Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. September 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die 1965 geborene Klägerin steht seit Juli 2021 im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei dem Beigeladenen und lebt in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1950 geborenen Ehemann, welcher eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bezieht. Bei der Klägerin ist derzeit ein Grad der Behinderung (GdB) von 70, bei ihrem Ehemann ein GdB von 90 sowie die Merkzeichen „G", „B“ und „aG“ anerkannt. Beide sind gemeinsam obdachlosenrechtlich untergebracht. Hierfür fällt ein monatliches Nutzungsentgelt in Höhe von 524 EUR für beide Personen an. Mit Bescheiden vom 19. Oktober 2021, 27. November 2021 und 16. Dezember 2021 bewilligte der Beigeladene der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Juli 2021 bis Juni 2022.
Nachdem der ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit bei der Klägerin mit sozialmedizinischer Stellungnahme der S1 vom 22. Januar 2022 ein tägliches Leistungsvermögen von unter drei Stunden für mehr als sechs Monate festgestellt hatte, zeigte der Beigeladene der Beklagten mit Schreiben vom 25. Januar 2022 an, dass bei der Klägerin ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII bestehen könne und stellte vorsorglich einen entsprechenden Antrag. Zugleich meldete er einen Erstattungsanspruch an.
Die Beklagte ersuchte sodann mit Schreiben vom 17. Februar 2022 die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg gemäß § 45 Abs. 1 SGB XII um die Prüfung, ob bei der Klägerin eine Erwerbsminderung bestehe. Unter dem 16. Mai 2023 teilte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg der Beklagten mit, die Klägerin sei nach dem Ergebnis der ärztlichen Prüfung nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert, sondern könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie sei daher erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II.
Mit Bescheid vom 5. Juni 2023 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ab. Leistungsberechtigt nach dem 4. Kapitel des SGB XII seien (neben anderen Voraussetzungen) lediglich Personen, die die Altersgrenze erreicht hätten oder bei welchen eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorliege. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII käme Personen zu, die seitens der Deutschen Rentenversicherung als befristet voll erwerbsgemindert eingestuft worden seien. Da nach dem Gutachten der Deutschen Rentenversicherung weder eine befristete noch eine unbefristete volle Erwerbsminderung bejaht werden könne, lägen bereits die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII nicht vor.
Den hiergegen am 13. Juni 2023 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2023 (zugestellt an die Klägerin am 23. Juni 2023) zurück. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg habe die Klägerin als erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II eingestuft und mitgeteilt, dass diese unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII lägen damit nicht vor. Die Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung sei bindend für den ersuchenden Träger.
Am 10. Juli 2023 hat die Klägerin hiergegen Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Deutschen Rentenversicherung hätten zur Erstellung der medizinischen Stellungnahme nicht sämtliche Arztberichte vorgelegen. Es werde daher gebeten, das Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung erneut einzuleiten. Auf Anforderung des SG legte die Klägerin eine Erklärung zur Entbindung ihrer behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht vor, stellte die Entbindungserklärung jedoch zugleich unter die Bedingung, das Ergebnis der Beweiserhebung dürfe nur ihr und dem Gericht zugänglich gemacht werden, nicht hingegen der Beklagten. Auf den Hinweis des Gerichts, eine solche Einschränkung komme wegen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nicht in Frage, teilte die Klägerin mit, sie sehe keinen Grund, der Entbindung der Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zuzustimmen. Ebenso wenig halte sie es für notwendig, dass das Gericht ihre behandelnden Ärzte befrage. Sie ziehe die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht komplett zurück.
Mit Gerichtsbescheid vom 25. September 2023 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Weder habe sie die maßgebliche Altersgrenze erreicht noch bestehe eine dauerhafte volle Erwerbsminderung. Weder in der Verwaltungsakte der Beklagten noch in der Gerichtsakte befänden sich irgendwelche medizinischen Unterlagen, die Aufschluss über den Gesundheitszustand der Klägerin geben könnten. Das Gericht sei zudem gehindert, die behandelnden Ärzte der Klägerin als Zeugen zu vernehmen. Denn die Klägerin habe es ausdrücklich abgelehnt, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Das Gericht habe zur Frage der Erwerbsfähigkeit auch kein Gutachten einholen müssen. Zwar erforsche das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Für ein Gutachten zur Frage der Erwerbsminderung benötige ein medizinischer Sachverständiger aktuelle Unterlagen über die von den Ärzten durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen; denn nur anhand solcher Unterlagen könne er die Dauer und den Verlauf etwaiger Erkrankungen sicher beurteilen. Entsprechende Vorermittlungen habe die Klägerin vereitelt. Stehe somit nicht fest, dass die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert sei, gehe dies im vorliegenden Verfahren zu ihren Lasten. Denn die objektive Beweislast für eine Tatsache (hier: die Erwerbsminderung) trage grundsätzlich derjenige, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleiten möchte.
Gegen den ihr am 28. September 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 5. Oktober 2023 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Das Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg solle wieder eingeleitet werden. Dem entscheidenden Richter habe es an medizinischen Kenntnissen gefehlt. Der Einblick in die gesamten medizinischen Unterlagen, die doch als sehr sensibel einzustufen seien, müsse sie nicht per Rundschreiben in dem anhängigen Verfahren verteilen. Es bestehe kein Grund, weshalb der Beklagten detaillierte Auskünfte zu erteilen wären. Es sei Aufgabe der Bundesagentur und der Deutschen Rentenversicherung über die Frage der Erwerbsfähigkeit zu entscheiden und nicht die des Gerichts. Das Verfahren solle ruhend gestellt werden. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg sei beizuladen, damit diese erneut über die Frage der Erwerbsfähigkeit entscheiden könne.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. September 2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22. Juni 2023 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit ab dem 1. Januar 2022 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Berichterstatterin hat mit gerichtlicher Verfügung vom 10. Oktober 2023 darauf hingewiesen, dass auch von Seiten des Senats medizinische Ermittlungen zur Frage der Erwerbsfähigkeit für erforderlich gehalten würden und gebeten, die behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für weitere Ermittlungen sein dürfte, dass die Ergebnisse auch der Beklagten zugänglich gemacht würden.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2023 teilte die Klägerin daraufhin mit, dass sie weder bereit sei, ihre behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, noch erlaube, dass Auskünfte von Ärzten an die Beklagte weitergegeben würden. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen eine Einleitung eines erneuten Verfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung abgelehnt werde.
Mit Verfügung vom 15. November 2023 hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht als zielführend betrachtet werde und dem Gericht die Ermittlungen obliegen dürften. Die Klägerin ist – unter Hinweis auf ihre Mitwirkungsobliegenheit gemäß § 103 Satz 1 Halbsatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) – nochmals gebeten worden, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden bzw. mitzuteilen, ob Bereitschaft zur Mitwirkung an einer entsprechenden Begutachtung zur Frage der Erwerbsfähigkeit bestehe.
Die Klägerin hat hieraufhin mitgeteilt, dass es nach ihrer Rechtsmeinung eines Gutachtens der Deutschen Rentenversicherung bedürfe. Einer Zusendung medizinischer Unterlagen an die Beklagte werde sie angesichts des Verhaltens der Beklagten weiterhin nicht zustimmen.
Mit Beschluss vom 4. März 2024 hat der Senat den Beigeladenen gemäß 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG zu dem Verfahren beigeladen.
Mit Schreiben vom 11. April 2024 (zugestellt am 25. April 2024) hat die Berichterstatterin die Klägerin nochmals ausdrücklich um Mitteilung gebeten, ob Bereitschaft zur Mitwirkung bei einer Begutachtung durch einen von dem Gericht ausgewählten Gutachter besteht.
Die Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, sie habe bereits mehrfach mitgeteilt, dass sie die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ablehne und davon ausgehe, dass die Deutsche Rentenversicherung zu beauftragen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten sowie des Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Berufung der Klägerin ist unter Beachtung der Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden und insbesondere statthaft (§ 143 SGG), weil die Klägerin Leistungen nach dem SGB XII für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Der Senat war auch nicht gehalten, die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg – wie von der Klägerin begehrt – zu dem Verfahren gemäß § 75 SGG beizuladen. Die Voraussetzungen für eine sog. notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG sind nicht erfüllt. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg ist an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen könnte. Auch eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG kommt nicht in Betracht, weil berechtigte Interessen des Rentenversicherungsträgers durch das Verfahren nicht berührt werden.
Gegenstand des Verfahrens ist – neben der erstinstanzlichen Entscheidung – der Bescheid vom 5. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22. Juni 2023 (vgl. § 95 SGG), mit welchem die Beklagte Leistungen nach dem SGB XII mangels Erwerbsminderung abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl. statt vieler Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 105/11 R – juris Rdnr. 13 m.w.N.).
Das SG hat die hiergegen erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Dabei mangelt es der Klage nicht schon an einem Rechtsschutzbedürfnis, soweit die Klägerin von dem Beigeladenen im streitigen Zeitraum bereits Leistungen nach dem SGB II erhalten hat und die Ansprüche der Klägerin deswegen ohnehin als erfüllt im Sinne des § 107 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelten können. Denn die Klägerin hat ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Klärung, welche der beiden Leistungen ihr zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 105/11 R – juris Rdnr. 11 m.w.N.).
Zur Überzeugung des Senats ist jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Klägerin (voll) erwerbsgemindert im Sinne des SGB XII ist.
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. §§ 41 ff SGB XII erhalten Personen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Bei Ehegatten ist nach § 43 Abs. 1 SGB XII auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.
Ob die Klägerin zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB XII gehört, lässt sich mangels Mitwirkung der Klägerin nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 17. Februar 2022 zutreffend nach § 45 Abs. 1 SGB XII den Rentenversicherungsträger zur abschließenden Prüfung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung ersucht. Dieser hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 16. Mai 2023 angegeben, die Klägerin erfülle die in § 41 Abs. 3 SGB XII genannten Voraussetzungen nicht, weil sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig sein könne. An diese Feststellung war die Beklagte gebunden, eine eigene Prüfungskompetenz des Sozialhilfeträgers sieht das Gesetz insoweit nicht vor (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB XII; s. auch § 44a Abs. 2 SGB II).
Mangels gesetzlicher Anordnung gilt die Bindungswirkung allerdings nicht für die Gerichte. In einem sozialgerichtlichen Verfahren, in dem – wie hier – die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Streit steht, ist diese aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes in vollem Umfang von Amts wegen zu ermitteln und aufzuklären (vgl. zur Ermittlungspflicht des Gerichts bei einer Feststellung des Rentenversicherungsträgers gemäß § 45 SGB XII: BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 19/10 R – juris Rdnr. 11; BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 8 SO 17/09 R – juris Rdnr. 16).
Zutreffend ist das SG dabei davon ausgegangen, dass seine Ermittlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Auch unter Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) hängen die Möglichkeiten der Sozialgerichte, Informationen über den (aktuellen oder früheren) Gesundheitszustand von Prozessbeteiligten zu erlangen, davon ab, dass diese die sie (aktuell oder früher) behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden. Denn die ärztliche Schweigepflicht dient dem Schutz von Patientengeheimnissen. Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) schützt daher grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand (Anamnese, Diagnose und therapeutische Betreuung), die seelische Verfassung und den Charakter des ärztlich Betreuten (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 22. Januar 2015 – 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14 – juris, m.w.N.). Die Erhebung von Informationen über den Gesundheitszustand eines Prozessbeteiligten durch die Sozialgerichte ohne eine entsprechende Schweigepflichtentbindungserklärung wäre daher verfassungswidrig.
Auch im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Klägerin trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht die sie behandelnden Ärzte angegeben und diese auch nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden. Sie hat vielmehr ausdrücklich – letztmals mit Schreiben vom 5. Mai 2024 – mitgeteilt, dass sie eine solche Erklärung und insbesondere auch eine Weiterleitung der Arztauskünfte an die Beklagte ablehnt. Soweit die Klägerin meint, die Fragen des Gerichts an ihre behandelnden Ärzte könnten ihr zur Weiterleitung an diese übermittelt werden und sie könne in diesem Rahmen „konkret“ über die Entbindung einzelner Ärzte und ggf. auch hinsichtlich bestimmter Fragen entscheiden, verkennt sie die Rechtslage. Die Pflicht zur Amtsermittlung hat das SGG den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, die ihr unabhängig vom Willen und der Interessenlage der Prozessbeteiligten zu entsprechen haben. Damit ist es unvereinbar, dass Ermittlungen zum Sachverhalt durch einen Prozessbeteiligten nach dessen Gutdünken gesteuert oder gefiltert werden (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Juni 2015 – L 9 KR 492/14 – juris Rdnr. 22).
Eine weitere Ermittlung des Sachverhalts ist dem Senat nicht möglich, da die Klägerin trotz der wiederholten Hinweise auf negative Folgen fehlender Mitwirkung auch eine Bereitschaft zur Teilnahme an einer Begutachtung durch einen vom Senat ausgewählten Arzt nicht erklärt hat. Der Senat muss sich auch nicht gedrängt fühlen, ein Gutachten nach Aktenlage zu erheben, da ein solches mangels aktueller Befunde der Klägerin nicht prozessfördernd erscheint. Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes endet dort, wo ein Beteiligter den ihm obliegenden Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12. Januar 2017 – L 19 AS 1541/16 – juris Rdnr. 25 m.w.N.). Die Einholung von Gutachten ist erst dann sachdienlich, wenn einem Gericht Erkenntnisse über Art und Umfang von gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen, die eine gutachterliche Beurteilung zu begründen vermögen. Ein Gericht ist dagegen nicht gehalten, medizinische Ermittlungen ins Blaue zu veranlassen.
Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Klägerin eine nochmalige Prüfung im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB XII durch den Rentenversicherungsträger begehrt und angibt, insoweit zu einer Mitwirkung durch Übersendung aktueller medizinischer Unterlagen (nur an den Träger der Rentenversicherung) bereit zu sein. Das Gericht ist im Rahmen des § 103 SGG dazu verpflichtet, die erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen. Dabei ist es nicht zulässig, wenn es die erforderlichen Ermittlungen nicht selbst anstellt, sondern die Sache an die Verwaltung zurückgibt (Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 103 Rdnr. 10f.).
Die Klägerin trägt für die Feststellung der Erwerbsminderung die Beweislast. Denn die Unerweislichkeit einer Tatsache geht zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 – B 11a AL 7/05 R – juris Rdnr. 32; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2010 – 1 BvR 20/10 – juris Rdnr. 2). Da mangels Vorliegen medizinischer Unterlagen nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin auf Dauer voll erwerbsgemindert ist, sind die Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht nachgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1670/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2826/23
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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