L 16 P 119/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 9 P 141/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 P 119/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25. Juli 2000 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 1999 verurteilt, den Kläger ab dem 01. Juli 1999 in der Pflegeversicherung freiwillig weiter zu versichern. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Klägers zur Weiterversicherung in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) nach der Verlegung seines Wohnsitzes nach Spanien.

Der 1939 geborene Kläger, der spanischer Staatsangehöriger ist, hielt sich bis 1999 in der Bundesrepublik Deutschland auf und war dort bis zum 30.06.1999 in der gesetzlichen Krankenversicherung und der SPV pflichtversichert. Im Hinblick auf seine geplante Wohnsitznahme in Spanien als Rentner (Rentenbezug ab dem 01.05.1999) teilte die Beklagte dem Kläger auf seine Anfrage mit Schreiben vom 26.02.1999 mit, dass ein freiwilliger Beitritt zur Pflegeversicherung in Deutschland nicht möglich sei, weil er eine Rückkehr aus Spanien nach Deutschland nicht beabsichtige und daher nur nach den spanischen Rechtsvorschriften Anspruch auf Leistungen durch den Krankenversicherungsträger in Spanien habe. Mit Schreiben vom 27.04. und 17.05.1999 widersprach der Kläger dieser Auffassung, weil sie nicht im Einklang mit der Bestimmung des § 26 Abs. 2 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) stehe und er als Bezieher einer deutschen und spanischen Rente in Spanien zwar von den Beiträgen zur deutschen Krankenversicherung befreit sei, mangels des Bestands einer Pflegeversicherung nach den spanischen Rechtsvorschriften aber in der deutschen Pflegeversicherung weiterhin pflichtversichert sei. Mit Schreiben vom 26.08. bzw. 02.09.1999 kündigte der Kläger seine deutsche Krankenversicherung zum 01.06.1999, beantragte jedoch den Erhalt der Pflegeversicherung.

Nach Einholung einer Stellungnahme der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland, wonach gemäß dem Recht der Europäischen Union (EU) die Risikoabsicherung eines Versicherten nur nach den Rechtsvorschriften eines Staates erfolgen könne und daher eine freiwillige Weiterversicherung ausgeschlossen sei, weil Pflegeversicherungsleistungen zu den Leistungen bei Krankheit zählten, die aber allein nach dem Recht des Wohnsitzstaates zu erbringen seien (Art. 27 EWG-VO 1408/71), wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.1999 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 29.09.1999 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben, das diese zuständigkeitshalber an das SG Duisburg verwiesen hat. Der Kläger hat geltend gemacht, § 26 SGB XI sehe die Möglichkeit der Weiterversicherung in der SPV i.S. einer Anwartschaftsversicherung vor, so dass sein Anspruch begründet sei.

Demgegenüber hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass für den Kläger weder die Möglichkeit einer Versicherung in der deutschen Krankenversicherung als Zugangsvoraussetzung zur SPV möglich sei noch eine freiwillige Weiterversicherung in der Pflegeversicherung erfolgen könne, weil Pflegeversicherungsleistungen Leistungen bei Krankheit seien und dieses Versicherungsrisiko allein durch die spanische Krankenversicherung abgedeckt werde.

Mit Urteil vom 25.07.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 08.08.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.08.2000 Berufung eingelegt. Er hält die Auslegung des Art. 27 EWG-VO 1408/71 i.S.d. angefochtenen Urteils für nicht vereinbar mit dem Grundsatz der Freizügigkeit, da die Wohnsitznahme in einem anderen Mitgliedsstaat infolge des Verlustes von Versicherungsleistungen erschwert werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Duisburg vom 25.07.2000 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.1999 zu verurteilen, ihn in der sozialen Pflegeversicherung mit Wirkung vom 01.07.1999 weiter zu versichern.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht das angefochtene Urteil als zutreffend an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, weil der Anspruch des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in der SPV begründet und er daher durch den Ablehnungsbescheid der Beklagten im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert ist.

Der Anspruch des Klägers ist aus § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB XI begründet, wonach Personen, die wegen der Verlegung ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes ins Ausland aus der Versicherungspflicht ausscheiden, sich auf Antrag weiter versichern können. Mit seiner Wohnsitznahme in Spanien hat die Pflichtversicherung des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V - Gesetzliche Krankenversicherung) nach § 3 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - i.V.m. Art. 27 EWG-VO 1408/71 geendet. Damit endete auch die Versicherungspflicht in der SPV nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI. Da die Verlegung des Wohnsitzes nach Spanien Grund für das Ausscheiden des Klägers aus der SPV war, steht ihm das Recht aus § 26 Abs. 2 SGB XI zu, sich freiwillig in der SPV weiter zu versichern. Dieses Recht besteht nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift wie auch nach dessen Sinn und Zweck unabhängig davon, ob der Kläger derzeit beabsichtigt, seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuverlegen, oder ob er Leistungsansprüche aus der SPV in Spanien realisieren kann.

Auf keine dieser beiden Bedingungen verweist § 26 Abs. 2 SGB XI, sondern enthält lediglich eine Antragsfrist. Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des § 26 Abs. 2 SGB XI die Fortführung des Versicherungsverhältnisses bei Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland im Hinblick auf die nach § 33 Abs. 2 SGB XI erforderlichen Vorversicherungszeiten ermöglichen (BT-Drucks. 12/5262 S. 107). Dieses Recht ist gerade in Ansehung des Umstandes eingeräumt worden, dass Leistungen der SPV ins Ausland grundsätzlich nicht transferiert werden sollten (BT-Drucks. wie vor). Dies beruhte auf der Konzeption des SGB XI als einem vom Sachleistungsprinzip geprägtem Versicherungssystem (vgl. Udsching, Kommentar zum SGB XI, 2. Aufl., vor § 28 - 45 Rdn. 2f). Bei längerfristigem Auslandsaufenthalt sieht § 34 Abs. 1 SGB XI daher das Ruhen des Leistungsanspruchs vor. Von diesem Ruhenstatbestand sollte nach Auffassung des Gesetzgebers selbst der Anspruch auf Pflegegeld (§ 37 SGB XI) als Sachleistungssurrogat erfaßt werden (BT-Drucks. 12/5262 S. 82 u. 110; vgl. dazu auch Gassner, NZS 98, 313, 314; zur gegenteiligen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - noch unten). Wenn daher der Gesetzgeber das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung trotz eines umfassenden Transferverbotes (wegen der Ansprüche bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI) eingeräumt hat, so kann die Beschränkung des Leistungsanspruchs nicht, wie die Beklagte und das SG meinen, zu einer Einschränkung des Antragsrechts führen.

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Weiterversicherungsrecht von dem Willen auf Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland im Antragszeitpunkt geknüpft werden sollte; denn dafür, dass derjenige, der sich allgemein eine Option für die Zukunft aufrechterhalten will, anders behandelt werden soll, als derjenige, der schon mit dem Antrag erklärt, eine spätere Wohnsitzrückverlegung zu planen, fehlt jeglicher objektiver Anhaltspunkt in der gesetzlichen Regelung.

Unabhängig davon hat der Kläger als EU-Angehöriger nach Wohnsitznahme in dem EU-Mitgliedsstaat Spanien auch einen Anspruch im Versicherungsfall auf Zahlung des Pflegegeldes gegen den zuständigen deutschen Träger der SPV. Der EuGH hat im Molenaar-Urteil vom 05.03.1998 (Rs. C - 160/96 - = SozR 3-3300 § 34 Nr. 2 = NZS 98, 240) entschieden, dass es sich bei den Leistungen aus der SPV um solche bei Krankheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a EWG-VO 1408/71 handelt (EuGH NZS 98, 240, 241). Gleichzeitig hat er das Pflegegeld entgegen der Auffassung der im Verfahren gehörten Bundesregierung nicht als Sachleistungssurrogat sondern als finanzielle Unterstützung qualifiziert (EuGH a.a.O. S. 242), weil es weder von der Entstehung bestimmter Auslagen oder deren Nachweises in einem festen Betrag gezahlt wird und der Begünstigte bei der Verwendung des Zahlbetrages weitgehend frei ist (kritisch dazu Gassner, a.a.O. S. 316 f.). Aus diesem Umstand folgt aber, dass ein Zahlungsanspruch des EU-Angehörigen bei Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber dem ausländischen (deutschen) Versicherungsträger besteht, selbst wenn das Recht des Versicherungsträger des EU-Mitgliedstaates in dem der Wohnsitz unterhalten wird, eine solche Leistung nicht kennt (EuGH a.a.O.). Dies gilt nach Art. 28 Abs. 1 lit. b EWG-VO 1408/71 auch für Rentner (so ausdrücklich der EuGH a.a.O.; insoweit folgend die ganz herrschende Meinung, vgl. Gassner a.a.O. S. 317; Leitherer, Kasseler Kommentar, Rdn. 7 zu § 34 SGB XI; Udsching a.a.O. Rdn. 5 zu § 34 unter Aufgabe der in der ersten Auflage vertretenen gegenteiligen Auffassung). Da das spanische Kranken- und Sozialversicherungsrecht die Zahlung eines entsprechenden Geldes im Pflegefall nicht vorsieht, besteht daher nach Art. 28 Abs. 1 Lit. b EWG-VO 1408/71 ein Anspruch des Klägers im Versicherungsfall gegen die Beklagte bzw. den zukünftig zuständig werdenden Versicherungsträger. Auch aus diesem Grunde hat der Kläger daher ein berechtigtes Interesse an der Fortführung seiner Mitgliedschaft in der deutschen SPV.

Der Antrag ist schliesslich auch in der Frist des § 26 Abs. 2 Satz 2 SGB XI gestellt worden. Ob dies hinsichtlich des mit der "Kündigung" der Krankenversicherung verbundenen Antrags im September 1999 gilt, kann dahinstehen, denn der Antrag ist bereits fristwahrend mit dem Schreiben vom 27.04.1999 im Mai 1999 gestellt worden. Zwar hatte der Kläger hierin die Auffassung vertreten, weiterhin der Pflichtversicherung in der SPV zu unterliegen, er hat aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die gegenteilige Auffassung der Beklagten hinsichtlich der Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung nicht im Einklang mit § 26 Abs. 2 SGB XI stehe. Hierin ist zumindest konkludent der hilfsweise Antrag auf freiwillige Weiterversicherung für den Fall des Erlöschens der Pflichtversicherung zu sehen, weil hierdurch der Wille zum Ausdruck gekommen ist, unter allen Umständen die Versicherung fortzuführen. Da § 26 Abs. 2 Satz 2 SGB XI auch nur bestimmt, dass der Antrag spätestens einen Monat nach Ausscheiden aus der Versicherungspflicht bei der Pflegekasse zu stellen ist, kann er wie hier auch schon vor Beendigung der Versicherungspflicht und Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland fristwahrend gestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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