L 14 AL 87/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 Ar 2470/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 87/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 1998 wird zurückgewiesen; auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin geändert. Die Bescheide vom 22. April und 18. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1996 werden in vollem Umfang aufgehoben. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld bzw. deren Umfang und die entsprechende Verpflichtung zur Erstattung erbrachter Leistungen.

Der jetzt 61 Jahre alte Kläger war bis Februar 1990 als Redakteur, vom 1. März 1990 bis 30. April 1991 bei einem anderen Arbeitgeber als stellvertretender Chefredakteur und vom 1. Mai 1991 bis 31. Dezember 1993 bei einem weiteren Arbeitgeber wiederum als Redakteur beschäftigt. Er verdiente zuletzt 5.379,50 DM brutto monatlich. Das letzte Arbeitsverhältnis endete durch eine vom Arbeitgeber mit Brief vom 11. November 1993 erklärte Kündigung.

Am 9. Dezember 1993 meldete sich der Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 1994 arbeitslos und beantragte, ihm Arbeitslosengeld zu gewähren. In dem Antragsvordruck gab er dabei an, dass auf seiner Lohnsteuerkarte 1994 zu Beginn des Jahres die Steuerklasse V eingetragen sei. Bei Abgabe des Antrags Anfang März 1994 legte der Kläger sowohl seine Steuerkarte wie auch die seiner Frau (bzw. eine Ablichtung davon) vor, in der ursprüng-lich die Steuerklasse IV und kein Kinderfreibetrag eingetragen war. Diese Eintragung war am 11. November 1993 mit Wirkung ab 1. Januar 1994 dahin geändert worden, dass nunmehr ein Kinderfreibetrag 0,5 eingetra-gen war. Am 16. November 1993 war dann in die Lohnsteuerkarte der Ehefrau mit Wirkung vom 1. Januar 1994 die Steuerklasse III und der Kinderfreibetrag 0,5 eingetragen worden.

Mit Bescheid vom 11. März 1994 bewilligte die Beklagte dem Kläger, der vom 1. Januar bis 28. Februar 1994 Krankengeld bezogen hatte, Arbeitslosengeld ab 1. März 1994 in Höhe von 545,40 DM wöchentlich nach der Leistungsgruppe C. Auf der Rückseite dieses Bescheides ist in einem Schema erläutert, dass die Leistungsgrup-pe C der Steuerklasse III zugeordnet ist.

Mit Bescheid vom 1. Juli 1994 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 1. Juli 1994 aufgrund einer vom Kläger an diesem Tag aufgenommenen Beschäftigung auf.

Am 31. Januar 1995 meldete sich der Kläger mit Wirkung vom 15. Februar 1995 erneut arbeitslos und bean-tragte, ihm das Arbeitslosengeld wiederzubewilligen. Dabei gab er an, dass sich bei den Eintragungen auf sei-ner Lohnsteuerkarte keine Änderungen ergeben hätten. Er legte ferner eine Arbeitsbescheinigung vor, aus der sich ergibt, dass in seiner Lohnsteuerkarte die Steuerklasse V eingetragen war, sowie seine Lohnsteuerkarte 1995 im Original (oder eine Ablichtung), in der die Steuerklasse V eingetragen war.

Mit Bescheid vom 24. Februar 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger wieder Arbeitslosengeld ab 15. Februar 1995, wiederum nach der Leistungsgruppe C. Auch dieser Bescheid enthält auf der Rückseite ein Schema, dem zu entnehmen ist, dass die Leistungsgruppe C der Steuerklasse III zugeordnet ist.

Mit Brief vom 1. Dezember 1995 übersandte der Kläger der Beklagten seine Lohnsteuerkarte 1996 mit der Bitte um Beachtung der geänderten Steuerklasse (ab 1. Januar 1996: IV). Nach entsprechender Aufforderung durch die Beklagte teilte der Kläger zur von der Beklagten beabsichtigten Prüfung der Frage, ob der von ihm veranlasste Steuerklassenwechsel leistungsrechtlich beachtlich sei, am 22. Dezember 1995 das von seiner Frau im Dezember 1995 erzielte Bruttoarbeitsentgelt mit.

Am 27. Dezember 1995 nahm der Kläger wieder eine Beschäftigung auf.

Am 23. Januar 1996 stellte die Beklagte fest, dass dem Kläger Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C statt nach der Leistungsgruppe D gezahlt worden war. Dies teilte sie ihm mit Brief vom 29. Januar 1996 mit und gab ihm Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Der Kläger erklärte daraufhin, dass er eine unrichtige Zahlung nicht habe erkennen können. Er sei 1994 erstmals arbeitslos geworden und habe “sozialpolitischen Broschüren” entnommen, dass das Arbeitslosengeld etwa 60 vom Hundert des Nettoverdienstes betrage. Dem habe die Bewilligung von rd. 2.100,- DM genau entsprochen. Außerdem seien von ihm alle Unterlagen exakt vorgelegt worden. Wenn der Bezieher von Arbeitslosengeld die Höhe der Abzüge prüfen solle, müsse er seines Erachtens eine detaillierte Abrechnung bekommen ähnlich einem Gehaltszettel.

Mit Bescheid vom 22. April 1996 nahm die Beklagte “den Bescheid” über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes “wegen (einer) wesentlichen Änderung der Verhältnisse” nach § 45 des Zehnten Buchs des Sozialge-setzbuches (SGB X) i.V.m. § 152 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ab 1. März 1994 “ganz” zurück. Der Kläger hätte anhand der Lektüre des Merkblattes für Arbeitslose erkennen können, dass ihm Leistungen nach der Leistungsgruppe D zustanden, weil auf seiner Steuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen gewesen sei. Die von ihm zu Unrecht bezogenen Leistungen in Höhe von 12.399,- DM habe er nach § 50 SGB X zu erstatten.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 3. Mai 1996 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er sich auf “Vertrauensschutz, da die Leistungen verbraucht (seien)”, berief. Er habe auch keine Anzeige, auf die in einem von der Beklagten zitierten “Merkblatt für Arbeitslose” hingewiesen worden sein solle, unterlassen.

Mit Bescheid vom 18. Juni 1996 hob die Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22. April 1996 teilweise auf und nahm mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag erneut den Bescheid über die Bewil-ligung des Arbeitslosengeldes “wegen dieser wesentlichen Änderung der Verhältnisse” gemäß § 45 SGB X und § 152 Abs. 2 AFG ab 1. März 1994 zurück. Sodann wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1996 den Widerspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung seiner am 25. Juli 1996 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass ihm Vertrauensschutz zuzubilligen sei. Er sei in gutem Glauben an die Rechtmäßigkeit der Bewilligungsbescheide, die aus seiner Sicht keine besonderen Auffälligkeiten aufgewiesen hätten, von einer korrekten Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes ausgegangen, die sich im Rahmen einer Größenordnung von etwa 60 % seines letzten Nettogehaltes gehalten habe. Grobe Fahrlässigkeit sei ihm nicht vorzuwerfen. Grob fahrlässig verschuldet habe die Überzahlung vielmehr einzig und allein die Beklagte.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 26. Juni 1998 die Bescheide vom 22. April 1996 und 18. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1996 dahin abgeändert, dass die Entscheidungen über die Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 11. März 1994 und 24. Februar 1995 nur insoweit aufgehoben würden, als die bewilligte Leistung die nach der Leistungsgruppe D zustehende Leistung um ein Drittel überstieg, und dass der Kläger nur 4.133,- DM zu erstatten habe; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Entscheidungen über die Höhe des Arbeitslosengeldes in den Bewilligungsbescheiden vom 11. März 1994 und 24. Februar 1995 seien rechtswidrig gewesen, weil eine falsche Leistungsgruppe zugrunde gelegt worden sei. Maßgebend gewesen sei für die Bewilligung die zu Beginn des Jahres 1994 in die Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Steuerklasse V und dementsprechend die Leistungsgruppe D. Das zu Unrecht nach der Leistungsgruppe C bewilligte Arbeitslosengeld sei daher 1994 um 182,40 DM und 1995 um 204,60 DM wöchentlich zu hoch gewesen. Die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X seien aber nur hinsichtlich eines Drittels des Unterschiedes zwischen der bewilligten und der dem Klä-ger zustehenden Leistung erfüllt. Zwar habe der Kläger aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass die Entscheidungen über die Höhe des ihm bewilligten Arbeitslosengeldes rechtswidrig gewesen seien. Er hätte ohne weiteres feststellen können, dass die Beklagte in den fraglichen Bescheiden die Leistungsgruppe C zugrunde gelegt habe und dass für ihn die Leistungsgruppe D maßgebend gewesen sei, wenn er die Bescheide und die Erläuterungen auf deren Rückseite vollständig gelesen hätte. Wenn er dies unterlassen habe, habe er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Indes müsse sich die grobfahrlässige Unkennt-nis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung auch auf deren Höhe erstrecken. Insoweit sei vom Begünstigten nur eine “Parallelwertung in der Laiensphäre” zu verlangen. Der Kläger habe sich daran orientieren dürfen, dass das ihm bewilligte Arbeitslosengeld etwa 60 % seines letzten Nettoarbeitsentgelts betragen habe. Dennoch müsse er sich die Unkenntnis der Höhe der Überzahlung in dem Umfang zurechnen lassen, in dem er die Un-gewissheit über die Richtigkeit der Entscheidungen über die Höhe hingenommen habe. Er habe sich darauf einstellen müssen, dass ein Verwaltungsfehler eine Überzahlung in einer Größenordnung von einem Drittel zur Folge haben konnte. In diesem Umfang müsse er sich eine grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Entscheidungen vorwerfen lassen. Im Übrigen unterliege die Überzahlung dem Vertrauensschutz. Dementsprechend sei der Kläger auch nur zur Erstattung der überzahlten Leistungen in Höhe eines Drittels verpflichtet.

Gegen das ihr am 21. Juli 1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. August 1998 eingelegte Berufung der Beklagten, zu deren Begründung sie vorträgt: Sie stimme dem Sozialgericht darin zu, dass der Kläger ohne weiteres hätte feststellen können, dass sie (die Beklagte) bei ihrer Leistungsbewilligung von einer fehlerhaften Leistungsgruppe ausgegangen sei. Soweit der Kläger dies tatsächlich nicht festgestellt haben wolle, sei ihm zumindest grobe Fahrlässigkeit zu unterstellen. Dem Sozialgericht sei jedoch nicht darin zu folgen, dass sich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis auch auf die Höhe der Leistungen erstrecken müsse, so dass die Bewilligung nur zu einem Drittel hätte aufgehoben werden dürfen. Abgesehen davon, dass der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen sei, weshalb sich der Kläger die grob fahrlässige Unkenntnis der Überzahlung ausgerechnet in Höhe eines Drittels zurechnen lassen müsse, sei davon auszugehen, dass jedem im Arbeitsleben Stehenden bekannt sein dürfte, dass die Differenz zwischen den Steuerklassen III und V erheblich sei. So dürften der Kläger und seine Ehefrau die Steuerklasse der Ehefrau nicht auf III geändert haben, ohne sich darüber entsprechende Gedanken gemacht zu haben, sondern sich dadurch einen erheblich geringeren Steuerabzug erhofft haben. Dann habe der Kläger auch davon ausgehen müssen, dass die fehlerhafte Zuordnung der Leistungsgruppe eine unzutreffende Auszahlung in erheblicher Höhe zur Folge haben würde. Eine Trennung zwischen grob fahrlässigem Nichterkennenkönnen einer fehlerhaften Leistungsgruppe einerseits und einer sich daraus ergebenden fehlerhaften Leistungshöhe andererseits sei nach ihrer Auffassung nicht möglich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 1998 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, sowie - im Wege der Anschlussberufung - das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 1998 zu ändern und die Bescheide vom 22. April 1996 und 18. Juni 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1996 in vollem Umfang aufzuheben.

Er hält die Berufung der Beklagten für unbegründet und verweist im Übrigen auf sein früheres Vorbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die den Kläger betreffende Leistungsakte - Stamm-Nr ... - verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1 und 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) Berufung der Beklagten erweist sich als unbegründet, die vom Kläger vor Schluss der mündlichen Verhandlung eingelegte (unselbständige) Anschlussberufung (§ 521 der Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 202 SGG) als zulässig und begründet; dementsprechend ist das Urteil des Sozialgerichts zu ändern und sind die Bescheide vom 22. April und 18. Juni 1996 in vollem Umfang aufzuheben.

Diese Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Bewilligung des Arbeitslosengeldes auch nur teilweise aufzuheben, und der Kläger folglich nicht verpflichtet, den von ihm geforderten Unterschiedsbetrag in Höhe von 12.399,- DM zu erstatten.

Richtig ist allerdings, dass dem Kläger ursprünglich ab 1. März 1994 sowie wiederum ab 15. Februar 1995 zu Unrecht Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C bewilligt worden war. Maßgeblich für die Höhe des bewilligten Arbeitslosengeldes war nach § 113 Abs. 1 Satz 1 AFG die zu Beginn des Kalenderjahres (1994) eingetragene Steuerklasse V, so dass Leistungen nach der Leistungsgruppe D zu bewilligen waren (§ 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. d AFG). Dass die Eheleute zuvor die Steuerklassen gewechselt bzw. für 1994 neu gewählt haben (was nach § 113 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 AFG einem Steuerklassenwechsel gleichsteht) ist unerheblich, da § 113 Abs. 2 AFG eine Sonderregelung nur im Verhältnis zu § 113 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AFG trifft, nicht aber zu § 113 Abs. 1 Satz 1 AFG (BSG, Urteil vom 25. August 1987 - 7 RAr 70/86 -, SozR 4100 § 113 Nr. 6). Demgegenüber wäre ein Steuerklassenwechsel (bzw. eine entsprechende Steuerklassenwahl) nach Entstehen des Anspruchs leistungsrechtlich durchaus beachtlich, was im vorliegenden Fall bedeutet hätte, dass bei einem Wechsel der Steuerklassen beispielsweise erst zum 1. April 1994 die Beklagte nach § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG dessen Zweckmäßigkeit mit der Folge hätte prüfen müssen, dass dem Kläger (bei einem entsprechenden Einkommen seiner Frau) ungeachtet des Wechsels zur Steuerklasse V Leistungen (weiterhin) nach der Leistungsgruppe C zu bewilligen gewesen wären. Tatsächlich haben der Kläger und seine Frau die anderen Steuerklassen aber bereits zu Beginn des Jahres 1994 eintragen lassen, sodass es für die Höhe des dem Kläger zu bewilligenden Arbeitslosengeldes bei der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 1 AFG bleibt, wonach die Steuerklasse V (und dementsprechend die Leistungsgruppe D) maßgebend war. Die sich aus dieser Regelung ungeachtet mehrerer Gesetzesänderungen ergebenden Ungereimtheiten sind hinzunehmen (BSG, Urteile vom 25. August 1987 - 7 RAr 70/86 -, a.a.O., sowie vom 11. Februar 1988 - 7 RAr 4/87 - und vom 26. September 1989 - 11 RAr 63/88 -, SozR 4100 § 113 Nr. 7 bzw. 10).

Die dementsprechend hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Leistung von Anfang an rechtswidrigen Entscheidungen über die Bewilligung von Arbeitslosengeld können mit Wirkung für die Vergangenheit indes nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X; die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X sind nicht gegeben). Von den dort getroffenen Regelun-gen kommt - da der Kläger insbesondere keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht hat - allein die Aufhebung der Bewilligungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X in Betracht. Die danach erforderlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligung liegen indes nicht vor. Weder lässt sich feststellen, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen kannte, noch, dass er sie deshalb nicht (er)kannte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Es mag durchaus sein, dass der Kläger - wie die Beklagte anführt - verpflichtet war, das ihm ausgehändigte Merkblatt zu lesen und seinen Inhalt zu kennen und deshalb wissen musste, dass der Steuerklasse V die Leis-tungsgruppe D (und nicht: C) zugeordnet ist. Freilich ist dem Merkblatt auch zu entnehmen, dass diese Zuordnung bei einem Wechsel der Steuerklassen zwischen Ehegatten - wie obiges Beispiel zeigt - nicht zwingend ist. Ob der Kläger daraufhin - irrig, aber zumindest einem Laien möglicherweise nachzusehen - annehmen durfte, die Leistungsgruppe C sei ungeachtet der bei ihm eingetragenen Steuerklasse V zutreffend, kann unentschieden bleiben; darauf beruft er sich nicht. Entscheidend ist, dass sich aus dem Merkblatt allein nicht ergibt, nach welcher Leistungsgruppe die Leistungen denn tatsächlich bewilligt wurden. Dies ist nur aus den entsprechen-den Bescheiden zu ersehen, die darüber hinaus auch “Hinweise” zur Zuordnung der Leistungsgruppen zu Steuerklassen enthalten. Ihnen kann deshalb durchaus ohne größere Anstrengungen die Leistungsgruppe und die Steuerklasse, der sie zugeordnet ist, entnommen werden.

Indes ist eine Pflicht eines Leistungsempfängers, einen die fragliche Leistung bewilligenden Bescheid zur Kenntnis zu nehmen, zu lesen bzw. sogar auf seine inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen, weder gesetzlich noch durch andere Rechtsvorschriften geregelt, was indes allein eine vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung begründen könnte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X: “erforderliche Sorgfalt”). Auf eine solche Prüfungspflicht weist auch das Merkblatt nicht hin. Vielmehr darf der Bürger regelmäßig auf die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit an ihn gerichteter Bescheide vertrauen (BSG, Urteile vom 5. November 1997 - 9 RV 20/96 - und vom 7. Juli 1998 - B 5 RJ 58/97 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr. 37 bzw. 38) und die ihm bewilligte Leistung dementsprechend “unbesehen” entgegennehmen, zumal eine vollständige Überprüfung des letztlich entscheidenden Leistungssatzes mangels Leistungstabelle ohnehin nicht ohne weiteres möglich ist. Demgemäß war auch der Kläger nicht verpflichtet, die Bescheide der Beklagten daraufhin zu überprüfen, ob die zutreffende Leistungsgruppe - als eines der Berechnungselemente - zugrunde gelegt worden war. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Bescheide zur Kenntnis genommen hat, ohne “besondere Auffälligkeiten” bemerkt zu haben. Augenscheinlich war ihm allein wichtig, “was unter dem Strich herauskam”, und er damit offenbar einverstanden. Mehr ist von ihm auch nicht zu verlangen.

Nach alledem ist der Kläger auch nicht verpflichtet, die zu Unrecht erhaltenen Leistungen zu erstatten.

Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Kläger in vollem Umfang obsiegt; Besonderheiten, die es rechtfertigen würden, ihm gleichwohl keine oder nur einen Teil der Kosten zu erstatten, liegen nicht vor.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved