L 6 R 165/06 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 RA 1960/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 165/06 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Kostenentscheidung in dem Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 12. Januar 2006 wird aufgehoben, soweit dem Kläger darin Kosten nach § 192 des Sozialgerichts¬gesetzes auferlegt worden sind.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrte in der Hauptsache die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz.

Er hatte im Juli 1975 einen Ingenieurabschluss erlangt und war von 1978 bis Juni 1990 als Elektro¬ingenieur im VEB Bau- und Montagekombinat E., Kombinatsbetrieb Industrie¬bau¬projektierung, tätig.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zusatzversorgungszeiten mit Bescheid vom 11. März 2004 und Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2004 ab, weil die am 30. Juni 1990 ausgeübte Beschäftigung nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden sei.

Die dagegen bei dem Sozialgericht Gotha erhobene Klage hat der Kläger damit begründet, dass der Betrieb offensichtlich dem Bauwesen zuzuordnen sei. In der Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2006 ist nur vermerkt: "Der Vorsitzende weist auf die objektive Aussichtslosigkeit der Klage hin und erteilt den Hinweis auf § 192 SGG.". Mit Urteil vom selben Tage hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger Verschuldenskosten in Höhe von 300,00 EUR auferlegt. Nach der Begründung des Urteils scheitert der geltend gemachte Anspruch bereits an dem Umstand, dass der rechtlich selbständige Kombinatsbetrieb kein Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens war. Abgesehen davon sei der Kläger an dem Stichtag nicht mehr in einem volkseigenen Betrieb, sondern in einer GmbH tätig gewesen. Die Kammer nehme insoweit Bezug auf den beigezogenen Handelsregisterauszug, wonach die Rechts¬nachfolgerin, die T. GmbH, am 29. Juni 1990 eingetragen wurde.

Mit der dagegen eingelegten Berufung hat sich der Kläger insbesondere auch gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten gewandt. Er habe von dem Kammervorsitzenden des Sozialgerichts keinerlei Unterlagen bekommen, die die Entscheidung in dem Urteil nachvollziehbar machten. Die Beklagte hat sodann auf Anforderung des damaligen Berichterstatters die Privatisierungsunterlagen zum VEB Bau- und Montagekombinat E., Kombinatsbetrieb Industriebauprojektierung, unter anderem einen Auszug aus dem Register der volkseigenen Wirtschaft der DDR sowie einen Handelsregisterauszug des Nachfolgebetriebes vorgelegt.

In der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2007 hat der Kläger auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden die Klage zurückgenommen und beantragt,

im Beschlussverfahren über die Mutwillenskosten nach § 192 SGG zu entscheiden.

Die Beklagte hat sich zu der Kostenfrage nicht geäußert.

II.

Durch die Klagerücknahme hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der bis 31. März 2008 geltenden Fassung). Nach § 102 Satz 3 SGG ist auf Antrag diese Wirkung durch Beschluss auszusprechen und, soweit Kosten entstanden sind, über diese zu entscheiden. Nach § 192 Abs. 2 Satz 1 SGG (in der Fassung des am 2. Januar 2002 in Kraft getretenen Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001) wird zwar die Entscheidung über die Auferlegung von Verschuldenskosten in ihrem Bestand nicht durch die Rücknahme der Klage berührt. Sie kann jedoch nach § 192 Abs. 2 Satz 2 SGG durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung an, dass die Beschwerde nach Klagerücknahme im Rechtsmittelverfahren als isoliertes Rechtsmittel gegen die Kosten¬entscheidung des Sozialgerichts nach § 192 Abs. 1 SGG statthaft ist (vgl. Beschlüsse des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 10. Juni 2004 – Az.: L 3 U 15/04, LSG Baden-Württemberg vom 18. November 2005 – Az.: L 8 SB 3940/05 AK-A, LSG Sachsen-Anhalt vom 1. Juni 2006 – Az.: L 7 V 2/06, LSG Niedersachsen-Bremen vom 8. August 2006 – Az.: L 9 SB 42/05, LSG Berlin-Brandenburg vom 23. Mai 2007 – Az.: L 8 B 1695/07 R, alle nach juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 192 Rdnr. 20a; Groß in Lüdtke (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, Handkommentar, 3. Auflage 2009, § 192 Rdnr. 35; Straßfeld in Jansen (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 2003, § 192 Rdnr. 16). Die Beschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, dem Kläger Verschuldenskosten in Höhe von 300,00 EUR aufzuerlegen, ist aufzuheben, weil die Voraus¬setzungen hierfür nicht vorliegen. Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechts¬streites hingewiesen worden ist.

Die Darlegung der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung soll dem Betroffenen ermög¬lichen, dieses einzusehen; sie muss dazu geeignet sein und im jeweiligen Fall zumindest einen einsichtigen Verfahrensbeteiligten voll überzeugen können (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. Juni 2006 – Az. L 7 V 2/06, nach juris). Der dem Kläger und seiner Bevollmächtigten von dem Kammervorsitzenden in der mündlichen Verhandlung erteilte Hinweis genügt diesen Anforderungen nicht.

Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 12. Januar 2006 hat der Vorsitzende "auf die objektive Aussichtslosigkeit der Klage hin(gewiesen) und den Hinweis auf § 192 SGG (erteilt)". Weitere Angaben finden sich nicht. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierzu im Erörterungstermin am 8. Mai 2006 ausgeführt, sie habe von dem Kammer¬vorsitzenden keine Unterlagen bekommen, die die Entscheidung in dem Urteil für sie nachvollziehen ließen. Letztlich sei sie davon überrascht worden. Das erscheint dem Senat insbesondere angesichts des Umstandes nachvollziehbar, dass sich in der Akte des Sozialgerichts keinerlei Unterlagen zu dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers befinden, diese vielmehr von der Beklagten erst im Laufe des Berufungsverfahrens vorgelegt wurden. Aus der Sitzungsniederschrift geht auch nicht hervor, dass derartige – z. B. aus einem anderen Verfahren beigezogene – Unterlagen Gegenstand der Verhandlung waren und dem Kläger übergeben wurden. Von der Umwandlung des Betriebes in eine GmbH am 29. Juni 1990 musste dieser daher im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Kenntnis haben; auf eine bloße, nicht durch den Handelsregisterauszug belegte Auskunft des Vorsitzenden musste er nicht "blind" vertrauen. Dass der Beschäftigungsbetrieb am maßgeblichen Stichtag, dem 30. Juni 1990, kein VEB mehr war, kann daher nicht zur Begründung der Missbräuch¬lichkeit der Fortführung des Verfahrens herangezogen werden.

Weiter ging der Kläger noch in der Berufungsbegründung davon aus, dass der Kombinats¬betrieb Industriebauprojektierung (im Hinblick auf den Betriebszweck) ein "VEB im Sinne der Recht¬sprechung des BSG" war und das Sozialgericht zu Unrecht nur bauausführende Betriebe als Baubetriebe verstand. Weder der Sitzungsniederschrift noch dem Urteil des Sozialgerichts ist zu entnehmen, dass tatsächlich die Rechtsprechung des BSG erörtert wurde.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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