Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 119/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG die aufschiebende Wirkung der Anfech- tungsklage S 2 KA 120/09 gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 13.05.2009 anzuordnen, wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht begründet.
Rechtsgrundlage für die begehrte einstweilige Regelung ist § 86b Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn nach § 85 Abs. 4 Satz 9 Sozialge-setzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hat die Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung keine aufschiebende Wirkung. Dasselbe gilt - wie hier - für Bescheide der Honorarrückforderung (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2009 - L 11 KA 7/09 ER - m.w.N.).
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Da vorliegend das Widerspruchsverfahren bereits abgeschlossen ist, hat die Kam-mer im Wege des Hinwirkens auf sachdienliche Antragstellung (§ 202 SGG i.V.m. § 139 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)) den Prozessantrag insoweit klargestellt. Das Gericht entscheidet nach Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung. Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Denn am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse (Düring, in: Jansen (Hrsg.), SGG, 3. Aufl. 2009, § 86b Rdnr. 11). Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Regelung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu beachten, dass in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die Vollziehung ausgesetzt werden soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Darüber hinaus ist das aus den Regelungen des § 86a SGG hervorgehende gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten: In den Fallgruppen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG - wie hier - ist wesentlich, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat. Deshalb bedarf es besonderer Umstände, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen; namentlich müsste ein Abwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens unzumutbar sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28.08.2007 - 1 BvR 2157/07 -; vom 11.02.2005 - 1 BvR 276/05 -; BVerfG NJW 2003, 3618 f.; LSG NRW, Beschluss vom 19.03.2009 - L 11 B 20/08 KA ER -).
Eine Prüfung der Erfolgsaussichten ergibt vorliegend, dass die angefochtenen Bescheide jedenfalls für den Zeitraum der Quartale 3/2004 bis 4/2005 offen-sichtlich rechtmäßig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt für sachlich-rechnerische Richtigstellungen eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer Richtigstellungsbescheide der Kassenärztlichen Vereinigungen dem Betroffenen bekannt gegeben werden müssen. Diese Ausschlussfrist beginnt mit dem Tag nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides für das jeweils betroffene Quartal (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Diese Frist ist zumindest für die Quartale ab 3/2004 gewahrt. Auch wenn der Kammer die einzelnen Quartalsabrechnungsbescheide nicht vorliegen, geht sie nach ihrer Wahrnehmung in anderen Streitverfahren davon aus, dass der Abrechnungsbescheid für das Quartal 3/2004 das Ausfertigungsdatum 25.01.2005 tragen dürfte. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 liegt innerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Auch materiell-rechtlich liegen die Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Berichtigung vor. Die Gebührenziffern 157 EBM (bis 31.03.2005) bzw. 01730 EBM 2000plus (ab 01.04.2005) honorieren die "Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen bei der Frau gemäß Abschnitt B der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien". Nach der Einleitung zu diesen Richtlinien bestimmen die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB V beschlossenen Richtlinien das Nähere über die den gesetzlichen Erfordernissen des § 25 Abs. 2 und 3 SGB V entsprechenden ärztlichen Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Nach der insofern in Bezug genommenen Vorschrift des § 25 Abs. 2 SGB V haben Versicherte höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Diese Vorgabe im Bereich des Leistungsrechts ist somit auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts unmittelbar von Bedeutung (sog. Einheit von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht; vgl. BSG, Ur-
teil vom 28.01.2009 - B 6 KA 61/07 R - m.w.N.). Dies bedeutet hier, dass die EBM-Nrn. 157 bzw. 01730 EBM 2000plus für den die Früherkennungsuntersuchungen durchführenden Vertragsarzt ebenfalls nur höchstens einmal jährlich abrechenbar sind. In den streitbefangenen Berichtigungsfällen hatte der Antragsteller diese Leistungen jedoch zweimal, mitunter auch dreimal im Jahr abgerechnet, wie sich aus der dem Bescheid beigefügten Auflistung im Einzelnen ergibt.
Ob und inwieweit die wiederholten Krebsvorsorgeuntersuchungen der Patientinnen in besonderem Maße medizinisch indiziert waren und nicht willkürlich erfolgt sind, wie der Antragsteller vorträgt, ist hierbei unerheblich. Gesundheitsuntersuchungen im Sinne des § 25 SGB V sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten. Untersuchungsziel ist die Feststellung von Anzeichen von Vor- und Frühstadien von Krankheiten, wobei Anspruchsberechtigte gerade gesunde oder symptomlose Versicherte sind. Dies bedingt ein einschränkendes Verständnis des gesetzlichen Auftrags der Gesundheitsuntersuchung. Nach der systematischen Stellung der Vorschrift im Vierten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V ist als Gesundheitsuntersuchung im Sinne des § 25 SGB V nur diejenige (Früh-)Diagnostik zu verstehen, die nicht schon durch offen zutage getretene individuelle Beschwerden oder Risiken veranlasst ist (vgl. Schütze, jurisPK-SGB V, § 25 Rdnr. 6 ff.). Für solche kommen Diagnoseleistungen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V in Betracht. Diese sind jeweils einzelfallbezogen und setzen einen konkreten individuellen Untersuchungsanlass voraus. So können ärztliche Untersuchungen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Diagnose von Vor- und Frühstadien von Krankheiten beansprucht werden, soweit der individuelle Gesundheitszustand des Versicherten den hinreichend konkreten Verdacht nahe legt, dass eine nach § 27 SGB V behandlungsbedürftige Krankheit bereits eingetreten ist. Dazu besteht Anlass, soweit die konkreten Umstände im Einzelfall eine nähere Abklärung der gesundheitlichen Situation angezeigt erscheinen lassen, um entscheiden zu
können, ob Maßnahmen zur Heilung einer Erkrankung eingeleitet werden müssen oder nicht. Solche anlassbezogenen Untersuchungsleistungen sind jedoch nicht nach den Nrn. 157/01730 EBM abrechnungsfähig.
Soweit sich der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 auf frühere Quartale als 3/2004 erstreckt, ist die Ausschlussfrist von vier Jahren für sachlich-rechnerische Berichtigungen nicht gewahrt. Dies wird auch für das Quartal 2/2004 gelten. Nach den Erkenntnissen der Kammer aus anderen Verfahren tragen Abrechnungsbescheide für dieses Quartal das Ausfertigungsdatum 25.10.2004. Bei der üblichen Übermittlung durch die Post gilt der Bescheid, wenn er am selben Tage mit einfachem Brief abgesandt worden ist, als am 28.10.2004 bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)). Der per Einschreiben mit Rückschein zur Post gegebene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 gilt nach § 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) als am 31.10.2008 dem Antragsteller bekannt gegeben und liegt damit außerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Nach Ablauf dieser Frist ist eine Richtigstellung auf der Rechtsgrundlage der bundesmantelvertraglichen Richtigstellungsvorschriften ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X möglich (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Danach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Voraussetzung für die teilweise Aufhebung der Honorarbescheide ist danach nicht die vorsätzlich falsche Abrechnung. Andererseits reicht leichte Fahrlässigkeit des Arztes oder des von ihm beauftragten Personals nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -).
Es mag einer Entscheidung in der Hauptsache aufgrund mündlicher Verhandlung, in der die Kammer auch mit zwei Vertragsärzten als ehrenamtlichen Richtern besetzt sein wird (§ 12 Abs. 1 SGG), vorbehalten bleiben, ob vorliegend grobe Fahrlässigkeit angenommen werden kann. Die Berufung des Antragstellers darauf, dass das von ihm seinerzeit verwendete Abrechnungssystem Medistar keinen Hinweis darauf zur Verfügung gestellt habe, dass Versicherte nur einmal jährlich Anspruch auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen hätten, entlastet ihn nicht wirklich. Allein verantwortlich für die vollständige und richtige Abrechnung und damit bereits für die Eingabe der entsprechenden Daten in das Abrechnungssystem ist der Vertragsarzt selbst. Im Übrigen wird der Antragsteller, der seine Praxis zwischenzeitlich aus Altersgründen aufgegeben hat, langjährig zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen gewesen sein. Es wird daher auch zu bewerten sein, ob die Kenntnis einer lediglich jährlichen Anspruchsberechtigung von Frauen auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nicht zum Allgemeingut eines erfahrenen Gynäkologen gehören müsste. Denn die gesetzliche Regelung wurde bereits durch § 181 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes (BGBl. I 1970, 1770) vor über 30 Jahren eingeführt und durch entsprechende Beschlüsse des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen begleitet.
Selbst wenn aber der Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit nicht erreicht sein sollte und die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Quartale 1/2003 bis 2/2004 als fehlerhaft zu bewerten sein sollten, begründet dies jedenfalls keinen Anordnungsgrund. Allein eine etwaige Rechtsverletzung schafft schon deshalb keinen Anordnungsgrund, weil anderenfalls jedes rechtswidrige Handeln einer Behörde einen Anordnungsgrund erfüllen, mithin zu einer konturenlosen Ausuferung des einstweiligen Rechtsschutzes führen würde (LSG NRW, Beschluss vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER -).
Wesentliche Nachteile, zu deren Abwendung der einstweilige Rechtsschutz erforderlich ist, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Das Honorarvolumen, das auf die Quartale 1/2003 bis 2/2004 entfällt, beläuft sich nach der Auflistung zum Bescheid vom 28.10.2008 auf 240,48 EUR. Es ist in keiner Weise vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die Zahlung dieses Betrages - wie überhaupt der gesamten Forderung von 1.443,01 EUR - für den Antragsteller bis zur Erledigung der Hauptsache unzumutbar wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht begründet.
Rechtsgrundlage für die begehrte einstweilige Regelung ist § 86b Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn nach § 85 Abs. 4 Satz 9 Sozialge-setzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hat die Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung keine aufschiebende Wirkung. Dasselbe gilt - wie hier - für Bescheide der Honorarrückforderung (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2009 - L 11 KA 7/09 ER - m.w.N.).
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Da vorliegend das Widerspruchsverfahren bereits abgeschlossen ist, hat die Kam-mer im Wege des Hinwirkens auf sachdienliche Antragstellung (§ 202 SGG i.V.m. § 139 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)) den Prozessantrag insoweit klargestellt. Das Gericht entscheidet nach Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung. Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Denn am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse (Düring, in: Jansen (Hrsg.), SGG, 3. Aufl. 2009, § 86b Rdnr. 11). Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Regelung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu beachten, dass in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die Vollziehung ausgesetzt werden soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Darüber hinaus ist das aus den Regelungen des § 86a SGG hervorgehende gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten: In den Fallgruppen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG - wie hier - ist wesentlich, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat. Deshalb bedarf es besonderer Umstände, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen; namentlich müsste ein Abwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens unzumutbar sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28.08.2007 - 1 BvR 2157/07 -; vom 11.02.2005 - 1 BvR 276/05 -; BVerfG NJW 2003, 3618 f.; LSG NRW, Beschluss vom 19.03.2009 - L 11 B 20/08 KA ER -).
Eine Prüfung der Erfolgsaussichten ergibt vorliegend, dass die angefochtenen Bescheide jedenfalls für den Zeitraum der Quartale 3/2004 bis 4/2005 offen-sichtlich rechtmäßig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt für sachlich-rechnerische Richtigstellungen eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer Richtigstellungsbescheide der Kassenärztlichen Vereinigungen dem Betroffenen bekannt gegeben werden müssen. Diese Ausschlussfrist beginnt mit dem Tag nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides für das jeweils betroffene Quartal (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Diese Frist ist zumindest für die Quartale ab 3/2004 gewahrt. Auch wenn der Kammer die einzelnen Quartalsabrechnungsbescheide nicht vorliegen, geht sie nach ihrer Wahrnehmung in anderen Streitverfahren davon aus, dass der Abrechnungsbescheid für das Quartal 3/2004 das Ausfertigungsdatum 25.01.2005 tragen dürfte. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 liegt innerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Auch materiell-rechtlich liegen die Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Berichtigung vor. Die Gebührenziffern 157 EBM (bis 31.03.2005) bzw. 01730 EBM 2000plus (ab 01.04.2005) honorieren die "Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen bei der Frau gemäß Abschnitt B der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien". Nach der Einleitung zu diesen Richtlinien bestimmen die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB V beschlossenen Richtlinien das Nähere über die den gesetzlichen Erfordernissen des § 25 Abs. 2 und 3 SGB V entsprechenden ärztlichen Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Nach der insofern in Bezug genommenen Vorschrift des § 25 Abs. 2 SGB V haben Versicherte höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen. Diese Vorgabe im Bereich des Leistungsrechts ist somit auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts unmittelbar von Bedeutung (sog. Einheit von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht; vgl. BSG, Ur-
teil vom 28.01.2009 - B 6 KA 61/07 R - m.w.N.). Dies bedeutet hier, dass die EBM-Nrn. 157 bzw. 01730 EBM 2000plus für den die Früherkennungsuntersuchungen durchführenden Vertragsarzt ebenfalls nur höchstens einmal jährlich abrechenbar sind. In den streitbefangenen Berichtigungsfällen hatte der Antragsteller diese Leistungen jedoch zweimal, mitunter auch dreimal im Jahr abgerechnet, wie sich aus der dem Bescheid beigefügten Auflistung im Einzelnen ergibt.
Ob und inwieweit die wiederholten Krebsvorsorgeuntersuchungen der Patientinnen in besonderem Maße medizinisch indiziert waren und nicht willkürlich erfolgt sind, wie der Antragsteller vorträgt, ist hierbei unerheblich. Gesundheitsuntersuchungen im Sinne des § 25 SGB V sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten. Untersuchungsziel ist die Feststellung von Anzeichen von Vor- und Frühstadien von Krankheiten, wobei Anspruchsberechtigte gerade gesunde oder symptomlose Versicherte sind. Dies bedingt ein einschränkendes Verständnis des gesetzlichen Auftrags der Gesundheitsuntersuchung. Nach der systematischen Stellung der Vorschrift im Vierten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V ist als Gesundheitsuntersuchung im Sinne des § 25 SGB V nur diejenige (Früh-)Diagnostik zu verstehen, die nicht schon durch offen zutage getretene individuelle Beschwerden oder Risiken veranlasst ist (vgl. Schütze, jurisPK-SGB V, § 25 Rdnr. 6 ff.). Für solche kommen Diagnoseleistungen im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V in Betracht. Diese sind jeweils einzelfallbezogen und setzen einen konkreten individuellen Untersuchungsanlass voraus. So können ärztliche Untersuchungen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Diagnose von Vor- und Frühstadien von Krankheiten beansprucht werden, soweit der individuelle Gesundheitszustand des Versicherten den hinreichend konkreten Verdacht nahe legt, dass eine nach § 27 SGB V behandlungsbedürftige Krankheit bereits eingetreten ist. Dazu besteht Anlass, soweit die konkreten Umstände im Einzelfall eine nähere Abklärung der gesundheitlichen Situation angezeigt erscheinen lassen, um entscheiden zu
können, ob Maßnahmen zur Heilung einer Erkrankung eingeleitet werden müssen oder nicht. Solche anlassbezogenen Untersuchungsleistungen sind jedoch nicht nach den Nrn. 157/01730 EBM abrechnungsfähig.
Soweit sich der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 auf frühere Quartale als 3/2004 erstreckt, ist die Ausschlussfrist von vier Jahren für sachlich-rechnerische Berichtigungen nicht gewahrt. Dies wird auch für das Quartal 2/2004 gelten. Nach den Erkenntnissen der Kammer aus anderen Verfahren tragen Abrechnungsbescheide für dieses Quartal das Ausfertigungsdatum 25.10.2004. Bei der üblichen Übermittlung durch die Post gilt der Bescheid, wenn er am selben Tage mit einfachem Brief abgesandt worden ist, als am 28.10.2004 bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)). Der per Einschreiben mit Rückschein zur Post gegebene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28.10.2008 gilt nach § 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) als am 31.10.2008 dem Antragsteller bekannt gegeben und liegt damit außerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Nach Ablauf dieser Frist ist eine Richtigstellung auf der Rechtsgrundlage der bundesmantelvertraglichen Richtigstellungsvorschriften ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X möglich (BSG, Urteil vom 28.03.2007 - B 6 KA 26/06 R -). Danach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit (Nr. 3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Voraussetzung für die teilweise Aufhebung der Honorarbescheide ist danach nicht die vorsätzlich falsche Abrechnung. Andererseits reicht leichte Fahrlässigkeit des Arztes oder des von ihm beauftragten Personals nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -).
Es mag einer Entscheidung in der Hauptsache aufgrund mündlicher Verhandlung, in der die Kammer auch mit zwei Vertragsärzten als ehrenamtlichen Richtern besetzt sein wird (§ 12 Abs. 1 SGG), vorbehalten bleiben, ob vorliegend grobe Fahrlässigkeit angenommen werden kann. Die Berufung des Antragstellers darauf, dass das von ihm seinerzeit verwendete Abrechnungssystem Medistar keinen Hinweis darauf zur Verfügung gestellt habe, dass Versicherte nur einmal jährlich Anspruch auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen hätten, entlastet ihn nicht wirklich. Allein verantwortlich für die vollständige und richtige Abrechnung und damit bereits für die Eingabe der entsprechenden Daten in das Abrechnungssystem ist der Vertragsarzt selbst. Im Übrigen wird der Antragsteller, der seine Praxis zwischenzeitlich aus Altersgründen aufgegeben hat, langjährig zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen gewesen sein. Es wird daher auch zu bewerten sein, ob die Kenntnis einer lediglich jährlichen Anspruchsberechtigung von Frauen auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nicht zum Allgemeingut eines erfahrenen Gynäkologen gehören müsste. Denn die gesetzliche Regelung wurde bereits durch § 181 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes (BGBl. I 1970, 1770) vor über 30 Jahren eingeführt und durch entsprechende Beschlüsse des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen begleitet.
Selbst wenn aber der Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit nicht erreicht sein sollte und die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Quartale 1/2003 bis 2/2004 als fehlerhaft zu bewerten sein sollten, begründet dies jedenfalls keinen Anordnungsgrund. Allein eine etwaige Rechtsverletzung schafft schon deshalb keinen Anordnungsgrund, weil anderenfalls jedes rechtswidrige Handeln einer Behörde einen Anordnungsgrund erfüllen, mithin zu einer konturenlosen Ausuferung des einstweiligen Rechtsschutzes führen würde (LSG NRW, Beschluss vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER -).
Wesentliche Nachteile, zu deren Abwendung der einstweilige Rechtsschutz erforderlich ist, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Das Honorarvolumen, das auf die Quartale 1/2003 bis 2/2004 entfällt, beläuft sich nach der Auflistung zum Bescheid vom 28.10.2008 auf 240,48 EUR. Es ist in keiner Weise vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die Zahlung dieses Betrages - wie überhaupt der gesamten Forderung von 1.443,01 EUR - für den Antragsteller bis zur Erledigung der Hauptsache unzumutbar wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved