L 13 AS 2583/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1569/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2583/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit zulässig.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) ist dann gegeben, wenn es den Antragstellern nicht zuzumuten ist, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, weil ansonsten schwere, schlechthin unzumutbare Nachteile entstehen (st. Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 25. November 2005, Az.: L 13 AS 4106/05 ER-B). Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn ein materiell- rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung glaubhaft, d.h. überwiegend wahrscheinlich, gemacht ist (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller begehrt zunächst, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die tatsächlichen Unterkunftskosten, abzüglich der Warmwasserpauschale bis zum Auffinden einer angemessenen Wohnung zu übernehmen. Auch sein (zusätzlich) gestellter Antrag, eine angemessene Mietobergrenze festzulegen, ist sachdienlich in diesem Sinn auszulegen. Jedoch ist ein Anordnungsanspruch hierauf nicht glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin hat in nicht zu beanstandender Weise der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch -Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II) ab dem 1. April 2009 nur noch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu Grunde gelegt. Der dem Grund nach bestehende Anspruch des Antragstellers auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) umfasst auch die Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Diese werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (vgl § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Welche Kosten für Unterkunft und Heizung im Falle des Klägers angemessen sind, ist nach der sog. Produkttheorie zu bestimmen (BSG, Urteile vom 7. November 2006, Az.: B 7 b AS 10/06 R und B 7 b AS 18/06 R Urteil vom 27. Februar 2008; Az.: B 14/7b AS 70/06 R; Urteil vom 18. Juni 2008, Az.: B 14/7b AS 44/06 R). Hierbei sind die Wohnungsgröße und Wohnungsstandard, wie er regelmäßig im Quadratmeterpreis zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen, wobei nicht beide Faktoren -Wohnungsgröße und Wohnungsstandard- isoliert betrachtet "angemessen" sein müssen. Angemessen sind die Kosten, wenn und solange das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) nicht überschreitet (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, Az.: B 4 AS 30/08 R). Zur Bestimmung der Angemessenheit der Wohnungsgröße ist nach der Rspr. des BSG auf die Werte zurückzugreifen, die die Bundesländer auf Grund des § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) festgesetzt haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 18/06 R; Urteil vom 18. Juni 2008, Az.: B 14/7b AS 44/06 R; Urteil vom 19. Februar 2009, Az.: B 4 AS 30/08 R). Nach § 10 WoFG können die Länder im geförderten Wohnungsbau Grenzen für Wohnungsgrößen festlegen, bis zu denen eine Förderung in Betracht kommt. Dabei muss die Größe der zu fördernden Wohnung entsprechend ihrer Zweckbestimmung "angemessen" sein (so § 10 Abs. 1 Nr. 1 WoFG). Nach der zum Vollzug des Wohnraumförderungsgesetzes und des Wohnungsbindungsgesetzes erlassenen Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg zur Sicherung von Bindung in der sozialen Wohnraumförderung vom 12. Februar 2002 (GABl. 240) in der Fassung vom 22. Januar 2004 (GABl 248) ist für einen Alleinstehenden eine Gesamtwohnfläche von 45 m², für einen Haushalt mit zwei Haushaltsangehörigen eine Wohnfläche von bis zu 60 m² bzw. zwei Wohnräumen, für einen Haushalt mit drei Haushaltsangehörigen eine Wohnfläche von bis 75 m² oder drei Wohnräumen und bei einen Haushalt mit vier Haushaltsangehörigen eine Wohnfläche von bis 90 m² oder vier Wohnräume angemessen (Nr. 5.7.1. der Verwaltungsvorschrift). Der Wohnungsstandard ist angemessen, wenn die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Standard aufweist, es sich um eine "Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt" handelt ("lediglich einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung" [BSG, Urteil vom 7. November 2006; Az.: B 7b AS 10/06 R]). Hierbei ist im Grundsatz vom Wohnort des Hilfebedürftigen als dem maßgeblichen räumlichen Vergleichsraum auszugehen (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, Az.: B 4 AS 30/08 R). Die Höhe der Aufwendungen, die für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem Wohnungsmarkt aufzuwenden ist, ist anhand der tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen sowie der vermieteten Wohnungen im örtlichen Vergleichsraum zu bestimmen. Diese Aufwendungen spiegeln sich regelmäßig in einem Mietspiegel wieder. Hierbei ist auf die Quadratmeterpreise für Wohnungen im "unteren Mietsegment" abzustellen. Der Antragsteller wohnt in P., einer Stadt mit 119.000 Einwohnern (www. P.de) und einer geschlossenen, einheitlich ausgebauten Infrastruktur. Die vom Kläger bewohnte Wohnung liegt hierbei innerhalb dieses infrastrukturell einheitlichen Stadtgebiets (Quelle: Google Earth). Als örtlicher Vergleichsmaßstab ist daher das gesamte Stadtgebiet heranzuziehen. Der Mietspiegel für die Stadt P. für nicht preisgebundene Wohnungen (Stand Oktober 2008) benennt für Wohnungen mit einfacher Ausstattung einen durchschnittlichen m²- Preis von 4,61 EUR, aus dem sich eine Referenzmiete von 207,45 EUR (45 m² x 4,61 EUR) errechnet, die unterhalb der vom Antragsteller zu entrichtende Kaltmiete von 460,- EUR monatlich liegt; die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung des Antragstellers sind daher nicht angemessen. Die von der Antragsgegnerin als "Mietobergrenze" berücksichtigten und der Leistungsgewährung ab dem 1. April 2009 (zuletzt) zu Grunde gelegten 223,70 EUR liegen sogar noch oberhalb dieses Wertes.

Die Erstattung unangemessener Kosten für Unterkunft und Heizung kommt daher nur dann in Betracht, wenn auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt tatsächlich eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret nicht angemietet werden kann (BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 18/06 R). Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, der bestimmt, dass soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen sind, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Vorschrift begründet eine Obliegenheit zur Kostensenkung (BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, Az.: B 14/7b AS 70/06 R). Der alleinstehende Hilfebedürftige oder die Bedarfsgemeinschaft sind hiernach angehalten, Maßnahmen zur Kostensenkung, bspw. ein Wohnungswechsel, einzuleiten. Kennt der erwerbsfähige Hilfebedürftige, wie vorliegend der Antragsteller nach dem Hinweis der Antragsgegnerin im Bescheid vom 3. Dezember 2008, seine Obliegenheit zur Senkung der Kosten seiner Unterkunft und sind Kostensenkungsmaßnahmen sowohl subjektiv zumutbar als auch möglich, kann er die Erstattung seiner Aufwendungen ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahmen z.B. bei Einhaltung von Kündigungsfristen wirksam werden könnten, nur noch in Höhe der Referenzmiete, also der Aufwendungen für eine angemessene Wohnung verlangen. Nachdem die Kündigung des Mietverhältnisses des Antragstellers gemäß § 573c Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats möglich war, die unangemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung daher ab April 2009 gesenkt werden konnten, ist die "Absenkung" der von der Antragsgegnerin ab dem 1. April 2009 übernommenen Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zu beanstanden. Eine sechsmonatige "Schonfrist" vor Beginn der Kostensenkungsmaßnahmen und Weiterzahlung der unangemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung "im Regelfall" für einen Sechsmonatszeitraum ohne weitere Begründung ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu entnehmen (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, Az.: B 4 AS 30/08 R). Dem Antragsteller waren Kostensenkungsmaßnahmen weder unmöglich, noch unzumutbar. Auf dem Wohnungsmarkt der Stadt Pforzheim standen und stehen ausreichend Wohnungen zur Anmietung bereit, deren Kosten die Grenze der Angemessenheit wahren. Solche sind bereits in den, von der Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Internetauszügen beinhaltet. Der Antragsteller kann deswegen mit seinem Vortrag, für den von der Antragsgegnerin angenommenen m²- Preis seien in Pforzheim keine Wohnung anzumieten, nicht durchdringen. Weitergehende Einschränkungen der Obliegenheit zur Senkung unangemessener Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne subjektiver Unzumutbarkeit bedürfen einer besonderer Begründung. Hierfür kommen insb. grundrechtsrelevante Sachverhalte oder Härtefälle in Betracht. Dazu gehört etwa die Rücksichtnahme auf das soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtiger Kinder, die möglichst nicht durch einen Wohnungswechsel zu einem Schulwechsel gezwungen werden sollten; ebenso kann auf Alleinerziehende Rücksicht genommen werden, die zur Betreuung ihrer Kinder auf eine besondere Infrastruktur angewiesen sind, die bei einem Wohnungswechsel in entferntere Ortsteile möglicherweise verloren ginge und im neuen Wohnumfeld nicht ersetzt werden könnte. Ähnliches kann für behinderte oder pflegebedürftige Menschen bzw. für die sie betreuenden Familienangehörigen gelten, die zur Sicherstellung der Teilhabe behinderter Menschen ebenfalls auf eine besondere wohnungsnahe Infrastruktur angewiesen sind. Nachdem der Antragsteller solche oder ähnliche Gründe nicht für sich reklamieren kann, ist ihm die Kostensenkung auch nicht subjektiv unzumutbar gewesen.

Mithin ist die Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung im Umfang von (zuletzt) 223,70 EUR monatlich, d.h. noch oberhalb der Referenzmiete, ab dem 1. April 2009 nicht zu beanstanden. Ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung ist mithin nicht glaubhaft gemacht.

Soweit der Antragsteller ferner begehrt, die Müllgebühren entsprechend des Abwassergebührenbescheid/ Abfallgebührenbescheid der Stadtwerke Pforzheim vom 25. Februar 2009 in Höhe der zu entrichtenden Abschlagszahlungen von 17,00 EUR monatlich in die Bedarfsrechnung einzubeziehen, hat die Antragsgegnerin die monatlich zu tragenden Abschlagszahlungen von 17,00 EUR bereits in ihrem Änderungsbescheid vom 28. April 2009 ab dem 1. April 2009 bedarfserhöhend berücksichtigt. Nachdem mithin der Anspruch des Antragstellers bereits erfüllt ist, ist ein Anordnungsanspruch insoweit nicht glaubhaft gemacht.

Soweit der Antragsteller die -verzinste- Erstattung der bereits ab dem 1. März 2009 erhöhten monatlichen Abschlagszahlungen begehrt, besteht kein Anordnungsgrund. Nach der st. Rspr. des erkennenden Senats (vgl. Beschluss vom 26. Juli 2006, Az.: L 13 AS 1620/06 ER-B; Beschluss vom 19. November 2008, Az.: L 13 AL 4934/08 ER-B und Beschluss vom 20. Februar 2009, Az.: L 13 AS 5818/08 ER-B) ist es nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, einen finanziellen Ausgleich für in der Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens entstandene Kosten herbeizuführen. Die geltend gemachte Nachzahlung ist vielmehr in dem beim SG anhängigen Hauptsacheverfahren geltend zu machen.

Soweit der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, Leistungen aus der Eingliederungsvereinbarung vom 16. Februar 2009 zu gewähren, ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Die Antragsgegnerin hat sich in der Eingliederungsvereinbarung vom 16. Februar 2009 unter Ziffer 2 dazu verpflichtet, zur Unterstützung der Integrationsbemühungen des Antragstellers den ärztlichen Dienst einzuschalten. Inwieweit dem Antragsteller durch die Nichterfüllung dieser Verpflichtung schwere, schlechthin unzumutbare Nachteile entstehen, ist dem Senat nicht ersichtlich. Es ist dem Antragsteller ohne weiteres zuzumuten, sein Begehren in einem Hauptsachverfahren durchzusetzen, sollte sich der Antragsgegner weigern, entsprechend zu handeln.

Die Beschwerde ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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