Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 268/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 482/08 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 10. November 2008 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zum 31. Juli 2009 mit dem Arzneimittel Metopiron 250 mg, täglich dreimal zwei Kapseln, zu versorgen. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Antragstellerin leidet unter Morbus Cushing. Sie begehrt im Beschwerdeverfahren die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie zukünftig mit dem Arzneimittel Metopiron (Wirkstoff Metyrapon) zu versorgen.
Die aus dem Tenor ersichtliche Regelungsanordnung im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat – im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts – zu ergehen, weil dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. In gerichtlichen Eilverfahren ist es grundsätzlich statthaft, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren. Allerdings ist ihnen in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für einen Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden; die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, stattgebender Kammerbeschluss vom 6. Februar 2007, 1 BvR 3101/06, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18).
Die Prüfung des geltend gemachten Anspruchs – Versorgung mit dem Arzneimittel Metopiron – zeigt hier, dass komplizierte, vor allen Dingen arzneimittelrechtliche Fragen im Raum stehen, die einer abschließenden Beantwortung im Eilverfahren nicht zugänglich sind; gleichzeitig hält der Senat es jedenfalls nicht für offensichtlich ausgeschlossen, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren obsiegen wird, weil sie einen Anspruch auf Versorgung mit dem genannten Arzneimittel nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use hat.
Grundsätzlich bedarf ein Fertigarzneimittel zur Anwendung bei einem Versicherten der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es bei ihm angewendet wird, um dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterfallen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch [SGB V]) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. nur Urteil vom 26. September 2006, B 1 KR 14/06 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 9). So liegt es im vorliegenden Fall, denn das Arzneimittel Metopiron mit dem Wirkstoff Metyrapon verfügt über keine Zulassung im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG). Metopiron gehört nämlich zur Gruppe der Nachzulassungspräparate, die bereits vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes (1978) im Verkehr befindlich waren. Damit galt Metopiron zunächst als fiktiv zugelassen. Da bis zum Stichtag 30. April 1990 für Metopiron kein Nachzulassungsantrag gestellt worden war, verfügte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Bescheid vom 30. April 1990 eine Löschung der Zulassung, so dass die Verkehrsfähigkeit dieses Arzneimittels in Deutschland zum 31. Dezember 1992 endete.
Der Senat hält die Frage für offen (und damit im Hauptsacheverfahren zu klären), ob Metopiron einem strikten Importverbot unterliegt (§ 30 Abs. 4 AMG) oder ob es im Wege der Einzeleinfuhr von Apotheken nach der Ausnahmevorschrift in § 73 Abs. 3 AMG beschafft und abgegeben werden darf. Dabei ist fraglich, ob sich nicht schon aus § 31 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 30 Abs. 4 Satz 1 AMG ein strafbewehrtes (§§ 96 Nr. 7, 97 Abs. 2 Nr. 8 AMG) Verbot des Inverkehrbringens und des Imports von Metopiron ergibt. Gegebenenfalls ist hier der Erlöschenstatbestand aus § 31 Abs. 1 Nr. 3 AMG zu bejahen, so dass über § 31 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz AMG die strikten Verbote aus § 30 Abs. 4 AMG gelten. Wäre dies der Fall, würde das Verbringungsverbot auch nicht durch die Ausnahmevorschrift in § 73 Abs. 3 AMG durchbrochen werden können (vgl. hierzu und zum Folgenden Bundessozialgericht, Urteil vom 17. März 2005, B 3 KR 2/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25 ff.).
Auf der anderen Seite erscheint es arzneimittelrechtlich durchaus vertretbar anzunehmen, dass das Erlöschen der Zulassung von Metopiron zum 31. Dezember 1992 nicht zur entsprechenden Geltung von § 30 Abs. 4 AMG führt und Metopiron so zu behandeln ist, als wäre seine Zulassung in Deutschland nie beantragt worden. Damit würde § 73 Abs. 3 AMG auf dieses Arzneimittel Anwendung finden mit der Folge, dass es unter den Voraussetzungen von § 73 Abs. 3 AMG rechtmäßig von Apotheken importiert und abgegeben werden darf (Beschaffung geringer Mengen auf besondere Bestellung einzelner Patienten). Diese Auffassung vertritt auch die für die Überwachung des Arzneimittelverkehrs zuständige Landesbehörde; das Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg hat in einem Schreiben vom 8. August 2008 darauf hingewiesen, dass § 73 Abs. 3 AMG eine Ausnahme vom generellen Importverbot vorsieht, so dass auch das Arzneimittel Metopiron mit dem Wirkstoff Metyrapon eingeführt werden dürfe. Im Hinblick auf diese Rechtsauffassung der zuständigen Fachbehörde erscheint es jedenfalls im Eilverfahren hinnehmbar, dass die Antragstellerin mit dem von ihr begehrten Arzneimittel versorgt wird.
Ist die arzneimittelrechtliche Problematik des vorliegenden Falles danach offen, bedarf es im Verfahren des Eilrechtsschutzes vor diesem Hintergrund keiner weiteren Erörterungen zu den Voraussetzungen des Off-Label-Use. Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass die Krankheit der Klägerin – Morbus Cushing – lebensbedrohlich ist, dass keine andere Therapie verfügbar ist und dass die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Die Auffassung des Sozialgerichts, die Therapie mit Metopiron nur als Begleitmaßnahme zur Strahlentherapie anzusehen, geht fehl. Die Klägerin wurde im Juni 2008 zuletzt strahlentherapeutisch behandelt. Bis zum Eintritt der Wirkung der Strahlentherapie nach 12 bis 36 Monaten ist es zur Vermeidung der deletären Folgen des Morbus Cushing geboten, den Hypercortisolismus medikamentös zu behandeln. Die Gabe des Wirkstoffs Metyrapon erscheint in diesem Zusammenhang geradezu schulmäßig (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage 2004, Eintrag "Cushing-Syndrom"). Es handelt sich um keine Begleittherapie, sondern um eine unentbehrliche Behandlung für den Zeitraum, in dem die Strahlentherapie noch nicht greift.
Die einstweilige Anordnung war damit auf Grund einer Folgenabwägung zu erlassen. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. der Rechtschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebietet es, eine Abwägung vorzunehmen, die die verfassungsrechtlich geschützten Belange der Antragstellerin im gebotenen Maße zur Geltung bringt. Dabei waren die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht für die Fälle entwickelt hat, in denen von der Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren mittelbar Lebensgefahr für den Einzelnen ausgehen kann. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen; behördliche und gerichtliche Verfahren müssen der grundlegenden objektiven Wertentscheidung zugunsten des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit gerecht werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236; nachfolgend Landessozialgericht Berlin, Beschluss des 9. Senats vom 28. Januar 2003, L 9 B 20/02 KR ER W02 l).
Dabei sind in Gestalt einer Doppelhypothese die Folgen gegeneinander abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Anspruch doch bestanden hätte, und die auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die beantragte einstweilige Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch nicht bestand.
Sollte die erstgenannte Alternative erfüllt sein, d.h. sollte eine einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt werden, so entstünden der Antragstellerin schwerwiegende, gegebenenfalls nicht rückgängig machbare Nachteile. Nach dem bisherigen Vorbringen der Antragstellerin und den von ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen erscheint nämlich nachvollziehbar, dass sich ihr Gesundheitszustand unter der seit Juni 2008 erfolgenden Behandlung mit Metopiron stabilisiert hat. In seinem Bericht vom 5. Mai 2009 gibt der behandelnde Endokrinologe an, die Tagesdosis habe mittlerweile von viermal zwei Kapseln auf dreimal zwei Kapseln reduziert werden können. Die kontrollfähigen Parameter wie Cortisol im Serum oder im Urin seien zumeist im Zielbereich. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat unvertretbar, Eilrechtsschutz zu versagen.
Die Folgen, die bei einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung zum Nachteil der Antragsgegnerin einträten, wiegen demgegenüber weniger schwer. Zwar entstünde der Antragsgegnerin in diesem Falle ein messbarer finanzieller Schaden. Sie könnte ihn nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 945 Zivilprozessordnung (ZPO) von der Antragstellerin ersetzt verlangen, wenn sich im anschließenden Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis nicht begründet war. Bei sachnaher Betrachtung muss allerdings angenommen werden, dass angesichts der (vermutlich) schwachen finanziellen Situation der Antragstellerin ein solcher Schadensersatzanspruch im Ergebnis nicht durchsetzbar wäre. Gleichwohl muss die Abwägung eines bloßen finanziellen Schadens der Antragsgegnerin auf der einen Seite und des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Antragstellerin auf der anderen Seite zu der aus dem Tenor ersichtlichen Entscheidung führen.
Der Senat hat die zusprechende Entscheidung auf den 31. Juli 2009 befristet, da der behandelnde Arzt in seinem Bericht vom 5. Mai 2009 einen Dosisrückgang beschreibt und ein Absetzen der Medikation mit weiterem Abstand zur Strahlentherapie für möglich hält. Der Senat weist gleichzeitig darauf hin, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Versorgung mit dem streitigen Arzneimittel auch über den 31. Juli 2009 hinaus besitzt, sofern sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern und qualifizierte ärztliche Verordnungen für das Arzneimittel vorliegen, aus denen sich die Tagesdosis und die voraussichtliche Dauer der Anwendung des Medikamentes ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren trotz der Befristung der einstweiligen Anordnung im Wesentlichen obsiegt hat. Gleichzeitig bleibt es für das erstinstanzliche Verfahren bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts im Beschluss vom 10. November 2008, denn seinerzeit war der Eilantrag nicht stattgabereif. Die für eine stattgebende Entscheidung unentbehrliche ärztliche Verordnung des begehrten Arzneimittels wurde nämlich erst am 2. April 2009 zu den Akten gereicht; in Zusammenhang mit dem Bericht des behandelnden Arztes vom 5. Mai 2009, der Wirkstärke und Dosierung nennt, kam eine zusprechende Entscheidung damit erst jetzt in Betracht.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Antragstellerin leidet unter Morbus Cushing. Sie begehrt im Beschwerdeverfahren die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie zukünftig mit dem Arzneimittel Metopiron (Wirkstoff Metyrapon) zu versorgen.
Die aus dem Tenor ersichtliche Regelungsanordnung im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat – im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts – zu ergehen, weil dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. In gerichtlichen Eilverfahren ist es grundsätzlich statthaft, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren. Allerdings ist ihnen in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für einen Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden; die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, stattgebender Kammerbeschluss vom 6. Februar 2007, 1 BvR 3101/06, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18).
Die Prüfung des geltend gemachten Anspruchs – Versorgung mit dem Arzneimittel Metopiron – zeigt hier, dass komplizierte, vor allen Dingen arzneimittelrechtliche Fragen im Raum stehen, die einer abschließenden Beantwortung im Eilverfahren nicht zugänglich sind; gleichzeitig hält der Senat es jedenfalls nicht für offensichtlich ausgeschlossen, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren obsiegen wird, weil sie einen Anspruch auf Versorgung mit dem genannten Arzneimittel nach den Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use hat.
Grundsätzlich bedarf ein Fertigarzneimittel zur Anwendung bei einem Versicherten der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es bei ihm angewendet wird, um dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterfallen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch [SGB V]) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. nur Urteil vom 26. September 2006, B 1 KR 14/06 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 9). So liegt es im vorliegenden Fall, denn das Arzneimittel Metopiron mit dem Wirkstoff Metyrapon verfügt über keine Zulassung im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG). Metopiron gehört nämlich zur Gruppe der Nachzulassungspräparate, die bereits vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes (1978) im Verkehr befindlich waren. Damit galt Metopiron zunächst als fiktiv zugelassen. Da bis zum Stichtag 30. April 1990 für Metopiron kein Nachzulassungsantrag gestellt worden war, verfügte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Bescheid vom 30. April 1990 eine Löschung der Zulassung, so dass die Verkehrsfähigkeit dieses Arzneimittels in Deutschland zum 31. Dezember 1992 endete.
Der Senat hält die Frage für offen (und damit im Hauptsacheverfahren zu klären), ob Metopiron einem strikten Importverbot unterliegt (§ 30 Abs. 4 AMG) oder ob es im Wege der Einzeleinfuhr von Apotheken nach der Ausnahmevorschrift in § 73 Abs. 3 AMG beschafft und abgegeben werden darf. Dabei ist fraglich, ob sich nicht schon aus § 31 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 30 Abs. 4 Satz 1 AMG ein strafbewehrtes (§§ 96 Nr. 7, 97 Abs. 2 Nr. 8 AMG) Verbot des Inverkehrbringens und des Imports von Metopiron ergibt. Gegebenenfalls ist hier der Erlöschenstatbestand aus § 31 Abs. 1 Nr. 3 AMG zu bejahen, so dass über § 31 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz AMG die strikten Verbote aus § 30 Abs. 4 AMG gelten. Wäre dies der Fall, würde das Verbringungsverbot auch nicht durch die Ausnahmevorschrift in § 73 Abs. 3 AMG durchbrochen werden können (vgl. hierzu und zum Folgenden Bundessozialgericht, Urteil vom 17. März 2005, B 3 KR 2/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25 ff.).
Auf der anderen Seite erscheint es arzneimittelrechtlich durchaus vertretbar anzunehmen, dass das Erlöschen der Zulassung von Metopiron zum 31. Dezember 1992 nicht zur entsprechenden Geltung von § 30 Abs. 4 AMG führt und Metopiron so zu behandeln ist, als wäre seine Zulassung in Deutschland nie beantragt worden. Damit würde § 73 Abs. 3 AMG auf dieses Arzneimittel Anwendung finden mit der Folge, dass es unter den Voraussetzungen von § 73 Abs. 3 AMG rechtmäßig von Apotheken importiert und abgegeben werden darf (Beschaffung geringer Mengen auf besondere Bestellung einzelner Patienten). Diese Auffassung vertritt auch die für die Überwachung des Arzneimittelverkehrs zuständige Landesbehörde; das Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg hat in einem Schreiben vom 8. August 2008 darauf hingewiesen, dass § 73 Abs. 3 AMG eine Ausnahme vom generellen Importverbot vorsieht, so dass auch das Arzneimittel Metopiron mit dem Wirkstoff Metyrapon eingeführt werden dürfe. Im Hinblick auf diese Rechtsauffassung der zuständigen Fachbehörde erscheint es jedenfalls im Eilverfahren hinnehmbar, dass die Antragstellerin mit dem von ihr begehrten Arzneimittel versorgt wird.
Ist die arzneimittelrechtliche Problematik des vorliegenden Falles danach offen, bedarf es im Verfahren des Eilrechtsschutzes vor diesem Hintergrund keiner weiteren Erörterungen zu den Voraussetzungen des Off-Label-Use. Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass die Krankheit der Klägerin – Morbus Cushing – lebensbedrohlich ist, dass keine andere Therapie verfügbar ist und dass die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Die Auffassung des Sozialgerichts, die Therapie mit Metopiron nur als Begleitmaßnahme zur Strahlentherapie anzusehen, geht fehl. Die Klägerin wurde im Juni 2008 zuletzt strahlentherapeutisch behandelt. Bis zum Eintritt der Wirkung der Strahlentherapie nach 12 bis 36 Monaten ist es zur Vermeidung der deletären Folgen des Morbus Cushing geboten, den Hypercortisolismus medikamentös zu behandeln. Die Gabe des Wirkstoffs Metyrapon erscheint in diesem Zusammenhang geradezu schulmäßig (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage 2004, Eintrag "Cushing-Syndrom"). Es handelt sich um keine Begleittherapie, sondern um eine unentbehrliche Behandlung für den Zeitraum, in dem die Strahlentherapie noch nicht greift.
Die einstweilige Anordnung war damit auf Grund einer Folgenabwägung zu erlassen. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. der Rechtschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebietet es, eine Abwägung vorzunehmen, die die verfassungsrechtlich geschützten Belange der Antragstellerin im gebotenen Maße zur Geltung bringt. Dabei waren die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht für die Fälle entwickelt hat, in denen von der Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren mittelbar Lebensgefahr für den Einzelnen ausgehen kann. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen; behördliche und gerichtliche Verfahren müssen der grundlegenden objektiven Wertentscheidung zugunsten des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit gerecht werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236; nachfolgend Landessozialgericht Berlin, Beschluss des 9. Senats vom 28. Januar 2003, L 9 B 20/02 KR ER W02 l).
Dabei sind in Gestalt einer Doppelhypothese die Folgen gegeneinander abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Anspruch doch bestanden hätte, und die auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die beantragte einstweilige Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch nicht bestand.
Sollte die erstgenannte Alternative erfüllt sein, d.h. sollte eine einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt werden, so entstünden der Antragstellerin schwerwiegende, gegebenenfalls nicht rückgängig machbare Nachteile. Nach dem bisherigen Vorbringen der Antragstellerin und den von ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen erscheint nämlich nachvollziehbar, dass sich ihr Gesundheitszustand unter der seit Juni 2008 erfolgenden Behandlung mit Metopiron stabilisiert hat. In seinem Bericht vom 5. Mai 2009 gibt der behandelnde Endokrinologe an, die Tagesdosis habe mittlerweile von viermal zwei Kapseln auf dreimal zwei Kapseln reduziert werden können. Die kontrollfähigen Parameter wie Cortisol im Serum oder im Urin seien zumeist im Zielbereich. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat unvertretbar, Eilrechtsschutz zu versagen.
Die Folgen, die bei einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung zum Nachteil der Antragsgegnerin einträten, wiegen demgegenüber weniger schwer. Zwar entstünde der Antragsgegnerin in diesem Falle ein messbarer finanzieller Schaden. Sie könnte ihn nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 945 Zivilprozessordnung (ZPO) von der Antragstellerin ersetzt verlangen, wenn sich im anschließenden Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis nicht begründet war. Bei sachnaher Betrachtung muss allerdings angenommen werden, dass angesichts der (vermutlich) schwachen finanziellen Situation der Antragstellerin ein solcher Schadensersatzanspruch im Ergebnis nicht durchsetzbar wäre. Gleichwohl muss die Abwägung eines bloßen finanziellen Schadens der Antragsgegnerin auf der einen Seite und des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Antragstellerin auf der anderen Seite zu der aus dem Tenor ersichtlichen Entscheidung führen.
Der Senat hat die zusprechende Entscheidung auf den 31. Juli 2009 befristet, da der behandelnde Arzt in seinem Bericht vom 5. Mai 2009 einen Dosisrückgang beschreibt und ein Absetzen der Medikation mit weiterem Abstand zur Strahlentherapie für möglich hält. Der Senat weist gleichzeitig darauf hin, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Versorgung mit dem streitigen Arzneimittel auch über den 31. Juli 2009 hinaus besitzt, sofern sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern und qualifizierte ärztliche Verordnungen für das Arzneimittel vorliegen, aus denen sich die Tagesdosis und die voraussichtliche Dauer der Anwendung des Medikamentes ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren trotz der Befristung der einstweiligen Anordnung im Wesentlichen obsiegt hat. Gleichzeitig bleibt es für das erstinstanzliche Verfahren bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts im Beschluss vom 10. November 2008, denn seinerzeit war der Eilantrag nicht stattgabereif. Die für eine stattgebende Entscheidung unentbehrliche ärztliche Verordnung des begehrten Arzneimittels wurde nämlich erst am 2. April 2009 zu den Akten gereicht; in Zusammenhang mit dem Bericht des behandelnden Arztes vom 5. Mai 2009, der Wirkstärke und Dosierung nennt, kam eine zusprechende Entscheidung damit erst jetzt in Betracht.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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