L 12 AL 739/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 1212/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 739/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und die Erstattung von Leistungen in Höhe von 1.138,34 EUR sowie eine Kostenentscheidung in einem Widerspruchsverfahren wegen Nachbewilligung des Alg nach dem ursprünglichen Bewilligungszeitraum.

Die 1967 geborene Klägerin war zuletzt ab 22. Juli 2002 als Physiotherapeutin versicherungspflichtig beschäftigt. Am 27. Dezember 2005 kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31. Januar 2006 und meldete sich am 17. Januar 2006 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte, ohne eine Sperrzeit festzustellen, Alg beginnend ab 1. Februar 2006 für die Dauer von 360 Kalendertagen mit einem Leistungssatz von 24,22 EUR täglich. Die Klägerin führte gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber ein arbeitsgerichtliches Verfahren u.a. wegen der Abgeltung nicht genommenen Urlaubs. Mit Urteil vom 26. Mai 2006 verurteilte das Arbeitsgericht G. (4 Ca 63/06) den Arbeitgeber der Klägerin zur Zahlung von 2.795,10 EUR brutto als Urlaubsabgeltung für das Jahr 2005 (33 Urlaubstage), hinsichtlich der geltend gemachten Urlaubsabgeltung für das Jahr 2004 wies es die Klage ab. Durch Rücknahme der von der Klägerin eingelegten Berufung am 14. September 2007 wurde das Urteil rechtskräftig.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 19. Dezember 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass für die Zeit vom 1. Februar bis 17. März 2006 kein Anspruch auf Alg bestehe, da während dieser Zeit der Anspruch wegen Urlaubsabgeltung geruht habe. Die Erstattungsforderung des überzahlten Alg wurde auf 1.138,34 EUR festgesetzt. Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2008 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 17. März 2008 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage (S 6 AL 1212/08).

Mit weiteren Bescheiden vom 27. Februar 2008 bewilligte die Beklagte zum einen für die Zeit vom 31. Januar 2007 bis 16. März 2007 (46 Tage) Alg nach und teilte der Klägerin zugleich mit, dass für die Zeit vom 31. Januar 2007 bis 5. März 2007 keine Auszahlung und am 6. März 2007 nur eine anteilige Auszahlung in Höhe von 21,92 EUR erfolge wegen eines vom Grundsicherungsträger geltend gemachten Erstattungsanspruch in Höhe von 850,00 EUR. Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2008 zurückwies.

Hiergegen richtet sich die am 23. Mai 2008 zum SG erhobene Klage (S 6 AL 2274/08).

Das SG hat mit Beschluss vom 25. Juni 2008 beide Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor, ihr Anspruch auf Alg habe nicht geruht, weil die erhaltene Urlaubsabgeltung den nicht genommenen Urlaub für das Jahr 2005 betroffen habe, in dem sie noch nicht arbeitslos gewesen sei. Hinsichtlich der zweiten Klage nehme sie ihren Widerspruch gegen die Bescheide vom 27. Februar 2008 in der Hauptsache zurück und wende sich nur noch dagegen, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 21. April 2008 die notwendigen Kosten ihres Bevollmächtigten nicht übernommen habe.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2008 hat das SG die Klagen abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe sich auf § 143 Abs. 3 S. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) stützen können. Der Alg-Anspruch der Klägerin habe nach § 143 Abs. 2 SGB III geruht. Die Klägerin habe mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses noch eine Abgeltung für 33 Tage nicht genommenen Urlaubs zu verlangen. Der Rechtsansicht der Klägerin, es komme auf den Zeitraum an, in dem der Anspruch auf den (nicht genommenen) Urlaub bestanden habe, könne nicht gefolgt werden. Urlaubsabgeltung werde immer "für" Zeiten gewährt, die in der Vergangenheit und noch im Arbeitsverhältnis gelegen hätten. Der Ruhenszeitraum umfasse auch 47 Tage. Alg werde für Kalendertage bewilligt, Urlaub für Werktage. Zu den abgegoltenen 33 Urlaubstagen seien noch die im (fiktiven) Urlaubszeitraum liegenden Samstage und Sonntage zuzurechnen. Die Klägerin habe das Alg auch zurückzahlen müssen. Der Arbeitgeber habe ihr die Urlaubsabgeltung ausgezahlt, obwohl der Anspruch hierauf nach § 115 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf die Beklagte übergegangen gewesen sei.

Die Klägerin könne von der Beklagten nicht die Erstattung der Kosten aus dem Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 27. Februar 2008 verlangen. Sie habe mit diesem Widerspruch keinen Erfolg gehabt, denn sie habe ihn zurückgenommen. Auch aus Billigkeitserwägungen bestehe kein Kostenerstattungsanspruch, denn die Klägerin hätte auch keinen Erfolg haben können. Die Beklagte habe zu Recht das Alg nach dem Ende des ursprünglichen Bezugszeitraums nachbewilligt. Gegen die Nachbewilligung sei der Widerspruch mangels Beschwer unzulässig gewesen, gegen die Verrechnung mit der Erstattungsforderung des Grundsicherungsträgers sei der Widerspruch unbegründet gewesen, da die Beklagte nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X zur Befriedigung des Erstattungsanspruchs verpflichtet gewesen sei.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 14. Januar 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, 16. Februar 2009 eingelegte Berufung der Klägerin. Die Klägerin sei in der Zeit vom 23. August 2004 bis Anfang Februar 2006 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Das Arbeitsgericht G. habe die Auffassung vertreten, dass der gesamte arbeitsvertragliche Jahresurlaub 2005 in Höhe von 33 Tagen der Klägerin noch zustehe, da dieser gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) auf das 1. Quartal 2006 übertragen worden sei. Da wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich gewesen sei, von der Arbeitspflicht befreit zu werden, bestehe als Ersatz der Urlaubsabgeltungsanspruch. Exakt diese Besonderheit berücksichtige das SG nicht. § 143 Abs. 2 SGB III sei nicht anwendbar, weil die Klägerin nicht wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung zu erhalten oder zu beanspruchen hatte, sondern aufgrund der Tatsache, dass sie während des gesamten Jahres 2005 andauernd erkrankt gewesen sei. Nur aus diesem Grund sei der arbeitsvertragliche Jahresurlaub 2005 auf das 1. Quartal 2006 übertragen worden. Folglich habe die Beklagte nicht ein Ruhen des Alg-Anspruches der Klägerin feststellen und sie entsprechend zur Rückzahlung verpflichten dürfen. Im Hinblick darauf, dass die Beklagte die Klägerin durch den Bescheid vom 19. Dezember 2007 gezwungen habe, für den Zeitraum 1. Februar bis 17. März 2006 Arbeitslosengeld II zu beantragen, sei die Beklagte verpflichtet, die Kosten des Bevollmächtigten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 27. Februar 2008 zu tragen. Die Beklagte habe nach Auffassung der Klägerin zu Unrecht den Anspruch auf Alg für den genannten Zeitraum abgesprochen und diesen dann nach dem Ende des ursprünglichen Bezugszeitraums nachbewilligt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Dezember 2008 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 19. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2008 zu verurteilen, ihr ihre notwendigen Kosten für das Vorverfahren über ihren Widerspruch gegen die Bescheide vom 27. Februar 2008 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es handele sich vorliegend um keinen Sonderfall, bei dem § 143 Abs. 2 SGB III nicht anzuwenden wäre. Maßgeblich sei nicht, warum ein Urlaubsabgeltungsanspruch bestehe, sondern dass ein solcher Anspruch bestehe. Die Urlaubsabgeltung sei ein Surrogat für einen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Urlaubsanspruch. Im Übrigen werde auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils sowie den Vortrag der Beklagten in erster Instanz Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat weist die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser beabsichtigten Verfahrensweise gehört wurden, sie haben keine Bedenken gegen das vorgesehene Beschlussverfahren geltend gemacht.

Die form- und fristgerechte eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 SGG) ist statthaft (§ 143 SGG), da der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Die zulässige Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die Klägerin ist § 143 Abs. 3 S. 2 SGB III. Danach hat der Bezieher des Alg dieses zu erstatten, sobald der Arbeitgeber an den Arbeitslosen eine Urlaubsabgeltung mit befreiender Wirkung gezahlt hat. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen eigenständigen, auf die Besonderheiten der Gleichwohlgewährung abgestimmten Erstattungsanspruch, welcher gegenüber §§ 44 ff. SGB X eine vorrangige Spezialregelung darstellt (Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-4100 § 117 Nrn. 3 und 9). Die Beklagte hat sich vorliegend im Widerspruchsbescheid zutreffend auf diese Vorschrift gestützt, so dass es unerheblich ist, dass sie in den Ausgangsbescheiden vom 19. Dezember 2007 noch auf die Regelungen der §§ 48, 50 SGB X zurückgegriffen hatte.

Nach § 143 Abs. 2 S. 1 SGB III ruht der Anspruch auf Alg der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 17. März 2006. Die Klägerin hat insoweit wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten, weshalb der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs ruht. Nach dem Urteil des Arbeitsgerichts G. vom 26. Mai 2006 steht zwischen Klägerin und ihrem Arbeitgeber bindend fest, dass die Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Januar 2007 nur noch Anspruch auf 33 Kalendertage Urlaub aus dem Jahr 2005 hatte. Das arbeitsgerichtliche Urteil hat insoweit Tatbestandswirkung und ist auch vom Senat zu beachten (BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 141 Rdnr. 6d). Der Senat hat insoweit auch nicht zu überprüfen, ob der Klägerin ggf. für 2004 ebenfalls noch Urlaubsabgeltung zustand (vgl. insoweit Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - (juris) unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung). Anders als die Klägerin meint, hat sie die Urlaubsabgeltung auch wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten. Darauf, dass die Klägerin im gesamten Jahr 2005 arbeitsunfähig krank war, kommt es insoweit nicht an. Eine Abgeltung des Urlaubs wäre ohne Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgt, denn bei Fortsetzung hätte die Klägerin nach Beendigung ihrer Arbeitsunfähigkeit ab Februar 2006 den Urlaub nehmen können. Damit liegt der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen Urlaubsabgeltung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 5; Urteil vom 29. Juli 1993 - 11 RAr 17/92 - (juris)).

Die Beklagte hat den Ruhenszeitraum auch zutreffend berechnet. Dieser beginnt mit dem ersten Tag, der auf das Ende des Arbeitsverhältnisses folgt und läuft kalendermäßig ab. Das Ende des Ruhens ist festzustellen, in dem ermittelt wird, welches der letzte Urlaubstag gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 1993, a.a.O.). Entsprechend hat die Beklagte zutreffend das Ende des Ruhenszeitraums auf den 17. März 2006 festgesetzt.

Da die Klägerin im Rahmen der Gleichwohlgewährung Alg erhalten hat, ist sie nach § 143 Abs. 3 S. 2 SGB III zur Erstattung verpflichtet, denn der Arbeitgeber hat letztlich mit befreiender Wirkung die Leistung an sie gezahlt. Zwar ist nach § 115 SGB X der Anspruch der Klägerin bis zur Höhe des gezahlten Alg auf die Beklagte übergegangen. Die Beklagte hat den Anspruchsübergang mit Schreiben vom 15. März 2006 dem Arbeitgeber auch angezeigt. Damit konnte der Arbeitgeber zunächst nicht mit befreiender Wirkung an die Klägerin leisten (§ 407 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Nach der Rechtsprechung des BSG kann die Arbeitsagentur die befreiende Wirkung der Zahlung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer jedoch herbeiführen, indem sie die Zahlung genehmigt (BSG SozR 3-4100 § 117 Nrn. 3, 6 und 7), was auch konkludent geschehen kann. Die befreiende Wirkung der Arbeitgeberleistung tritt dann ex tunc nach §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 2 BGB ein. Der Sache nach wird der Beklagten insoweit die Auswahl des Schuldners ermöglicht (vgl. auch BSG SozR 3-4100 § 117 Nrn. 16, 18; BSG, Beschluss vom 4. Dezember 2000 - B 11 AL 213/00 B - (juris)).

Die Höhe der Erstattungsforderung ist zutreffend berechnet (47 Tage à 24,22 EUR).

Hinsichtlich der noch geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 21. April 2008) ist die Berufung ebenfalls unbegründet. Insoweit war die zum SG erhobene Klage zwar zulässig, da die Kostenentscheidung eines Widerspruchsbescheids isoliert aus von der Hauptsache unabhängigen Gründen angefochten werden kann; § 144 Abs. 4 SGG findet insoweit keine Anwendung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. September 1992 - 8 C 16/90 - (juris)). Die im Widerspruchsbescheid getroffene Kostenentscheidung ist indes in der Sache nicht zu beanstanden, insoweit wird auf die Ausführungen des SG Bezug genommen und die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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