L 13 VJ 66/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 2 VJ 49/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VJ 66/14
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.09.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen aufgrund eines vorgetragenen Impfschadens im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist approbierte Zahnärztin; seit Mitte 2005 übt sie diese Tätigkeit nicht mehr aus. Bei der Klägerin ist eine Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose - MS) diagnostiziert worden. Sie erhält eine Berufsunfähigkeitsrente der Ärzteversorgung sowie eine private Berufsunfähigkeitsrente. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Nachteilsausgleiche G und aG festgestellt.

 

Sie wurde mit dem Impfstoff Engerix B erstmals am 24.04.1998 gegen Hepatitis B (HBV) geimpft. Am 11.05.1998 zeigte sich bei ihr eine Lymphknotenschwellung (Lymphadenitis) und konsekutiv am 18.05.1998 eine Mandelentzündung (Tonsillitis). Drei Tage später erfolgte die Verdachtsdiagnose Pfeiffersches Drüsenfieber (infektiöse Mononukleose ausgelöst durch das Ebstein-Barr Virus). Die zweite HBV-Impfung erfolgte am 17.06.1998, der wiederum am 28.07.1998 eine Lymphadenitis folgte. Eine solche wurde auch am 18.08.1998 und 15.10.1998 dokumentiert. Die dritte HBV-Impfung wurde am 28.10.1998 durchgeführt. Am 26.04.1999 erfolgte die Dokumentation einer Angina tonsillaris und am 28.09.1999 einer Pharyngitis (Rachenentzündung). Am 30.11.1999 klagte die Klägerin über Missempfindungen (Parästhesien) im Bereich des Gesäßes, der Oberschenkelbeuger und der Fußsohlen. Der behandelnde Neurologe F. schloss insoweit eine neurologische Ursache nicht aus. Am 16.02.2001 erfolgte eine Auffrischungsimpfung. Am selben Tag diagnostizierte J. laut der Behandlungsdokumentation eine Neuralgie des Hirnnervs VI (H49.2). Im April 2002 beklagte die Klägerin erneut Parästhesien im Bereich der Hand und des Kniegelenks, weswegen unter anderem der Verdacht auf eine abortive Form eines Lupus erythematodes mit diskreter Arthritis und neurologischen Symptomen der Hand von F. geäußert wurde. Im September 2002 wurde erstmals der Verdacht auf eine neurologische Erkrankung vermerkt und am 14.04.2003 im O.klinikum I. (O.) die Diagnose einer entzündlichen ZNS-Erkrankung gestellt, wo auch schließlich am 11.07.2005 eine entzündliche ZNS-Erkrankung im Sinne einer MS gesichert diagnostiziert wurde.

 

Am 12.10.2006 (eingegangen am 16.10.2006) beantragte die Klägerin die Anerkennung eines Impfschadens. Das Versorgungsamt Münster zog die Behandlungsunterlagen der Klägerin bei und lehnte mit Bescheid vom 05.12.2006 den Antrag ab. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 11.12.2006 erstattete der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie, Epidemiologie und Labormedizin L. im Auftrag des Beklagten ein Gutachten unter dem 26.02.2007. Darin kam er zu dem Ergebnis, der erste Hinweis auf eine MS habe sich am 02.10.2002 im Rahmen der cranialen MRT-Untersuchung im R.-Hospital, B. gezeigt, weswegen sich ein zeitlicher Zusammenhang zu den 1998 und 2001 durchgeführten Impfungen nicht herstellen lasse. Auch die Voraussetzungen für eine sogenannte Kann-Versorgung seien nicht erfüllt. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen. Daraufhin wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 09.08.2007).

 

Mit ihrer am 28.08.2007 zum Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, durch die Studie von M.A. Hernan et al (2004) sei der wissenschaftliche Beleg für einen Zusammenhang zwischen der HBV-Impfung und der MS-Erkrankung hinreichend erbracht. Der bei ihr dokumentierte Krankheitsverlauf, insbesondere die nach den ersten beiden Impfungen diagnostizierte Lymphadenitis, die sich als beginnende Symptome einer schleichenden MS-Erkrankung darstellten, wiesen auf die gute Möglichkeit der Verursachung der MS durch die HBV-Impfung hin.

 

Der Beklagte hat sich auf die vorgelegten gutachtlichen Stellungnahmen berufen.

 

Das SG hat Unterlagen bezüglich der Impfempfehlungen beigezogen und ein Gutachten von N., Stellvertretender Klinikdirektor der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums E., eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 11.06.2008 zu dem Ergebnis gelangt, die nach den HBV-Impfungen diagnostizierten Infektionen seien keine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschädigungen. Zahlreiche große epidemiologische Studien hätten einen Zusammenhang zwischen HBV-Impfungen und MS nicht belegt. Lediglich eine Studie (Hernan et al) sei zu einem anderen Ergebnis gelangt. Dieser Studie hafteten jedoch methodische Mängel an. Die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung seien nicht erfüllt, weil es an einer engen zeitlichen Verbindung zwischen dem Auftreten der MS im Sinne erster objektivierbarer Hinweise und den Impfungen fehle. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird verwiesen.

 

Auf den Einwand der Klägerin, dass allein die Studie von Hernan et al sich auf ein ausreichendes statistisches Material gestützt und damit eine hinreichend verlässliche Aussage getroffen habe und die bei ihr diagnostizierten Erkrankungen im Anschluss an die Impfungen den geforderten zeitlichen Zusammenhang hinreichend belegten, ist N. in ergänzenden Stellungnahmen vom 29.01.2009 und 24.06.2009 bei seiner Auffassung verblieben.

 

Mit Urteil vom 22.07.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

 

Im Rahmen der Berufung machte die Klägerin geltend, das Sozialgericht habe sich nicht hinreichend mit ihrer Krankheitsgeschichte befasst und nicht beachtet, dass die Lymphadenitis als Impfreaktion auf den Impfstoff Engerix B nach den Medizinproduktinformationen beschrieben werde. Dieser Kausalzusammenhang sei auch durch die gutachterlichen Stellungnahmen nicht beachtet worden. Die zeitliche Entwicklung der MS sei hingegen wissenschaftlich nicht erforscht und daher spekulativ. Auf evidenz-basierte Medizin könne dann nicht abgestellt werden, wenn es an hinreichenden wissenschaftlichen Studien fehle. Der Beklagte ist dem entgegengetreten.

 

Der Senat wies die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 15.06.2012 (L 13 VJ 59/11, juris) als unbegründet zurück. Die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (<BSG> B 9 V 54/12 B) nahm die Klägerin am 07.11.2012 zurück.

 

Sodann stellte sie mit Datum vom 15.03.2013 (eingegangen am 21.03.2013) einen Antrag auf Überprüfung bei dem Beklagten. Sie nahm diesbezüglich ausführlich zu den Sachverständigengutachten des N. aus dem Vorprozess Stellung, welches aus ihrer Sicht Mängel aufweise. Zudem legte die Klägerin medizinisch-wissenschaftliche Stellungnahmen des Y. vom 09.09.2012 und 06.10.2012 vor, welcher u.a. darauf verwies, dass der verwandte Impfstoff noch das quecksilberhaltige Konservierungsmittel Thiomersal enthalten habe (Menge 50 Mikrogramm pro Impfdosis). Triggerwirkungen von Quecksilberverbindungen, insbesondere Thiomersal, auf die Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie MS seien experimentell bestätigt. Neben dem spezifischen Antigen benötigten inaktivierte Impfstoffe zudem einen unspezifischen Immunverstärker (sog. Adjuvantien), damit eine ausreichende Immunreaktion nach der Impfung (entzündliches Umfeld) zustande komme. Dabei handele es sich meistens um Aluminiumverbindungen (Aluminiumhydroxid oder Aluminiumphosphat), welche der Arzt als „dirty little secret“ bezeichnete, da die genaue Wirkweise noch nicht vollständig geklärt sei. Die dabei aufgetretenen Nebenwirkungen würden u.a. als das ASIA-Syndrom (= autoimmune syndrome includet by adjuvants) zusammengefasst. Dazu gehöre auch eine MS-Erkrankung in der Folge einer adjuvantierten Impfung. Fazit aller Ausführungen sei, dass nach einer Hepatitis-B-Impfung Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems bei disponierten Personen auftreten. Wie Impfungen diese Erkrankungen genau auslösen und wie pathophysiologische Abläufe sich auf molekularer Ebene gestalten, sei noch Gegenstand der Forschung. Auch die zeitlichen Abläufe bei Autoimmunerkrankungen seien schwierig einzuschätzen. Sodann erklärte er, dass bei der Klägerin bereits 14 Tage nach der ersten Impfung eine Lymphadenitis und eine Tonsillitis aufgetreten seien. Als Ursache komme eine Lymphknotenschwellung als seltene Impfkomplikation oder ein viraler Infekt mit einem nicht identifizierten Erreger in Betracht. Die gesamte Erkrankung habe sechs Wochen gedauert. Auch nach der zweiten Impfung sei erneut eine Lymphknotenschwellung aufgetreten, die dann drei Monate gedauert habe. Nach der erneuten Lymphadentitis sei von einem Zusammenhang mit der Impfung auszugehen. Im April und September 1999 seien erneut Infekte festgestellt worden. Am 30.11.1999 seien erstmalig Sensibilitätsstörungen aufgetreten, die im Nachhinein als erster Schub der MS „betrachtet werden müssen.“ Am Tag der vierten Impfung sei eine Neuralgie festgestellt worden. Als plausibles zeitliches Intervall gelten fünf Tage bis maximal acht Wochen; wobei für eine chronisch-schubweise verlaufende Autoimmunerkrankung bisher kein plausibles zeitliches Intervall definiert worden sei.

 

Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme vom 11.07.2013 lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 02.08.2013 ab. Nach der versorgungsmedizinischen Beurteilung sei der erforderliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich (§ 60 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen - Infektionsschutzgesetz <IfSG>).

 

Dagegen erhob die Klägerin unter dem 03.09.2013, unter Vorlage einer erneuten Stellungnahme des Y. vom 28.09.2013, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, Widerspruch, welchen der Beklagte – nach Einholung einer weiteren versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 14.10.2013 – mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2013 als unbegründet zurückwies.

 

Mit ihrer sodann am 03.12.2013 zum SG Münster erhobenen Klage hat die Klägerin unter Einbezug der nachfolgend vorgelegten Stellungnahmen des Y. vom 07.01.2014 und 01.04.2014 geltend gemacht, dass Y. u.a. erläutere, dass bei einer MS-Erkrankung mit langsamen Verlauf die lange Zeitspanne bis zur Diagnosestellung eher die Regel als die Ausnahme sei. Die Gegenansicht nehme zudem Bezug auf Epidemiologische Bulletins (EB) des Robert-Koch-Instituts (RKI), ohne diese zu bezeichnen. Die in Betracht kommenden EB seien veraltet. Das ASIA-Syndrom sei erst 2010 erkannt worden; das letzte EB von 2007. Es werde zudem auf epidemiologische Studien verwiesen, ohne dass die diesbezügliche Relevanz zu einer Erkrankung des Zentralen Nervensystems und thiomersal-haltigen Impfstoffen belegt werde. Konkrete Studien würden nicht benannt. Es dürfe bezüglich der Kausalität nicht auf die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (<BVG>; Versorgungsmedizin-Verordnung <VersMedV>) abgestellt werden, sondern auf die Besonderheit des im Impfstoff enthaltenden Aluminiumhydroxid als Adjuvanz mit seinen besonderen Folgen. Im Rahmen der Kann-Versorgung sei weiterhin die Problematik der Definition des Intervalls zu berücksichtigen. Zudem hat die Klägerin auf die Entscheidung des SG Dortmund (Urteil vom 13.11.2013, S 7 VJ 601/09, juris) Bezug genommen.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

den Bescheid vom 02.08.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,

  1. den Bescheid vom 05.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2007 zurückzunehmen sowie
  2. die bei ihr bestehende Multiple Sklerose als Folge der Hepatitis-B-Schutzimpfungen anzuerkennen und ihr Versorgung nach dem IfSG in Verbindung mit dem BVG ab dem 01.01.2009 zu gewähren.

 

Der Beklagte hat beantragt,

 

                        die Klage abzuweisen.

 

Er nimmt auf seine Bescheide und auf die zur Akte gereichte gutachterliche Stellungnahme vom 05.02.2014 Bezug. Richtig sei, dass das EB 25/2007 anzuwenden sei, wie Y. auch vermute. Zu Thiomersal und Aluminiumhydroxid habe nicht nur das RKI, sondern auch das Paul-Ehrlich-Institut in dem Artikel „Sicherheit von Impfstoffen 2009“ Stellung genommen. Allein das große Zeitintervall zwischen der vierten Impfung am 28.10.1998 und einer möglichen Erstmanifestation der MS im November 1999 spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang.

 

Mit Urteil vom 22.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

 

Die Klägerin hat sich gegen das ihr am 29.09.2014 zugestellte Urteil mit ihrer Berufung vom 27.10.2014 gewandt. Zur Begründung hat sie ihren bisherigen Vortrag aus diesem wie dem vorangegangenen Verfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie zudem maßgeblich ausgeführt, dass das Urteil des SG unter inhaltlichen Fehlern leide. Das SG räume ein, dass die genaue Entstehungsursache der MS nicht bekannt sei, das bedeute indes, dass Krankheitsursache (Ätiologie) und Entstehung und Entwicklung der Krankheit (Pathogenese) nicht medizinisch gesichert seien. Wie aber die Manifestation des Leidens zeitlich festgemacht werden solle, wenn die Ursache und Entwicklung unbekannt sei, werde nicht erläutert. Zudem sei ein „langsamer Verlauf“ einer MS im Anfangsstadium nicht unüblich. So habe auch der behandelnde Neurologe bereits im Jahre 1999 eine neurologische Ursache nicht ausgeschlossen.

 

Die Triggerwirkung von Quecksilberverbindungen auf die Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie MS sei im Übrigen hinreichend bekannt. Bei ihr – der Klägerin – sei nunmehr Anfang 2020 auch eine Allergie gegen Quecksilber mit mittelgradigen Reaktionen festgestellt worden. Der Sachverständige N. gehe darauf gar nicht ein. Im Gegensatz zum SG seien auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu anderen entzündlichen Hirnerkrankungen (z.B. MME) zu berücksichtigen. Es seien weitere Entscheidung hervorzuheben (SG Landshut – S 15 VJ 1/06 und S 15 VJ 2/07). Es sei offensichtlich, dass Thiomersal eine schädigende Wirkung zugeschrieben werde.

 

Zumindest nach der Kann-Versorgung sei der Anspruch begründet. So sei eine Lymphknotenanschwellung eine Nebenwirkung der Impfung, wie sich aus dem Beipackzettel aus 2009 ergebe. Dabei beachte N. nicht, dass die Lymphadenitiden über mehrere Wochen bestanden hätten. Nach der vierten Impfung sei am 16.02.2001 eine Neuralgie des Hinrnervs VI diagnostiziert worden. Das ändere aber nichts daran, dass diese Neuralgie ausschließlich als Folge der Impfung angesehen werden könne. Eine Trigeminusneuralgie komme bei Patienten mit MS überdurchschnittlich häufig vor. N. verkenne, wenn er mitteile, dass die Entwicklung nicht Stunden, sondern Tage andauere, dass es sich damals bereits um die vierte Impfung gehandelt habe. Nach Y. sei die Neuralgie als erstes Anzeichen der MS zu sehen. Es stehe auch im Vollbeweis fest, dass vor der ersten Impfung keine MS-Erkrankung vorgelegen habe.

 

Die Klägerin hat zudem weitere Stellungnahmen von Y. vom 03.12.2014 und 06.06.2015 vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. In einer weiteren Stellungnahme vom 13.03.2018 führt Y. zu seiner Qualifikation aus und in einer Stellungnahme vom 26.06.2018 verweist er im Wesentlichen auf die im Zeitraum 03.01.1992 bis 21.04.1998 auftretenden wiederkehrenden Entzündungen. Am 30.11.1999 fänden sich erste Symptome iSv Missempfindungen. Das sei aus heutiger Sicht mit höchster Wahrscheinlichkeit als Symptom der MS zuzuordnen. Zudem hat er ausgeführt, dass die grundsätzlich molekulare Ursache von Autoimmunerkrankungen noch immer nicht eindeutig bekannt sei. Die derzeit favorisierte Hypothese gehe als Ursache von einer Verwechslung von der ähnlichen Fremd- und Selbststrukturen (molekulare Mimikry) aus. Der Zeitraum zwischen einer solchen molekularen Verwechslung und einer klinisch manifesten Autoimmunerkrankung sei nicht bekannt. Immunologisch gehe man in einer Studie von Monaten bis Jahren als plausibel aus. Auf die weiteren Stellungnahmen des Y., insbesondere vom 18.01.2021 und 13.10.2021 wird gleichfalls verwiesen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.09.2014 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2013 zur Rücknahme des Bescheides vom 05.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2007 zu verpflichten und der Klägerin eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 100 ab dem 01.01.2009 nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

                        die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Im Übrigen verweist er darauf, dass Y. aus anderen Verfahren bekannt sei. Seine Gutachten nach § 109 SGG hätten nicht maßgeblich zur jeweiligen Entscheidungsfindung beigetragen. Sie litten unter dem Mangel, dass er in fast allen Verfahren sein Hauptaugenmerk auf aluminiumhaltige Zusatzstoffe richte. Die Urteile des SG Landshut seien nicht zu berücksichtigen. So gebe es dort Unterschiede zum zeitlichen Ablauf zwischen Impfung und Auftreten der Erkrankung.

 

Ferner hat der Beklagte gutachterliche Stellungnahmen u.a. vom 20.02.2017, 03.08.2017, 04.10.2017, 14.11.2017, 21.02.2018, 25.07.2018, 10.6.2020, 18.8.2020, 04.10.2021, 11.11.2021 und 10.05.2023 vorgelegt, auf deren Inhalt jeweils Bezug genommen wird.

 

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Y. vom 18.01.2017 und 11.03.2020 und eines neurologischen Gutachtens von A. vom 14.07.2016 in der Fassung der ergänzenden Stellungnahme vom 04.12.2017.

 

A. hat auf die bei der Klägerin eindeutig progrediente Verlaufsform der MS verwiesen, die mit starken Beeinträchtigungen in der Mobilität einhergingen. Ein Gesamt-GdB von 90 sei angemessen. In der medizinischen Literatur werde ganz überwiegend davon ausgegangen, dass eine Hepatitis-B-Impfung nicht für den Ausbruch oder einen beschleunigten Verlauf einer MS verantwortlich sei. Die Möglichkeit einer Kann-Versorgung sei noch einmal geprüft worden. Die dafür engen zeitlichen Zusammenhangsvorstellungen würden allerdings nicht erfüllt. Die ersten Symptome der MS, die rückwirkend mit hoher Wahrscheinlichkeit als solche angesehen werden müssten, seien etwas über ein Jahr nach der Grundimmunisierung aufgetreten. Als weitere Faktoren, die die konkrete Erkrankung ausgelöst haben könnten, bestünden neben den angeschuldigten Impfungen die Synopse aus genetischer Prädisposition und nicht näher bestimmbaren Umweltfaktoren. Der Verursachungsbeitrag dieser Faktoren sei nach aktueller gutachterlicher Literatur hochwahrscheinlich höher anzusetzen als die angeschuldigten Impfungen, weswegen die Ursächlichkeit der MS als Impffolge nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt werden könne.

 

Y. hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Diagnose MS (G35.5) und der GdB von 90 durch Zusatzgutachter korrekt seien. A. verweise bei der Frage der Kausalität letztlich auf den Hauptgutachter. Die durch A. zudem vorgenommene Betrachtung epidemiologischer Studien zur Beurteilung der Zusammenhänge im Einzelfall sei aus seien Sicht indes nicht ausreichend. Aus seiner Sicht sei nicht nachvollziehbar, warum epidemiologische Untersuchungen mit all ihrer Störanfälligkeit ein verstärktes Gewicht bei der Begutachtung von Impfschadens-Verdachtsfällen erhalten sollten. Zudem sei zu erwähnen, dass epidemiologische „Safety-Studien“ maßgeblich von pharmazeutischen Herstellern in Auftrag gegeben werde. Bei einem Kongress seien auch die zeitlichen Intervalle besprochen worden. Es sei vertreten worden, dass man deutlich längere Intervalle benötige. Vor der Impfung habe bei der Klägerin keine Autoimmunerkrankung vorgelegen. Der Verdachtsfall sei als plausibel zu betrachten. Der Impfschaden sei anzuerkennen.

 

In seinen Ausführungen vom 11.03.2020 hat Y. sich zunächst mit der Krankheitsgeschichte der Klägerin und dem Krankheitsbild der MS beschäftigt. Er geht dann auf die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) als einer Sonderform der MS ein und führt zu der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) aus. Er verweist aus seiner Sicht generell auf Impfungen und der Hepatitis-B-Impfung und ihre konkreten Bestandteile. Er stellt dann die normalen Impfreaktionen dar, wozu auch grippeähnliche Symptome gehörten. Als Impfkomplikationen seien hingegen seit Jahren schwere auto-immunologische Schädigungen – Schwerpunkt MS – beobachtet worden. Es habe sich auch die experimentelle Bestätigung der Hypothese gefunden, dass die Hepatitis B-Impfung durch sog. molekulare Mimikry durch strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem HBsAG und den basischen Myelinprotein und dem Myelin-Oligodendrozytären Glykoprotein (MOG) bei einer hohen Zahl von Hepatitis-B-Impflingen (60%) zu immunologischen Kreuzreaktionen führe. In der Folge führt er zu sog. Adjuvantien und den Erkenntnissen des Prof. I. zum ASIA-Syndrom aus. Er bezieht sich auf die Fachinformation Engerix B. Bei der Klägerin ergebe sich eine Kausalität, da Adjuvanz und Thiomersal als Umweltfaktoren zu der erblichen Veranlagung hinzugekommen seien. Das zeitliche Intervall sei sehr wichtig. Die Bestimmung eines plausiblen Intervalls sei bei langsamen und mit einer starken Verzögerung einsetzenden Reaktion aber schwierig zu bestimmen. Die Arbeitsgruppe I. gebe als plausibles Intervall für das ASIA-Syndrom nach Auswertung von 300 Fallberichten 16,8 Monate an. Soweit N. die epidemiologische Studienlage betrachte und zu dem Ergebnis komme, dass auch beim Betrachten großer Datensätze keine statistische Häufigkeit von MS-Erkrankungen bei Hepatitis B geimpften Personen festgestellt werden könne, sei dieser Ansatz aus seiner Sicht unzulässig. Im Übrigen wird auf den Inhalt der jeweiligen Gutachten Bezug genommen.

 

In der Folge hat der Senat von dem erstinstanzlichen Sachverständigen N. ergänzende Stellungnahmen eingeholt, nämlich vom 03.01.2021, 12.11.2021 und 15.03.2023, auf deren Inhalt jeweils Bezug genommen wird. Im weiteren Fortgang hat der Senat sodann im Termin zur Erörterung und Beweisaufnahme am 13.12.2024 N. und Y. als Sachverständige und nochmals im Termin zur mündlichen Verhandlung N. angehört. Auf die jeweiligen Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem wie im vorangegangenen Verfahren und der Verwaltungsakte des Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A. Die Anträge sind wirksam im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellt worden. Dass die Beteiligten und auch der Sachverständige nicht persönlich im Gerichtssaal anwesend waren, sondern von einem dritten Ort aus per Video- und Tonübertragung an der Verhandlung teilgenommen haben, ist gemäß § 110a SGG aufgrund des gerichtlichen Beschlusses vom 05.02.2025 zulässig gewesen.

 

B. Streitgegenständlich ist der Bescheid des Beklagten vom 02.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.10.2013, durch welchen dieser die Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 05.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2007 und die Zuerkennung einer Beschädigtenrente aufgrund eines Impfschaden abgelehnt hat.

 

C. Die am 27.10.2014 schriftlich eingelegte Berufung der Klägerin, gegen das ihr am 29.09.2014 zugestellte Urteil des SG Münster vom 22.09.2014 ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG ohne gerichtliche Zulassung statthaft sowie auch im Weiteren form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, Abs. 3; § 64 Abs.1 bis 3; § 63 SGG).

 

D. Die Berufung ist indes unbegründet.

 

I. Die Klage ist zunächst zulässig. Für das auf Aufhebung des bindenden Ablehnungsbescheides vom 05.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2007 und die Verpflichtung auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente gerichtete Begehren der Klägerin ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage i.S.d. §§ 54 Abs. 1, Abs. 4, 56 SGG – hinsichtlich der Beschädigtenrente gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils i.S. des § 130 Abs. 1 SGG – statthaft (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 19.04.2011, B 13 R 8/11 R, juris, Rn.12; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, juris; Senat, Urteil vom 27.09.2024, L 13 VG 16/23, juris; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 54 Rn. 20c). Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht am 03.12.2013 binnen eines Monats unter Berücksichtigung der Dreitagesfiktion nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2013 erhoben worden (§§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; 90; 78 Abs. 1 Satz 1; 85 Abs. 3 Satz 1 SGG).

 

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat sie zu Recht abgewiesen, da die Klägerin durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Zutreffend hat es der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden unter Hinweis auf die Bestandskraft abgelehnt, im Wege einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die o.g. bestandskräftigen Bescheide aufzuheben und der Klägerin die begehrte Versorgung nach dem IfSG zu gewähren, denn die Voraussetzungen für eine Rücknahme der o.g. Bescheide nach § 44 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt (Variante 1.) oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (Variante 2.), und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

 

Dabei durchbricht § 44 SGB X als andere Bestimmung im Sinne des § 77 HS. 2 SGG die Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte (§ 77 HS. 1 SGG) und vermittelt einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch dann, wenn dieser bereits – wie vorliegend – durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 2/18 R, juris, Rn. 17 m.w.N.). Zudem ist der Leistungsträger nach § 44 Abs. 1 SGB X verpflichtet, auch bei wiederholten Anträgen über die Rücknahme der entgegenstehenden Verwaltungsakte und die Gewährung der beanspruchten Sozialleistung inhaltlich zu entscheiden (BSG, Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 2/18 R, juris, Rn. 18 m.w.N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – im Rahmen des Überprüfungsverfahren neue Gesichtspunkte vorgetragen werden (vgl. Baumeister in: jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 44 Rn. 165; BSG, Beschluss vom 04.07.2017, B 10 EG 20/16 B, juris, Rn. 10; Landessozialgericht <LSG> Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.04.2020, L 3 AS 72/19, juris, Rn. 33 ff.; Bayrisches LSG <BayLSG>, Urteil vom 02.05.2023, L 15 VJ 5/19, juris, Rn. 72). So hat die Klägerin ihr Begehren auf Überprüfung mit der Vorlage der Stellungnahmen des Y. vom 09.09.2012 und 06.10.2012 verbunden. Daraufhin ist der Beklagte zu Recht in die Sachprüfung im Rahmen seiner Bescheide eingetreten.

 

In der Folge ist der Beklagte, der zu einer Entscheidung nach § 44 SGB X berufen gewesen ist (dazu unter 1.), richtigerweise davon ausgegangen, dass bei Erlass des Bescheides vom 05.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2007 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem fehlerhaften Sachverhalt ausgegangen worden ist (dazu unter 2.).

 

1. Der Beklagte ist zunächst für die Bescheidung des Antrages nach § 44 Abs. 1 SGB X zuständig gewesen, obgleich der Ausgangsbescheid vom 05.12.2006 noch durch das Versorgungsamt Münster getroffen worden ist, vgl. § 54 Satz 1 IfSG i.V.m. § 8 Abs. 1, 2 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem IfSG <ZVO-IfSG> in der Fassung vom 15.04.2020 und 21.12.2022 i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X (vgl. auch Baumeister in: jurisPK-SGB X, 3. Auflage, § 44 Rn. 188).

 

2. Die entscheidende Behörde hat zudem bei Erlass der zu überprüfenden Bescheide das Recht nicht fehlerhaft angewandt und/oder ist auch nicht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

 

Rechtsgrundlage für den im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44SGB X letztlich geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Grundrente sind die §§ 60, 61 IfSG i.V.m. §§ 30 und 31 BVG. Im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X ist grundsätzlich die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der zu überprüfenden Entscheidung aus heutiger Sicht zu Grunde zu legen, mithin materiell-rechtlich das im Zeitpunkt des Bescheides vom 05.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2007 (bereits seit dem 01.01.2001) geltenden IfSG (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.10.2014, L 13 VJ 11/10, juris, Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2016, L 6 VJ 2595/14, juris, Rn. 66; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.04.2023, L 7 VE 14/18, juris, Rn. 35; BSG, Urteil vom 04.06.2014, B 14 AS 30/13 R, BSGE 116, 86, Rn. 14; BSG, Urteil vom 16.02.2012, B 9 SB 2/11 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 14, Rn. 18). Dies gilt auch weiterhin, unabhängig davon, dass zum 01.01.2024 das SGB XIV in Kraft getreten ist, da zudem über den Überprüfungsantrag vom 15.03.2013 noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist (§ 142 Abs. 2 Satz 1 SGB XIV; vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.02.2024, L 6 VG 902/23, juris; Senat, Urteil vom 27.09.2024, L 13 VG 16/23, juris; zu Impfschäden: Senat, Urteil vom 08.11.2014, L 13 VJ 4/20, juris m.w.N.).

 

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.d.F. vom 19.06.2006 erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt. Die Versorgung nach dem BVG umfasst dann u.a. nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff BVG).

 

Die Anerkennung als Impfschaden setzt dabei zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG gegeben sind, die im Wesentlichen aus drei Gliedern bestehen. Ein schädigender Vorgang in Form einer "Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe", der die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllt, muss zu einer "gesundheitlichen Schädigung", also einem Primärschaden in Form einer Impfkomplikation geführt haben, die wiederum den "Impfschaden", d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden bedingt (BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, L 15 VJ 5/19, juris, Rn. 77ff.). Diese drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis nachgewiesen sein (BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, juris; BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris; BSG, Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, juris, Rn. 7; BSG, Beschluss vom 02.02.2024, B 9 V 10/23 B, juris, Rn. 9, 11; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09, juris; Senat, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15, juris; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris; Senat, Urteil vom 08.11.2024, L 13 VJ 4/20, juris).

 

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn. 36 ff.; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris, Rn. 24).

 

Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 42).

 

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das IfSG mithin drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen - wie gesehen - die drei Glieder der Kausalkette (Impfung, Impfkomplikation und Impfschaden) des Vollbeweises, wobei nach § 61 Satz 1 bis 3 IfSG i.d.F. vom 20.07.2000 für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügt (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 33ff). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden, vgl. § 61 Satz 2, 3 IfSG. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 64 Satz 2 IfSG anzuwenden ist, sind der Entscheidung hinsichtlich des schädigenden Vorgangs die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind und wenn die Angaben des Antragstellers nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 25).

 

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 26 m.w.N.).

 

Eine Wahrscheinlichkeit i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14 m.w.N.; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 27). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt grundsätzlich, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 34 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 35; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 27).

 

Bei dem "Glaubhafterscheinen" i.S. des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 36), d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (BSG Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35 35 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 36; BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 28).

 

a) Zunächst steht fest, dass die Klägerin jedenfalls am 24.04.1998,17.06.1998 und am 28.10.1998 eine von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlene und in ihrem Bereich vorgenommene Schutzimpfung i.S.d. § 2 Nr. 9 IfSG erhalten hat. Hinsichtlich der vierten Impfung am 16.02.2001 ist zwar unzweifelhaft, dass die Impfung innerhalb des Zuständigkeitsbereichs verabreicht worden ist, offen bleibt indes, ob diese ebenfalls öffentlich empfohlen war.

 

aa) So ist die Klägerin unstreitig am 24.04.1998,17.06.1998 und am 28.10.1998 sowie nochmals am 16.02.2001 mit dem HBV-Impfstoff Engerix ® Erwachsene der Fa. Gsk-GlaxoSmithKline geimpft worden. Dies wird von dem Beklagten auch zutreffend nicht in Zweifel gezogen.

 

bb) Die Impfungen 1 bis 3, durchgeführt durch den Arbeitsmedizinischen Dienst, Universitätskrankenhaus Z., sind zum Zeitpunkt ihrer Durchführung auch von der zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen gewesen und in ihrem Zuständigkeitsbereich verabreicht worden.

 

So hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales <MAGS> Nordrhein-Westfalen als zuständige Landesbehörde mit Runderlass vom 21.8.1997 – V A 4 – 203.5 – (MBl. NRW. 1997 S. 1110) und sodann das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit mit Runderlass vom 7.12.2000 - III A 6 - 203.5 – (MBl. NRW. 2000 S. 1639) zunächst gemäß § 14 Abs. 3 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und dann gemäß § 20 IfSG alle Schutzimpfungen nach den jeweils gültigen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) öffentlich empfohlen (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, juris, Rn. 34). Die öffentliche Empfehlung wird danach mit der Veröffentlichung der jeweiligen Impfempfehlung der STIKO im EB des RKI wirksam.

 

Die STIKO hat in ihrem EB 15/1998 (S. 108 – Stand 17.04.1998) die HBV-Impfung für zahnmedizinisches Personal – so auch für die Klägerin – als indiziert angesehen (so auch bereits Senat, Urteil vom 15.06.2012, L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 24). Dies bestätigt auch der Sachverständige N..

 

Ob dies hingegen nach den Impfempfehlungen der STIKO Stand: Januar 2000 (veröffentlicht Deutschen Ärzteblatt Heft 16/2000, S. 3ff, hier S. 8) auch hinsichtlich der vierten Impfung am 16.02.2001, erhalten in einer Praxis in K., galt, kann wie im vorangegangenen Verfahren dahinstehen. Zweifelhaft könnte dies sein, da nach der Empfehlung eine Auffrischung bei einem bestimmten Antikörperwert und im Übrigen in der Regel erst nach zehn Jahren empfohlen wurde.

 

b) Jedoch steht auch eine bei der Klägerin durch eine der vier Impfungen entstandene – kausale – Impfkomplikation zur Überzeugung des Senates nicht fest.

 

Es müssen sowohl der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie zudem und in Abgrenzung eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn. 36, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2012, L 6 VJ 1702/12, juris, Rn. 26; zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG, Urteile vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84 und 9a RVi 4/84, jeweils juris; Saarl. LSG, Urteil vom 17.11.2021, L 5 VE 7/17, juris, Rn. 204ff.). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind (BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38).

 

aa) Dabei ist die Feststellung einer Impfkomplikation im Vollbeweis weiterhin als juristische Voraussetzung des vorliegenden Anspruchs erforderlich (mit ausführlicher Begründung und weiteren Nachweisen: Senat, Urteil vom 08.11.2024, L 13 VJ 4/20, juris; Senat, Urteil vom 24.01.2025, L 13 VJ 59/15).

 

bb) Der in § 2 Nr. 11 IfSG verwandte Begriff der "gesundheitlichen Schädigung" bezieht sich damit auf den Erstschaden (Primärschaden), also denjenigen Schaden, der sich als direkte Folge aus der Impfung (oder Maßnahme der spezifischen Prophylaxe) ergibt. Im Sinne des Gesetzes ist nach § 2 Nr. 11 IfSG ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

 

Die Definition des § 2 Nr. 11 IfSG stellt insofern klar, dass nicht jede das Wohlbefinden beeinträchtigende Reaktion auf eine Impfung oder Prophylaxe-Maßnahme in den Schutzbereich des Versorgungsrechts einbezogen ist, sondern nur über das übliche Ausmaß einer Folgereaktion hinausgehende Schäden berücksichtigt werden. Von der gesundheitlichen Schädigung ist damit die bloße Impfreaktion abzugrenzen (Meßling in: Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 1. Aufl. 2012, § 60 IfSG, Rn. 62).

 

Die früheren detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in den Jahren 1983 bis 2005, die als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen wurden, sind allerdings seit Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nicht mehr gültig (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP). Die seit dem 01.01.2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV und deren Anlage 2 (Versorgungsmedizinische Grundsätze <VMG>) enthalten keine detaillierten Angaben mehr zu Impfkomplikationen. Im Zusammenhang mit der Streichung der betreffenden Teile der AHP wurde darauf hingewiesen, dass die beim RKI eingerichtete STIKO nun Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelt. Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im EB veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn 39 ff.; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris, Rn. 25).

 

Noch in den AHP 2004 Nr. 57 Ziff. 16 waren als Impfschäden im Sinne von Impfkomplikationen einer HBV-Schutzimpfung vorübergehende, bis zu mehrere Wochen anhaltende Arthralgien, selten Neuritis, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom beschrieben. Dies deckt sich mit den Hinweisen der STIKO zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen vom 22.06.2007 (EP Nr. 25/2007, S. 217f.), wonach neben anaphylaktischen und allergischen Reaktionen über das Auftreten von neurologischen Störungen (Encephalitis, Encephalomyelitis, Myelitis, Opticus Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom) und Erkrankungen anderer Organe (Arthritiden, Angioödem, Erythema multiforme, Lupus erythematodes, Thrombozytopenie) berichtet wird. Die Lymphadenitis findet dabei insoweit Erwähnung, als eine Beteiligung der Lymphknoten im Bereich der Impfstelle als normale Lokal- und Allgemeinreaktionen bezeichnet wird (EB Nr. 25/2007 Nr. 15). Das aktuelle EB Nr. 4/2025 (S. 43) bezeichnet als übliche, nicht meldepflichtige Impfreaktionen generell ohne konkreten Bezug auf eine bestimmte Impfung folgende:

 

  • für die Dauer von 1 – 3 Tagen (gelegentlich länger) anhaltende Rötung, Schwellung oder Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle;
  • für die Dauer von 1 – 3 Tagen Fieber < 39,5° C (bei rektaler Messung), Kopf- und Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Unruhe, Schwellung der regionären Lymphknoten;
  • im Sinne einer „Impfkrankheit“ zu deutende Symptome 1 – 3 Wochen nach der Verabreichung von attentuierten Lebendimpfstoffen: z. B. eine leichte Parotisschwellung, kurzzeitige Arthralgien oder ein flüchtiges Exanthem nach der MMR- oder Varizellen-Impfung oder milde gastrointestinale Beschwerden, z. B. nach der oralen Rotavirus- oder Typhus-Impfung;
  • Ausgenommen von der Meldepflicht sind auch Krankheitserscheinungen, denen offensichtlich eine andere Ursache als die Impfung zugrunde liegt.

 

Unter Einbezug dieser Grundsätze verweist der Senat zunächst auf seine Ausführungen zum Krankheitsgeschehen der Klägerin in seiner Entscheidung vom 15.06.2012 (L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 25):

 

„Nach der ersten hier maßgeblichen Impfung vom 24.04.1998 ist erst 17 Tage später eine Lymphadenitis mit konsekutiver (weitere sieben Tage später) Tonsillitis aufgetreten. Auch nach der zweiten Impfung ist erst in demselben zeitlichen Abstand (nach der Bescheinigung des J. für den Beklagten sogar erst nach 41 Tagen) eine entsprechende Reaktion ärztlich festgestellt worden. Die dritte Impfung hat in näherem zeitlichem Zusammenhang keine entsprechenden Reaktionen bedingt. Nach der 4. Impfung ist lediglich einmalig eine Neuralgie von J. befunden worden. (…).

Dagegen findet die Lymphadenitis nur insoweit Erwähnung, als eine Beteiligung der Lymphknoten im Bereich der Impfstelle als normale Lokal- und Allgemeinreaktionen bezeichnet wird (STIKO 25/2007 Nr. 15). Die im November 1999 von der Klägerin beklagten Missempfindungen (Parästhesien) ließen sich zwar mit einer Neuritis in Einklang bringen, doch finden sich weder in den AHP noch den Mitteilungen der STIKO Hinweise auf eine zeitlich so spät nach Durchführung der Hepatitis-B-Impfung aufgetretene Komplikation.“

 

Auch im Überprüfungsverfahren kommt der Senat nicht zu anderslautenden Erkenntnissen.

 

(1) So ordnet er die Lymphadenitis (Lymphknotenschwellung) mit dem Tonsilleninfekt weiterhin nicht als überschießende Impfreaktion, sondern als Impfnebenwirkung, ein.

 

Er folgt diesbezüglich und in der Folge den Feststellungen des nach § 106 SGG gehörten Sachverständigen N. unter Einbeziehung seiner ergänzenden Stellungnahmen und der jeweiligen terminlichen Erläuterungen vor dem zuständigen Berichterstatter und dem Senat. Der erfahrene Sachverständige hat sein Gutachten samt Ergänzungen unter Auswertung sämtlicher, zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegenden Arzt- und Befundberichte sowie etwaiger Vorgutachten sorgfältig und gewissenhaft erstattet. Die aus diesen Feststellungen abgeleiteten medizinischen Erkenntnisse hat der Sachverständige eingehend und überzeugend begründet und dabei insbesondere den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Zustandsbegutachtung berücksichtigt. Das Gutachten ist in der Fassung der ergänzenden Stellungnahmen und nach Ergänzungen im Termin in sich schlüssig und frei von Widersprüchen.

 

So führt der Sachverständige N. u.a. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.03.2023 überzeugend aus, dass immunologisch zwischen einer Impfreaktion und der Entstehung einer Autoimmunerkrankung unterschieden werden muss. Wie bereits im Sachverständigengutachten vom 11.06.2008 erläutert, repräsentierten, die nach den Hepatitis-Impfungen bei der Klägerin aufgetretenen Infektionen und Lymphadenitiden eine Impfreaktion, die nicht über das übliche Maß einer Impfnebenwirkung hinausgegangen ist. Es handelt sich – wie auch das RKI erklärt – insofern um eine gewünschte Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff. Gestützt wird seine Auffassung nicht nur durch die Empfehlungen der STIKO, sondern auch durch die Tatsache, worauf auch der Beklagte in seinen versorgungsmedizinischen Stellungnahmen hingewiesen hat, dass die Klägerin auch vor den Impfungen immer wieder unter Lymphknotenschwellungen gelitten hat.

 

Die gegenteilige Ansicht des Y. insbesondere in seiner Stellungnahme vom 26.06.2018 sieht der Senat als nicht überzeugend an. Seinen Ausführungen kann kein nachvollziehbarer Begründungsansatz entnommen werden. Zudem sind sie in sich widersprüchlich. Y. zieht zunächst aus der Tatsache, dass nach zwei Impfungen jeweils bei der Klägerin eine Lymphknotenschwellung aufgetreten ist, den – gerade nicht zwingenden – Schluss, dass diese auf die Impfungen zurückzuführen seien. Anderenorts schließt er dann jedoch auch einen Infekt als Auslöser nicht aus. So verweist er in seiner Stellungnahme vom 06.10.2012 (S. 7) darauf, dass als Ursache eine Lymphknotenschwellung als seltene Impfkomplikation oder ein viraler Infekt mit einem nicht identifizierten Erreger in Betracht komme.

 

Nichts anderes als die hiesige Bewertung folgt auch aus den Fachinformationen Engerix B – Erwachsene unter 4.8 (Stand 7/2001), worauf der Senat bereits in seiner vorangegangenen Entscheidung hingewiesen hat (Urteil vom 15.06.2012, L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 36). Zwar wird dort als sehr seltene Nebenwirkung eine Lymphadenopathie – und auch eine MS – angegeben, allerdings folgt aus Ziff. 4.8 der Hinweis: „…, wobei wie bei anderen Hepatitis B-Impfstoffen in vielen Fällen ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung nicht gesichert werden konnte.“ Zudem hat der Sachverständige N. in seiner Befragung vor dem Senat nachvollziehbar erläutert, dass die Angabe von Nebenwirkungen auf einem Beipackzettel keine Aussage über die wissenschaftliche Evidenz eines kausalen Zusammenhangs erbringen kann.

 

(2) Die noch am Tag der vierten Impfung bei der Klägerin aufgetretene Trigeminusneuralgie steht zunächst nicht im Vollbeweis fest. Selbst bei Annahme derselben würde es sich nicht um eine kausale Impfkomplikation handeln.

 

Zwar geht der Senat nach dem durch die Klägerin nunmehr im Rahmen der mündlichen Verhandlung geschilderten zeitlichen Ablauf gemäß § 15 KOVVfG davon aus, dass eine Neuralgie eines Nervs zeitlich nach der Impfung aufgetreten ist, was sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen so nicht ergeben hat. Auch hat sie nachvollziehbar erläutert, wie es zu der Behandlung durch zwei Ärzte am selben Tag (zunächst Impfung durch T.; dann Behandlung einer Neuralgie durch J.) gekommen ist.

 

Zweifelhaft ist es jedoch bereits, dass es sich bei der am 16.02.2001 aufgetretenen Erkrankung um eine Trigeminusneuralgie gehandelt hat, denn in der Behandlungsdokumentation des J. ist am 16.02.2001 eine Neuralgie des Hirnnervs VI mit dem entsprechenden ICD-10 Kode H49.2 (Lähmung des N. abducens <VI. Hirnnerv>) statt des insofern maßgeblichen Hirnnervs V kodiert worden. J. erläuterte zwar auf Nachfrage des Senates zu dieser Diskrepanz im Jahr 2017, dass es sich um einen möglichen Fehler behandelt habe. Dies ist indes nach einer Zeitspanne von knapp 16 Jahren wenig überzeugend. Zumal auch er selbst erklärt, dass „daher nur spekuliert werden“ könne.

 

Doch selbst wenn der Senat, das Auftreten einer Trigeminusneuralgie am 16.02.2001 nach der vierten Impfung als wahr unterstellt, fehlt es an einer kausalen Verknüpfung.

 

So hat der Sachverständige N. u.a. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.03.2023 nachvollziehbar ausgeführt, dass es nicht am Tag der vierten Impfung selbst bereits zu einer „Reaktion“ gekommen sein kann. Zudem bedeutet Reaktion nicht automatisch auch kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und einer Schädigung des Trigeminusnervs. Wenn die vierte Impfung diese Nervenschädigung aber hätte auslösen sollen, so muss der zeitliche Ablauf einer spezifischen zellulären Immunreaktion berücksichtigt werden. Dieser – durch ihn beschriebene – Prozess dauert hingegen nicht Stunden, sondern Tage. Auf dieses nicht passende Zeitintervall verweist auch nicht nur die Versorgungsmedizinische Stellungnahme vom 11.11.2021, sondern auch der Sachverständige A. hin, der ein Zeitintervall zwischen Impfung und einer Neurititis von 5 bis 42 Tagen beschreibt. Soweit Y. sodann stattdessen den Rückschluss auf die dritte Impfung als Ursache zu ziehen versucht, ist dies nicht nachvollziehbar, denn hier beträgt das zeitliche Intervall über zwei Jahre (28.10.1998 bis 16.02.2001) und ist damit deutlich zu lang. Sein Begründungsansatz einer möglichen untypischen Impfreaktion, die nicht ausgeschlossen werden könne, erfüllt auch den erforderlichen Maßstab der „Wahrscheinlichkeit“ nicht.

 

(3) Hinsichtlich der am 30.11.1999 aufgetretenen Parästhesien ist deren Ursache nicht mehr aufklärbar. Der behandelnde Arzt J. hat am 30.11.1999 eine Missempfindung im Gesäß und den Fußsohlen dokumentiert und vermutete eine Bandscheibenprotusion mit medialer Kompression. F. verwies in seinem Bericht vom 20.12.1999 auf „diffuse Dyästhesien“. Nachfolgende Behandlungen sind nicht erkennbar. Bereits der Verwaltungsgutachter L. verwies in seinem Gutachten vom 28.02.2007 darauf, dass retrospektiv nicht mehr geklärt werden kann, ob diese Beeinträchtigungen mit der späteren Diagnose der MS im Zusammenhang steht oder eine gänzlich andere Ursache hat. Der Sachverständige N. hat erläutert, dass es für die am 30.11.1999 aufgetretene Missempfindung in den Beinen keine neurologische Ursache gegeben hat. Erste Anhaltspunkte für ein chronisch entzündliches ZNS-Syndrom hat es bei dem Aufenthalt in dem R.-Hospital in B. vom 27.9 bis 4.10.2002 gegeben. Die Diagnose MS ist dann erstmals am 11.07.2005 im O. gestellt worden. Insofern ist auch nicht nachvollziehbar auf welcher Grundlage Y. die Sensibilitätsstörungen als ersten Schub der MS und damit nicht (mehr) als Impfkomplikation, sondern nun als Sekundärschaden einordnet (dazu sogleich).

 

Doch selbst wenn die geklagten Missempfindungen mit einer Neuritis in Einklang zu bringen gewesen sein sollten, hat der Senat bereits in seiner vorangegangenen Entscheidung vom 15.06.2012 (L 13 VJ 59/11) darauf verwiesen, dass das zeitliche Intervall von über 13 Monaten (3. Impfung 28.10.1998 bis zum 30.11.1999) gegen die Annahme einer kausalen Impfkomplikation spricht (zum zeitlichen Intervall s. auch unten). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige N. noch in der mündlichen Verhandlung darauf verwies, dass eine Neuritis ebenso wie eine Neuropathie oder das Guillain-Barré-Syndrom nicht mit einer MS in Einklang zu bringen sind.

 

c) Es fehlt ferner an einem kausalen Sekundärschaden. Die Voraussetzungen für die Feststellung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs liegen weder nach § 61 Satz 1 IfSG <dazu unter aa)> noch nach § 61 Satz 2 IfSG im Sinne einer „Kann-Versorgung“ <dazu unter bb)> vor.

 

aa) Es spricht gerade nicht mehr dafür als dagegen i.S. einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit (§ 61 Satz 1 IfSG), dass die Entstehung der bei der Klägerin diagnostizierten MS nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft letztlich auf die angeschuldigten Impfungen zurückzuführen ist.

 

(1) Es steht dabei zunächst zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin an MS und damit an einer Dauererkrankung leidet. Diese Diagnose ist von sämtlichen Sachverständigen übereinstimmend bestätigt und von dem Beklagten zu Recht nicht in Zweifel gezogen worden. Weitere Gesundheitsstörungen sind bezüglich der vorliegenden Fragestellungen nicht festzustellen.

 

(a) Das durch Y. angesprochene sog. ASIA-Syndrom wird durch ihn selbst bei der Klägerin – so wie der Senat seine Ausführungen versteht – nicht diagnostiziert. Er verweist lediglich darauf, dass die MS in der Folge einer entsprechenden Impfung von diesem Syndrom erfasst sei. Der Senat folgt diesbezüglich indes den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen N. u.a. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.01.2021. Danach ist die Evidenz, dass es diese Krankheitsentität tatsächlich gibt, wissenschaftlich bis heute nicht erwiesen, sondern umstritten, da die wissenschaftliche Rationale nahezu ausschließlich auf Fallberichten beruht. ASIA ist weiterhin keine anerkannte Diagnose nach dem ICD. Ebenso ist es unwahrscheinlich, dass ASIA die Kriterien einer impfindizierten Nebenwirkung der WHO erfüllt. Ein aus Sicht des Senates überzeugendes Argument gegen die Existenz von ASIA als Folge aluminiumhaltiger Impfadjuvantien ist die verminderte Inzidenz von Autoimmunerkrankungen bei Patienten, die eine aluminiumhaltige allergen-spezifische Immuntherapie erhalten haben. Für die Etablierung von ASIA als Diagnose sind zudem nach N. große populationsbasierte pharamko-epidemiologsche Studien erforderlich, welche jedoch fehlen. Auch ist keine Assoziation zwischen einer Impfung gegen HBV und dem späteren Auftreten einer Autoimmunerkrankung zu finden.

 

(b) Soweit Y. die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) als Sonderform der MS diskutiert, trägt er ebenfalls nicht vor, dass diese bei der Klägerin zu diagnostizieren ist. Gleiches gilt für die weitere Diskussion der experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis (EAE) bei Labortieren.

 

(2) Der Senat verweist erneut auf seine Ausführungen in seinem Urteil vom 15.06.2012 (L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 26f.). Insbesondere verbleibt es auch bei dem Hinweis der STIKO, die auch nach aktuellem Kenntnisstand weiterhin keine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Hepatitis B-Impfung und MS sieht (Stand: 11/2024).

 

(a) N. (u.a. ergänzende Stellungnahmen vom 03.10.2021 und 15.03.2023) hat ferner erläutert, dass sich die wissenschaftliche Studienlage gegenüber 2008/09 weiter verbessert hat. Diese Studienlage zeigt, dass Impfungen keine Risikofaktoren für MS sind. Der unspezifischen Kritik von Y. insbesondere an der deutschen Studie aus 2019 (Hapfelmeier et al, 2019) geht fehl, da gerade diese nicht zu beanstanden ist. Anhand von Einzelfallbeschreibungen – wie Y. sie heranziehe – kann nicht bewiesen werden, das eine MS bei einem individuellen Fall nicht auch ohne eine Impfung aufgetreten wäre. Nur basierend auf epidemiologischen Studien ist es wissenschaftlich erlaubt, Kausalitäten herzustellen und im Einzelfalls anzuwenden. Einzelfälle davon auszuschließen entspricht nicht dem allgemeinen wissenschaftlichen Standard.

 

Im Rahmen der Befragung im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und der Beweisaufnahme am 13.12.2024 haben N. und Y. dann auch übereinstimmend erklärt, dass eine Regelversorgung im Sinne einer molekularen regelhaften Erklärung oder aber eine epidemiologisch regelhaft belegte Erklärung eines Ursachenzusammenhanges zwischen einer Hepatitis-Impfung, wie sie die Klägerin empfangen hat, und einer MS-Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft nicht belegt ist. Überzeugend führt der Sachverständige N. aus, dass keine epidemiologischen Daten vorliegen, die einen solchen Zusammenhang herleiten. Die hiergegen immer wieder zitierten Einzelfallberichte werden in der herrschenden medizinischen Meinung als zufällig beurteilt. Auch was die immunologische Beurteilungsweise angeht, ist kein Zusammenhang plausibel, denn bei der MS-Erkrankung handelt es sich um ein fehlgerichtet arbeitendes Immunsystem. Für eine immunologische Erklärung ist denkgesetzlich zu fordern, dass es zumindest eine Überlappung oder molekulare Ähnlichkeit zwischen dem Hepatitis-Virus, der bei der Impfung verwendet wird, und dem Myelin gibt. Dies ist indes nicht der Fall, sodass ein immunpathologischer Mechanismus in diesem Sinne nicht erklärt werden kann. Es handelt sich bei der MS-Erkrankung um eine fehlgeleitete Immunantwort des Körpers. Eine Analogie zwischen dem Hepatitis Virus und der Immunantwort auf molekularer Ebene ist nicht festzustellen. Die Hinweise des Y. zur Corona-Erkrankungen sind nicht relevant. Auch bei der Corona Epidemie und den entsprechenden Impfungen haben sich in MRT- wie Liquor-Untersuchungen keinerlei Zusammenhänge zwischen diesen Impfungen bzw. Erkrankungen und einer MS-Erkrankung finden lassen. Auch der Sachverständige A. hat in seinem Gutachten bestätigt, dass in der medizinischen Literatur ganz überwiegend davon ausgegangen wird, dass eine Hepatitis-B-Impfung nicht für den Ausbruch oder einen beschleunigten Verlauf einer MS verantwortlich sei.

 

Y. hat den Ausführung des Sachverständigen N. in der Folge im Grundsatz für die epidemiologische Bewertung zugestimmt. Soweit er eine andere Ansicht zur immunologischen Seite vertritt, verweist er selbst darauf, dass es sich dabei um bloße Vermutungen handelt. So hat er im Erörterungstermin erklärt, dass die Mechanismen einer Impfung bis heute „nicht hundertprozentig verstanden“ worden sind und das Zusammenspiel zwischen Impfstoff, Antigen, Adjuvanzien und genetischer Disposition so sei, dass aus seiner immunologischen Sicht ein entsprechender Zusammenhang „durchaus möglich“ sei. Das reicht indes für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit iSd hier anzuwendenden Vorschriften allerdings nicht aus.

 

(b) Der Vortrag von Y. zu Aluminium- und Quecksilberverbindungen als Auslöser der MS überzeugt gleichfalls nicht. Der Senat weist erneut auf seine diesbezüglichen Ausführungen im Vorprozess hin (Urteil vom 15.06.2012, L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 35). Nicht anderes folgt nach dem Vortrag der bei der Klägerin Anfang 2020 festgestellten Quecksilberallergie. Y. führt in seinem Gutachten vom 11.03.2020 (S. 22) selbst aus, dass lediglich vermutet werde, dass dieser Mechanismus auch für das Entstehen von Autoimmunerkrankungen beim Menschen verantwortlich sei. Bloße Möglichkeiten genügen jedoch nicht einmal im Rahmen der Kann-Versorgung. Auch im Übrigen hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung dieser Argumentation bislang nicht angeschlossen (vgl. z.B. BayLSG, Urteil vom 31.01.2025, L 15 VJ 5/16, juris, Rn. 149; BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, L 15 VJ 5/19, juris, Rn. 42; BayLSG, Urteil vom 14.12.2021, L 15 VJ 4/13, juris, nachgehend BSG – B 9 V 2/22 B; Hessisches LSG, Urteil vom 16.02.2023, L 1 VE 4/21, juris, Rn. 101 „Thiomersal“-Allergie, nachgehend BSG – B 9 V 4/23 BH; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2025, L 6 VS 735/24, juris; Saarl. LSG, Urteil vom 17.11.2021, L 5 VE 7/17, juris, nachgehend BSG – B 9 V 43/21 B). 

 

bb) Die Klägerin kann sich auch nicht auf die sog. Kann-Versorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG berufen. Danach gilt, dass wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden kann. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden, § 61 Satz 2, 3 IfSG. Die Kann-Versorgung verkörpert grundsätzlich keinen eigenen Streitgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, juris, Rn 9; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris, Rn. 27).

 

(1) Fehlt es hingegen schon – wie hier – am Nachweis einer unmittelbaren Impfkomplikation oder ist die Wahrscheinlichkeit der Kausalität schon aus anderen Gründen zu verneinen (vgl. zum zeitlichen Zusammenhang LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017, L 7 VE 7/14, juris, Rn. 44), so liegen die Voraussetzungen der Kann-Versorgung nach § 61 Satz 2 IfSG nicht vor, denn dann ist nicht (lediglich) die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft ungewiss (Hessisches LSG, Urteil vom 16.02.2023, L 1 VE 4/21, juris, Rn. 110). Ansonsten könnte jede Erkrankung eines Geimpften, deren Entstehung und Verlauf in der medizinischen Wissenschaft nicht abschließend geklärt ist, grundsätzlich eine Kann-Versorgung begründen, auch wenn sie zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt nach der Impfung aufträte. Eine solche Sichtweise führte aber im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr, die durch die Möglichkeit der Kann-Versorgung gerade nicht gewollt ist (BSG, Urteil vom 19.08.1981, 9 RVi 5/80, juris, Rn. 23; Senat, Urteil vom 15.06.2012, L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 37f).

 

(2) Darüber hinaus hat der Senat auch bereits zu den Voraussetzungen der Kann-Versorgung ausgeführt (Urteil vom 15.06.2012, L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 33ff.), worauf er ebenfalls Bezug nimmt.

 

(a) Die zuletzt noch schriftsätzlich und auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit dem Sachverständigen N. erörterten Ausführungen der Klägerin (Schriftsätze vom 27.02.2025 und 17.03.2025) führen zu keinem anderen Ergebnis. Die dortigen in Bezug genommen Ausführungen und Studien erfüllen nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standard; der Senat macht sich insofern auch die Ausführungen von H. im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 03.03.2025 zu eigen. Auch N. hat erläutert, dass es sich insbesondere bei den Untersuchungen von Frau G. nicht um regelhafte Studien gehandelt hat.

 

(b) Im Hinblick auf den klägerischen Einwand, dass die in den Fachinformationen ausgeführten Nebenwirkungen – hier MS – zu der Annahme der Kann-Versorgung führen müsse, wird verkannt, dass es sich bei den Fachinformationen – wie der Sachverständige ausgeführt hat – gerade nicht – wie aber erforderlich – um Erkenntnisse einer nachvollziehbaren wissenschaftlichen Lehrmeinung handelt, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen besonderen körperlichen Belastungen und der festgestellten Erkrankung sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, juris, Rn. 14). Die Fakten im Rahmen der Kann-Versorgung müssen – in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung – zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (BSG, Urteil vom 17.07.2008, B 9/9a VS 5/06 R, juris) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt („Mindermeinung“; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011, L 4 VJ 2/10, juris, Rn. 40 m.w.N.; BayLSG, Urteil vom 14.12.2021, L 15 VJ 4/13, juris). Bei den Fachinformationen handelt es sich nach dem Sachverständigen jedoch nur um eine Zusammenfassung der gemeldeten Gesundheitsstörungen, die nach Einnahme aufgetreten sind, ohne dass der Zusammenhang näher geprüft worden ist.

 

(c) Letztlich fehlt es zudem jedenfalls weiterhin an dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang (vgl. auch dazu bereits Senat, Urteil vom 15.06.2012, L 13 VJ 59/11, juris, Rn. 37ff).

 

Grundsätzlich ist von einem Zeitfenster von maximal sechs Wochen auszugehen. Dies bestätigt der Sachverständige N. u.a. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24.06.2009. Es beschreibt seine Argumentation begleitend aber nicht tragend eine Serie von fünf MS-Fällen, die innerhalb von 21 Tagen (Mittelwert 9,2 Tage) nach der Impfung gegen humanes Papilloma-Virus auftraten (Sutton I et al., 2009). Bei einer Latenzzeit von mindestens zwölf Monaten kann nach dem Sachverständigen ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer HBV-Impfung und Entstehung der MS hingegen eindeutig verneint werden. Auch Y. verweist auf ein plausibles Zeitfenster von fünf Tagen bis max. acht Wochen (z.B. Stellungnahmen vom 09.09.2012 und 06.10.2012); meint allerdings dies mit einem Hinweis auf einen möglicherweise erst Jahre späteren Ausbruch eines Diabetes mellitus Typ 1 verlängern zu können, wobei er zur Vergleich- und Übertragbarkeit dieses Erkrankungsbildes nicht substantiiert Stellung bezieht. Auch der Hinweis in seinem Gutachten vom 11.03.2020 auf die Arbeitsgruppe I., welche als plausibles Intervall ein Zeitfenster von 16,8 Monaten (mit einer Bandbreite von drei Tagen und fünf Jahren) für das ASIA-Syndrom nach Auswertung von 300 Fallberichten angegeben habe, überzeugt nicht. Es kann den vorliegenden Ausführungen des Y. bereits kaum entnommen werden, dass es sich bei dem ASIA-Syndrom um eine hinreichende wissenschaftliche Arbeitshypothese für die Erkrankung MS handelt (vgl. zur CFS: Saarl. LSG, Urteil vom 17.11.2021, L 5 VE 7/17, juris, Rn. 243); nach N. ist es jedenfalls derzeit kein anerkanntes Erkrankungsbild. Eingedenk dessen kann auch nicht auf eine, auf einer überschaubaren Anzahl von Fallberichten, beruhenden Auswertung eines zeitlichen Zusammenhangs abgestellt werden, von der nicht einmal nachvollziehbar gemacht wird, dass und in welchem Umfang Fälle der MS in Zusammenhang mit der vorliegenden Impfung eingeflossen sind. Insofern hat Y. dann auch zuletzt im Erörterungstermin am 13.12.2024 ebenfalls mitgeteilt, dass von einem zeitlichen Zusammenhang von grundsätzlich sechs Wochen auszugehen ist.

 

Eingedenk dessen sind für den Senat auch keine zeitlich passenden Intervalle ersichtlich. Die Parästhesien traten am 30.11.1999 und damit 13 Monate nach der dritten Impfung am 28.10.1998 auf. Die Trigeminusneuralgie, so sie angenommen werden kann, kann keine Folge der taggleichen vierten Impfung sein und ist zudem erst mehr als zwei Jahre nach der dritten Impfung aufgetreten (28.10.1998 zu 16.02.2001). Die gesicherte MS-Diagnose ist nicht vor dem 09.10.2002 anzunehmen und damit erst knapp 20 Monate nach der vierten Impfung (16.02.2001) gestellt worden.

 

(d) Auch die bloße Abwesenheit von sonstigen Ursachen ist für die Annahme der „guten Möglichkeit“ nicht für ausreichend (Saarl. LSG, Urteil vom 17.11.2021, L 5 VE 7/17, juris, Rn. 238, 249). Es gibt auch keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris, Rn. 20 m.w.N.; Senat, Urteil vom 26.02.2021, L 13 VS 61/20, juris, Rn. 40).

 

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

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Aus
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