L 1 KR 113/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 64/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 113/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. September 2004 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtlich Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die weitere Einstandspflicht der Beklagten für die Durchführung einer LDL- Apherese- Therapie bei einer Fettstoffwechselstörung mit Myokardschädigung sowie wegen Durchblutungsstörungen im Gehirn, die durch arteriosklerotisch veränderte Gefäße verursacht werden.

Der 1941 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Nachdem der behandelnde Internist und Nephrologe Dr. S bei ihm die oben genannten Diagnosen stellte und darlegte, alle anderen Behandlungsmöglichkeiten seien ohne Erfolg ausgeschöpft worden, übernahm die Beklagte für den Zeitraum von April 1996 bis einschließlich Dezember 2000 die Kosten für die LDL- Apherese. Grundlage für die Kostenübernahme der LDL- Apherese war ein Bescheid vom 24. April 1996.

Auf einen Antrag des Dr. S zur Fortsetzung der Behandlung im Jahre 2001 vertrat die Beratende Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, die für die Empfehlungen zur LDL-Apherese zuständig war, die Auffassung, beim Kläger läge keine Indikation für die Fortführung dieser Therapie vor. Er leide nicht, wie in den entsprechenden Richtlinien gefordert, an einer LDL- Hypercholesterinämie.

Mit Bescheid vom 5. April 2001 lehnte die Beklagte die weitere Kostenübernahme ab und begründete dies mit der Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin.

Den von Dr. S für den Kläger erhobenen Widerspruch vom 21. Mai 2001 begründete dieser damit, die Beratende Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung habe nicht die Befugnis, über den Antrag zu entscheiden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2001 zurück.

Hiergegen hat sich die am 16. Januar 2002 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage gerichtet, zu deren Begründung vorgetragen wurde, der Kläger leide an einer Fettstoffwechselstörung, zu deren Behandlung die LDL- Apherese notwendig sei.

Der Kläger hat beantragt, ihn von den Kosten der seit dem 1. Januar 2001 in der Praxis der Dres. S/H durchgeführten LDL- Apherese freizustellen und ihm diese Behandlung künftig zu gewähren.

Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf die Darlegungen in den angefochtenen Bescheiden entgegengetreten.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 24. September 2004 unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, den Kläger von den Kosten der in der Vergangenheit durchgeführten Behandlung freizustellen und ihm diese zukünftig zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte hätte die Behandlung mit Bescheid vom 24. April 1996 unbefristet bewilligt und sie hätte den Bewilligungsbescheid vom 24. April 1996 aufheben müssen, um die weitere Gewährung zu verhindern. Die Auffassung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 16. November 1999, B 1 KR 9/97 R), wonach Leistungsbescheide nicht lebenslang wirkten, überzeuge nicht. Auch durch den Bescheid vom 5. April 2001 sei eine Aufhebung des Bescheides vom 24. April 1996 nicht erfolgt, da dieser nicht erwähnt sei.

Gegen dieses der Beklagten am 22. Oktober 2004 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 15. November 2004, mit der unter Bezugnahme auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG die Auffassung vertreten wird, aus dem Schreiben vom 24. April 1996 könne der Kläger keine Rechte mehr herleiten. Die Voraussetzungen für eine LDL-Apherese lägen bei ihm nicht vor.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger hat während des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens laufend in der Praxis des behandelnden Arztes Dr. S die LDL-Apherese weiter durchgeführt, wobei ihm die Behandler die Kosten zunächst gestundet haben. Es wurde eine Vielzahl nicht genau bekannter Behandlungen zu jeweils 997,00 EUR durchgeführt.

Der Senat hat medizinischen Beweis erhoben und den Chefarzt der Medizinischen Klinik I des Klinikums F, Prof. Dr. M K, zum Sachverständigen über die Frage ernannt, ob beim Kläger die familiäre Form eine homozygotisch erblichen Belastung nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses von 2001 für die LDL-Apherese oder eine schwere Form bei heterozygotischer Belastung nach dieser Richtlinie vorliege.

Der Sachverständige hat sein Gutachten unter dem 6. Oktober 2008 erstattet und dargelegt, beim Kläger liege die familiäre Form einer homozygotisch erblichen Belastung nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses von 2001 für die LDL-Apherese nicht vor. Allerdings liege bei ihm eine schwere Hypercholesterinämie vor, die mit maximaler diätetischer und medikamentöser Therapie ausreichend behandelt sei, so dass die Vorgaben zur Indikationsstellung der LDL-Apherese gemäß der Richtlinie erfüllt seien.

Die Beklagte hat hierzu dahingehend Stellung genommen, das Gutachten von Prof. Dr. K überzeuge nicht. Er sei auf den Umstand der massiv erhöhten Triglyceridwerte und der damit verbundenen eingeschränkten Beurteilbarkeit der LDL-Cholesterinwerte nicht eingegangen. Er habe auch nicht Stellung genommen bezüglich etwaig zugrunde liegender Erkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus oder Alkoholmissbrauch. Die von ihm angegebene Ausschöpfung der maximalen diätetischen Therapie sei nicht nachvollziehbar, da der Kläger einen Body-Mass-Index von 33 habe und somit erheblich übergewichtig sei. Daraus ergebe sich, dass die Schwere der Hypercholesterinämie weiterhin nicht beurteilbar und die diätetischen Therapiemaßnahmen nicht ausgeschöpft seien. Prof. Dr. K hat dazu dahingehend Stellung genommen, dass nach Aussagen des Klägers diätetische Maßnahmen eingehalten würden.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet, der geltend gemachte Zahlungsanspruch steht dem Kläger ebenso wie der Sachleistungsanspruch auf die entsprechende Versorgung für die Zukunft nicht zu, so dass die entsprechenden Bescheide keiner Beanstandung unterliegen und das entgegenstehende Urteil des Sozialgerichts zu ändern war.

Die Klage war für die Vergangenheit nicht zulässig, so dass die Berufung insoweit unbegründet ist. Ein konkreter Zahlungsantrag ist nicht gestellt worden. Er lässt sich auch aus den Unterlagen der Leistungs- und Gerichtsakte nur teilweise entnehmen. Der erstinstanzlich gestellte Klageantrag war bezüglich des erhobenen Anspruchs auf Kostenerstattung unzulässig. Dieser Mangel ist in der Berufung nicht dadurch geheilt worden, dass ein bezifferter Zahlungsantrag gestellt worden ist, obwohl der Kläger hierzu aufgefordert worden ist.

Ein Kostenerstattungsanspruch hat aber stets die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zum Inhalt. Es muss daher grundsätzlich ein bezifferter Zahlungsantrag gestellt und in der Klageschrift dargelegt werden, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt. Nur ein so bezifferter Antrag und eine solche Substantiierung des Sachvortrages bieten eine hinreihende Grundlage für die notwendigen gerichtlichen Tatsachenfeststellungen (§ 103 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und für eine abschließende, einen weiteren Streit vermeidende Erledigung des Rechtsstreits. Fehlt es daran, ist eine derartige Klage unzulässig (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts - BSG - vom 28. Januar 1999 - B 3 KR 4/09 R -, abgedruckt in SozR 3-2500 § 37 Nr. 1, vom 13. Mai 2004 - B 3 KR 18/03 R -, abgedruckt in SozR 4-2500 § 39 Nr. 2 und vom 26. Januar 2006 -B 3 KR 4/05 R -). Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der gewährleistet, dass zum einen der Streitgegenstand seitens des Klägers hinreichend bestimmt ist und dass zum anderen das Gericht nicht über ein Begehren des Klägers hinausgehend oder hinter einem solchen Begehren zurückbleibend entscheidet. Darüber hinaus wäre - auch bei unterstellter Zulässigkeit - die Erstattung für die Vergangenheit schon deshalb nicht zu gewähren, da kein Zahlungsanspruch des behandelnden Arztes Dr. S besteht. Denn es fehlt es schon bürgerlich-rechtlich an den Voraussetzungen einer fälligen Arzthonorarforderung: Die eingereichte Rechnung entspricht nicht den Erfordernissen des § 12 Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ), weil es eine GOÄ-Ziffer 9071 nicht gibt, § 10 Abs. 1 GOÄ (Sach-) Auslagenersatz grundsätzlich ausschließt und eine für die Abweichung von der GOÄ erforderliche schriftliche Vereinbarung nach § 2 Abs. 2 GOÄ nicht vorliegt. (BSG, Urteil vom 27. März 2007, - B 1 KR 25/06 m.w.N., zitiert nach juris, Rdnr. 17 - 22).

Bezüglich des Antrags, die Beklagte zu verurteilen, für die Zukunft entsprechende Leistungen zu gewähren, hingegen war die Klage zulässig.

Die Berufung ist jedoch auch insoweit unbegründet. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen einem Versicherten und seiner Krankenkasse über einen Leistungsanspruch sind grundsätzlich nur in zwei Konstellationen denkbar. Entweder klagt der Versicherte auf Gewährung einer noch ausstehenden Leistung als Sachleistung oder er beschafft sich die Leistung privat auf eigene Rechnung und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten (BSG, Urteil vom 9. Oktober 2001 - B 1 KR 6/01 R -, abgedruckt in SozR 3-2500 § 1325). Den vom behandelnden Arzt Dr. S für den Kläger gestellten Antrag auf Weiterführung der LDL-Apherese lehnte die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden ab. Bei einem solchen Sachverhalt umfasst die ursprüngliche Ablehnung der Sachleistung zugleich auch die Ablehnung der Einstandspflicht für die Kosten (BSG, Urteil vom 25. April 1997 - 1 KR 4/96 -, abgedruckt in SozR 3-2500 § 13 Nr. 14). Der Senat teilt nicht die Auffassung des Sozialgerichts, wonach ein Bewilligungsbescheid über Leistungen eine unbefristete Gültigkeit habe, sondern folgt der entgegenstehenden Auffassung des BSG.

Im Übrigen war dem Kläger und seinen behandelnden Ärzten dieser Sachverhalt auch bewusst, denn andernfalls hätte der Antrag auf Fortführung der Therapie keinen Sinn gemacht. Die tatsächliche Einstellung der Leistung mit Ablauf des Dezember 2000 hat hinreichend deutlich gemacht, dass die Beklagte an den Bescheid vom 24. April 1996 nicht mehr gebunden sein und unter Beachtung der neuen Richtlinien eine Entscheidung über die Weiterführung der Therapie treffen wollte. Streitgegenstand des zu entscheidenden Verfahrens sind der Anspruch auf Kostenerstattung und die Gewährung der LDL-Apherese als Sachleistung.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - erhalten die Versicherten die Leistungen der Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX - nichts Abweichendes vorsehen. Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses Buch oder das SGB IX vorsehen (§ 13 Abs. 1 SGB V).

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Erkrankung (§§ 27 - 52 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dieser Anspruch wird im Rahmen des § 135 SGB V grundsätzlich durch den Gemeinsamen Bundesausschuss konkretisiert. Die entsprechende Richtlinie in der im Jahre 2001 gültigen Fassung hat zur Voraussetzung für die Gewährung der LDL-Apherese gemacht, dass entweder eine familiäre Form der Erkrankung bei homozygotischer erblicher Belastung oder eine schwere Form der Erkrankung bei heterozygotischer Belastung bestünden, bei der alle diätetischen und medikamentösen Maßnahmen nicht ausreichend sind. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. In Bezug auf eine familiäre Belastung folgt dies aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K; dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Jedoch liegt zur Überzeugung des Senats auch nicht die zweite Anspruchsvoraussetzung vor, nämlich dass das Leiden des Klägers durch diätetische Maßnahmen nicht behandelt werden könnte. Zumindest ist insoweit der Nachweis nicht erbracht. Der Kläger ist bei einer Körpergröße von 172 Zentimetern und einem Gewicht von 97 Kilogramm erheblich übergewichtig und daher erscheint ausgeschlossen, dass er die entsprechenden diätetischen Maßnahmen einhält, um seine Fettleibigkeit zu verringern und damit zu eine Senkung der Cholesterinwerte beizutragen. Das Gutachten des Prof. K, in dem dieser darlegt, alle diätetischen Maßnahmen seien erschöpft, vermag daher insoweit nicht zu überzeugen. Wenn Prof. K dann auf den entsprechenden Einwand der Beklagten lediglich darlegt, der Kläger habe versichert, er halte die diätetischen Maßnahmen ein, so verstärkt dies die Zweifel an seinem Gutachten. Der Sachverständige hat sich mit den Einwendungen der Beklagten nicht auseinandergesetzt und zur Entgegennahme von Erklärungen des Klägers benötigt das Gericht kein Gutachten. Dass bei einem Body Mass Index von 33 Diät gehalten wird, scheint nahezu abwegig. Somit ist die Notwendigkeit der LDL-Apherese nicht nachgewiesen und sie ist daher von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu zahlen.

Auf die Berufung der Beklagten war daher das angefochtene Urteil des Sozialgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der im Gesetz (§ 160 Abs. 2 SGG) dargelegten Gründe vor.
Rechtskraft
Aus
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