L 6 B 22/08 U

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 U 48/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 B 22/08 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich im Hauptsacheverfahren gegen die Verringerung seiner Unfallrente durch Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen einer Heilungsbewährung. Die Beklagte leistete dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 3. Dezember 1992, beginnend für August 1990, eine Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 92 der Liste der Berufskrankheiten der DDR bzw. Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung. Als Krankheitsfolgen bezeichnete sie eine Beeinträchtigung der Atem- und Kreislauffunktion infolge Einwirkung ionisierender Strahlen. Im Rahmen einer Überprüfung holte die Beklagte ein Gutachten der Ärztin für Innere Medizin/Pneumologie Dr. J. vom 27. August 2004 ein, die die Auffassung vertrat, die Berufskrankheitsfolgen in Form des Verlustes der rechten Lunge, von Störungen des Gasaustausches und einer Beeinträchtigung der Atemfunktion bedingten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 v. H ... Nach nunmehr weit über zehnjährigem Verlauf kämen Gesichtspunkte der Heilungsbewährung nicht mehr zum Tragen. Ein Rückfall sei auch nicht mehr wahrscheinlich. Daher sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den beruflich bedingten Einschränkungen zu beurteilen. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 stellte die Beklagte ab November 2004 die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit einem entsprechenden Rentenanspruch fest und führte aus, der als Berufskrankheit anerkannte Bronchialkrebs sei seit 14 Jahren nicht rückfällig geworden. Die Bewertung sei jetzt nach den aktuell vorliegenden Erkrankungsfolgen vorzunehmen. Den Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Bescheid vom 16. März 2005 zurück und führte aus, nach Eintritt einer Heilungsbewährung sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschließlich nach den noch bestehenden Funktionsausfällen zu messen. Mit der Klage vor dem Sozialgericht Halle vom 24. März 2004 hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, die Gutachterin habe seine Beschwerdeschilderung falsch wiedergegeben. Eine Heilungsbewährung könne nicht eintreten, weil der linke Lungenflügel nicht nachwachsen könne. Unzureichend berücksichtigt sei eine berufliche Exposition gegenüber Asbest. Nach Einholung von Befundberichten hat das Sozialgericht den Beschwerdeführer auf eine Antragstellung nach § 109 SGG verwiesen und auf den Antrag gegen Vorschusszahlung ein Gutachten von Prof. Dr. Dr. Sch. vom 6. Dezember 2006 eingeholt, dessen fachärztliche Ausbildungsrichtung dem Gutachten nicht zu entnehmen ist. Er hat ausgeführt, erst nach der letzten Untersuchung wären Befunde erhoben worden, die eine extreme Befundverschlechterung durch Verschluss und Verengung dreier Herzkranzgefäße bewiesen. Dies führe auch zu einer Verschlechterung der Atmungsfunktion. Insoweit handele es sich bei den Befunden im Herz- und Atmungsbereich um eine funktionelle Einheit. Andere Veränderungen der Befunde habe schon Dr. J. verneint, was eine Neueinschätzung ausgeschlossen habe. Der Fall einer Heilungsbewährung liege schon dem Ansatz nach nicht vor. Im Hinblick auf die cardiopulmonale Funktionseinheit belaufe sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 100 v. H ... Die Lungenfunktionsprüfungen hat der Sachverständige durch eine Lungenfachärztin durchführen lassen. Mit Urteil vom 20. August 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Folgen der anerkannten Berufskrankheit beim Beschwerdeführer hätten sich unter dem Aspekt der Heilungsbewährung wesentlich gebessert. Der Bronchialkrebs gelte jetzt als geheilt, weil über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren keine Rückfälle oder Fernabsiedlungen aufgetreten seien. Durch den Gedanken der Heilungsbewährung werde der psychischen Belastung während der Zeit der Rückfallgefahr Rechnung getragen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei während der Zeit der Heilungsbewährung über die Bewertung der reinen Funktionseinschränkungen des betroffenen Organs hinaus festzusetzen, wenn sich eine lebensbedrohende, zu Rückfällen neigende Erkrankung darüber hinaus auf das Erwerbsleben auswirke. Für die spätere Herabsetzung sei aber eine Besserung der Funktionsbeeinträchtigungen oder bezüglich sonstiger Gesichtspunkte erforderlich, die der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu Grunde gelegt worden seien. Die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers sei ursprünglich für den Verlust des rechten Lungenlappens zu hoch gewesen, so dass offensichtlich typische Gesichtspunkte einer Heilungsbewährung wie Antriebsarmut, Hoffnungslosigkeit und Anspannung in die Bewertung eingeflossen seien. Davon sei hier auszugehen, weil Bronchialkrebs häufig tödlich verlaufe und bis zu einer Änderung der Rechtsprechung im Jahre 2004 als allgemeine Bewertungsregel für die Unfallversicherung bei Krebserkrankungen für fünf Jahre eine Basisminderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H. empfohlen worden sei. Eine frühere Erhöhung unter diesem Gesichtspunkt könne der Unfallversicherungsträger weiterhin entziehen. Unschädlich sei, dass eine Berücksichtigung der Heilungsbewährung aus dem Bescheid nicht hervorgehe; insoweit handele es sich allenfalls um die Begründung des Bescheides, die an seiner Bestandskraft nicht teilhabe. Es sei zudem eine gewisse Besserung durch Anpassung und Gewöhnung an die Entfernung des rechten Lungenlappens eingetreten. Während es nach Angaben des Beschwerdeführers gegenüber Dr. St. nach dessen Befundbericht vom 17. September 1990 bei geringsten körperlichen Belastungen zu Luftnot gekommen sei, habe sich die Luftnot nach dem Gutachten von Dr. J. in den folgenden Jahren geringfügig gebessert. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v. H. ergebe sich schlüssig aus dem Gutachten von Dr. J ... Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 v. H. sei nach anerkannten Tabellenwerten erst bei ausgeprägter Atemnot schon in Ruhe und einer eingeschränkten Atemmechanik gerechtfertigt. Dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. Sch. folge das Gericht nicht, weil es auf die Verschlechterung nach einer Bypass-Operation im Jahre 2005 nicht ankomme und er nicht zwischen Folgen der Berufskrankheit und davon unabhängigen Leiden unterscheide. Im Hinblick auf das erstmalige Auftreten der Herzerkrankung vor der Berufskrankheit sei eine genaue Unterscheidung erforderlich. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2008 hat das Sozialgericht die Übernahme der Kosten des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. Sch. auf die Staatskasse abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, das Gutachten sei weder Grundlage eines für den Beschwerdeführer günstigen Urteils gewesen noch habe es neue, entscheidungserhebliche Erkenntnisse erbracht. Auf den Vorschlag einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit als solchen käme es nicht an, da es sich dabei um Rechtsanwendung handele. Wegen der fehlenden Unterscheidung zwischen berufskrankheitsbedingten und anderen Leiden sei das Gutachten als Entscheidungsgrundlage ungeeignet. Die für den Eintritt einer Heilungsbewährung nötigen Befunde seien bereits durch das Gutachten von Dr. J. ausreichend ermittelt gewesen. Auf die von Prof. Dr. Dr. Sch. dargestellte Verschlechterung der Gesamtsituation nach einer Bypassoperation im Jahre 2005 komme es nicht an. Deshalb sei das Gericht auch nicht gehalten gewesen, auf der Grundlage des Gutachtens neue Ermittlungen zu veranlassen. Gegen den ihm am 30. Oktober 2008 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Eingangsdatum vom 11. November 2008 Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, das Gutachten von Prof. Dr. Dr. Sch. sei schon deswegen erforderlich gewesen, weil es sich bei dem Gutachten von Dr. J. um ein "Falschgutachten" handele. In der Erwägung, dass sein Lungen- und Herzleiden sich ergänzten, liege die wesentliche Aussage des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. Sch ... Diese Aussage dürfe das Sozialgericht nicht übergehen, weil es sich dann medizinische Kenntnisse anmaße. Alle im Gut-achten von Prof. Dr. Dr. Sch. enthaltenen Fremdbefunde habe das Sozialgericht ignoriert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 10. November 2008, Bl. 15 – 26 der Beschwerdeakte, Bezug genommen. Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 8. Oktober 2008 aufzuheben und die Kosten für das Gutachten von Prof. Dr. Dr. Sch. vom 6. Dezember 2006 auf die Staatskasse zu übernehmen. Der Beschwerdeführer hat auch gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 8. Oktober 2008 Berufung eingelegt. Hier trägt er zusätzlich vor, der Grad der Behinderung sei inzwischen mit 80 festgestellt. Neben der Berufungsakte L 6 U 89/08 hat bei der Entscheidungsfindung die Akte der Beklagten des Hauptsacheverfahrens – Az. 42/7879/92 – vorgelegen.

II.

Die gem. § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. Sch. auf die Staatskasse. Für das bei der Entscheidung nach § 109 Abs. 1 S. 2 SGG bestehende Ermessen ist leitend, ob das Gutachten die Beweislage des Beschwerdeführers verbessert oder neue, entscheidungserhebliche Erkenntnisse vermittelt. Beides ist hier – auch im Hinblick auf einen etwaigen Erfolg des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren – ausgeschlossen.

Inwieweit der Gedanke der Heilungsbewährung bei Erlass des Bescheides vom 3. Dezember 1992 zum Tragen gekommen ist, ist eine Frage der Auslegung des Bescheides nach den damaligen Umständen. Dazu vermittelt Prof. Dr. Dr. Sch. keine neuen Erkenntnisse; dies ist auch nicht die Aufgabe eines Sachverständigen, weil es sich um rechtliche Würdigung handelt.

Inwieweit der Gedanke des Ablaufs der Heilungsbewährung eine Aufhebung rechtfertigen kann, hängt nicht allein von medizinischen Erhebungen ab. Dass dies zu jeder Zeit nach Ablauf der Bewährungsfrist denkbar ist, ist eine ausschließlich rechtliche Wertung. Die Auffassung des Sachverständigen, eine Heilungsbewährung sei schon dem Ansatz nach ausgeschlossen, bezieht sich auf eine Rechtsfrage, zu deren Beantwortung der Sachverständige nicht berufen ist.

Soweit es danach für die Hauptsacheentscheidung des Senats auf die medizinische Beurteilung ankommen kann, führen die tatsächlichen medizinischen Erhebungen des Sachverständigen bzw. der von ihm eingeschalteten Hilfspersonen nicht zu einer Lösung des Falles, weil der Sachverständige keine Trennung der Unfallfolgen von anderen Funktionsbeeinträchtigungen vornimmt. Soweit der Beschwerdeführer dazu die Auffassung vertritt, die Behauptung des Sachverständigen, Herz- und Lungenfunktion ließen sich nicht trennen, sei richterlich ohne Anmaßung medizinischer Kenntnisse nicht zu würdigen, würde das Gutachten nicht zu einem Erfolg der Klage bzw. Berufung führen. Im Hinblick auf die rechtliche Vorgabe des § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII, die Erwerbsminderung "infolge eines Versicherungsfalls" abzugrenzen, könnte dies nur zu einer Beweislastentscheidung des Inhalts führen, dass sich Folgen der Berufskrankheit nicht feststellen ließen. Denn die nach Meinung des Sachverständigen einheitlich zuzuordnenden Folgen müssten dann der durch den Herzinfarkt im Jahre 1985 dokumentierten Herzkrankheit zugeordnet werden, weil diese vor dem ersten Nachweis der Lungenkrebserkrankung vorlag.

Dem gegenüber wäre aber der vor der Lungenkrebserkrankung bestehende Vorschaden am Herzen zu beschreiben und bei der Bewertung der zeitlich nachfolgenden Verschlimmerung durch die Lungenkrebserkrankung mindernd zu bewerten. Die Erkenntnis dieser Möglichkeit setzt keine medizinische Sachkenntnis, sondern folgerichtiges Denken im Rahmen der rechtlichen Vorgaben voraus. Das Übersehen dieser Aufgabe durch den Sachverständigen begründet auch darüber hinaus Zweifel an seiner pauschalen Behauptung, es lasse sich keine Abgrenzung zwischen der Herz- und der Lungenfunktionsstörung vornehmen. Demzufolge könnte das Gericht, sollte es eine Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Jahre 2005 vornehmen müssen, auf das Gutachten von Prof. Dr. Dr. Sch. nicht zurückgreifen.

Die im Auftrag von Prof. Dr. Dr. Sch. erhobenen Befunde tragen ebenfalls nicht zu einem Erfolg der Klage oder allgemein zur Aufklärung bei. Maßgeblich für die Entscheidung über die nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG allein statthafte Anfechtungsklage ist die Lage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung durch Widerspruchsbescheid vom 16. März 2005. Eine Lungenfunktionsprüfung ist ausweislich des Befundberichts von Dr. med. L. zeitnäher als die von Prof. Dr. Dr. Sch. veranlasste am 7. April 2005 durchgeführt worden; deren Fehlerhaftigkeit behauptet der Sachverständige nicht. Gleiches gilt für EKGe. Eine Blutgasanalyse hat Dr. J. zeitnäher zur Entscheidung durchgeführt. Gegen deren Richtigkeit ergeben sich auch vor dem Hintergrund der Beanstandungen des Beschwerdeführers gegen die Berücksichtigung seiner Angaben keine Bedenken, zumal sie teilweise schlechtere Werte ergibt, als die vom Sachverständigen veranlasste.

Der Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.

gez. Eyrich gez. Dr. Mecke gez. Boldt
Rechtskraft
Aus
Saved