B 3 KR 16/23 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 143 KR 140/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 KR 258/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 16/23 R
Datum
Kategorie
Urteil

 

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten auch des Revisionsverfahrens.

G r ü n d e :

I

1
Im Streit steht ein Preiserhöhungsabschlag.

2
Die Klägerin ist ein pharmazeutischer Unternehmer und bringt ua Arzneimittel unter der Bezeichnung Avonex (im Folgenden: A) in unterschiedlichen, untereinander vergleichbaren Darreichungsformen in den Verkehr. Sie brachte am 1.7.2011 das Fertigarzneimittel A-Pen in einer Packung mit 4 Fertigspritzen und in einer Packung mit 12 Fertigspritzen neu in Deutschland in den Verkehr. Bereits zuvor hatte sie Fertigarzneimittel mit identischem Wirkstoff, identischer Wirkstärke und vergleichbarer Darreichungsform in Deutschland in den Verkehr gebracht (ASet in einer 4erPackung, ALL in einer 4erPackung und 12erPackung sowie AAV in einer 4erPackung). Die von ihr bestimmten Abgabepreise für den neu eingeführten APen verhielten sich im Vergleich zu den Abgabepreisen der von ihr bereits in Verkehr gebrachten Arzneimittel mit Stand der sog Lauer-Taxe am 1.8.2009 als gesetzlichen Stichtag für den Preisstand wie folgt: APen in der 4erPackung entsprach ASet, war teurer als ALL in der 4erPackung und auch teurer als AAV; APen in der 12erPackung war teurer als ALL in der 12erPackung und entsprach dem dreifachen Preis der 4erPackung von ASet. AAV war am 1.8.2009 in der Lauer-Taxe als "außer Vertrieb" verzeichnet. Ein Festbetrag wurde für APen nicht festgesetzt.

3
Nach Maßgabe des gesetzlich und vertraglich geregelten Verfahrens übermittelte die Klägerin die Preis- und Produktangaben zu ihrem neu eingeführten Arzneimittel, auf deren Grundlage im Rahmen dieses Verfahrens Preiserhöhungsabschläge für APen in der 4er und 12erPackung bestimmt und in der Lauer-Taxe ausgewiesen wurden, deren rein mathematisch richtige Berechnung zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Dem Preiserhöhungsabschlag für die 4erPackung lag ein Vergleich mit dem Durchschnittspreis der 4erPackungen von ASet, ALL und AAV zugrunde, dem Preiserhöhungsabschlag für die 12erPackung ein Vergleich mit der 12erPackung von ALL. Hierauf wandte sich die Klägerin vorprozessual an den beklagten GKV-Spitzenverband und legte ihre Auffassung dar, dass Preiserhöhungsabschläge nicht zu erheben seien. Der Beklagte trat dem unter Hinweis auf seine Regelungen nach § 130a Abs 3a Satz 10 SGB V (im Folgenden: Leitfaden) entgegen. Die Klägerin zahlte die Preiserhöhungsabschläge sodann unter Vorbehalt.

4
Das SG hat die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Preiserhöhungsabschläge abgewiesen (Urteil vom 11.4.2018). Das LSG hat die auf Feststellung gerichtete Berufung, dass APen in beiden Packungsgrößen nicht dem Preiserhöhungsabschlag unterfalle, hilfsweise der Abschlag anders zu berechnen sei, zurückgewiesen: APen unterliege in beiden Packungsgrößen dem Preiserhöhungsabschlag, der jeweils zutreffend berechnet worden sei. Maßgeblich sei nach dem Gesetz der Preisstand der Vergleichsarzneimittel am 1.8.2009, ohne dass es auf die Anzahl von Vergleichsarzneimitteln ankomme. Für die drei Vergleichsarzneimittel in einer 4erPackung, die dem APen in der 4erPackung unterschiedslos am nächsten kämen, sei nach dem ermächtigungskonform das Nähere regelnden Leitfaden des Beklagten ein Durchschnittspreis in Form des arithmetischen Mittelwerts zu bilden gewesen und im Vergleich zu diesem sei der Preis des APen in der 4erPackung höher. Der Preis des APen in der 12erPackung sei im Vergleich zu ALL in der 12erPackung höher. Bei der Berechnung des Abschlags für APen in der 4erPackung sei auch das Arzneimittel AAV einzubeziehen gewesen, obwohl es am Stichtag 1.8.2009 in der Lauer-Taxe als "außer Vertrieb" verzeichnet gewesen sei. Der Leitfaden stelle ermächtigungskonform nur darauf ab, ob ein Vergleichsarzneimittel am Stichtag in der Lauer-Taxe als verkehrsfähig verzeichnet gewesen sei, was auf AAV zutreffe (Urteil vom 19.10.2023).

5
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 130a Abs 3a SGB V und Art 3, 12 und 20 GG. Sie sei nicht verpflichtet, für den APen einen Preiserhöhungsabschlag zu zahlen, weil bei Neueinführung eines Arzneimittels für die Annahme einer Preiserhöhung ohne gesetzliche Grundlage hierfür nicht auf einen errechneten, am Markt nicht verlangten Durchschnittspreis für vergleichbare Arzneimittel abgestellt werden dürfe. Ungeachtet dessen sei der Abschlag für die 4erPackung der Höhe nach rechtswidrig, weil in die Durchschnittspreisbildung das Arzneimittel AAV einbezogen worden sei, das am 1.8.2009 in der Lauer-Taxe als "außer Vertrieb" verzeichnet gewesen sei.

6
Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Oktober 2023 und des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2018 aufzuheben sowie festzustellen,

dass das Arzneimittel Avonex Pen für die Packungen mit 4 und 12 Fertigspritzen (PZN 7687520 und PZN 7687543) seit 1. Juli 2011 nicht dem Herstellerabschlag nach § 130a Abs 3a SGB V unterfällt,

hilfsweise festzustellen,

dass der Herstellerabschlag nach § 130a Abs 3a SGB V für das Arzneimittel Avonex Pen für die Packung mit 4 Fertigspritzen (PZN 7687520) seit 1. Juli 2011 ohne Berücksichtigung des Arzneimittels Avonex 30 µg 6 MIU I.E. Fertigspritzen (PZN 0267134) zu berechnen ist.

7
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

II

8
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass das neu eingeführte Arzneimittel APen in beiden Packungsgrößen dem Preiserhöhungsabschlag nach § 130a Abs 3a SGB V unterliegt und dieser zutreffend berechnet worden ist.

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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und das Begehren der Klägerin auf Feststellung der Freiheit vom Preiserhöhungsabschlag nach § 130a Abs 3a SGB V für das Arzneimittel APen, hilfsweise der Nichtberücksichtigung des Arzneimittels AAV bei der Berechnung des Preiserhöhungsabschlags, das sie mit der zulässigen Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) zutreffend gegen den beklagten GKV-Spitzenverband gerichtet hat (vgl dazu näher bereits BSG vom 30.9.2015  B 3 KR 1/15 R  BSGE 120, 11 = SozR 42500 § 130a Nr 10, RdNr 13 ff und BSG vom 20.12.2018  B 3 KR 11/17 R  SozR 42500 § 130a Nr 12 RdNr 17 ff; zuletzt BSG vom 3.8.2022  B 3 KR 3/21 R  BSGE 134, 277 = SozR 42500 § 130a Nr 13, RdNr 9). Das Feststellungsbegehren umfasst den Zeitraum ab 1.7.2011; erhoben wird der Abschlag nach wie vor (§ 130a Abs 3a Satz 1 SGB V idF des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes vom 7.11.2022, BGBl I 1990).

10
2. Rechtsgrundlage des streitigen Preiserhöhungsabschlags ist § 130a Abs 3a Satz 1 und 3 SGB V (hier für die Neueinführung des APen am 1.7.2011 § 130a SGB V idF des AMNOG vom 22.12.2010, BGBl I 2262). Nach § 130a Abs 3a Satz 1 SGB V erhalten die Krankenkassen bei einer Erhöhung des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer gegenüber dem Preisstand am 1.8.2009 für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel ab dem 1.8.2010 einen Abschlag in Höhe des Betrages der Preiserhöhung; dies gilt nicht für Preiserhöhungsbeträge oberhalb des Festbetrags. Nach § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V ist bei Neueinführungen eines Arzneimittels, für das der pharmazeutische Unternehmer bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht hat, der Abschlag auf Grundlage des Preises je Mengeneinheit der Packung zu berechnen, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten kommt. Eines Rückgriffs auch auf § 130a Abs 3a Satz 2 SGB V bedarf es hier nicht, weil alle Vergleichsarzneimittel der Klägerin bereits am 1.8.2009 in den Markt eingeführt waren.

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Der Preiserhöhungsabschlag nach § 130a Abs 3a SGB V tritt nach § 130a Abs 3a Satz 6 SGB V neben den sog allgemeinen Herstellerabschlag nach § 130a Abs 1 SGB V, nach dem die Krankenkassen von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in prozentual bemessener Höhe vom Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers erhalten (Satz 1), der den Apotheken von den pharmazeutischen Unternehmern erstattet wird (Satz 2). Der Preiserhöhungsabschlag wird entsprechend dem allgemeinen Herstellerabschlag abgerechnet (§ 130a Abs 3a Satz 8 SGB V). "Das Nähere" regelt nach § 130a Abs 3a Satz 10 SGB V der GKV-Spitzenverband. Auf dieser Ermächtigung beruht der Leitfaden des Beklagten (hier idF der Regelungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 130a Abs 3a Satz 10 SGB V zum Herstellerabschlag nach § 130a Abs 3a Satz 3 und 4 SGB V im Konsens mit den Verbänden der pharmazeutischen Unternehmer vom 22.10.2010).

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3. Der APen in der Packung mit 4 Fertigspritzen unterliegt dem Preiserhöhungsabschlag, weil der Abgabepreis der Klägerin bei Neueinführung dieses Arzneimittels am 1.7.2011 höher war als der Durchschnitt der Abgabepreise der von ihr bereits zuvor in Verkehr gebrachten Vergleichsarzneimittel mit Stand der Lauer-Taxe am 1.8.2009 als gesetzlichen Stichtag für den Preisstand. Hat bei Neueinführung eines Arzneimittels der pharmazeutische Unternehmer bereits mehr als ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht, ist der Preiserhöhungsabschlag auf Grundlage des Durchschnittspreises je Mengeneinheit der Packungen zu berechnen, die dem neuen Arzneimittel unterschiedslos in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten kommen.

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a) § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V ist anwendbar auch dann, wenn vom pharmazeutischen Unternehmer  wie durch die Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG mit ASet, ALL und AAV  bezogen auf ein neu eingeführtes Arzneimittel mehr als ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform bereits zuvor in Verkehr gebracht worden war.

14
Der gesetzliche Preiserhöhungsabschlag bei Neueinführung eines Arzneimittels (vgl zu dessen Einbindung in die Rabatte des pharmazeutischen Unternehmers nach § 130a SGB V BSG vom 14.6.2023  B 3 KR 8/22 R  BSGE 136, 135 = SozR 42500 § 130a Nr 14, RdNr 11 ff) zielt auf einen Preisstopp bzw ein Preismoratorium im Verhältnis zu bereits in Verkehr gebrachten Vergleichsarzneimitteln des pharmazeutischen Unternehmers, ohne dass es für das Eingreifen der Abschlagspflicht darauf ankommt, ob nur ein Vergleichsarzneimittel oder mehrere Vergleichsarzneimittel bei Neueinführung bereits in Verkehr gebracht worden waren (vgl auch BT-Drucks 16/194 S 10: "bei allen Fertigarzneimitteln"). Die Formulierung "ein" Arzneimittel in § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V stellt in diesem Zusammenhang kein Zahlwort dar, sondern einen unbestimmten Artikel für einen Gattungsbegriff. Durch die zur Packungsgröße ergänzende Berücksichtigung auch der Wirkstärke zur Bestimmung des Vergleichsarzneimittels, wenn sich "mehrere Packungen gleicher Packungsgröße im Markt" befinden (BT-Drucks 17/2170 S 37), hat der Gesetzgeber die Möglichkeit anerkannt, dass mehrere Vergleichsarzneimittel bei Neueinführung eines Arzneimittels bereits in Verkehr gebracht worden waren. Das Gesetz knüpft danach daran an, dass der pharmazeutische Unternehmer bereits ein vergleichbares Arzneimittel in Verkehr gebracht hat, ohne seine Anwendung auszuschließen, wenn der pharmazeutische Unternehmer bereits mehr als ein vergleichbares Arzneimittel in Verkehr gebracht hat.

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b) Der Anwendungsbereich des § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V ist auch nicht teleologisch zu reduzieren, wenn  wie hier  eine manipulative Umgehung des Preismoratoriums nicht festgestellt ist. Zwar ist es Zweck des § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V zu verhindern, dass pharmazeutische Unternehmer den Preisstopp durch Änderungen in der Packungsgröße oder der Wirkstärke umgehen können (vgl BT-Drucks 17/2170 S 37). Eine festzustellende Umgehungsabsicht ist aber nicht als Tatbestandsmerkmal in § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V aufgenommen worden. Dies entspricht dem durch § 130a SGB V  und in diesem Rahmen auch durch Abs 3a  insgesamt verfolgten Ziel, pharmazeutische Unternehmer einen Beitrag zur Stabilisierung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung leisten zu lassen (vgl BT-Drucks 17/2170 S 36; vgl auch LSG BerlinBrandenburg vom 21.10.2022  L 28 KR 260/18  juris RdNr 91).

16
c) Waren  wie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG bezogen auf den APen in der 4erPackung  bereits mehrere Arzneimittel, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke unterschiedslos am nächsten kommen, in Verkehr gebracht worden, ist nach § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V als Vergleichspreis für die Feststellung der Abschlagspflicht wegen Preiserhöhung und für die Abschlagsberechnung ein Durchschnittspreis zu bilden. Dies folgt aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und stimmt überein auch mit ihrer Systematik.

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§ 130a Abs 3a SGB V enthält keine ausdrückliche Regelung für den Preisstand bei mehreren Vergleichsarzneimitteln. Satz 1 stellt für die Feststellung einer Preiserhöhung nur auf den "Preisstand" am 1.8.2009 ab. Bereits diese Formulierung spricht indes für die Einbeziehung des gesamten Preisstands am 1.8.2009 und nicht nur einer Auswahl hiervon. Ein Vergleich nur mit dem geringsten oder höchsten Preis eines der Vergleichsarzneimittel vermöchte den gesamten Preisstand am 1.8.2009 nicht abzubilden. Da der gesamte Preisstand bei mehreren Vergleichsarzneimitteln kein einzelner Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers für ein Arzneimittel sein kann, spricht schon der Wortlaut für einen rechnerisch ermittelten Durchschnittspreis, ohne dessen Bildung (zB rein arithmetisches Mittel oder auch Mengengewichtung) bereits vorzugeben. Hätte nur ein einziger Preis anstelle eines Durchschnittspreises herangezogen werden sollen, hätte es zudem nähergelegen, den Begriff "Preis" statt "Preisstand" zu verwenden und diesen Preis näher zu konkretisieren.

18
Die mit dem Preiserhöhungsabschlag wie mit den Rabatten der pharmazeutischen Unternehmer insgesamt verfolgten Ziele einer Stabilisierung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl BT-Drucks 16/194 S 10 und BT-Drucks 17/2170 S 36) und aufgrund deren hoher Umsätze der angemessenen Beteiligung auch der pharmazeutischen Unternehmer an der Kostendämpfung im Gesundheitswesen (vgl dazu BSG vom 14.6.2023  B 3 KR 8/22 R  BSGE 136, 135 = SozR 42500 § 130a Nr 14, RdNr 14 mwN) sind bei mehreren einander gleich nahen Vergleichsarzneimitteln eines pharmazeutischen Unternehmers mit unterschiedlichen Abgabepreisen nur mit einem Durchschnittspreis als Vergleichspreis für die Feststellung einer Preiserhöhung und Berechnung des Abschlags zu erreichen. Nur durch den Durchschnittspreis als Vergleichspreis werden die Interessen der gesetzlichen Krankenversicherung und der pharmazeutischen Unternehmer angemessen austariert, weil weder der für die gesetzliche Krankenversicherung vorteilhafteste geringste Preis noch der für den pharmazeutischen Unternehmer vorteilhafteste höchste Preis eines von mehreren Vergleichsarzneimitteln herangezogen wird, sondern ein rechnerisch zu ermittelnder Preis, der beide Interessen in einen Ausgleich bringt.

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Aus der Systematik des Gesetzes ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass bei mehr als einem Vergleichsarzneimittel die Feststellung einer Preiserhöhung und die Abschlagsberechnung aufgrund einer Durchschnittspreisbildung im Rahmen des § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V unzulässig sein könnte. § 130a SGB V kennt in anderem Zusammenhang in Abs 2 Satz 1, 2 und 4 Durchschnittspreise. Dass der Durchschnittspreis in Abs 3a Satz 3 nicht genannt ist, spricht nicht im Umkehrschluss dafür, dass in diesem Zusammenhang nicht auf einen Durchschnittspreis abzustellen ist. Während § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V zur Auswahl des Vergleichsarzneimittels primär die Packungsgröße und sekundär  in Fällen, in denen mehrere Arzneimittel dem neu eingeführten Arzneimittel hinsichtlich der Packungsgröße gleich nah kommen  die Wirkstärke als Kriterium vorsieht (vgl BT-Drucks 17/2170 S 37), stellt die Durchschnittspreisbildung eine ergänzende Fortsetzung dieser Regelung für diejenigen Ausnahmefälle dar, in denen sowohl eine identische Packungsgröße als auch eine identische Wirkstärke vorliegen. Anders als in den Fällen eines nach der gesetzlichen Konzeption planmäßigen Zusammentreffens mehrerer Preise, wie in § 130a Abs 2 SGB V, hat der Gesetzgeber diese Vorgehensweise im Rahmen des § 130a Abs 3a SGB V nicht ausdrücklich geregelt, sie stimmt aber mit der Systematik des § 130a Abs 3a SGB V überein, ohne durch diese vorgegeben zu sein.

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d) Dass nach Ziffer II. 1. d) des Leitfadens des Beklagten die Durchschnittspreisbildung allein nach dem arithmetischen Mittelwert der Preise der Vergleichsarzneimittel erfolgt und nicht etwa auch deren mengenmäßige Gewichtung vorgesehen ist, hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des Beklagten, nach § 130a Abs 3a Satz 10 SGB V das Nähere zum Preiserhöhungsabschlag zu regeln.

21
Der Leitfaden unterliegt als Verwaltungsvorschrift insoweit der gerichtlichen Kontrolle, ob er die gesetzliche Preiserhöhungsabschlagspflicht zutreffend nachzeichnet. Während der Gesetzgeber die materiellen Voraussetzungen der Abschlagspflicht selbst vorgibt, betrifft die Regelungsbefugnis des Beklagten die zur praktischen Umsetzung und Handhabung der Abschlagspflicht erforderlichen Bestimmungen, insbesondere Abrechnungsfragen (vgl BSG vom 30.9.2015  B 3 KR 1/15 R  BSGE 120, 11 = SozR 42500 § 130a Nr 10, RdNr 27; BSG vom 20.12.2018  B 3 KR 11/17 R  SozR 42500 § 130a Nr 12 RdNr 23; vgl auch zuletzt zu den Begutachtungs-Richtlinien nach § 17 Abs 1 SGB XI BSG vom 12.12.2024  B 3 P 9/23 R  vorgesehen für BSGE und SozR, juris RdNr 18 f).

22
Die Durchschnittspreisbildung nach dem arithmetischen Mittelwert der Abgabepreise des pharmazeutischen Unternehmers für die Vergleichsarzneimittel ist eine allein operationalisierende Regelung zum "Wie" der Durchschnittspreisbildung, während das Gesetz durch die ihm immanente Vorgabe der Durchschnittspreisbildung das "Ob" der Abschlagspflicht bei mehreren Vergleichsarzneimitteln vorzeichnet. Der Beklagte wählte in seinem Leitfaden unter den mehreren Möglichkeiten der gesetzlich vorgegebenen Durchschnittspreisbildung eine dieser Möglichkeiten aus. Ihren operationalisierenden Charakter verliert diese Regelung nicht dadurch, dass sie im Einzelfall auch über das "Ob" des Preiserhöhungsabschlags entscheiden kann; dies ist vielmehr allen Möglichkeiten zur Regelung des Näheren der gesetzlich vorgegebenen Durchschnittspreisbildung eigen und steht der Einhaltung seiner gesetzlichen Ermächtigungsgrenzen durch den Beklagten nicht entgegen.

23
Die operationalisierende Regelung des rein arithmetischen Mittels ohne mengenmäßige Gewichtung ist durch das Gesetz auch nicht ausgeschlossen. Eine Anknüpfung an Mengengewichtungen ist durch § 130a Abs 3a SGB V nicht vorgegeben. Es sind dort zudem keine zu § 130d SGB V vergleichbaren Ermittlungs- und Übermittlungspflichten vorgesehen, die eine Mengengewichtung nahegelegt und praktikabel gemacht hätten. Vielmehr ist durch den Begriff "Preisstand" in § 130a Abs 3a Satz 1 SGB V die Durchschnittspreisbildung nach dem arithmetischen Mittelwert nahegelegt. Für das arithmetische Mittel der Preise der Vergleichsarzneimittel ohne mengenmäßige Gewichtungen streitet zudem die Verwaltungsökonomie, weil sich aus der allein als maßgebliche Datengrundlage heranzuziehenden Lauer-Taxe zwar die Abgabepreise des pharmazeutischen Unternehmers, nicht aber Mengengewichtungen entnehmen lassen.

24
4. In die Durchschnittspreisbildung für den APen in der Packung mit 4 Fertigspritzen war auch das Arzneimittel AAV einzubeziehen. Dieses war am gesetzlichen Stichtag 1.8.2009 nach den allein maßgeblichen Preis- und Produktinformationen in der Lauer-Taxe dort zwar als "außer Vertrieb", nicht aber als "nicht verkehrsfähig" oder als "zurückgezogen" oder als "gelöscht" verzeichnet.

25
a) § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V selbst sieht vor, dass es auf die Verkehrsfähigkeit der Vergleichsarzneimittel am 1.8.2009 ankommt. Dies folgt bereits daraus, dass dort auf Vergleichsarzneimittel abgestellt wird, die der pharmazeutische Unternehmer "in Verkehr gebracht hat", was auf nur "außer Vertrieb" verzeichnete Arzneimittel nach wie vor zutrifft. Ein solches Verständnis entspricht zudem dem mit dem Gesetz verfolgten Ziel der Stabilisierung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, denn hinsichtlich der Ausgabenrelevanz kann es typisierend nur auf die Abgabe verkehrsfähiger Arzneimittel ankommen.

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b) Dass nach dem Leitfaden des Beklagten für die Ermittlung des Preises am Stichtag verkehrsfähiger Vergleichsarzneimittel allein auf die Angaben zur Verkehrsfähigkeit in der Lauer-Taxe als Datengrundlage abzustellen ist und dort als nur "außer Vertrieb" verzeichnete Arzneimittel in die Ermittlung einbezogen werden (Ziffer I. 2.), hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 130a Abs 3a Satz 10 SGB V. Es handelt sich auch insoweit um eine operationalisierende Regelung zum "Wie" der Durchschnittspreisbildung. Aus dem Gesetz ergeben sich zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass und in welcher Wiese es auf die Marktrealität der Abgaben verkehrsfähiger Arzneimittel am Stichtag anzukommen hat. Vielmehr streitet auch hier die Verwaltungsökonomie für eine Ausrichtung allein an der Dokumentation in der Lauer-Taxe, die zudem auf den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers selbst beruht (§ 130a Abs 6 Satz 3 und § 131 Abs 4 SGB V idF des AMNOG).

27
Insofern stimmt die Regelung im Leitfaden des Beklagten überein mit der Rechtsprechung des BSG zur allein maßgeblichen Bedeutung der auf den Datenübermittlungen der pharmazeutischen Unternehmer beruhenden Angaben in der Lauer-Taxe auch im Abschlagserhebungsverfahren nach § 130a SGB V (vgl dazu näher BSG vom 2.7.2013  B 1 KR 18/12 R  BSGE 114, 36 = SozR 42500 § 130a Nr 9, RdNr 20 ff; BSG vom 3.8.2022  B 3 KR 3/21 R  BSGE 134, 277 = SozR 42500 § 130a Nr 13, RdNr 17 ff). Dem ist sowohl bei der Ermittlung der verkehrsfähigen Arzneimittel als auch von deren Preisen am Stichtag durch den Beklagten Rechnung getragen worden.

28
5. Der APen in der Packung mit 12 Fertigspritzen unterliegt dem Preiserhöhungsabschlag, weil der Abgabepreis der Klägerin bei Neueinführung dieses Arzneimittels am 1.7.2011 höher war als der Abgabepreis des von ihr bereits zuvor in Verkehr gebrachten Vergleichsarzneimittels ALL in der 12erPackung mit Stand der Lauer-Taxe am 1.8.2009, das allein dem neu eingeführten APen in der 12erPackung im Sinne des § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V "am nächsten" kommt.

29
Nach § 130a Abs 3a Satz 3 SGB V kommt es für die Bestimmung des Vergleichsarzneimittels primär auf die Packungsgröße an (vgl BT-Drucks 17/2170 S 37). Unter den Vergleichsarzneimitteln, die einen dem APen gleichen Wirkstoff und eine vergleichbare Darreichungsform haben, wird nur das Arzneimittel ALL wie der APen in der 12erPackung vertrieben. Eine Durchschnittspreisbildung ist deshalb hier nicht vorzunehmen gewesen.

30
Auch ein sog Rebif-Fall einer nur linearen Fortschreibung des Preises für ein identisches Arzneimittel (vgl SG Berlin vom 23.2.2015  S 211 KR 2196/12  juris) liegt hier nicht vor. Insbesondere ist das Arzneimittel ASet, auf dessen Preis für die 4erPackung der Preis für das neu eingeführte Arzneimittel APen in der 12erPackung durch Verdreifachung beruht, nicht vollständig identisch mit dem APen, sondern gegenüber diesem zwar vergleichbar, aber nicht unverändert (Set zur Herstellung einer Injektionslösung statt Fertigspritze). Abzustellen für die Feststellung einer Preiserhöhung wie für die Abschlagsberechnung des APen in der Packung mit 12 Fertigspritzen ist danach allein auf das diesem Arzneimittel am nächsten kommende Vergleichsarzneimittel ALL in der 12erPackung.

31
6. Verfassungsrecht steht den streitigen Preiserhöhungsabschlägen nicht entgegen.

32
Zwar stellen Preiserhöhungsabschläge einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art 12 Abs 1 GG dar, dieser ist aber hier nach Maßgabe der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BVerfG zu Abschlägen gerechtfertigt (vgl BVerfG vom 13.9.2005  2 BvF 2/03  BVerfGE 114, 196SozR 42500 § 266 Nr 9, juris RdNr 223 ff; BVerfG <Kammer> vom 15.5.2007  1 BvR 866/07  juris RdNr 16 f; vgl auch BSG vom 30.9.2015  B 3 KR 1/15 R  BSGE 120, 11 = SozR 42500 § 130a Nr 10, RdNr 42; BSG vom 25.10.2018  B 3 KR 10/16 R  SozR 42500 § 130a Nr 11 RdNr 34 ff). Der vorliegende Eingriff ist zudem durch die Einführung der Dynamisierung (Anhebung des Preisstands) nach § 130a Abs 3a Satz 2 SGB V (idF des AMVSG vom 4.5.2017, BGBl I 1050) und die Möglichkeit der Befreiung nach § 130a Abs 3c SGB V (idF des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes vom 7.11.2022, BGBl I 1990) abgemildert worden.

33
Es liegt hier auch keine unzulässige unechte Rückwirkung vor. Es wird weder durch den Rückbezug auf den Preisstand am 1.8.2009 als gesetzlichen Stichtag in § 130a Abs 3a Satz 1 SGB V, der in dieser Form am 30.7.2010 in Kraft trat (Gesetz zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24.7.2010, BGBl I 983), noch durch den im Leitfaden des Beklagten vorgesehenen Einbezug von am gesetzlichen Stichtag als "außer Vertrieb" verzeichneten Arzneimitteln auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft eingewirkt und damit zugleich eine Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl zu den Voraussetzungen einer unechten Rückwirkung nur BVerfG vom 15.10.1996  1 BvL 44/92  BVerfGE 95, 64 - juris RdNr 109; vgl im Zusammenhang mit Abschlagsregelungen BVerfG <Kammer> vom 15.5.2007  1 BvR 866/07  juris RdNr 20 f). § 130a Abs 3a Satz 1 SGB V mit seinem Rückbezug auf den Preisstand am 1.8.2009 regelt eine Abschlagspflicht ab 1.8.2010, die bereits galt, als die Klägerin den APen in 2011 in Verkehr brachte. Und der Leitfaden des Beklagten sah bereits in der Fassung von 2010 und damit vor dem Inverkehrbringen des APen durch die Klägerin in 2011 vor, dass am Stichtag 1.8.2009 als "außer Vertrieb" gekennzeichnete Arzneimittel als Vergleichsarzneimittel zu berücksichtigen sind. Mit diesen rückanknüpfenden Regelungen ist eine Rechtsposition der Klägerin nicht nachträglich entwertet worden, weil es vor der Einführung der zukünftigen Abschlagspflicht ab 1.8.2010 keine geschützte Rechtsposition gab, für später in Verkehr gebrachte Arzneimittel keine oder geringere Abschläge zahlen zu müssen.

34
Es ist zudem keine nach Art 3 Abs 1 GG relevante Ungleichbehandlung erkennbar. In der Lage der Klägerin hier werden vielmehr alle pharmazeutischen Unternehmer gleich behandelt.

35
Verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt schließlich nicht die Regelung des Näheren durch den Beklagten. Dieser hat die Grenzen seiner Regelungsermächtigung nicht überschritten. Seine hier anzuwendenden Regelungen wahren vielmehr die durch das Gesetz vorgegebene, verfassungsrechtlich erforderliche hinreichend dichte gesetzliche Anleitung (vgl zu diesem Maßstab auch bei Verwaltungsvorschriften BSG vom 22.2.2024  B 3 P 1/22 R  vorgesehen für BSGE und SozR 43300 § 15 Nr 8, RdNr 21 mwN).

36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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