Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 3701/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3043/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Mai 2007 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Monat Januar 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger erhebt noch Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008.
Der am 1929 geborene Kläger ist bei der Beklagten privat pflegeversichert.
Der Kläger befand sich vom 07. bis 25. April 2006 in stationärer Behandlung des S. V.-Krankenhauses S. - Medizinische Klinik (Chefarzt Dr. M.-W.). Anlass war eine Synkope mit Sturz auf das rechte Knie und nachfolgender Reanimation. Es bestätigte sich der Verdacht eines intermittierenden AV-Blockes II mit Pausen bis zu 18 Sekunden; ein Herzschrittmacher wurde implantiert. Als weitere Diagnosen wurden genannt arterielle Hypertonie, chronische venöse Insuffizienz und essentieller Tremor (Bericht vom 22. Mai 2006). Eine weitere stationäre Behandlung wurde erforderlich vom 11. bis 20. Oktober 2006 wegen eines Erysipel am linken Unterschenkel (Bericht vom 19. Oktober 2006). Sodann folgte noch der weitere Aufenthalt im selben Krankenhaus vom 17. bis 19. Januar 2007, bei welchem ein akuter Myokardinfarkt ausgeschlossen werden konnte (Bericht vom 22. Februar 2007).
Im Juni 2006 beantragte der Kläger Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte erhob das MEDICPROOF-Gutachten der Ärztin Dr. T. vom 22. Juni 2006. Diese kam zu dem Ergebnis, für die Grundpflege sei ein täglicher Zeitaufwand von 31 Minuten erforderlich (Körperpflege 24 Minuten, hiervon Waschen 13 Minuten, Baden umgelegt zwei Minuten, Kämmen vier Minuten und Rasieren fünf Minuten; Mobilität sieben Minuten, hiervon Transfer Badewanne umgerechnet eine Minute, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung umgelegt sechs Minuten). Die Ernährung sei selbstständig möglich. Die Gutachterin nannte als Diagnosen nachlassende Mobilität bei allgemeiner Kraftlosigkeit nach Reanimation im Rahmen eines Herzstillstandes bei Herzrhythmusstörungen, Schultersteife beiderseits. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 14. Juli 2006 Leistungen ab.
Auf den Widerspruch des Klägers, unterstützt durch ärztliche Atteste des Allgemeinarztes S. vom 20. Juli 2006 und der Neurologin Sc. vom 22. August 2006 holte, die Beklagte das Zweitgutachten des Arztes Dr. Te. vom 25. September 2006 ein. Dieser errechnete für die Körperpflege neun Minuten (Waschen vier Minuten, Baden zwei Minuten, Rasieren drei Minuten) und für die Mobilität zehn Minuten (An- und Auskleiden), zusammen 19 Minuten; Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei selbst möglich. Pflegebegründende Diagnosen seien zunehmende körperliche Schwäche bei Zustand nach Reanimation am 07. April 2006 und Schrittmacher-Implantation, Zustand nach konservativ behandeltem Bandscheibenvorfall C 3/C 4, mäßige Gehstörung bei Gonarthrose beidseits, Tremor, chronisch-venöse Insuffizienz sowie Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit beidseits. Teilhilfebedarf bestehe primär für hauswirtschaftliche Angelegenheiten und psychosoziale Betreuung. Der Kläger sei noch in der Lage, sich im Bereich der Grundpflege überwiegend selbst zu versorgen. Hierauf erging das ablehnende Schreiben der Beklagten vom 06. Oktober 2006.
Der Kläger erhob am 07. November 2006 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Laut dem beigefügten Pflegeprotokoll der Kirchlichen Sozialstation H. e.V. seien für Waschen 30 Minuten, Baden (wöchentlich) 45 Minuten, Kämmen fünf Minuten, Rasieren zehn Minuten, mundgerechte Zubereitung der Nahrung 15 Minuten, Ankleiden 15 Minuten sowie für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (wöchentlich) 1,5 Stunden anzusetzen. Entgegen der Annahme der bisherigen Gutachten benötige er auch für mundgerechte Zubereitung der Nahrung täglich 15 Minuten Hilfe. Er sei aufgrund des Tremors nicht in der Lage, das Essen kleinzuschneiden. Zudem müsse er zweimal pro Woche zum Arztbesuch begleitet werden.
Die Beklagte trat unter Hinweis auf die Gutachtenergebnisse der Klage entgegen.
Das SG holte das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Mu. vom 13. Dezember 2006 ein. Er bestätigte als Diagnosen den essentiellen Tremor beider Hände, die eingeschränkte Schulterbeweglichkeit beidseits bei degenerativen Veränderungen und die allgemeine körperliche Schwäche bei Zustand nach Schrittmacher-Implantation. Der tägliche Hilfebedarf betrage für Waschen fünf Minuten, für Duschen (Teilhilfe) umgelegt vier Minuten und für Rasieren zwei Minuten. Das An- und Auskleiden erfordere täglich zehn Minuten Hilfe, der Einstieg in die Badewanne (umgelegt) eine Minute. Für Arztbesuche werde keine Begleitperson benötigt. Mithin ergebe sich ein Gesamtaufwand für die Grundpflege von täglich 22 Minuten. Die Angaben des Pflegeprotokolls der Kirchlichen Sozialstation seien nicht belegt. Unter dem 17. März 2007 nahm Dr. Mu. auf Einwendungen des Klägers ergänzend Stellung, u.a. sei die Beweglichkeit der Arme erhalten und der Kläger könne selbständig Treppen steigen. Wesentliche Verschlimmerungen seien seit Antragstellung nicht eingetreten. Des Weiteren zog das SG die Berichte des Dr. M.-W. vom 22. Mai 2006, 19. Oktober 2006 und 22. Februar 2007 bei.
Durch Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung bezog es sich auf die Ergebnisse des Gutachtens Dr. Mu ... Durchgreifende Einwendungen hiergegen seien nicht ersichtlich.
Gegen den am 23. Mai 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Juni 2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, er benötige für das Aufstehen und das Zu-Bett-Gehen täglich jeweils eine Stunde Hilfe. Dies ergebe sich aus den (vorgelegten) Rechnungen der Kirchlichen Sozialstation H. vom 20. Dezember 2006, 17. April 2007 und 08. Mai 2007. Das vom SG erhobene Gutachten beschreibe die tatsächlichen Zustände nicht korrekt. Er könne sich nicht mehr selbst waschen, rasieren oder kämmen. Aus finanziellen Gründen könne er sich die Hilfe nur alle drei Tage leisten. Allein Wäsche und Hygiene erforderten eine halbe Stunde am Tag. Wegen des Tremors müsse das Essen mundgerecht zubereitet werden. Der Pflegedienst müsse das Essen drei Tage für ihn vorkochen. Er könne sich nur unter erheblichen Anstrengungen aus dem Liegen erheben. Auch benötige er Begleitung beim Arztbesuch. Aufgrund des Krankheitsbildes sei es auch nicht mehr zu verantworten, ihn allein aus dem Haus gehen zu lassen. Laut dem Nachweis über Nachbarschaftshilfe der Helferin Petra Will würden alle drei oder vier Tage drei Stunden geleistet. Dies seien in einem Monat 24 Stunden. Der Kläger hat die Rechnungen der Kirchlichen Sozialstation H. vom 20. Dezember 2006, 17. April 2007 und 08. Mai 2007 vorgelegt. Nach dem Angebot der Beklagten zur Leistung von Pflegestufe I ab 01. Februar 2008 - vgl. hierzu im Folgenden - hat er unter Vorlage eines neuen Attests der Neurologin Sc. vom 12. Juni 2008 die Auffassung aufrecht erhalten, der Aufwand habe bereits seit der Antragstellung vor zwei Jahren zwingend so bestanden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Mai 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008 Pflegegeld nach Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat sich zunächst auf die Ergebnisse der bisherigen Begutachtungen berufen. Auf neuen Antrag des Klägers hat Ärztin Dr. Sch. das Gutachten vom 09. April 2008 erstattet. Jetzt bestünden - zusätzlich zu den bereits bekannten Diagnosen - fortgeschrittene degenerative Wirbelsäulen- und Gelenksveränderungen besonders der Halswirbelsäule und des rechten Schulter- und Kniegelenks sowie der essentielle Tremor mit Gang- und Bewegungsstörungen. Für die Grundpflege seien jetzt 51 Minuten anzusetzen, hiervon für Körperpflege 24 Minuten (Waschen neun Minuten, Baden umgelegt zwei Minuten, Kämmen eine Minute, Nassrasur zehn Minuten und Reinigung nach Darm- oder Blasenentleerung zwei Minuten), für mundgerechte Zubereitung der Nahrung sechs Minuten, für An- und Auskleiden der Kompressionsstrümpfe 15 Minuten, schließlich für Unterstützen beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung umgelegt sechs Minuten. Hinzu komme ein Aufwand von 45 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Seit der letzten Begutachtung im September 2006 habe der Hilfebedarf in allen Bereichen zugenommen. Es sei davon auszugehen, dass ab Januar 2008 eine Pflegebedürftigkeit der Stufe I erreicht gewesen sei, nachdem die Hilfeleistungen durch die Sozialstation intensiviert worden seien und jetzt täglich stattfänden. Die Beklagte hat daraufhin ab 01. Februar 2008 Pflegegeld nach Pflegestufe I, ferner für Juni und Juli 2008 Kombinationsleistungen (anteilige Pflegesachleistung und anteiliges Pflegegeld) bewilligt.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungs- und Klageakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, soweit er für den Monat Januar 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 monatlich begehrt (hierzu unter 2.), im Übrigen nicht begründet (hierzu unter 1.). Es besteht vom 07. Juni 2006 bis 31. Dezember 2007 kein Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I.
Da die Beklagte dem Kläger seit 01. Februar 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zahlt, hat sie ab diesem Zeitpunkt dem Begehren des Klägers entsprochen. Demgemäß hat der Kläger im Berufungsverfahren zu Recht sein Begehren auf die Zeit vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008 beschränkt.
Für die private Pflegepflichtversicherung gelten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung in der vor den Änderungen zum 01. Juli 2008 geltenden Fassung (Bedingungsteil MB/PPV 1996 und Tarif PV mit den Tarifstufen PVN und PVB). Versicherte Personen erhalten bei häuslicher Pflege Ersatz von Aufwendungen für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung (häusliche Pflegehilfe) gemäß Nr. 1 des Tarifs PV (§ 4 A Abs. 1 Satz 1 MB/PPV 1996). Anstelle von Aufwendungsersatz für häusliche Pflegehilfe gemäß Abs. 1 können versicherte Personen ein Pflegegeld gemäß Nr. 2.1 des Tarifs PV beantragen (§ 4 A. Abs. 2 Satz 1 MB/PPV 1996). Der Kläger hat (vgl. Schriftsatz vom 25. September 2008) zuletzt klargestellt, er begehre für die Zeit vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008 ebenso wie von der Beklagten für Februar bis Mai 2008 anerkannt monatlich EUR 205,00 Pflegegeld. Dieses beträgt nach Nr. 2.1 Satz 1 je Kalendermonat a) für Pflegebedürftige der Pflegestufe I EUR 205,00, b) für Pflegebedürftige der Pflegestufe II EUR 410,00 c) für Pflegebedürftige der Pflegestufe III EUR 665,00. Dies sind dieselben Beträge, die im Bereich der sozialen Pflegeversicherung nach §§ 36 Abs. 3, 37 Abs. 1 Satz 3 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) gezahlt werden. Eine höhere Pflegestufe als I macht der Kläger nicht geltend.
Nach § 1 Abs. 6 MB/PPV 1996 sind für die Gewährung von Leistungen versicherte Personen einer der drei Pflegestufen zuzuordnen. Nach Buchstabe a) sind Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 1 Abs. 8 Buchst. a) MB/PPV 1996 in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
1. Für die Zeit vom 07. Juni 2006 bis 31. Dezember 2007 liegen die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht vor.
Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MB/PPV 1996 sind Eintritt, Stufe und Fortdauer der Pflegebedürftigkeit durch einen von dem Versicherer beauftragten Arzt festzustellen. In Erfüllung dieser versicherungsvertraglichen Vereinbarung des Gutachterverfahrens hat die Beklagte zunächst das MEDICPROOF-Gutachten der Ärztin Dr. T. vom 22. Juni 2006 und zur Abklärung der vorprozessual erhobenen Einwendungen des Klägers das weitere MEDICPROOF-Gutachten des Arztes Dr. Te. vom 25. September 2006 eingeholt und diese Gutachten der Bewertung des Sachverhalts zugrunde gelegt mit dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf für Pflegestufe I noch nicht erreicht ist. Diese Gutachten sind bindend.
Nach dem in der privaten Pflegepflichtversicherung anwendbaren § 64 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in der vor dem 01. Januar 2008 geltenden Fassung (nunmehr § 84 Abs. 1 VVG) sind Versicherer (hier die Beklagte) und Versicherungsnehmer (hier der Kläger) an die Feststellungen des ärztlichen Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung und zur Höhe des Schadens grundsätzlich gebunden, wenn dies - wie hier durch § 6 Abs. 2 MB/PPV 1996 - vertraglich vereinbart worden ist. Die Feststellung des vom Versicherer beauftragten Arztes sind nur dann nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen, wobei auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zum Zeitpunkt der Begutachtung abzustellen ist. Daraus ergibt sich dann auch eine Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Für eine gerichtliche Sachverhaltsaufklärung zur Frage des Umfangs des Pflegebedarfs, insbesondere durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, besteht nur dann Veranlassung, wenn und soweit ein nach den Bestimmungen der MB/PPV 1996 eingeholtes Gutachten offensichtlich von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht (§ 64 Abs. 1 Satz 1 und 2 VVG damaliger Fassung) oder ein Sachverständiger die erforderlichen Feststellungen ausnahmsweise nicht treffen kann oder will oder sie verzögert (Satz 3 der Vorschrift). Die Anfechtungsmöglichkeit wird auf die wenigen Fälle "ganz offensichtlichen Unrechts" beschränkt. Abhilfe soll nur bei "offensichtlichen Fehlentscheidungen" ermöglicht werden. In prozessualer Hinsicht bewirkt die Vereinbarung eines Sachverständigenverfahrens insbesondere, dass das Gericht die durch einen Sachverständigen getroffenen Feststellungen grundsätzlich zu übernehmen hat und im Umfang dieser Feststellungen dem Gericht prinzipiell Beweiserhebung und Beweiswürdigung entzogen sind. Dabei ist das Gesamtergebnis des Sachverständigengutachtens maßgeblich; sind allerdings abgrenzbare Teilbereiche der gutachterlichen Feststellungen fehlerhaft, so sind diese - soweit "offenbar erheblich" - selbstständig angreifbar; nur der Rest bleibt verbindlich (Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-7690 § 64 Nr. 1 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
Unter Berücksichtigung dessen sind die Voraussetzungen der Pflegestufe I vor dem 01. Januar 2008 nicht erfüllt, weil jedenfalls das von der Beklagten veranlasste weitere Gutachten des Arztes Dr. Te. vom 25. September 2006 verbindlich ist. Dieses Gutachten war nicht offenbar unrichtig. Pflegebegründende Diagnosen waren zunehmende körperliche Schwäche bei Zustand nach Reanimation am 07. April 2006 und Schrittmacher-Implantation im S. V.-Krankenhaus S ... Hinzu kamen der Zustand nach konservativ behandeltem Bandscheibenvorfall C3/C4, eine mäßige Gehstörung bei Gonarthrose beidseits, Tremor, chronisch-venöse Insuffizienz sowie Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit beidseits. Der Arzt berücksichtigte die der Grundpflege zuzurechnenden Hilfeleistungen (Waschen, Baden, Rasieren, An- und Auskleiden, wobei Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung noch selbstständig möglich sei). Der angegebene Zeitbedarf für die einzelnen Verrichtungen ist auch im Hinblick auf die in den Begutachtungs Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 21. März 1997 angegebenen Zeitkorridore, die als Orientierungswerte auch für das Sachverständigenverfahren in der privaten Pflegepflichtversicherung gelten, nachvollziehbar. Der Zeitbedarf für die Grundpflege von zusammen 19 Minuten erreicht nicht den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a MB/PPV 1996 für die Pflegestufe I erforderlichen Zeitbedarf von mehr als 45 Minuten, der auf die Verrichtungen der Grundpflege entfallen muss.
Auch weitere vom Kläger geltend gemachte Verrichtungen können nicht beim Zeitbedarf für die Grundpflege berücksichtigt werden. Soweit der Kläger zu den Gutachten der Dr. T. und des Dr. Te. in der Klageschrift eingewandt hat, er benötige wegen des Tremors Hilfe bei der Essenszubereitung, gehört dies nicht zur Verrichtung der Nahrungsaufnahme, sondern zur hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Behauptung des Klägers in der Berufungsbegründung, das Essen müsse mundgerecht (löffelgerecht) zubereitet werden, lässt sich mit dem eigenen Vorbringen des Klägers anlässlich der Begutachtungen durch Dr. T. und Dr. Te., er koche einfache Gerichte selbst, nicht vereinbaren. Auch gegenüber Dr. Mu. gab der Kläger an, sich kleinere Mahlzeiten alleine zuzubereiten.
Das nach den dargelegten Grundsätzen bereits nicht unbedingt geforderte Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Mu. vom 13. Dezember 2006 mit Ergänzung vom 17. März 2007 hat keine Abweichung erbracht, die den Zeitaufwand auch nur in die Nähe der geforderten mehr als 45 Minuten rücken würde. Der Sachverständige errechnet 22 Minuten, weil er für Waschen und Duschen etwas höhere Zeitmaße ansetzt. Selbstständiges Treppensteigen und mithin Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung hat auch er bestätigt. Eine wesentliche Verschlimmerung seit Antragstellung im Juni 2006 konnte er jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am 06. Dezember 2006 nicht bestätigen. Damit in Übereinstimmung steht auch die Angabe des Klägers gegenüber Dr. Sch., dass seit Herbst 2007 eine kontinuierliche Verschlechterung zu verzeichnen gewesen sei.
2. Für die Zeit ab 01. Januar 2008 liegen die Voraussetzungen der Pflegestufe I vor. Dies ergibt sich aus dem Gutachten der Dr. Sch. vom 09. April 2008. Die Ärztin hat fortgeschrittene degenerative Wirbelsäulen- und Gelenksveränderungen besonders der Halswirbelsäule und des rechten Schulter- und Kniegelenks gefunden, weiterhin den essentiellen Tremor mit Gang- und Bewegungsstörungen berücksichtigt. Zum Zeitpunkt der Begutachtung konnten 51 Minuten angesetzt werden, hiervon für Körperpflege 24 Minuten (Waschen neun Minuten, Baden umgelegt zwei Minuten, Kämmen eine Minute, Nassrasur zehn Minuten und Reinigung nach Darm- oder Blasenentleerung zwei Minuten), für mundgerechte Zubereitung der Nahrung sechs Minuten, für An- und Auskleiden der Kompressionsstrümpfe 15 Minuten, schließlich für Unterstützung beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung umgelegt sechs Minuten. Seit der letzten Begutachtung - durch die Beklagte veranlasst - im September 2006 hat hiernach der Hilfebedarf in allen Bereichen der Grundpflege zugenommen. Die Ärztin hat nachvollziehbar dargelegt, dass (erst) ab Januar 2008 eine Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe I erreicht gewesen war, nachdem zu diesem Zeitpunkt die Hilfeleistungen durch die Sozialstation intensiviert wurden und jetzt täglich stattfanden. Wesentliche Einwände, die zur gerichtlichen Sachaufklärung veranlasst hätten, hat der Kläger insoweit nicht geltend zu machen vermocht. Für eine Vorverlegung des von Ärztin Dr. Sch. gewählten Zeitpunkts ist keine Grundlage ersichtlich.
Die Beklagte ist dem Gutachten auch gefolgt und hat Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligt, allerdings erst ab 01. Februar 2008. Maßgeblich hierfür war, dass sie davon ausging, der Kläger habe erst im Februar 2008 den Verschlimmerungsantrag gestellt und deshalb könnten nach § 6 Abs. 1 MB/PVV 1996 Leistungen erst ab Beginn des Monats der Antragstellung erbracht werden. Hierauf kann sich die Beklagte während eines laufenden Rechtsstreits jedoch nicht berufen. Entsteht ein von einem privaten Pflegeversicherungsunternehmen zunächst zu Recht abgelehnter Anspruch auf höhere Leistungen wegen einer Änderung der Verhältnisse erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, sind von diesem Zeitpunkt an Leistungen zu gewähren und vom Gericht zuzusprechen, ohne dass es eines erneuten Leistungsantrags an das Versicherungsunternehmen bedarf (BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 2; SozR 4-7690 § 64 Nr. 1). Da die Voraussetzungen der Pflegestufe I ab Januar 2008 vorliegen und zu diesem Zeitpunkt das vorliegende Berufungsverfahren noch anhängig war, hat der Kläger Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 ab 01. Januar 2008.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Der Beklagten einen Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen, ist nicht angemessen. Der Kläger ist nur zu einem geringen Teil des zuletzt noch streitigen Zeitraums erfolgreich gewesen. Nachdem der Kläger erstmals mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 22. Februar 2008 ausdrücklich eine Verschlimmerung geltend gemacht hatte, hat die Beklagte ein neues Gutachten erhoben, wozu sie im Übrigen auch ohne ausdrücklichen Leistungsantrag des Klägers verpflichtet gewesen wäre (vgl. BSG SozR 4-7690 § 64 Nr. 1), sowie anschließend entsprechend dem Ergebnis dieses Gutachtens die begehrten Leistungen gewährt und damit dem veränderten Sachverhalt sofort Rechnung getragen.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger erhebt noch Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008.
Der am 1929 geborene Kläger ist bei der Beklagten privat pflegeversichert.
Der Kläger befand sich vom 07. bis 25. April 2006 in stationärer Behandlung des S. V.-Krankenhauses S. - Medizinische Klinik (Chefarzt Dr. M.-W.). Anlass war eine Synkope mit Sturz auf das rechte Knie und nachfolgender Reanimation. Es bestätigte sich der Verdacht eines intermittierenden AV-Blockes II mit Pausen bis zu 18 Sekunden; ein Herzschrittmacher wurde implantiert. Als weitere Diagnosen wurden genannt arterielle Hypertonie, chronische venöse Insuffizienz und essentieller Tremor (Bericht vom 22. Mai 2006). Eine weitere stationäre Behandlung wurde erforderlich vom 11. bis 20. Oktober 2006 wegen eines Erysipel am linken Unterschenkel (Bericht vom 19. Oktober 2006). Sodann folgte noch der weitere Aufenthalt im selben Krankenhaus vom 17. bis 19. Januar 2007, bei welchem ein akuter Myokardinfarkt ausgeschlossen werden konnte (Bericht vom 22. Februar 2007).
Im Juni 2006 beantragte der Kläger Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte erhob das MEDICPROOF-Gutachten der Ärztin Dr. T. vom 22. Juni 2006. Diese kam zu dem Ergebnis, für die Grundpflege sei ein täglicher Zeitaufwand von 31 Minuten erforderlich (Körperpflege 24 Minuten, hiervon Waschen 13 Minuten, Baden umgelegt zwei Minuten, Kämmen vier Minuten und Rasieren fünf Minuten; Mobilität sieben Minuten, hiervon Transfer Badewanne umgerechnet eine Minute, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung umgelegt sechs Minuten). Die Ernährung sei selbstständig möglich. Die Gutachterin nannte als Diagnosen nachlassende Mobilität bei allgemeiner Kraftlosigkeit nach Reanimation im Rahmen eines Herzstillstandes bei Herzrhythmusstörungen, Schultersteife beiderseits. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 14. Juli 2006 Leistungen ab.
Auf den Widerspruch des Klägers, unterstützt durch ärztliche Atteste des Allgemeinarztes S. vom 20. Juli 2006 und der Neurologin Sc. vom 22. August 2006 holte, die Beklagte das Zweitgutachten des Arztes Dr. Te. vom 25. September 2006 ein. Dieser errechnete für die Körperpflege neun Minuten (Waschen vier Minuten, Baden zwei Minuten, Rasieren drei Minuten) und für die Mobilität zehn Minuten (An- und Auskleiden), zusammen 19 Minuten; Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei selbst möglich. Pflegebegründende Diagnosen seien zunehmende körperliche Schwäche bei Zustand nach Reanimation am 07. April 2006 und Schrittmacher-Implantation, Zustand nach konservativ behandeltem Bandscheibenvorfall C 3/C 4, mäßige Gehstörung bei Gonarthrose beidseits, Tremor, chronisch-venöse Insuffizienz sowie Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit beidseits. Teilhilfebedarf bestehe primär für hauswirtschaftliche Angelegenheiten und psychosoziale Betreuung. Der Kläger sei noch in der Lage, sich im Bereich der Grundpflege überwiegend selbst zu versorgen. Hierauf erging das ablehnende Schreiben der Beklagten vom 06. Oktober 2006.
Der Kläger erhob am 07. November 2006 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Laut dem beigefügten Pflegeprotokoll der Kirchlichen Sozialstation H. e.V. seien für Waschen 30 Minuten, Baden (wöchentlich) 45 Minuten, Kämmen fünf Minuten, Rasieren zehn Minuten, mundgerechte Zubereitung der Nahrung 15 Minuten, Ankleiden 15 Minuten sowie für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (wöchentlich) 1,5 Stunden anzusetzen. Entgegen der Annahme der bisherigen Gutachten benötige er auch für mundgerechte Zubereitung der Nahrung täglich 15 Minuten Hilfe. Er sei aufgrund des Tremors nicht in der Lage, das Essen kleinzuschneiden. Zudem müsse er zweimal pro Woche zum Arztbesuch begleitet werden.
Die Beklagte trat unter Hinweis auf die Gutachtenergebnisse der Klage entgegen.
Das SG holte das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Mu. vom 13. Dezember 2006 ein. Er bestätigte als Diagnosen den essentiellen Tremor beider Hände, die eingeschränkte Schulterbeweglichkeit beidseits bei degenerativen Veränderungen und die allgemeine körperliche Schwäche bei Zustand nach Schrittmacher-Implantation. Der tägliche Hilfebedarf betrage für Waschen fünf Minuten, für Duschen (Teilhilfe) umgelegt vier Minuten und für Rasieren zwei Minuten. Das An- und Auskleiden erfordere täglich zehn Minuten Hilfe, der Einstieg in die Badewanne (umgelegt) eine Minute. Für Arztbesuche werde keine Begleitperson benötigt. Mithin ergebe sich ein Gesamtaufwand für die Grundpflege von täglich 22 Minuten. Die Angaben des Pflegeprotokolls der Kirchlichen Sozialstation seien nicht belegt. Unter dem 17. März 2007 nahm Dr. Mu. auf Einwendungen des Klägers ergänzend Stellung, u.a. sei die Beweglichkeit der Arme erhalten und der Kläger könne selbständig Treppen steigen. Wesentliche Verschlimmerungen seien seit Antragstellung nicht eingetreten. Des Weiteren zog das SG die Berichte des Dr. M.-W. vom 22. Mai 2006, 19. Oktober 2006 und 22. Februar 2007 bei.
Durch Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung bezog es sich auf die Ergebnisse des Gutachtens Dr. Mu ... Durchgreifende Einwendungen hiergegen seien nicht ersichtlich.
Gegen den am 23. Mai 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Juni 2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, er benötige für das Aufstehen und das Zu-Bett-Gehen täglich jeweils eine Stunde Hilfe. Dies ergebe sich aus den (vorgelegten) Rechnungen der Kirchlichen Sozialstation H. vom 20. Dezember 2006, 17. April 2007 und 08. Mai 2007. Das vom SG erhobene Gutachten beschreibe die tatsächlichen Zustände nicht korrekt. Er könne sich nicht mehr selbst waschen, rasieren oder kämmen. Aus finanziellen Gründen könne er sich die Hilfe nur alle drei Tage leisten. Allein Wäsche und Hygiene erforderten eine halbe Stunde am Tag. Wegen des Tremors müsse das Essen mundgerecht zubereitet werden. Der Pflegedienst müsse das Essen drei Tage für ihn vorkochen. Er könne sich nur unter erheblichen Anstrengungen aus dem Liegen erheben. Auch benötige er Begleitung beim Arztbesuch. Aufgrund des Krankheitsbildes sei es auch nicht mehr zu verantworten, ihn allein aus dem Haus gehen zu lassen. Laut dem Nachweis über Nachbarschaftshilfe der Helferin Petra Will würden alle drei oder vier Tage drei Stunden geleistet. Dies seien in einem Monat 24 Stunden. Der Kläger hat die Rechnungen der Kirchlichen Sozialstation H. vom 20. Dezember 2006, 17. April 2007 und 08. Mai 2007 vorgelegt. Nach dem Angebot der Beklagten zur Leistung von Pflegestufe I ab 01. Februar 2008 - vgl. hierzu im Folgenden - hat er unter Vorlage eines neuen Attests der Neurologin Sc. vom 12. Juni 2008 die Auffassung aufrecht erhalten, der Aufwand habe bereits seit der Antragstellung vor zwei Jahren zwingend so bestanden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Mai 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008 Pflegegeld nach Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat sich zunächst auf die Ergebnisse der bisherigen Begutachtungen berufen. Auf neuen Antrag des Klägers hat Ärztin Dr. Sch. das Gutachten vom 09. April 2008 erstattet. Jetzt bestünden - zusätzlich zu den bereits bekannten Diagnosen - fortgeschrittene degenerative Wirbelsäulen- und Gelenksveränderungen besonders der Halswirbelsäule und des rechten Schulter- und Kniegelenks sowie der essentielle Tremor mit Gang- und Bewegungsstörungen. Für die Grundpflege seien jetzt 51 Minuten anzusetzen, hiervon für Körperpflege 24 Minuten (Waschen neun Minuten, Baden umgelegt zwei Minuten, Kämmen eine Minute, Nassrasur zehn Minuten und Reinigung nach Darm- oder Blasenentleerung zwei Minuten), für mundgerechte Zubereitung der Nahrung sechs Minuten, für An- und Auskleiden der Kompressionsstrümpfe 15 Minuten, schließlich für Unterstützen beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung umgelegt sechs Minuten. Hinzu komme ein Aufwand von 45 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Seit der letzten Begutachtung im September 2006 habe der Hilfebedarf in allen Bereichen zugenommen. Es sei davon auszugehen, dass ab Januar 2008 eine Pflegebedürftigkeit der Stufe I erreicht gewesen sei, nachdem die Hilfeleistungen durch die Sozialstation intensiviert worden seien und jetzt täglich stattfänden. Die Beklagte hat daraufhin ab 01. Februar 2008 Pflegegeld nach Pflegestufe I, ferner für Juni und Juli 2008 Kombinationsleistungen (anteilige Pflegesachleistung und anteiliges Pflegegeld) bewilligt.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungs- und Klageakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, soweit er für den Monat Januar 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 monatlich begehrt (hierzu unter 2.), im Übrigen nicht begründet (hierzu unter 1.). Es besteht vom 07. Juni 2006 bis 31. Dezember 2007 kein Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I.
Da die Beklagte dem Kläger seit 01. Februar 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zahlt, hat sie ab diesem Zeitpunkt dem Begehren des Klägers entsprochen. Demgemäß hat der Kläger im Berufungsverfahren zu Recht sein Begehren auf die Zeit vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008 beschränkt.
Für die private Pflegepflichtversicherung gelten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung in der vor den Änderungen zum 01. Juli 2008 geltenden Fassung (Bedingungsteil MB/PPV 1996 und Tarif PV mit den Tarifstufen PVN und PVB). Versicherte Personen erhalten bei häuslicher Pflege Ersatz von Aufwendungen für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung (häusliche Pflegehilfe) gemäß Nr. 1 des Tarifs PV (§ 4 A Abs. 1 Satz 1 MB/PPV 1996). Anstelle von Aufwendungsersatz für häusliche Pflegehilfe gemäß Abs. 1 können versicherte Personen ein Pflegegeld gemäß Nr. 2.1 des Tarifs PV beantragen (§ 4 A. Abs. 2 Satz 1 MB/PPV 1996). Der Kläger hat (vgl. Schriftsatz vom 25. September 2008) zuletzt klargestellt, er begehre für die Zeit vom 07. Juni 2006 bis 31. Januar 2008 ebenso wie von der Beklagten für Februar bis Mai 2008 anerkannt monatlich EUR 205,00 Pflegegeld. Dieses beträgt nach Nr. 2.1 Satz 1 je Kalendermonat a) für Pflegebedürftige der Pflegestufe I EUR 205,00, b) für Pflegebedürftige der Pflegestufe II EUR 410,00 c) für Pflegebedürftige der Pflegestufe III EUR 665,00. Dies sind dieselben Beträge, die im Bereich der sozialen Pflegeversicherung nach §§ 36 Abs. 3, 37 Abs. 1 Satz 3 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) gezahlt werden. Eine höhere Pflegestufe als I macht der Kläger nicht geltend.
Nach § 1 Abs. 6 MB/PPV 1996 sind für die Gewährung von Leistungen versicherte Personen einer der drei Pflegestufen zuzuordnen. Nach Buchstabe a) sind Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 1 Abs. 8 Buchst. a) MB/PPV 1996 in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
1. Für die Zeit vom 07. Juni 2006 bis 31. Dezember 2007 liegen die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht vor.
Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MB/PPV 1996 sind Eintritt, Stufe und Fortdauer der Pflegebedürftigkeit durch einen von dem Versicherer beauftragten Arzt festzustellen. In Erfüllung dieser versicherungsvertraglichen Vereinbarung des Gutachterverfahrens hat die Beklagte zunächst das MEDICPROOF-Gutachten der Ärztin Dr. T. vom 22. Juni 2006 und zur Abklärung der vorprozessual erhobenen Einwendungen des Klägers das weitere MEDICPROOF-Gutachten des Arztes Dr. Te. vom 25. September 2006 eingeholt und diese Gutachten der Bewertung des Sachverhalts zugrunde gelegt mit dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf für Pflegestufe I noch nicht erreicht ist. Diese Gutachten sind bindend.
Nach dem in der privaten Pflegepflichtversicherung anwendbaren § 64 Abs. 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in der vor dem 01. Januar 2008 geltenden Fassung (nunmehr § 84 Abs. 1 VVG) sind Versicherer (hier die Beklagte) und Versicherungsnehmer (hier der Kläger) an die Feststellungen des ärztlichen Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung und zur Höhe des Schadens grundsätzlich gebunden, wenn dies - wie hier durch § 6 Abs. 2 MB/PPV 1996 - vertraglich vereinbart worden ist. Die Feststellung des vom Versicherer beauftragten Arztes sind nur dann nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen, wobei auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zum Zeitpunkt der Begutachtung abzustellen ist. Daraus ergibt sich dann auch eine Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Für eine gerichtliche Sachverhaltsaufklärung zur Frage des Umfangs des Pflegebedarfs, insbesondere durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, besteht nur dann Veranlassung, wenn und soweit ein nach den Bestimmungen der MB/PPV 1996 eingeholtes Gutachten offensichtlich von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht (§ 64 Abs. 1 Satz 1 und 2 VVG damaliger Fassung) oder ein Sachverständiger die erforderlichen Feststellungen ausnahmsweise nicht treffen kann oder will oder sie verzögert (Satz 3 der Vorschrift). Die Anfechtungsmöglichkeit wird auf die wenigen Fälle "ganz offensichtlichen Unrechts" beschränkt. Abhilfe soll nur bei "offensichtlichen Fehlentscheidungen" ermöglicht werden. In prozessualer Hinsicht bewirkt die Vereinbarung eines Sachverständigenverfahrens insbesondere, dass das Gericht die durch einen Sachverständigen getroffenen Feststellungen grundsätzlich zu übernehmen hat und im Umfang dieser Feststellungen dem Gericht prinzipiell Beweiserhebung und Beweiswürdigung entzogen sind. Dabei ist das Gesamtergebnis des Sachverständigengutachtens maßgeblich; sind allerdings abgrenzbare Teilbereiche der gutachterlichen Feststellungen fehlerhaft, so sind diese - soweit "offenbar erheblich" - selbstständig angreifbar; nur der Rest bleibt verbindlich (Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-7690 § 64 Nr. 1 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
Unter Berücksichtigung dessen sind die Voraussetzungen der Pflegestufe I vor dem 01. Januar 2008 nicht erfüllt, weil jedenfalls das von der Beklagten veranlasste weitere Gutachten des Arztes Dr. Te. vom 25. September 2006 verbindlich ist. Dieses Gutachten war nicht offenbar unrichtig. Pflegebegründende Diagnosen waren zunehmende körperliche Schwäche bei Zustand nach Reanimation am 07. April 2006 und Schrittmacher-Implantation im S. V.-Krankenhaus S ... Hinzu kamen der Zustand nach konservativ behandeltem Bandscheibenvorfall C3/C4, eine mäßige Gehstörung bei Gonarthrose beidseits, Tremor, chronisch-venöse Insuffizienz sowie Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit beidseits. Der Arzt berücksichtigte die der Grundpflege zuzurechnenden Hilfeleistungen (Waschen, Baden, Rasieren, An- und Auskleiden, wobei Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung noch selbstständig möglich sei). Der angegebene Zeitbedarf für die einzelnen Verrichtungen ist auch im Hinblick auf die in den Begutachtungs Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 21. März 1997 angegebenen Zeitkorridore, die als Orientierungswerte auch für das Sachverständigenverfahren in der privaten Pflegepflichtversicherung gelten, nachvollziehbar. Der Zeitbedarf für die Grundpflege von zusammen 19 Minuten erreicht nicht den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a MB/PPV 1996 für die Pflegestufe I erforderlichen Zeitbedarf von mehr als 45 Minuten, der auf die Verrichtungen der Grundpflege entfallen muss.
Auch weitere vom Kläger geltend gemachte Verrichtungen können nicht beim Zeitbedarf für die Grundpflege berücksichtigt werden. Soweit der Kläger zu den Gutachten der Dr. T. und des Dr. Te. in der Klageschrift eingewandt hat, er benötige wegen des Tremors Hilfe bei der Essenszubereitung, gehört dies nicht zur Verrichtung der Nahrungsaufnahme, sondern zur hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Behauptung des Klägers in der Berufungsbegründung, das Essen müsse mundgerecht (löffelgerecht) zubereitet werden, lässt sich mit dem eigenen Vorbringen des Klägers anlässlich der Begutachtungen durch Dr. T. und Dr. Te., er koche einfache Gerichte selbst, nicht vereinbaren. Auch gegenüber Dr. Mu. gab der Kläger an, sich kleinere Mahlzeiten alleine zuzubereiten.
Das nach den dargelegten Grundsätzen bereits nicht unbedingt geforderte Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Mu. vom 13. Dezember 2006 mit Ergänzung vom 17. März 2007 hat keine Abweichung erbracht, die den Zeitaufwand auch nur in die Nähe der geforderten mehr als 45 Minuten rücken würde. Der Sachverständige errechnet 22 Minuten, weil er für Waschen und Duschen etwas höhere Zeitmaße ansetzt. Selbstständiges Treppensteigen und mithin Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung hat auch er bestätigt. Eine wesentliche Verschlimmerung seit Antragstellung im Juni 2006 konnte er jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am 06. Dezember 2006 nicht bestätigen. Damit in Übereinstimmung steht auch die Angabe des Klägers gegenüber Dr. Sch., dass seit Herbst 2007 eine kontinuierliche Verschlechterung zu verzeichnen gewesen sei.
2. Für die Zeit ab 01. Januar 2008 liegen die Voraussetzungen der Pflegestufe I vor. Dies ergibt sich aus dem Gutachten der Dr. Sch. vom 09. April 2008. Die Ärztin hat fortgeschrittene degenerative Wirbelsäulen- und Gelenksveränderungen besonders der Halswirbelsäule und des rechten Schulter- und Kniegelenks gefunden, weiterhin den essentiellen Tremor mit Gang- und Bewegungsstörungen berücksichtigt. Zum Zeitpunkt der Begutachtung konnten 51 Minuten angesetzt werden, hiervon für Körperpflege 24 Minuten (Waschen neun Minuten, Baden umgelegt zwei Minuten, Kämmen eine Minute, Nassrasur zehn Minuten und Reinigung nach Darm- oder Blasenentleerung zwei Minuten), für mundgerechte Zubereitung der Nahrung sechs Minuten, für An- und Auskleiden der Kompressionsstrümpfe 15 Minuten, schließlich für Unterstützung beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung umgelegt sechs Minuten. Seit der letzten Begutachtung - durch die Beklagte veranlasst - im September 2006 hat hiernach der Hilfebedarf in allen Bereichen der Grundpflege zugenommen. Die Ärztin hat nachvollziehbar dargelegt, dass (erst) ab Januar 2008 eine Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe I erreicht gewesen war, nachdem zu diesem Zeitpunkt die Hilfeleistungen durch die Sozialstation intensiviert wurden und jetzt täglich stattfanden. Wesentliche Einwände, die zur gerichtlichen Sachaufklärung veranlasst hätten, hat der Kläger insoweit nicht geltend zu machen vermocht. Für eine Vorverlegung des von Ärztin Dr. Sch. gewählten Zeitpunkts ist keine Grundlage ersichtlich.
Die Beklagte ist dem Gutachten auch gefolgt und hat Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligt, allerdings erst ab 01. Februar 2008. Maßgeblich hierfür war, dass sie davon ausging, der Kläger habe erst im Februar 2008 den Verschlimmerungsantrag gestellt und deshalb könnten nach § 6 Abs. 1 MB/PVV 1996 Leistungen erst ab Beginn des Monats der Antragstellung erbracht werden. Hierauf kann sich die Beklagte während eines laufenden Rechtsstreits jedoch nicht berufen. Entsteht ein von einem privaten Pflegeversicherungsunternehmen zunächst zu Recht abgelehnter Anspruch auf höhere Leistungen wegen einer Änderung der Verhältnisse erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, sind von diesem Zeitpunkt an Leistungen zu gewähren und vom Gericht zuzusprechen, ohne dass es eines erneuten Leistungsantrags an das Versicherungsunternehmen bedarf (BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 2; SozR 4-7690 § 64 Nr. 1). Da die Voraussetzungen der Pflegestufe I ab Januar 2008 vorliegen und zu diesem Zeitpunkt das vorliegende Berufungsverfahren noch anhängig war, hat der Kläger Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von EUR 205,00 ab 01. Januar 2008.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Der Beklagten einen Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen, ist nicht angemessen. Der Kläger ist nur zu einem geringen Teil des zuletzt noch streitigen Zeitraums erfolgreich gewesen. Nachdem der Kläger erstmals mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 22. Februar 2008 ausdrücklich eine Verschlimmerung geltend gemacht hatte, hat die Beklagte ein neues Gutachten erhoben, wozu sie im Übrigen auch ohne ausdrücklichen Leistungsantrag des Klägers verpflichtet gewesen wäre (vgl. BSG SozR 4-7690 § 64 Nr. 1), sowie anschließend entsprechend dem Ergebnis dieses Gutachtens die begehrten Leistungen gewährt und damit dem veränderten Sachverhalt sofort Rechnung getragen.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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