L 1 AS 2671/09 PKH-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 3846/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 2671/09 PKH-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 7. April 2009 aufgehoben. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren S 3 AS 3846/08 unter Beiordnung von Rechtsanwältin H., R., ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe:

I.

In der Sache begehrt die Klägerin die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 17. September 2008 sowie des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2008.

Die zuvor im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wohnhafte Klägerin ist am 16. Juli 2008 aus deren Zuständigkeitsbereich nach V. zum Vater ihres jüngsten Kindes gezogen. Die Klägerin hat 17. März 2008 in einem persönlichen Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten mitgeteilt, dass sie am 16. Juli 2008 zu ihrem Lebensgefährten (und nunmehrigen Ehemann) - und aus dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten hinaus - umziehen werde. Sie hat dabei die neue Anschrift benannt. In einem weiteren Gespräch am 24. Juni 2006, in dem die Frage der Übernahme der Umzugskosten besprochen worden ist, hat die Klägerin wiederum mitgeteilt, am 16. Juli 2008 umzuziehen.

Die Beklagte hat der Klägerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft wohnenden Kindern dennoch Grundsicherungsleistungen für den kompletten Monat Juli sowie Kosten der Unterkunft und Heizung für Juli und August 2008 direkt an den ehemaligen Vermieter überwiesen.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. September 2008 macht die Beklagte die Rückforderung von insgesamt 787,50 EUR geltend, da die Klägerin die neue Anschrift nicht oder nicht rechtzeitig mitgeteilt habe und sie daher jedenfalls hätte wissen müssen, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]).

Dagegen hat sich die Klägerin mit Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 26. November 2008) und der Klage vor dem SG gewandt. Im Widerspruchsbescheid ist auch ausgeführt worden, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Mitteilung ihr nachteiliger Veränderungen in den Verhältnissen nicht nachgekommen sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).

Mit Beschluss vom 7. April 2009, der Bevollmächtigten der Klägerin am 21. April 2009 zugestellt, hat das SG den Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt. Dagegen hat sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde vom 18. Mai 2009, eingegangen beim SG am 19. Mai 2009 und dem LSG am 12. Juni 2009 vorgelegt, gewandt und vorgebracht, der ihr gegenüber erhobene Vorwurf treffe nicht zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. 127 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin für das Verfahren S 3 AS 3846/08 Prozesskostenhilfe zu gewähren. Auf die Beschwerde der Klägerin war der Beschluss des SG deshalb aufzuheben.

Gem. § 73 a SGG sind die Vorschriften der ZPO über die PKH in sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung, nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält danach auf Antrag PKH, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73 a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 114-127 ZPO).

Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar halten und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der bestätigenden Beweisführung überzeugt sein kann. Aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage muss zumindest möglich erscheinen, dass der Kläger mit ihrem Begehren durchdringen wird. Eine Beweisantizipation ist zulässig und geboten (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 73 a, Randnummer 7, 7a mit weiteren Nachweisen). Damit ist die Erfolgsaussicht dann zu bejahen, wenn der Ausgang des Verfahrens zumindest offen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgaussicht ist auch im PKH-Verfahren der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Ein früherer Zeitpunkt kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Entscheidung des Gerichts über den PKH-Antrag verzögert hat und eine Änderung zum Nachteil des Klägers/Antragstellers eingetreten ist (Meyer-Ladewig aaO, § 73 a, RandNr. 7 d mwN). Im vorliegenden Fall ist keine Änderung der Sach- oder Rechtslage zum Nachteil der Klägerin eingetreten. Deshalb ist hier für die Beurteilung der Erfolgsaussicht auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung des Senats abzustellen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens erster Instanz zumindest als offen zu bezeichnen.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll u.a. dann mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Der Senat hat erhebliche Zweifel daran, ob der Klägerin tatsächlich der Vorwurf gemacht werden kann, ihrer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht nachgekommen zu sein. Schon im März 2008 hat die Klägerin die Beklagte über den geplanten Umzug, die neue Anschrift und den voraussichtlichen Umzugstermin informiert. Am 24. Juni 2008, also nur 3 Wochen vor dem Umzug, hat sie einem Mitarbeiter der Beklagten in einem persönlichen Gespräch wiederum mitgeteilt, am 16. Juli 2008 umzuziehen. Der Beklagten war also der Umzugstermin hinreichend bekannt. Aus der Akte ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei diesem Termin um einen nur vorläufigen oder unsicheren Zeitpunkt gehandelt haben könnte, zumal die Klägerin bereits Angebote von 3 Umzugsunternehmen für den fraglichen Umzugstag eingeholt hatte. Spätestens in der Vorsprache am 24. Juni 2008 kann auch die persönliche Abmeldung der Klägerin aus dem Leistungsbezug der Beklagten gesehen werden, denn mehr als mitzuteilen, am 16. Juli 2008 umzuziehen, ist ihr nicht möglich. Da die Leistungen durch die Beklagte auch monatlich im Voraus angewiesen werden, hätte sich im Übrigen an der Überzahlung für Juli 2008 auch dann nichts geändert, wenn die Klägerin nach dem Umzug der Beklagten nochmals bestätigt hätte, dass sie tatsächlich umgezogen ist.

Aber auch soweit die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X stützt, vermag der Senat derzeit die Erfolgsaussichten allenfalls als offen zu bewerten. Denn der Klägerin müsste der Vorwurf gemacht werden, dass sie gewusst hat oder jedenfalls nur grob fahrlässig nicht gewusst hat, dass ihr Leistungsanspruch zum Ruhen gekommen oder entfallen ist. Die Klägerin hat allerdings durch ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, dass die Beklagte die Miete an den ehemaligen Vermieter direkt überwiesen hat. Wie die Klägerin wissen konnte, dass die Beklagte trotz ihres Umzugs die Miete für Juli (möglicherweise bestand allerdings auch noch für den gesamten Monat ein Anspruch des Vermieters auf Mietzahlungen, dies müsste auch noch aufgeklärt werden) und auch für August noch an den Vermieter überwiesen hat, erschließt sich dem Senat aus den vorliegenden Akten nicht. Soweit der Vorwurf auch für den Teilmonat Juli jedenfalls bezüglich der Grundsicherungsleistungen erhoben ist, ist unklar, ob und wann sie von der Leistung der Beklagten Kenntnis erlangt hat und ob der Klägerin bewusst gewesen ist, dass ihr - möglicherweise angesichts des Einkommens ihres damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemanns - auch anteilig keine Leistungen für Juli 2008 zustehen.

Auch soweit das SG im Hinblick auf die Kinder J. und N. davon ausgeht, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ihnen gegenüber möglicherweise bereits bestandskräftig geworden sei, weil nur die Klägerin Klage erhoben habe, lässt es unberücksichtigt, dass jedenfalls umstritten ist, ob die Vermutungsregelung des § 38 SGB II auch für (Teil-)Aufhebungen des Bewilligungsbescheides gilt oder ob nicht, auch bei Kindern, an jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft als gesondertem Adressaten bezüglich der von ihm zurückzufordernden Leistung, ein gesonderter Bescheid zu ergehen hat, wozu auch der erkennende Senat neigt (vgl. zur Problematik Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage § 38 Rn. 23b). Sollte man sich dieser Auffassung anschließen, wäre der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. September 2008 schon deshalb gegenüber den Kindern rechtswidrig und - da möglicherweise durch die Klägerin vertreten Klage auch der Kinder erhoben worden ist (§ 73 Abs. 2 Satz 2 SGG) - aufzuheben.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin und ihres Ehemanns steht auch unter Berücksichtigung der Vorschriften zum Prozesskostenvorschuss (§ 1360 a Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) der Gewährung von PKH das Einkommen des Ehemanns der Klägerin der Bewilligung nicht entgegen.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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