L 2 AS 5718/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 5708/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 5718/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum 17. April bis 10. Mai 2007 streitig, vorab jedoch die Zulässigkeit der Klage.

Die Klägerin beantragte am 17. April 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 7. Mai 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Vertreten durch ihren Bevollmächtigten legte die Klägerin hiergegen am 11. Mai 2007 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 24. Mai 2007 bewilligte die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 11. Mai bis 31. Oktober 2007. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Mai 2007 zurück. Der Widerspruchsbescheid war an den Bevollmächtigten der Klägerin adressiert, enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung und war auf der Rückseite mit dem Vermerk versehen, dass er am 26. September 2007 zur Post gegeben worden ist. Er ging dem Bevollmächtigten der Klägerin am 28. September 2007 zu.

Die Klägerin hat durch ihren Bevollmächtigten am 31. Oktober 2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Nach gerichtlicher Aufforderung dazu Stellung zu nehmen, ob die Klagefrist gewahrt sei, hat sie vorgetragen, die Klagefrist sei vorliegend eingehalten. Auf den Zugang des Widerspruchsbescheids bei ihrem Bevollmächtigten am 28. September 2007 komme es nicht an. Die für die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) maßgebliche 3-Tages-Frist ende, wenn der letzte Tag ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sei, erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktages. Die Klagefrist habe daher am 1. Oktober 2007 begonnen und wegen des Feiertages am 1. November 2007 erst am 2. November 2007 geendet. Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Mit Urteil vom 24. April 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unzulässig gewesen, da sie erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden sei. Die Klage sei binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben gewesen. Der Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007 sei nach dem Abgangsvermerk in der Verwaltungsakte der Beklagten am selben Tag zur Post gegeben worden. Der für die Bekanntgabe maßgebliche dritte Tag nach Abgabe zur Post gem. § 37 Abs. 2 SGB X sei der 29. September 2007, ein Samstag, gewesen. Der dritte Tag nach Aufgabe zur Post verschiebe sich nicht gem. § 64 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den nächsten Werktag. Die Klagefrist endete damit mit Ablauf des 29. Oktober 2007. Die erst am 31. Oktober 2007 erhobene Klage sei mithin verfristet gewesen. Gegen das dem Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 5. Mai 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Juni 2008 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Mit Beschluss vom 9. Dezember 2008 - L 2 AS 2674/08 NZB - hat der erkennende Senat die Berufung zugelassen; das Beschwerdeverfahren wurde als Berufungsverfahren fortgesetzt.

Für ihre Auffassung, dass sich der dritte Tag der "Zugangsfiktion" des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X dann , wenn der dritte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag falle, auf den nächstfolgenden Werktag verschiebe, bezieht sich die Klägerin auf das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 14. Oktober 2003 - IIIIV R 68/98. Diese Auffassung des BFH werde inzwischen im gesamten Bereich der Rentenversicherung anerkannt und übernommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24. April 2008 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2007 zu verurteilen, ihr vom 17. April bis 10. Mai 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (3 Bände), die Klageakten des SG (S 13 AS 5708/07), die Berufungsakte des Senats (L 2 AS 5718/08) und die beigezogene Akte des Senats (L 2 AS 2674/08 NZB) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Das SG hat die Klage zutreffend als unzulässig abgewiesen, da sie nicht fristgerecht erhoben worden ist.

Gem. § 87 Abs. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (vgl. § 87 Abs. 2 SGG). Im vorliegenden Fall ist der Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007 nicht nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG - vgl. § 83 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGG) zugestellt, sondern lediglich mit einfachem Brief durch die Post versandt worden. Dies entspricht § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG, wonach ein Widerspruchsbescheid schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekannt zu geben ist, somit nicht mehr den Beteiligten zugestellt werden muss. Gem. § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der - wie im vorliegenden Fall - durch die Post im Inland übermittelt wird, mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Vorliegend enthält der Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007 einen Abgangsvermerk vom 26. September 2007. Die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2007 erfolgte somit am 29. September 2007, einem Samstag. Keine Rolle spielt es dabei, dass der Bevollmächtigte der Klägerin den Widerspruchsbescheid bereits tatsächlich am 28. September 2007 erhalten hat, da § 37 Abs. 2 SGB X den Ausnahmefall, dass der Verwaltungsakt früher als drei Tage nach Aufgabe zur Post den Empfänger tatsächlich erreicht, nicht regelt. Gem. § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des betreffenden Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG). Da der mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid der Klägerin am 29. September 2007 bekanntgeben wurde, war Fristablauf für die Klageerhebung somit der 29. Oktober 2007, ein Montag. Die Klage wurde jedoch erst am 31. Oktober 2007 beim SG erhoben; damit war die Monatsfrist nicht mehr gewahrt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt eine Verlängerung der 3-Tage-Frist des § 37 Abs. 2 SGB X nicht deshalb in Betracht, weil das Fristende (der dritte Tag) vorliegend auf einen Samstag fiel. Eine Anwendung von § 64 Abs. 3 SGG, wonach dann, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages endet, kommt vorliegend nicht in Betracht, da es sich nicht um eine gesetzliche Frist im Sinne des § 64 SGG handelt. Der Senat vermag sich insoweit nicht der Argumentation des BFH in seinem Urteil vom 14. Oktober 2003 (Az: IIIV R 68/98) zur gleichlautenden Vorschrift des § 122 Abs. 2 Abgabenordnung 1977 (AO) anzuschließen. Soweit der BFH seine Auffassung im Wesentlichen damit begründet, der der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO zugrunde liegende Zweck, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche 5-Tage-Woche zu berücksichtigen, betreffe auch die 3-Tage-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, ist dies nach Ansicht des Senats zumindest auf die Bekanntgabevermutung des § 37 Abs. 2 SGB X nicht übertragbar. Denn der Verschiebung des Fristendes von einem Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag auf den nächsten Werktag durch § 64 Abs. 3 SGG liegt in erster Linie der Gedanke zugrunde, dass dem Bürger nicht zugemutet werden soll, eine ihm obliegende Handlung an einem üblicherweise arbeitsfreien Tag zu bewirken. Entsprechende Interessen des Adressaten eines Verwaltungsakts werden aber durch die Vorschrift des § 37 Abs. 2 SGB X nicht berührt (vgl. Loytved in SGb 1997, S. 253). Er braucht die betreffende Sendung nur wie jede andere Post entgegenzunehmen, sich aber nicht dafür besonders bereitzuhalten. An Sonn- und Feiertagen wird normalerweise ohnehin keine Post zugestellt, und auch sonst wird der Empfänger durch die Regelung des § 37 Abs. 2 SGB X nicht in unzumutbarer Weise belastet. Da die Bekanntgabe eines einfachen Postbriefs auch bei einem früheren Zugang erst am dritten Tag nach dessen Aufgabe zur Post als erfolgt gilt, steht dem Empfänger eines Widerspruchsbescheids dabei sogar häufig bis zum Ablauf der Klagefrist eine längere Überlegungszeit zur Verfügung als bei anderen Zustellungsarten. Dies zeigt gerade auch der vorliegende Fall, da der Bevollmächtigte der Klägerin den Widerspruchsbescheid tatsächlich einen Tag früher, nämlich bereits am 28. September 2007 tatsächlich erhalten hat. Eine darüber hinaus gehende Besserstellung ist jedenfalls nicht geboten; vielmehr sprechen nicht zuletzt die gerade bei Zustellungen bedeutsamen Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und -klarheit dagegen, den "dritten Tag" im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nach Maßgabe der in § 64 Abs. 3 SGG enthaltenen Regelung zu verschieben (so auch Bundessozialgericht (BSG) vom 19. März 1957 - 10 Rv 609/56 = BSGE 5, 53, 54 ff.; BSG vom 24. März 1993 - 9/9 a RV 17/92 veröffentlicht in Juris; LSG Hamburg, Beschluss vom 18. Oktober 2004 - L 5 AL 50/02 und LSG Saarland, Urteil vom 27. April 2007 - L 7 R 52/06 - beide veröffentlicht in Juris; Engelmann in von Wulffen, SGB X-Kommentar, § 37 Rdnr. 12; Krasney in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, SGB X, § 37 Rdnr. 6; a. A. Recht in Hauck/Noftz, SGB X, § 37 Rdnr. 16).

Im Übrigen würde die Auffassung der Klägerin zu einer Schlechterstellung derjenigen führen, denen der Widerspruchbescheid per Postzustellungsurkunde an einem Samstag zugestellt würde. In diesem Fall nämlich würde die Klagefrist von 1 Monat ausgehend vom Tag der Zustellung, also einem Samstag zu bestimmen sein. Für eine solche "Schlechterstellung" fehlt aber ein sachlicher Grund.

Entscheidend ist schließlich auch nicht, ob der Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007 entsprechend dem auf ihm angebrachten Abgangsvermerk auch tatsächlich am 26. September 2007 zur Post gegeben wurde. Denn auch bei einer späteren Aufgabe zur Post, die wegen des tatsächlichen Zugangs des Widerspruchsbescheids am 28. September 2007 jedenfalls am 27. September 2007 erfolgt sein musste, wäre die Klagefrist nicht gewahrt; in diesem Falle wäre sie bereits am 30. Oktober 2007 abgelaufen.

Gründe für eine Wiedereinsetzung sind nicht geltend gemacht und nach Aktenlage auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil der vorliegend zu entscheidenden Rechtsfrage, ob sich der "dritte Tag" des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X auf den nächsten Werktag verschiebt, wenn er auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Rechtskraft
Aus
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