L 4 AL 88/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 Ar 3503/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 AL 88/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. August 1998 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger für den gesamten Rechtsstreit von der Beklagten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Eintritt einer Sperrzeit.

Die Beklagte bot dem am 18. Juni 1940 geborenen Kläger, einem Diplom-Ingenieurökonom, am 17./19. Juni 1996 per Post eine Arbeitsstelle bei der Paritätischen Akademie als Sachbearbeiter an. Das Aufgabengebiet umfasste: „Beratung und Ifo über Fördermöglichkeiten aus der neuen EG-Gemeinschaftsinitiative M-Nr. 716/94/6 Bereitschaft, sich intensiv mit den einschlägigen europäischen, bundes- und landesrechtlichen Vorschriften ...“ (zu beschäftigen).

Es handelte sich um eine seit dem 1. April 1996 freie bis 31. März 1997 befristete Teilzeitarbeit mit einer Arbeitszeit von 36 Stunden pro Woche. Die Vergütung sollte nach der Vergütungsgruppe V c BAT-O gewährt werden.

Der Kläger stellte sich am 25. Juni 1996 vor und gab an, dass 30-minütige Vorstellungsgespräch habe damit geendet, dass ihm der Gesprächspartner, Herr Salgert, verbindlich erklärt habe, er - der Kläger - würde nicht in das von ihm - Herrn Salgert - geführte Team hineinpassen.

Herr Salgert übermittelte dem Arbeitsamt folgenden Aktenvermerk vom 25. Juni 1999:

1. Herr Müller stellte zu Beginn des Gesprächs seinen beruflichen Werdegang seit 1988 dar. Es wurde aus seinen Ausführungen deutlich, dass er gegen Arbeitgeber klagt (Arbeitszeugnis/Weiterbeschäftigung).
2. Herr Müller wies darauf hin, dass er eigentlich in Vergr. BAT IV b einzugruppieren sei.
3. Herr Müller informierte ferner, dass er auch gegen das Arbeitsamt klagen werde. Eine Einstellung zum derzeitigen Zeitpunkt würde auch zu u.U. schlechten Ausgangspositionen in einem Gerichtsverfahren führen.
4. Habe Herrn Müller mitgeteilt, dass er in das bestehende Team nicht reinpasse. Sein mit Klagen und Beschwerden gespickter Einführungsvortrag verschreckt fast jeden Arbeitgeber.“

In einer mehrseitigen Stellungnahme vom 5. Juli 1996 legte die Vermittlerin Reichner dar, dass die dem Kläger angebotene Arbeit für ihn zumutbar gewesen sei. Die wöchentliche Arbeitslosenhilfe des Klägers habe 303,- DM betragen, also 1313,00 DM monatlich. Sein ABM-Netto-Entgelt hätte monatlich 1.883,36 DM betragen. Es habe sich um eine qualifizierte Beratungstätigkeit gehandelt. Der Kläger sei seit viereinhalb Jahren arbeitslos, lediglich unterbrochen von einer fünfmonatigen Berufsfeld-Trainingsmaßnahme.

Mit Bescheid des Arbeitsamtes VI Berlin vom 18. Juli 1996 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe gemäß § 48 SGB X ab 26. Juni 1996 auf. Der Anspruch des Klägers sei erloschen, weil er trotz der Belehrung vom 20. April 1995 über das Erlöschen des Anspruchs bei erneutem Eintritt einer Sperrzeit (vgl. den Sperrzeitbescheid desselben Datums) wiederum Anlass zum Eintritt einer Sperrzeit ab 26. Juni 1996 mit Regeldauer gegeben habe. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses als Sachbearbeiter bei der Paritätischen Akademie vereitelt. Deshalb werde der Bescheid über die Bewilligung der Leistungen für die Zeit vom 26. Juni 1996 bis 8. Juli 1996 gemäß § 48 SGB X und § 152 AFG aufgehoben. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen seien vom Kläger in Höhe von 542,30 DM zu erstatten (§ 50 SGB X).

Hiergegen legte der Kläger am 30. August 1996 Widerspruch ein. Der Arbeitgeber habe entschieden, dass er - der Kläger - nicht in das Team hineinpasse. Er habe am 26. August 1996 persönlich im Arbeitsamt VI vorgesprochen und sich der Arbeitsvermittlung weiterhin zur Verfügung gestellt.

In einem Schreiben vom 4. September 1996 an den Direktor des Arbeitsamtes VI Berlin führte der Kläger zu seinem Verhalten während des Einstellungsgespräches noch aus:
- Entsprechend meiner Treuepflicht habe ich im Vorstellungsgespräch u.a. offen über die in der Sozialgerichtsbarkeit rechtshängigen Verfahren informiert, deren Urteile Auswirkungen auf den Inhalt des abzuschließenden Arbeitsvertrages, insbesondere zur Entlohnung, haben können.
- Ich gewann im Vorstellungsgespräch zunehmend das Gefühl, dass ein Verschweigen dieser Probleme im Arbeitsverhältnis schwerstwiegende arbeitsrechtliche Probleme nach sich gezogen hätten. Die genannten Probleme wurden mehrfach hinterfragt.
- Abschreckend oder besonders provokant habe ich mich gegenüber dem Arbeitgeber nicht verhalten. Mein Auftreten war durch die Ihnen auch zwischenzeitlich bekannte sachliche und korrekte Art geprägt.
Dieses Verhalten kann man unbedingt auch dem Arbeitgeber bescheinigen. Der Arbeitgeber hat eine solche Erklärung nachweislich bisher auch gegenüber dem Arbeitsamt VI Berlin nicht abgegeben. Die Quelle der Darlegungen des Gerichts ist damit unklar.
- Nur damit nicht nach neuen „Verhaltensquerelen“ gesucht wird, möchte ich darauf aufgrund von Literaturstudien hinweisen, dass ich zum Vorstellungsgespräch in der für Akademiker üblichen Kleidung, also im Maßanzug, gegangen bin.“

Mit weiterem Schreiben vom 25. September 1996 machte der Kläger erneut Ausführungen zu den Punkten 1 bis 4 der arbeitgeberseitigen Stellungnahme:
zu 1:
Die Erwähnung seines Rechtsstreites mit seinem ehemaligen Arbeitgeber musste erfolgen, weil der Arbeitnehmer keine Kenntnisse im Vorstellungsgespräch über evtl. bestehende Geschäftsverbindungen zwischen neuem und alten Arbeitgeber hatte. Ein Verschweigen hätte neben dem Risiko der fristlosen Entlassung, die in der Arbeitsgerichtsbarkeit Bestand gehabt hätte, außerdem das Risiko einer 6-monatigen Sperrfrist nach sich gezogen bei der erneuten Beantragung von Leistungen in der Bundesanstalt für Arbeit. Außerdem wäre ich bei einer nachgewiesenen oder erfolgreich behaupteten Geschäftsschädigung schadensersatzpflichtig geworden.
zu 2.
In allen Literaturmaterialien zu Vorstellungsgesprächen wird darauf hingewiesen, dem Arbeitgeber durchaus die vorherigen Entlohnung/Eingruppierung in Tarifverträgen zu nennen, damit er sich ein reales Bild über die Qualifikation des Arbeitnehmers machen kann.
zu 3.
Von den gegen das Arbeitsamt VI Berlin im Sozialgericht Berlin rechtshängigen 16 Verfahren, davon 9 Untätigkeitsklagen, habe ich im Vorstellungsgespräch lediglich auf 2 Sozialgerichtsverfahren hingewiesen, nämlich zur Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes (Az.: L 14 Ar 57/93 W 95) und zur Höhe der vom Arbeitsamt VI Berlin gesetzlich im November 1994 vorgenommenen Neubewertung des Leistungsempfängers (Az.: S 63 Ar 274/95). Ich habe dabei die Frage gestellt, ob sich aus der zwischen Arbeitgeber und Arbeitsamt bestehenden Beziehung zur Bereitstellung der ABM-Mittel bei vollem oder teilweisem Obsiegen in diesen Verfahren Möglichkeiten ergeben würden. Diese Frage wurde vom Arbeitgeber mehrfach hinterfragt, sie wurde im Vorstellungsgespräch letztlich nicht beantwortet. Ihr Inhalt ist grundgesetzkonform und aus dem Artikel 14 (1) des „Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland abzuleiten.
zu 4.
Die vom Arbeitgeber am Schluss des Vorstellungsgesprächs getroffene Wertung, „nicht in das von ihm geführte Team hineinzupassen“, wurde auch mündlich gegenüber dem Arbeitnehmer getroffen, ist somit deckungsgleich. Aus ihr können keinerlei Vorwürfe gegenüber dem Arbeitnehmer, schon gar nicht die „Vereitelung“, abgeleitet werden.“

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 1996 - als unbegründet - zurück. Der Kläger habe das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses als Sachbearbeiter bei der Paritätischen Akademie dadurch vereitelt, dass er anstelle seiner Bereitschaft und seines Willens, die angebotene Arbeit anzunehmen, im Einstellungsgespräch dem künftigen Arbeitgeber seine höhere Gehaltsforderung und die von ihm mit früheren Arbeitgebern und dem Arbeitsamt geführten und weiteren in Aussicht gestellten Rechtsstreitigkeiten detailliert dargelegt habe. Er habe damit entsprechend seiner schriftlichen Bestätigung den Arbeitgeber abgeschreckt, ihn durch Einstellung in das bestehende Team aufzunehmen. Darin liege die Nichtannahme einer Arbeit im Sinne des § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AFG.

Hiergegen hat der Kläger am 25. Oktober 1996 Klage erhoben, zu deren Begründung er seinen aus dem Vorverfahren bekannten Standpunkt noch einmal eingehend dargelegt hat.

Im Laufe des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 9. Juli 1997 ergangen, mit dem die Beklagte ihren Bescheid vom 18. Juli 1997 bezüglich des Erlöschens des Anspruchs aufgehoben hat. Es sei demnach eine Sperrzeit von 12 Wochen vom 26. Juni 1996 bis 17. September 1996 eingetreten. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses vereitelt. Er habe sein Verhalten damit begründet, dass ihm die Eingruppierung der Stelle zu gering erschiene. Diese Gründe könnten jedoch bei Abwägung seiner Interessen mit denen der Allgemeinheit den Eintritt einer Sperrzeit nicht abwenden. Der Rückforderungszeitraum liege innerhalb der Sperrzeit. Deshalb werde der Bescheid über die Bewilligung der Leistung für die Zeit vom 26. Juni 1996 bis 8. Juli 1996 gemäß § 48 SGB X und § 152 AFG aufgehoben. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 542,30 DM seinen vom Kläger zu erstatten.

Sowohl die Prozessbevollmächtigten des Klägers als auch die Beklagte und der Vorsitzende des Sozialgerichts sind im Nachhinein von der Rechtsauffassung ausgegangen, dass der Bescheid vom 9. Juli 1997 nach § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden sei.

Gegen diesen Bescheid vom 9. Juli 1997 hat der Kläger Widerspruch eingelegt und am 15. September 1997 die Untätigkeitsklage S 77 Ar 3381/97 erhoben, die das Sozialgericht durch Beschluss vom 22. Dezember 1997 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 7. August 1998 vor dem Sozialgericht - nur - den Antrag gestellt, den Bescheid vom 18. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1996 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 9. Juli 1997 aufzuheben.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom gleichen Tage die im Klageantrag bezeichneten Bescheide aufgehoben und in den Entscheidungsgründen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei begründet; dem Kläger könne nicht nachgewiesen werden, dass er absichtlich eine Einstellung bei der Paritätischen Akademie habe verhindern wollen. Im Rahmen der hier angefochtene Aufhebungsentscheidung gehe dieser fehlende Nachweis zu Lasten der Beklagten: „Zwar ist die Beklagte entgegen der Ansicht des Klägers in zutreffender Weise davon ausgegangen, dass der Tatbestand der Nichtannahme einer angebotenen Arbeit auch im Fall eines dem Arbeitslosen bewussten und offenkundig inadäquaten Bewerberverhalten erfüllt sein kann, gerade hiervon hat sich die Kammer nach dem Eindruck, den der Kläger im Verlauf des Prozesses und auch in seinen weiteren umfangreichen Klageverfahren erkennen lässt, nicht mit hinreichender Sicherheit überzeugen können. Denn wenngleich das Bewerberverhalten des Klägers ausweislich der von der Paritätischen Akademie gefertigten Aktennotiz als sozial inadäquat bezeichnet werden kann, bestehen durchgreifende Zweifel daran, ob dem Kläger dies bewusst war bzw., ob der Kläger es darauf angelegt hat, durch sein Auftreten eine Einstellung bei der Paritätischen Akademie zu verhindern. Die umfangreiche Klagetätigkeit des Klägers und sein Vorbringen in den Schriftsätzen und im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigen eher seine eigene Darstellung der Bewerbersituation, wonach er, der Kläger, es zur Vermeidung von Streitigkeiten für erforderlich hielt, Einzelheiten seines anhängigen Arbeitsgerichtsverfahrens und Probleme mit dem Arbeitsamt zu schildern. Dass er dies in der Absicht getan hat, nicht eingestellt zu werden, lässt sich der als subjektive Einschätzung gefertigten Aktennotiz der Paritätischen Akademie nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, selbst wenn man davon ausgeht, für einen verständigen Arbeitgeber habe das Auftreten des Klägers abschreckende Züge gehabt. Denn auch in zahlreichen Sozialgerichtsverfahren hält der Kläger trotz richterlicher Hinweise oder Einschaltung sachverständiger Prozessbevollmächtigter an seiner von ihm für richtig befundenen Interessenverfolgung fest, was nach Auffassung der Kammer die Annahme ausschließt, der Kläger habe sich bei Durchführung des Bewerbergesprächs entgegen seiner sonstigen einsichts- und Urteilsfähigkeit rechthaberisch und querulatorisch gezeigt.“

Die Beklagte hat gegen das ihr am 5. Oktober 1998 zugestellte Urteil am 19. Oktober 1998 Berufung eingelegt. Dem Urteil des Sozialgerichts sei nicht darin zu folgen, dass das unstreitig inadäquate Bewerberverhalten des Klägers gegenüber der Paritätischen Akademie ihm nicht zugerechnet werden könne. Nach ihrer - der Beklagten - Auffassung habe der Kläger den zwingenden Eindruck hinterlassen, dass er eine sehr gut ausgebildete Urteilsfähigkeit besitze. Die Hartnäckigkeit, mit der er die anhängigen Klage- und Beschwerdeverfahren betreibe, müsse nicht auf einer eingeschränkten Urteilsfähigkeit basieren, sondern beruhe nach dem bei ihr - der Beklagten - entstandenen Eindruck vielmehr auf Kalkül. Nach den Ausführungen des Arbeitgebers, die vom erstinstanzlichen Gericht in der Sache nicht angezweifelt würden, habe sich der Kläger in dem Gespräch mit dem Arbeitgeber eigeninitiativ zu einer beabsichtigten Klage gegen das Arbeitsamt geäußert. Hierzu habe keine Veranlassung bestanden, da sich eine solche Klage nicht negativ auf die zukünftig zu verrichtende Tätigkeit ausgewirkt hätte. Ein solches Verhalten rechtfertige die Annahme einer beabsichtigten Vereitelung des Zustandekommens des Beschäftigungsverhältnisses. Von einem Arbeitnehmer müsse grundsätzlich erwartet werden, dass er sich dem Arbeitgeber gegenüber in einem günstigen Licht präsentiere.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. August 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat Rechtsausführungen gemacht, nach denen die Berufung der Beklagten deshalb unzulässig sei, weil die Beklagte die Berufungsbegründungsfrist versäumt habe. Im Übrigen schließt er sich den seiner Ansicht nach zutreffenden Entscheidungsgründen der ersten Instanz an.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 6. März 2000 ist Herr Salgert schriftlich als Zeuge befragt worden. Wegen des Inhalts der Fragen wird auf das gerichtliche Schreiben vom 6. März 2000 (Bl. 135 bis 139 GA) und wegen der Antworten im Einzelnen auf das Schreiben des Zeugen vom 19. März 2000 (Bl. 145, 146 GA) Bezug genommen.

Zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften in erster und zweiter Instanz verwiesen.

Die den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten - 4 Bde. - zur Stamm-Nr. 962-036926 - sowie die Gerichtsakten aus den Rechtsstreiten S 63 Ar-E 2334/96/ L 14 B 88/96 AL ER und S 77 Ar 3381/97 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Da der Kläger die Untätigkeitsklage S 77 Ar 3381/97 im Klageantrag, den er in der mündlichen Verhandlung vom 7. August 1998 vor dem Sozialgericht persönlich gestellt hat, nicht mehr erwähnt hat, liegt darin insoweit eine Klagerücknahme durch konkludentes Handeln. Die Klagerücknahme braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sie ist auch stillschweigend möglich, und zwar z.B. dann, wenn der Kläger - wie im vorliegenden Fall - seinen Antrag beschränkt (so Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar 6. Aufl. 1998 § 102 Rdnr. 7 b).

Gegenstand des Rechtsstreits ist nach dem Antrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht nur noch der Bescheid vom 18. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1996, beide in der Fassung des Änderungsbescheides vom 9. Juli 1997.

Soweit die Beklagte mit dem Bescheid vom 18. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1996 wegen des Eintritts der Sperrzeit das Erlöschen des Leistungsanspruchs ab 26. Juni 1996 festgestellt hat, ist dieser Bescheid durch den Bescheid vom 9. Juli 1997, der nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, insoweit („bezüglich des Erlöschens Ihres Anspruchs“) aufgehoben worden, so dass als Folge davon nur noch zu prüfen war, ob gegen den Kläger eine Sperrzeit (von 12 Wochen Dauer) eingetreten ist, was das Sozialgericht im angefochtenen Urteil verneint hat.

Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte eine etwaige Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten hätte, denn im SGG-Verfahren gibt es keine gesetzlich festgelegte Berufungsbegründungsfrist, bei deren Nichteinhaltung als Sanktion die Verwerfung der Berufung als unzulässig droht. Zwar ist in § 519 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine Berufungsbegründungsfrist von einem Monat festgeschrieben, deren Nichteinhaltung unter Umständen die Verwerfung der Berufung als unzulässig zur Folge haben kann (vgl. § 519 b Abs. 1 ZPO). Diese Vorschriften gelten aber im Verfahren nach dem SGG nicht, selbst wenn nach § 202 SGG die Vorschriften der ZPO entsprechend anzuwenden sind. Denn eine entsprechende Anwendung ist nur dann vorgesehen, soweit das SGG „keine Bestimmungen über das Verfahren enthält“. Für das Berufungsverfahren enthält das SGG aber eine Bestimmung in § 151 SGG; im Abs. 3 dieser Vorschrift heißt es, dass die Berufungsschrift „die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben“ soll. Die Berufung muss also nicht innerhalb einer bestimmten Frist begründet sein, so dass auch eine Verwerfung als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht möglich ist (vgl. auch Meyer-Ladewig a.a.O. § 151 Rdnr. 11 e).

Da die Berufung der Beklagten im Übrigen form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden ist, könnte sie nur noch dann unzulässig sein, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes unter 1.000,- DM läge (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Das ist hier aber nicht der Fall, denn der Alhi-Anspruch des Klägers betrug 303,- DM pro Woche, so dass aus einer Sperrzeit von 12 Wochen ein Leistungsverlust in Höhe von (303,- x 12 =) 3.636,- DM resultiert.

Die nach alldem zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Gegen den Kläger ist als Folge des Bewerbergesprächs vom 25. Juni 1996 eine Sperrzeit eingetreten, weil deren gesetzliche Voraussetzungen nach § 119 AFG vorgelegen haben.

Das Arbeitsamt VI Berlin hat im Ergebnis zutreffend gegen den Kläger den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen Dauer mit Wirkung ab 26. Juni 1996 festgestellt, weil der Kläger das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses „vereitelt“ hat.

Nach § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AFG tritt eine Sperrzeit dann ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

Vom Wortlaut dieser Vorschrift ausgehend fällt das Verhalten des Klägers anlässlich des Vorstellungsgespräches am 25. Januar 1996 nicht direkt unter einen dieser beiden Tatbestände, denn nicht der Kläger war es, der die Arbeit nicht angenommen hat. Vielmehr hat der Gesprächsführer auf Arbeitgeberseite, der Zeuge Salgert, im Aktenvermerk vom 25. Juni 1996 niedergelegt, dass er dem Kläger mitgeteilt habe, er - der Kläger - passe nicht in das bestehende Team. Das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages ist aber durch dieses Verhalten des Arbeitgebers nur „vorder-gründig“ verhindert worden. Denn unter den Tatbestand der Nichtannahme einer angebotenen (zumutbaren) Arbeit fällt auch ein Verhalten eines Arbeitslosen, das als „Vereiteln“ abgesehen wird.

Der Tatbestand der Vereitelung war früher in § 78 AVAVG ausdrücklich geregelt und umfasst den Fall, dass der Arbeitslose die angebotene Arbeit zwar nicht ausdrücklich ablehnt, jedoch durch sein Verhalten das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert. „Vereiteln“ erfordert ein wissentliches und willentliches Handeln. Es genügt nicht, dass der Arbeitslose durch sein Verhalten den Nichtabschluss des Arbeitsvertrages verursacht hat, vielmehr muss er diesen Erfolg auch gewollt, zumindest aber als mögliche Folge seines Verhaltens in Kauf genommen haben. Fahrlässigkeit (auch grobe) genügt nicht (so Draeger/Buchwitz-Schönefelder, AVAVG-Kommentar 1961, § 78 Rdnr. 16). Als Beispiel für ein solches Verhalten wird u.a. ein abschreckendes bzw. besonders provokantes Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber genannt (siehe Niesel, AFG-Kommentar 2. Aufl. 1997 § 119 Rdnr. 45), wobei aber auch hier ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass nachgewiesen werden muss, dass das „besonders provokante Verhalten“ vorsätzlich begangen sein muss. Es muss also mit anderen Worten Mittel zu dem Zweck sein, vom Arbeitgeber nicht eingestellt zu werden.

Nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats bestehen im Falle des Klägers ausreichenden Anhaltspunkte, dass der Kläger vom Zeugen Salgert nicht eingestellt werden wollte.

Aus den Antworten des Zeugen Salgert vom 19. März 2000 zu den Fragen 1 und 2 ergibt sich, dass der Kläger grundsätzlich von seiner - wissenschaftlichen - Vorbildung her als geeignet angesehen werden konnte, um die ausgeschriebene Stelle mit ihm zu besetzen. Der Zeuge gibt dazu an: „Die erforderlichen Fachkenntnisse (Förderrichtlinien der EU, des Bundes und der Länder sowie die wenigen zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften) wären während der Dienstzeit und durch die Teilnahme an zwei zweitägigen Seminaren vermittelt worden.“ Es handelt sich also um eine dem Kläger zumutbare Arbeit, wie die Arbeitsvermittlerin Reichner in ihrer Stellungnahme vom 5. Juli 1996 schon dargelegt hatte und die sich nun als richtig herausgestellt hat.

Die Antwort des Zeugen Salgert auf die Frage 5 bestätigt die Auffassung der Beklagten, dass das Verhalten des Klägers darauf ausgerichtet war, das Beschäftigungsverhältnis nicht zustandekommen zu lassen, um die Arbeit nicht antreten zu müssen. Der Kläger hat nicht das Gespräch im Hinblick auf die zu besetzende Stelle geführt, sondern lediglich alle die Punkte aufgeführt, die ihn seiner Ansicht nach daran gehindert haben, die angebotene ABM-Tätigkeit zu dem damaligen Zeitpunkt anzunehmen. Der Kläger war unter keinen Umständen bereit, zu den angegebenen Konditionen zu arbeiten, insbesondere nicht im Rahmen einer Bezahlung nach BAT-V c. Hätte der Kläger „die Stelle gewollt, wäre das Gespräch auf die künftige Arbeit bezogen geführt worden und es wäre dann darum gegangen, ob es möglich ist, die innerhalb der ABM übertragenen Tätigkeiten so zu bewerten, dass sie in Richtung IV b gehen“, wie der Zeuge Salgert im Einzelnen ausgeführt hat.

In diese Richtung ist das Gespräch vom Kläger aber nicht geführt worden. Vielmehr hat der Kläger sein Missfallen kund getan, im Rahmen der Vermittlung in eine „ABM“ in die Vergütungsgruppe BAT V c eingruppiert zu sein, was der Zeuge Salgert jedenfalls nicht dahin ändern konnte, dass er den Kläger nach BAT IV b einstufte.

Soweit der Zeuge Salgert ursprünglich zum Ausdruck gebracht hat, „fast jeder Arbeitgeber“ wäre durch den Vortrag des Klägers „verschreckt“ worden, hat er auch gemeint, dass er selbst auch „verschreckt“ gewesen ist und deshalb den Kläger als Bewerber abgelehnt hat. Der Hinweis auf andere Arbeitgeber dient also zur Rechtfertigung seiner - des Zeugen Salgert - Reaktion und deutet darauf hin, dass das Verhalten des Klägers so eindeutig gewesen ist, dass ihm - dem Zeugen Salgert - gar keine andere Wahl geblieben ist, als ihn nicht einzustellen.

Zum Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts und in Übereinstimmung mit der Beklagten hat der Senat ein vorsätzliches Handeln des Klägers angenommen, weil dem Kläger die angebotene ABM-Tätigkeit nicht in seine damalige „Lebensplanung“ gepasst hat. Der Kläger führte zu der Zeit noch einen Prozess gegen einen früheren Arbeitgeber auf Zeugniserteilung und Weiterbeschäftigung und glaubte, er würde seine Prozessaussichten durch die Arbeitsaufnahme in der vermittelten „ABM“ verschlechtern. Aus der Vielzahl der vom Kläger - ansonsten - geführten Prozesse lässt sich nicht ableiten, dass der Kläger grundsätzlich querulatorisch ist, denn die im Laufe der Zeit ergangenen zahlreichen Bescheide der Beklagten hat der Kläger - von seinem Ausgangspunkt her - jeweils geglaubt anfechten zu müssen und es ist auch ein zielgerichtetes Handeln zu erkennen. Nach dem Gesamtergebnis des Verhaltens hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger bei dem Bewerbungsgespräch mit dem Zeugen Salgert bewusst und gewollt das geschilderte Verhalten an den Tag gelegt hat, weil er die ABM“ in Wahrheit zu den Konditionen, zu denen die Vermittlung erfolgen sollte, nicht annehmen wollte.

Hat die Beklagte somit zu Recht den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt, ruhte der Anspruch auf die Leistung gemäß0 § 119 Abs. 1 Satz 3 AFG.

Daraus resultiert der von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 542,30 DM, wie im Sperrzeit-Bescheid des Arbeitsamtes Berlin-Mitte vom 9. Juli 1997 zutreffend ausgeführt worden ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X in Verbindung mit § 152 Abs. 3 AFG).

Nach alledem musste die Berufung der Beklagten Erfolg haben, so dass zu entscheiden war wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn 1 oder 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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