Ein Zuständigkeitsstreit zwischen Leistungsträgern ermöglicht es den Behörden nicht, untätig zu bleiben. Vielmehr ist die angenommene Unzuständigkeit durch Bescheid auszusprechen, um dem Betroffenen die rechtsstaatliche Kontrolle zu ermöglichen. Der Kläger bestimmt insoweit den Beginn eines Verwaltungsverfahrens, dass grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu enden hat.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag des Klägers vom 14. Juli 2022, gestellt durch die damalige Vormundin als gesetzliche Vertreterin des damals noch minderjährigen Klägers, wiederholt vom Kläger selbst mit Schreiben vom 25. Juli 2022 und erneut durch die dann bestellte rechtliche Betreuerin mit Schreiben mindestens vom 29. Juni 2023, gerichtet auf Weiterbewilligung der gewährten stationären Hilfemaßnahmen ab Eintritt in die Volljährigkeit, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
- Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bescheidung seines Antrags auf Weiterbewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Grundsicherung.
Der am 31. August 2004 geborene Kläger bezieht seit mindestens 2013 Leistungen der Eingliederungshilfe und lebt in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe. Zum 1. Juni 2023 wechselte der Kläger in den Erwachsenenbereich der von ihm vor und nach dem Wechsel bewohnten Einrichtung.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2022 beantragte der Kläger, vertreten durch seine Vormundin als gesetzliche Vertreterin, die Weitergewährung der stationären Hilfemaßnahmen ab Eintritt der Volljährigkeit. Diesen Antrag wiederholte der Kläger selbst mit Schreiben vom 25. Juli 2022. Schließlich wiederholte auch die rechtliche Betreuerin, mindestens mit Schriftsatz vom 29. Juni 2023, den Antrag auf Kostenübernahme der stationären Hilfemaßnahmen unter Bezugnahme auf den mittlerweile zum 1. Juni 2023 stattgehabten Wechsel des Klägers in den Erwachsenenbereich der Einrichtung. Alle Schreiben wurden an die Beklagte adressiert.
Die Beklagte hat den Antrag bis heute nicht beschieden.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit damit, „dass über den Antrag keine Entscheidung getroffen werden kann, da der Fachdienst Eingliederungs- und Gesundheitshilfe aufgrund der fehlenden örtlichen Zuständigkeit und der Sperrwirkung des § 14 SGB IX keine rechtmäßigen Bescheide erlassen kann“.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Die Kammer hat die Beteiligten vor Entscheidung durch Gerichtsbescheid ordnungsgemäß angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben (§ 105 Abs. 1 SGG).
Entscheidungsgründe
Gemäß § 105 SGG konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vor Erlass ordnungsgemäß angehört wurden.
Die zulässige Klage hat Erfolg. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers ohne zureichenden Grund nicht beschieden.
Im Rahmen eines Bescheidungsurteils wegen Untätigkeit bezieht sich die Rechtsauffassung des Gerichts nur auf diejenigen Gründe, die sich mit der Verpflichtung der Behörde zur Bescheiderteilung und gegebenenfalls mit dem Umfang der notwendigen Ermittlungen befassen (Michael Wolff-Dellen in: Fichte/Jüttner, SGG, 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, § 88 SGG, Rz. 17).
Vorliegend hat der Kläger bereits mit dem Antrag vom 14. Juli 2022, der in der Folge von ihm selbst und bei Wechsel in den Erwachsenenbereich der aktuellen Wohneinrichtung von seiner rechtlichen Betreuerin gestellt wurde, die Weitergewährung der stationären Hilfemaßnahmen beantragt. Ungeachtet der Verpflichtung der Sozialleistungsbehörden, bei offensichtlichem Hilfebedarf eines im Leistungsbezug stehenden Hilfebedürftigen von Amts wegen tätig werden zu müssen (zur Amtshaftung: Urteil des BGH vom 2. August 2018, III ZR 466/16), hat der Kläger durch seine Antragstellung ein Verwaltungsverfahren ausgelöst, sodass die adressierte Behörde tätig werden muss, § 18 Nummer 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Behörde darf vorliegend darüber hinaus die Entgegennahme von Anträgen, die grundsätzlich in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache unzulässig oder unbegründet hält, § 20 Abs. 3 SGB X. Vielmehr hat der Gesetzgeber alle denkbaren Fallkonstellationen geregelt, wie die adressierte Behörde mit dem Antrag umzugehen hat. So hat er vorgegeben, dass eine Behörde, die der Auffassung ist, unzuständig zu sein, einen entsprechenden Bescheid zu erlassen hat, der das Verwaltungsverfahren beendet, §§ 8, 31 SGB X. Daneben hat die Behörde bei angenommener Unzuständigkeit den Antrag an den nach ihrer Auffassung nach zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bzw. im Falle der Eingliederungshilfe § 14 Abs. 1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Der Gesetzgeber hat das Verwaltungsverfahren, dessen Beginn und das Ende normiert sowie im Sozialrecht insbesondere auch die Gewährung der sozialen Rechte durch die Pflicht zur Weiterleitung des Antrags sichergestellt.
Keinesfalls kann eine Behörde durch bloßes Nichtstun ihre Entscheidung der rechtsstaatlichen Kontrolle entziehen. Das Vorhandensein einer rechtsstaatlichen Kontrolle durch Widerspruchsbehörde und Gerichte ist grundlegender Ausdruck unserer Verfassung und Demokratie. Die Auffassung, man könne Bescheide nicht erlassen, weil man unzuständig sei, verstößt sowohl gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), als auch gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Im Falle der angenommenen Unzuständigkeit bleibt es der Behörde unbenommen, das Verwaltungsverfahren durch einen Verwaltungsakt, der die Unzuständigkeit ausspricht, zu beenden und dem Antragsteller die Möglichkeit der rechtsstaatlichen Kontrolle zu eröffnen.
Über die tatsächliche Zuständigkeit der Beklagten hat das Gericht hier nicht zu befinden, da es vor der Kontrolle durch die Gerichte der Durchführung eines Vorverfahrens bedarf, § 78 SGG.
Die Entscheidung zu den Kosten ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1, 183 SGG.