.2017 (Bl. 145 VA) in der Fassung des Abhilfebescheids vom 14.07.2017 (Bl. 148 VA) bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Monate Juli 2017 bis Juni 2018. Er berücksichtigte dabei wiederum die eben genannten Unterkunftskosten.

Mit dem Bescheid vom 22.09.2020 (Bl. 260 VA) bewilligte der Beklagte dem Kläger Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 01.02.2015 bis 30.06.2017, für die Zeit ab August 2015 (d.h. Zeitpunkt des behaupteten Einzuges in die Wohnung Am W1bach, B2) wiederum unter Berücksichtigung der eben genannten Unterkunftskosten.

Im September 2021 teilte W2 dem Beklagten mit, es habe zwischen ihm und dem Kläger zu keinem Zeitpunkt ein Mietvertrag bestanden (Bl. 886 VA). Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Mutter des Klägers bereits im Juni 2015 die Immobilie von W2, dessen Schwester und seiner Mutter gekauft hatte (notarieller Kaufvertrag vom 15.05.2015, Bl. 83 VA). Durch eine Anfrage bei der Bank stellte sich zudem heraus, dass die aus den Kontoauszügen ersichtlichen Mietzahlungen des Klägers auf ein angebliches Konto des W2 tatsächlich Zahlungen auf ein der Mutter des Klägers gehörendes Konto waren (Bl. 216 VA).

Der Beklagte erstattete daraufhin mit Schreiben vom 17.09.2021 bei der zuständigen Staatsanwaltschaft H1 Anzeige gegen den Kläger wegen des Verdachts auf Sozialleistungsbetrug (dortiges Aktenzeichen: 25 Js 10124/21) und stellte die Leistungsgewährung mit Wirkung zum 01.10.2021 (vgl. Bescheid vom 23.09.2021) ein.

Nach vorheriger Anhörung (Schreiben vom 20.09.2021, Bl. 864 VA) nahm der Beklagte sodann mit Bescheid vom 25.10.2021 (Bl. 1049 VA) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2021 (Bl. 3 SG-Akte S 4 SO 2856/21) die für die Zeit vom 01.08.2015 bis 30.06.2018 erfolgten Bewilligungen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hinsichtlich der berücksichtigten Kosten der Unterkunft gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurück und forderte vom Kläger die Erstattung der zu viel gezahlten Leistungen in Höhe von 12.250,00 Euro. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, das vom Kläger behauptete Mietverhältnis mit dem angeblichen Hauseigentümer W2 habe nie bestanden. Der Kläger habe den Beklagten insoweit arglistig getäuscht. Tatsächlich sei die Mutter des Klägers im betroffenen Zeitraum Eigentümerin der Immobilie gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 20.12.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben (S 4 SO 2856/21).

Mit einem weiteren Bescheid vom 25.10.2021 nahm der Beklagte die mit dem Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt hinsichtlich der Unterkunftskosten zurück und forderte eine Erstattung der im Dezember 2016 insoweit berücksichtigten 350,00 Euro. Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch erhob, hob die Beklagte diesen weiteren Bescheid vom 25.10.2021 komplett wieder auf. Den von Kläger gegen den Abhilfebescheid vom 28.12.2021 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 15.03.2022 (Bl. 2 SG-Akte S 4 SO 519/22) zurück. Der Abhilfebescheid sei, da die ursprünglich für Dezember 2016 bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der nachträglichen Bewilligung von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereits erstattet worden sei, zu Recht ergangen.

Hiergegen hat der Kläger am 18.03.2022 Klage zum SG Reutlingen erhoben (S 4 SO 519/22).

Mit Verbindungsbeschluss vom 17.05.2022 hat das SG diese beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (gemeinsames Aktenzeichen S 4 SO 2856/21).

Mit Beschluss vom 13.06.2022 hat das SG die verbundenen Verfahren im Hinblick des bei der Staatsanwaltschaft H1 geführten Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger (- xx/21 -) ausgesetzt.

Mit der Verfügung vom 21.09.2022 hat die Staatsanwaltschaft H1 das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gemäß § 153 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Auf den Inhalt der Einstellungsverfügung (Bl. 8 im Verfahren S 4 SO 2393/23) wird Bezug genommen.

Das SG nahm daraufhin die o.g. verbundenen Klagen unter dem im Rubrum genannten Aktenzeichen (S 4 SO 2392/23) wieder auf (vgl. Bl. 1 SG-Akte).

Der Kläger hat mit Schreiben vom 12.12.2023 (Bl. 4 SG-Akte) u.a. weiter ausgeführt, dass der Beklagte nicht nachweisen könne, dass er keine Mietausgaben gehabt habe. Selbst die Staatsanwaltschaft habe eingesehen, dass er nicht kostenfrei irgendwo wohnen könne. Der Kläger hat zudem erneut eine Befangenheit des Kammervorsitzenden des SG geltend gemacht.

Den vom Kläger gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das vorliegende Verfahren hat das SG mit Beschluss vom 24.10.2024 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers ist vom Senat zurückgewiesen worden (Beschluss vom 19.12.2024, - L 2 SO 3194/24 B -).

Das SG hat die vorliegende Klage mit Urteil vom 17.03.2025 abgewiesen. Die Kammer könne unter Mitwirkung des Vorsitzenden entscheiden. Das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch des Klägers sei unzulässig. Der Kläger versuche seit Jahren, einen Richter, der eine ihm missliebige Ansicht vertrete, mit unsubstantiierten, zu einem erheblichen Teil unsachlichen Vorhaltungen auszuschalten. Das sei rechtsmissbräuchlich.
Die verbundenen beiden Klagen blieben ohne Erfolg. Die Klage gegen den Abhilfebescheid vom 28.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2022 sei bereits unzulässig, da keine Beschwer vorliege. Regelungsgegenstand des Abhilfebescheids sei die vollständige Aufhebung des vom Kläger angegriffenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 25.10.2021. Damit sei dem Widerspruch des Klägers vollständig abgeholfen worden und er sei nicht mehr beschwert. Eine andere Regelungswirkung habe der Abhilfebescheid vom 15.03.2022 nicht.
Die Klage gegen den Bescheid vom 25.10.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2021 sei zwar zulässig, aber unbegründet, weil der Beklagte zu Recht die Bewilligungen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 11.07.2017 und 22.09.2020 für die Zeit vom 01.08.2015 bis 30.06.2018 (= 35 Monate) hinsichtlich der berücksichtigten Unterkunftskosten zurückgenommen und zu Recht deren Erstattung in Höhe von 12.250,00 Euro (= 35 x 350,00 Euro) gefordert habe. Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage dieses Bescheides, § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), lägen vor. Die ursprünglichen Leistungsbewilligungen seien zunächst hinsichtlich der Unterkunftskosten anfänglich rechtswidrig gewesen. Denn ein Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII habe nicht vorgelegen. Hierzu hat das SG weiter ausgeführt, dass auf der Grundlage der Angaben von W2 und der weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungen feststehe, dass von August 2015 bis Juni 2018 zwischen dem Kläger und W2 das Mietverhältnis, das der Beklagte seinen Bewilligungsentscheidungen zugrunde gelegt habe, tatsächlich nicht bestanden habe, mithin aus dem vorgelegten Mietvertrag mit W2 auch keine Unterkunftskosten des Klägers resultierten. Dieser Mietvertrag sei - so die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft - evident gefälscht. Allein wegen Verjährung komme wegen dieser Fälschung eine Strafverfolgung nicht in Betracht. Das Konto, auf das die vom Beklagten gewährten Unterkunftskosten geflossen seien, habe entgegen dem durch den Verwendungszweck hervorgerufenen Anschein ebenfalls nicht W2, sondern der Mutter des Klägers, die entgegen dem Vortrag des Klägers bereits im streitbefangenen Zeitraum Eigentümerin der Immobilie gewesen sei, gehört. Soweit die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung und im Anschluss daran auch der Kläger davon ausgegangen sei, es könne nicht nachgewiesen werden, dass zwischen dem Kläger und seiner Mutter kein tatsächlich gelebtes Mietverhältnis bestanden habe, teile das Gericht diese Auffassung nicht.
Anders als es der Kläger formuliere, sei es nicht ausgeschlossen, dass Personen kostenfrei in einer Wohnung lebten. Gerade unter nahen Familienangehörigen gebe es solche Konstellationen. Sie seien der Ausdruck einer familiären Solidarität. Vor diesem Hintergrund seien bei der Anerkennung von Zahlungsverpflichtungen aus Mietverträgen zwischen nahen Familienangehörigen als grundsicherungsrechtlicher Bedarf strenge Maßstäbe anzulegen, Scheingeschäfte nicht zu akzeptieren. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass beim Fehlen eines Mietvertrags grundsätzlich eine Nutzungsentschädigung zu zahlen sei. Dabei fehle im vorliegenden Fall schon ein Ansatzpunkt für ein mietvertragliches oder nutzungsrechtliches Scheingeschäft, denn der Kläger setzte hier, indem er einen gefälschten Mietvertrag mit W2 vorlege, nicht einmal den äußeren Anschein eines Vertragsverhältnisses mit seiner Mutter. Für die Kammer stehe fest, dass der Kläger nicht das Risiko einer Strafverfolgung wegen Urkundenfälschung eingegangen wäre, wenn zwischen ihm und seiner Mutter eine rechtswirksame Vereinbarung über die Zahlung einer Miete oder einer Nutzungsentschädigung vorgelegen hätte. Damit stehe für die Kammer fest, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum keine Unterkunftskosten gehabt habe.
Lediglich hilfsweise sei zu ergänzen, dass die in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft geäußerten Zweifel an der Wohnsituation des Klägers und dem Bestehen eines Mietverhältnisses oder sonstigen Zahlungsverpflichtung gegenüber seiner Mutter, ausreichen würden, um im Rahmen des § 45 SGB X von anfänglich rechtswidrigen Bewilligungen auszugehen. Weiter hat das SG ausgeführt, dass die von der Staatsanwaltschaft insoweit geäußerten Zweifel an der Nachweisbarkeit eines Vermögensschadens gemäß § 263 Strafgesetzbuch (StGB) angesichts des im Strafrecht geltenden Grundsatzes „in dubio pro reo“ die Anklage wegen Betrugs ausgeschlossen haben mögen, für die hier zu treffende sozialrechtliche Entscheidung über die Rücknahme der Bewilligung und die Erstattung von Leistungen würden jedoch andere Beweismaßstäbe gelten. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine Umkehr der im Rahmen des § 45 SGB X grundsätzlich die Behörde treffenden Beweislast für das Vorliegen der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide gerechtfertigt sein könne, wenn in der Sphäre des Leistungsempfängers wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar seien. Dies könne der Fall sein, wenn der Leistungsempfänger im Zusammenhang mit der Antragstellung eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich mache (BSG, Urteil vom 21.03.2007 - B 11a AL 21/06 R - in juris Rn. 18). Von einer solchen Umkehr der Beweislast sei auszugehen, da der Kläger mit der Vorlage eines gefälschten Mietvertrags und über 35 Monate aufrechterhaltenen falschen Angaben zur Person des angeblichen Vermieters die zeitnahe Prüfung und Aufklärung eines etwaigen Familienmietverhältnisses sowie seiner Wohnsituation unmöglich gemacht habe. Hinzu komme, dass der Kläger, wie vom Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg u.a. im Beschluss vom 16.01.2023 (L 7 SO 3590/22 ER-B zu S 4 SO 2206/22 ER) und im Urteil vom 19.06.2024 (L 2 SO 551/24 zu S 4 SO 2187/22) ausgeführt worden sei, seit Jahren seine wirtschaftlichen Verhältnisse intransparent gestalte. Dazu gehöre auch, dass er seit Jahren seine Renten- und Grundsicherungszuflüsse fast vollständig an seine Mutter weiterleite. Nicht nur der Kläger, sondern auch seine Mutter wollten keine Transparenz herstellen. Letzteres schließe die Kammer aus dem Umstand, dass sich die Mutter des Klägers im Mai 2020 im Verfahren S 4 SO 827/20 wegen Nachfragen zur Immobilie Am W1bach in B2 auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe (gerichtliche Anfrage vom 05.05.2020, Schreiben der Mutter vom 12.05.2020). Auch dieser Umstand sei der Sphäre des Klägers zuzuordnen. Bei dieser Sachlage reiche es für die Rückforderung der auf die Vorlage eines gefälschten Mietvertrags hin ausgezahlten Unterkunftskosten aus, dass durchschlagende Zweifel am Bestehen einer entsprechenden Zahlungsverpflichtung gegenüber seiner Mutter bestünden. Die zuletzt vom LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 19.06.2024 (L 2 SO 551/24) geäußerten erheblichen Zweifel an der Ernstlichkeit einer aktuellen Mietzinsverpflichtung des Klägers gegenüber seiner Mutter würden erst Recht für den hier streitbefangenen Zeitraum gelten, in dem vom Kläger gegenüber dem Beklagten im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung nicht einmal ein Mietverhältnis mit seiner Mutter behauptet worden sei. Die Beweislast sei insoweit vom Kläger zu tragen.
Auch die übrigen Voraussetzungen des § 45 SGB X lägen vor. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauen berufen, da er den Beklagten durch die Vorlage eines gefälschten Mietvertrags arglistig getäuscht habe und die Bewilligungen auf vorsätzlich vom Kläger unrichtigen Angaben über das angebliche Mietverhältnis mit W2 beruhten (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 und 2 SGB X). Damit sei die Rücknahme für die Vergangenheit gemäß § 45 Abs. 4 SGB X möglich. Diese sei auch innerhalb der dort geregelten Jahresfrist seit der im Sommer 2021 eingetretenen Kenntnis des Beklagten über die Voraussetzungen der Rücknahme und auch innerhalb der nach § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X geltenden Zehn-Jahres-Frist seit Bekanntgabe der zurückgenommenen Bewilligungsentscheidungen erfolgt. Der Beklagte habe Ermessen ausgeübt. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Im Übrigen sei angesichts des Umstands, dass sich der Kläger Leistungen durch Vorlage eines gefälschten Mietvertrags verschafft habe, von einer sog. Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Vor der Rücknahmeentscheidung sei der Kläger angehört worden und die geltend gemachte Kostenerstattung stehe im Einklang mit § 50 Abs. 1 SGB X.


Gegen das ihm gegen Postzustellungsurkunde am 26.03.2025 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.03.2025 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben und zur Begründung u.a. vorgetragen, dass er um „Fahrtkosten, Terminverschiebung, PKH und Anwalt und Akteneinsicht beschissen“ worden sei. Er habe den Kammervorsitzenden des SG wegen Befangenheit abgelehnt. Er halte auch die Richterin am LSG E1 und den Vorsitzeden S1 für fragwürdig. In einem früheren Verfahren habe diese Richterin ihn „um Fahrtkosten nach S2 betrogen“. Dieser Befangenheitsantrag sei nie ordentlich behandelt worden. S1 folge sicher den realitätsfremden Entscheidungen. Er halte es zudem keine gute Idee, ohne ehrenamtliche Richter und ohne Termin zu entscheiden. Weiter hat der Kläger ausgeführt, dass selbst wenn ein Mietvertrag unter falschen Namen geschlossen worden sei, dieser nicht hierdurch ungültig geworden sei. Er sei nicht angefochten worden. Eine Anhörung zum Bescheid vom 25.10.2021 sei nicht erfolgt. Fraglich sei zudem, ob der Beklagte W2 habe befragen dürfen. Das Gericht widerspreche der Staatsanwaltschaft und lege andere Beweismaßstäbe an.

Der Kläger beantragt (sinngemäß)

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. März 2025 sowie die Bescheide des Beklagten vom 25.Oktober 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.Dezember 2021 und vom 28.Dezember 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die angefochtene Entscheidung.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 15.05.2024 darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.
Der Senat kann in der geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung entscheiden. Der Kläger hat zwar ausgeführt, dass er den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht S1 und die Richterin am Landessozialgericht E1 für „fragwürdig“ und „realitätsfremd“ halte. Unabhängig davon, ob darin schon ein Ablehnungsgesuch gesehen werden kann, wäre ein solches zumindest offensichtlich unzulässig, denn es handelt sich hierbei um ein rechtsmissbräuchliches und gänzlich untaugliches Ablehnungsgesuch, über das ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02.06.2005 - 2 BvR 625/01 -, juris, Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 60 Rn. 10d; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 09.01.2023 - B 8 SO 45/22 BH -, BeckRS 2023, 1570 Rn. 2, beck-online) und auch nicht vorab zu entscheiden ist. Irgendwelchen substantiierten und individualisierten Tatsachenvortrag zu einer möglichen Befangenheit der Richter enthalten die Aussagen des Klägers nämlich nicht und sind im Übrigen auch sonst nicht erkennbar. Soweit der Kläger vorträgt, vorherige Befangenheitsanträge seien nicht bearbeitet worden, stimmt dies so nicht. Auf den Beschluss des Senats vom 05.06.2024 (L 2 SF 1698/24 B) wird Bezug genommen.

III.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass das SG das Ablehnungsgesuch gegen den Kammervorsitzenden wegen offensichtlicher Unzulässigkeit verworfen hat. Deshalb war der Kammervorsitzende auch nicht von dieser Entscheidung ausgeschlossen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 20.07.2021 - 2 BvE 4/20 - juris, Rdn. 35 m.w.N.; Keller a.a.O. Rn. 10b, d). Etwas Anderes ergibt sich entgegen des Vorbringens des Klägers auch nicht daraus, dass das SG das persönliche Erscheinen des Klägers zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht angeordnet und ihn mit Schreiben vom 20.02.2025 darauf hingewiesen hat, dass eine Fahrtkostenübernahme in einem solchen Fall nur bei nachgewiesener Mittellosigkeit erfolgen könne. Einen ausdrücklichen Verlegungsantrag hat der Kläger im Anschluss hieran nicht gestellt. Das SG konnte daher, da dem Kläger die Ladung zum Termin offensichtlich zugegangen ist (vgl. Postzustellungsurkunde vom 18.02.2025, Bl. 32 SG-Akte) und er hierin darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten bzw. Bevollmächtigten Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann, in Abwesenheit des Klägers entscheiden. Soweit der Kläger sich über die fehlende Gewährung von PKH beschwert, wird auf die PKH-Ablehnung des SG vom 30.10.2023 sowie die hierzu ergangene Beschwerdeentscheidung des Senats verwiesen.

Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Gegenstand der am 20.12.2021 vom Kläger beim SG erhobenen Klage (S 4 SO 2856/21) ist der Bescheid vom 25.10.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2021, mit dem der Beklagte nach vorheriger Anhörung die zuvor gewährten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für die Zeit vom 01.08.2015 bis 30.06.2018 (teilweise) nach § 45 SGB X aufgehoben und zu viel gezahlte Leistungen in Höhe von insgesamt 12.250,00 Euro zurückgefordert hat.

Gegenstand der zunächst unter dem Aktenzeichen S 4 SO 519/22 geführten vom Kläger am 18.03.2022 beim SG Reutlingen erhobenen Klage ist der Abhilfebescheid vom 28.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2022. Mit dem Bescheid vom 28.12.2021 hob der Beklagte einen weiteren Bescheid vom 25.10.2021, mit dem dieser die mit dem (Teilabhilfe-)Bescheid vom 14.12.2016 gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII für Dezember 2016 hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung zurückgenommen hatte, komplett wieder auf.

Das SG hat diese beiden verbundenen Klagen zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen.

Das SG hat in den Gründen des angefochtenen Urteils zum einen unter Darlegung der maßgeblichen rechtlichen Grundlagen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X) zutreffend ausgeführt, dass der Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2021 zu Recht die ursprünglichen Leistungsbewilligungen vom 11.07.2017 und 22.09.2020 für die Zeit vom 01.08.2015 bis 30.06.2018 (= 35 Monate) hinsichtlich der berücksichtigten Unterkunftskosten zurückgenommen und zu Recht die Erstattung zu viel geleisteter Zahlungen in Höhe von insgesamt 12.250,00 Euro (= 35 x 350,00 Euro) gefordert hat, da die ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen aufgrund der vorsätzlich unrichtigen Angaben des Klägers über ein angebliches Mietverhältnis mit W2 von Anfang rechtswidrig waren. Dieses Mietverhältnis bestand nie, so dass hieraus auch kein Bedarf des Klägers nach § 35 SGB XII für Kosten der Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum bestehen konnte. Außerdem hat das SG zu Recht entschieden, dass die Klage hinsichtlich des Abhilfebescheides vom 28.12.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2022 bereits mangels Beschwer unzulässig ist, weil Regelungsgehalt des angefochtenen Abhilfebescheides allein die vollständige Aufhebung des weiteren Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 25.10.2021 betreffend den Monat Dezember 2016 ist. Damit wurde dem Widerspruch des Klägers vollständig abgeholfen. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Auch aus dem Vortrag im Berufungsverfahren ergibt sich nichts Anderes. Wie auch das SG geht der Senat davon aus, dass die ursprünglichen Bewilligungen aufgrund der vorsätzlich falschen Angaben des Klägers von Anfang an rechtswidrig waren, da ein Mietverhältnis zwischen dem Kläger und W2 nachweislich nie bestanden hat und der Kläger eine „stattdessen“ bestehende wirksame Mietzinsverpflichtung gegenüber seiner Mutter nicht nachgewiesen hat. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den strafrechtlichen Ermittlungen. Vielmehr steht nach diesen fest, dass das den Bewilligungsentscheidungen für diesen Zeitraum zugrundeliegende Mietverhältnis mit W2 gerade nicht bestanden hat, sondern vom Kläger ein gefälschter Mietvertrag vorgelegt worden ist und die angeblich an W2 geleisteten Mietzahlungen tatsächlich an ein der Mutter des Klägers gehörendes Konto überwiesen worden sind. Allein aus dem tatsächlichen Zufluss von Zahlungen an die Mutter kann nach Überzeugung des Senats gerade nicht geschlossen werden, dass eine wirksame Mietzinsverpflichtung gegenüber der Mutter bestanden hat. Ein Mietvertrag für diesen Zeitraum mit der Mutter gibt es bislang nicht. Darüber hinaus wies die Staatsanwaltschaft H1 in der Einstellungsverfügung vom 21.09.2023 (- 25 Js 10124/21 -), auch wenn sie die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den Kläger inzwischen eingestellt hat, da ein Nachweis, dass aufgrund einer fehlenden Mietzinsforderung ein Vermögensschaden eingetreten ist, nicht erbracht werde konnte und Zweifel hieran für eine Anklageerhebung nicht ausreichten, ausdrücklich darauf hin, dass vorliegend ganz erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Wohnsituation des Beschuldigten im gesamten Zeitraum bis einschließlich 31.08.2021 bestünden und ebenso fragwürdig erscheine, ob zu irgendeinem Zeitpunkt ein notwendiger, gegenwärtiger und tatsächlich vorhandener Bedarf des Klägers, der die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII rechtfertigte, bestanden habe. Ein Nachweis, dass tatsächlich eine wirksame Mietzinsverpflichtung gegenüber der Mutter bestand, den der Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren zu erbringen hat, ergibt sich demnach, entgegen der Annahme des Klägers, aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gerade nicht. Soweit der Kläger sich zuletzt gegen Ermittlungen durch den Beklagten im Verwaltungsverfahren gewandt hat, insbesondere die bei W2 eingeholten Ermittlungen, verkennt er, dass auch der Beklagte - wie auch die Sozialgerichte - grundsätzlich zur Amtsermittlung verpflichtet sind.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).  


 

Rechtskraft
Aus
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