S 18 SB 68/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 18 SB 68/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Erinnerung des Beklagten vom 11.07.2008 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 12.06.2008 geändert. Kostenschuldner ist der Kreis Aachen.

Gründe:

I. Streitig ist, wer richtiger Kostenschuldner ist.

In dem zugrunde liegenden Verfahren verklagte der Kläger das Land Nordrhein-Westfalen als damaligen Träger der Versorgungsverwaltung (vertreten durch die Bezirksregierung Münster) auf die Feststellung eines höheren GdB. Am 03.12.2007 schlossen der Kläger und das Land Nordrhein-Westfalen einen prozessbeendenden Vergleich, wonach "der Beklagte" die Kosten des Verfahrens zu einem Drittel tragen sollte.

Mit Gesetz vom 30.10.2007 löste das Land Nordrhein-Westfalen die Versorgungsämter mit Wirkung zum 01.01.2008 auf und übertrug die von diesen bis dahin wahrgenommenen Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX den Kreisen und kreisfreien Städten. Mit Vereinbarung vom 10.12.2007 übertrug die Stadt Aachen die Wahrnehmung dieser Aufgaben wiederum auf den Kreis Aachen. Mit Vereinbarung vom 03.01.2008 übertrug der Kreis Aachen die Prozessführung insbesondere in anhängigen Klageverfahren der Bezirksregierung Münster.

Auf Antrag des Klägers vom 17.01.2008 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 12.06.2008 die zu erstattenden Kosten in Höhe von 348,87 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 17.01.2008 fest.

Am 11.07.2008 hat die Bezirksregierung Münster Erinnerung gegen diesen Beschluss eingelegt. Nach der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung bestehe kein Kostenanspruch gegenüber dem Land. Der Kläger trägt vor, das Land sei sehr wohl Kostenschuldner, da das Verfahren bereits vor dem 01.01.2008 abgeschlossen gewesen sei, weswegen das Gesetz vom 30.10.2007 hier keine Anwendung finde.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II. Die Erinnerung ist zulässig und begründet.

Aufgrund der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zum 01.01.2008 (vgl. hierzu grundlegend Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.02.2008, L 6 SB 101/06; Urteil vom 05.03.2008, L 10 SB 40/06; Sozialgericht - SG - Aachen, Urteil vom 11.02.2008, S 18 SB 187/06) ist die Kostenschuldnerschaft für das bereits am 03.12.2007 abgeschlossene Verfahren auf den Kreis Aachen übergegangen. Damit war der Kreis Aachen auch richtiger Beteiligter des Erinnerungsverfahrens auf Beklagtenseite. Er wurde in diesem Verfahren wirksam durch die Bezirksregierung Münster vertreten. Die durch die Bezirksregierung Münster am 11.07.2008 eingelegte Erinnerung ist damit auch wirksam und innerhalb der Monatsfrist des § 197 Abs. 2 SGG eingelegt worden.

Das SG Dortmund hat allerdings mit Beschluss vom 15.07.2008 (S 7 SB 357/05) entschieden, dass eine Kostentragungspflicht einer Kommune in vergleichbaren Fällen deshalb ausscheide, weil das sog. Straffungsgesetz einen Übergang der Kostenlast aus abgeschlossenen Verfahren nicht ausdrücklich vorsehe. Tatsächlich ist keine ausdrückliche Regelung zum Übergang der Kostenlast ersichtlich. Das Zweite Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 und insbesondere das als dessen Art. 1 erlassene Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen befasst sich ausdrücklich nur mit Fragen der Aufgabenübertragung u.a. nach den §§ 69, 145 SGB IX, mit personalrechtlichen Maßnahmen und mit Kostenfolgen (vgl. die entsprechenden Überschriften im Gesetzestext). Der Abschnitt zu den Kostenfolgen wiederum beschäftigt sich fast ausschließlich mit Personalkosten. Auch aus § 23 Abs. 4 und § 24 ergibt sich nichts anderes (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzesentwurfs, LT-Drs. 14/4342). Wenn im Haushaltsplan 2008 den Kommunen eine "im Rahmen der den Kreisen und kreisfreien Städten ... übertragenen Aufgaben ... in Versorgungs- und Schwerbehindertenangelegenheiten zu verwenden(de)" Pauschale u.a. für " Kosten nach dem Sozialgerichtsgesetz" gewährt wird (vgl. die Erläuterungen zu Titel 633 10, Kapitel 11 320, Haushaltsplan NRW 2008), so lässt dies ebenfalls keinen Schluss auf eine bewusste Übertragung auch der Kostenschuld aus in 2007 bereits abgeschlossenen Verfahren auf die Kommunen durch den Landesgesetzgeber zu.

Eine ausdrückliche Regelung zum Übergang der Kostenlast ist aber nicht erforderlich. Denn das Zweite Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 verfolgt offensichtlich eine umfassende Aufgabenübertragung im Sinne einer Funktionsnachfolge. Mangels gegenteiliger Regelung sind davon auch Folge- und Begleitfragen wie die Kostentragung für abgeschlossene Klageverfahren und - daraus folgend - die Zuständigkeit für Streitigkeiten hierüber erfasst (vgl. zum Fall eines Rechtsstreits über die Kosten eines abgeschlossenen Vorverfahrens SG Aachen, Urteil vom 15.05.2008, S 18 SB 19/08).

Dem steht nicht entgegen, dass die Gebührenforderung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2, 2.Alt. RVG mit Abschluss des Rechtszugs und damit hier vor dem Zeitpunkt der Funktionsnachfolge fällig wurde. Denn dies bedeutet nicht, dass jene im Folgenden nicht auf die Kommune übergehen konnte. Die Gebührenforderung wurde mit Fälligkeit auch nicht eine "beliebige" Forderung gegen das damals beklagte Land. Sie war und blieb vielmehr eine Gebührenforderung aus einem schwerbehindertenrechtlichen Rechtsstreit. Unmittelbar wird die Kostentragungspflicht zwar durch die Beteiligtenstellung im Verfahren (und ein zumindest teilweises Unterliegen) begründet. Die Beteiligtenstellung im Verfahren resultiert aber aus der Zuständigkeit für die Aufgabenwahrnehmung, die somit den eigentlichen Grund für die Kostentragung darstellt. Geht die Zuständigkeit für die Aufgabenwahrnehmung dann im Rahmen einer (als solchen umfassenden) Funktionsnachfolge über, so schlägt dies auf die Kostenlast für abgeschlossene Verfahren durch. So wie die Kommunen ohne Weiteres Verpflichtungen aus vor dem 01.01.2008 abgeschlossenen Klageverfahren umsetzen müssen, so müssen sie aufgrund des Zusammenhangs von Aufgabenwahrnehmung und Kostenschuldnerschaft auch die entsprechende Kostenlast übernehmen.

Entsprechend ist die Kommune dann im Erinnerungsverfahren richtiger Beteiligter auf Beklagtenseite. Gerade eine prozessuale Betrachtungsweise bestätigt dieses Ergebnis. Denn untechnisch gesprochen wird das Verfahren zwar nicht in der Hauptsache, wohl aber in einer Neben- bzw. Folgefrage, nämlich der der Kostenfestsetzung, weitergeführt. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist ein "Annex" zum Klageverfahren (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 197 Rdnr. 4). Wenn aber "das Verfahren" weitergeführt wird, dann ist es naheliegend, dass eine zwischenzeitlich erfolgte Funktionsnachfolge wie bei einer anhängigen Hauptsache zum Beteiligtenwechsel führt.

Die im Fall des Klägers danach ab dem 01.01.2008 eigentlich zuständige Stadt Aachen hat die Wahrnehmung der Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX zulässigerweise gemäß § 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen i.V.m. den §§ 23 und 24 des Gesetzes über die Kommunale Gemeinschaftsarbeit Nordrhein-Westfalen mit öffentlich-rechtlicher Vereinbarung vom 10.12.2007 auf den Kreis Aachen übertragen.

Die Vertretung des Kreises Aachen im Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren erfolgte durch die Bezirksregierung Münster aufgrund der Vereinbarung zwischen dem Kreis Aachen und der Bezirksregierung Münster vom 03.01.2008. Gemäß § 1 Abs. 1 der Vereinbarung bearbeitet die Bezirksregierung Münster all diejenigen Streitverfahren, in denen der Ausgangsbescheid aus der Zeit vor dem 01.01.2008 stammt. Das war in dem hier zugrunde liegenden Rechtsstreit der Fall. Die Vollmacht erstreckt sich gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 auf "alle(r) Handlungen im Rahmen des Kostenausgleichsverfahrens". Außerdem heißt es unter § 3 Abs. 4 ausdrücklich, dass die Bezirksregierung Münster "für die Entscheidung dem Grunde und der Höhe nach im Zusammenhang mit der Erstattung von Anwalts- und Gerichtskosten" zuständig ist. Aus der Vereinbarung kann insgesamt gefolgert werden, dass - unter Beachtung der o.g. zeitlichen Zäsur - eine umfassende Vertretung vereinbart worden ist.

Das Rubrum war entsprechend von Amts wegen zu ändern (vgl. für den Fall einer Funktionsnachfolge während eines anhängigen Klageverfahrens Leitherer, a.a.O., § 99 Rdnr. 6a).

Wegen der Einzelheiten der zwischen den Beteiligten nicht mehr streitigen Kostenhöhe wird auf den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Bezug genommen.

Der Beschluss ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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