L 1 AS 30/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 17 AS 46/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AS 30/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.07.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, Grundsicherungsleistungen i.H.v. 6.197,72 EUR zurückzuzahlen.

Der im Juli 1959 geborene Kläger stammt aus L/Afghanistan, floh 1980 in die Bundesrepublik Deutschland und hat hier ein Medizinstudium ohne Abschluss beendet. Er ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Seine Schwägerin I lebt in L, arbeitet dort überwiegend als Journalistin für einen Privatsender und eröffnete am 26. Juli 2004 in der Bundesrepublik Deutschland ein Konto bei der Deutschen Bank in C.

Zur Altersvorsorge schlossen der Kläger eine Lebensversicherung (Rückkaufwert am 01. März 2006: 16.364,67 EUR) und seine Ehefrau eine fondsgebundene Rentenversicherung (Rückkaufwert am 01. Februar 2006: 417,36 EUR) bei der E ab. Zudem unterhielten die Eheleute ein Wertpapierdepot bei der E Investment GmbH. Über dieses Depot kauften sie zu verschiedenen Zeitpunkten Fondsanteile von drei Investmentfonds für insgesamt 85.797,06 EUR. Außerdem erwarben beide über ihr gemeinsames "B Depot" Investmentfondsanteile des "B Great-Selection100" (Wert am 31. Dezember 1995: 18.638,47 EUR). Als wirtschaftlich Berechtigter ist. Geldwäschegesetzes fungierte jeweils der Kläger.

Gleichwohl beantragte er für sich, seine Ehefrau und seine drei Kinder ab Ende 2004 wiederholt Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld und gab jeweils an, über kein Vermögen zu verfügen. Die Beklagte gewährte ihm ab dem 01. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2007 Grundsicherungsleistungen (Bescheide vom 02. Dezember 2004, 08. Juni und 01. Dezember 2005, 30. Juni 2006 und 04. Januar 2007).

Nachdem die Beklagte Anfang 2006 durch einen Datenabgleich mit dem Bundesamt der Finanzen erfahren hatte, dass der Kläger und seine Ehefrau Wertpapierdepots unterhielten, gab sie der Ehefrau mit Anhörungsschreiben vom 14. Februar 2006 Gelegenheit, sich zu einer möglichen Rückforderung der Grundsicherungsleistungen zu äußern. Im Anhörungsverfahren gab der Kläger an, sämtliche Vermögenswerte stünden "im wirtschaftlichen Eigentum" seiner Schwägerin I, die in Afghanistan kein Geld anlegen könne. Deshalb habe sie ihm und seiner Ehefrau verschiedene Geldbeträge "zum Zwecke der Anlage in Deutschland" zukommen lassen, wobei es sich um folgende Vermögenspositionen handele:

1. Depot B am 31.12.2005 18.638,47 EUR
2. Depot E Investment am 31.12.2005 54.775,67 EUR

Mit Bescheid vom 04. April 2006, den sie an den Kläger adressierte, nahm die Beklagte die Leistungsbewilligung für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 31. März 2006 zurück, weil bei der Antragstellung zu den Vermögensverhältnissen grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht worden seien. Gleichzeitig forderte sie Leistungen i.H.v. 26.319,44 EUR zurück.

Dem widersprach der Kläger am 11. April 2006, löste die Depots "B" und "E Investment" während des Widerspruchverfahrens auf und überwies auf das Konto der Schwägerin bei der Deutschen Bank in C am 20. September 2006 18.500,00 EUR und 53.000,00 EUR. Mit Widerspruchs- und Teilabhilfebescheid vom 29. Mai 2007 hob die Beklagte ihren Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 04. April 2006 i.H.v. 16.855,17 EUR auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück: Da der Kläger nur solche Leistungen zurückzahlen müsse, die er selbst erhalten habe, betrage die Erstattungsforderung 9.464,27 EUR. Diese Rückforderung sei berechtigt, weil der Kläger im Bezugszeitraum aufgrund der Investmentfonds und der Lebensversicherung über verwertbares Vermögen i.H.v. 89.778,90 EUR verfügt habe. Ein verdecktes Treuhandverhältnis zugunsten der Schwägerin sei nicht erwiesen.

Dagegen hat der Kläger am 28. Juni 2007 vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben und vorgetragen, die Lebensversicherung bei der E diene seiner Altersvorsorge und sei deshalb unverwertbar; jedenfalls liege ihr Rückkaufwert unterhalb des Freibetrags. Außerdem hat er behauptet, seine Schwägerin habe ihm und seiner Ehefrau ab 1998 mehrfach Barbeträge in Dollar und DM zu Verwahrung geschickt, und zwar über Mittelsmänner, die mit dem Flugzeug aus Afghanistan nach Deutschland gekommen seien. Hierzu hat er Erklärungen seiner Schwägerin in englischer Sprache vorgelegt, wonach er für sie Geld gespart bzw. verwahrt habe. Soweit das Geld in B- bzw. E-Investmentfonds angelegt gewesen sei, habe sie es zwischenzeitlich zurückerhalten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 04. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteilen vom 30. Juli 2008 hat das SG den Erstattungsbetrag von 9.464,27 EUR auf 6.197,72 EUR reduziert und die Klage im Übrigen abgewiesen: Die angebliche Treuhandvereinbarung mit der Schwägerin existiere nicht und sei als bloße Schutzbehauptung zu klassifizieren. Denn es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass der Treugeber dem Treuhänder Geldbeträge i.H.v. mindestens 71.500,00 EUR ohne schriftliche Belege, Vollmachten oder Quittungen aushändige und keine Investitionsform bestimme. Soweit die Schwägerin behaupte, ihr Geld sei in Afghanistan unsicher gewesen und deshalb auf Konten ihrer Verwandten in Deutschland transferiert worden, sei unerklärlich, warum sie diese Vermögenswerte bei ihrem Deutschlandbesuch 2004 nicht auf ihr neueröffnetes Konto bei der Deutschen Bank übertragen habe. Fehle somit ein (verdeckter) Treuhandvertrag, so sei der Kläger keinesfalls hilfebedürftig gewesen und habe deshalb Grundsicherungsleistungen zu Unrecht bezogen. Ihm sei auch vorzuwerfen, die Vermögenswerte bei der Antragstellung grob fahrlässig verschwiegen zu haben.

Nach Zustellung am 19. August 2008 hat der Kläger gegen dieses Urteil am 19. September 2008 Berufung eingelegt und vorgetragen: Niemand könne Herkunft, Zahlungsströme und Verbleib der Geldbeträge, die nach Deutschland transferiert worden seien, lückenlos belegen. Wer wem an welchen Tagen welche DM-Beträge übergeben habe, sei nicht mehr nachvollziehbar. Die unbekannten Kontaktpersonen seien Vertraute der Schwägerin gewesen. Sicher sei nur, dass er über das Fondsvermögen "keinerlei Verfügungsbefugnis" gehabt und das Vermögen der Schwägerin lediglich als Treuhänder verwaltet habe. Das Treugut sei durch die strenge soziale Kontrolle der Familiensippe gesichert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Juli 2008 zu ändern und den Bescheid vom 04. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2007 in vollem Umfang aufzuheben.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az.: 000) sowie auf die Gerichtsakte aus dem Parallelverfahren (L 1 AS 31/08) verwiesen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit die Beklagte ihre Leistungsbescheide zurückgenommen und den Kläger auf Erstattung von 6.197,72 EUR in Anspruch genommen hat. Denn der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 04. April 2006 in der Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) ist formell und materiell rechtmäßig und beschwert den Kläger deshalb nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

I. Der Bescheid ist formell rechtmäßig, obwohl die Beklagte ihr Anhörungsschreiben vom 14. Februar 2006 nicht an den Kläger, sondern an dessen Ehefrau adressiert hat. Nach § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Diese Gelegenheit hat der Kläger erhalten und im Anhörungsverfahren auch genutzt. Denn er ist der beabsichtigten Rücknahme der Bewilligungsbescheide und der angekündigten Rückforderung im Anhörungsverfahren entgegengetreten. Da die Beklagte seine Argumente vor Erlass des Rücknahmebescheids zur Kenntnis genommen und sich mit ihnen auseinandergesetzt hat, ist das Ziel der Anhörung, dem Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren, erreicht worden.

II. Der Rücknahmebescheid vom 04. April 2006 ist auch materiell rechtmäßig. Denn die Beklagte war nach § 45 Abs. 1 SGB X befugt, ihre Bewilligungsbescheide vom 02. Dezember 2004, 08. Juni und 01. Dezember 2005 zurückzunehmen. Nach dieser Vorschrift darf ein [anfänglich] rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

1. Die (begünstigenden) Bewilligungsbescheide vom 02. Dezember 2004, 08. Juni und 01. Dezember 2005 waren von Anfang an rechtswidrig. Mit ihnen gewährte die Beklagte dem Kläger im Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 31. März 2006 Grundsicherungsleistungen. Dies war rechtswidrig, als sie die Bescheide erließ. Denn der Kläger war weder im Dezember 2004 noch im Juni oder Dezember 2005 hilfebedürftig. (Grundsicherungs-) Leistungen erhalten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) nämlich nur solche erwerbsfähigen Personen, die hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen, sichern kann. Als Vermögen sind dabei alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Als die Beklagte die Leistungsbescheide erließ, verfügte der Kläger über folgendes Vermögen, dessen Wert zu den jeweiligen Bewilligungszeitpunkten geringfügig schwankte:

Depot B am 31.12.2005 18.638,47 EUR
Depot E Investment am 31.12.2005 54.775,76 EUR
Rückkaufwert E Lebensversicherung am 01.03.2006 16.364,67 EUR
Summe 89.778,90 EUR

Hiervon ist ein Freibetrag von 20.750,00 EUR abzuziehen (vgl. dazu die zutreffende Berechnung im Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2007), so dass dem Kläger 69.028,90 EUR zur Verfügung standen, um seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern.

Die Depotguthaben bei der Deutschen Bank und der Commerzbank i.H.v. 73.414,23 EUR (per 31. Dezember 2005) waren nicht Gegenstand von Treuhandvereinbarungen zwischen dem Kläger und seiner Schwägerin. Beim Treuhandvertrag überträgt der Treugeber dem Treuhänder Vermögensrechte, beschränkt aber die sich daraus im Außenverhältnis ergebende Rechtsmacht im Innenverhältnis (BSG, Urteile vom 25. Januar 2006, Az.: B 12 KR 30/04 R und vom 24. Mai 2006, Az.: B 11a AL 49/05 R). Folglich erwirbt der Treuhänder im Rahmen der Treuhandabrede ein Vermögensrecht hinzu, das aber mit einer schuldrechtlichen (Herausgabe-)Pflicht belastet ist. Wegen der Manipulationsmöglichkeiten und Missbrauchsgefahren, die mit verdeckten Treuhandverhältnissen typischerweise verbunden sind, ist bei der Prüfung, ob ein Treuhandverhältnis tatsächlich besteht, ein strenger Maßstab anzulegen; das Handeln des Treuhänders im fremden Interesse muss eindeutig erkennbar sein. (Depot-)Guthaben ist somit als Treugut anzusehen, das nicht zum Vermögen des Kontoinhabers gehört, wenn

a) Treugeber und Treuhänder - bezogen auf das jeweilige Treugut - nachweislich einen Treuhandvertrag geschlossen haben,

b) die Beweggründe für die Treuhandkonstruktion nachvollziehbar sind,

c) das Treugut nachweislich vom Treugeber stammt und

d) etwaige Transaktionen, Zahlungsströme, Kontobewegungen u.ä. lückenlos belegbar sind.

e) Treuhandverhältnisse unter nahen Angehörigen sind nur anzuerkennen, wenn der Treuhandvertrag und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten dem entsprechen, was zwischen fremden Dritten üblich ist (vgl. BSG, Urteile vom 24. Mai 2006, B 11 a AL 7/05 R, SozR 4-4220 § 6 Nr. 4, vom 13. September 2006, B 11 a AL 13/06 R jeweils zum Arbeitslosenhilferecht).

zu a) Der Kläger trägt vor, seine Schwägerin habe ihm aus Afghanistan - über Mittelsmänner - Bargeld zur Geldanlage in Deutschland geschickt. Damit will er, was die rechtliche Einordnung angeht, ganz offensichtlich behaupten, dass ihm die Schwägerin die Banknoten "zu treuen Händen" übereignet habe. Mit dem Hinweis, dass die Banknoten "zur Geldanlage" in Deutschland bestimmt gewesen seien, will er offenbar verdeutlichen, dass ihn die Schwägerin treuhänderisch gebunden hatte. Die Schwägerin gibt in ihrer Erklärung vom 17. Oktober 2007 an, dass sie den Kläger und dessen Ehefrau "gebeten habe, mein Geld für mich zu sparen/zu verwahren". Auch dies deutet darauf hin, dass den Eheleuten das Geld "zu treuen Händen" übertragen werden sollten. Dabei sollten die Banknoten offenbar nicht - etwa in einem Tresor - "verwahrt", sondern bei einem Kreditinstitut angelegt (gespart) werden. Unterstellt man diese - insofern übereinstimmenden - Angaben als wahr, dann haben der Kläger und seine Ehefrau mit seiner Schwägerin bzw. ihrer Schwester - zumindest konkludent und damit formlos mündlich - einen Treuhandvertrag geschlossen. Rechtlich war dies möglich, weil das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das hier nach Art. 11 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum BGB anwendbar ist, für Treuhandverträge kein Schriftformerfordernis vorsieht.

zu b) Die Beweggründe für die Treuhandkonstruktion sind nachvollziehbar, soweit vorgetragen wird, dass die Schwägerin Bargeld von über 140.000 DM während des Bürgerkriegs und nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan nicht sicher wähnte. Allerdings ist dieses Motiv für die Treuhandabrede spätestens entfallen, als sie während ihres Deutschlandbesuchs am 26. Juli 2004 ein eigenes Konto auf ihren Namen bei der Deutschen Bank in C eröffnete. Nach der Kontoeröffnung gab es für die Treuhandkonstruktion keinen vernünftigen Grund mehr, weil sie ihr Geld nunmehr auf einem eigenen Konto in der Bundesrepublik Deutschland sicher anlegen konnte. Dies lässt erhebliche Zweifel an den Ausführungen des Klägers aufkommen, zumal auf ihn (und seine Familie) die steuer- und sozialrechtlichen Folgen der verdeckten Treuhandkonstruktion zuliefen.

zu c) Dass die Geldbeträge wirklich von der Schwägerin stammten, kann weder sie noch der Kläger belegen, weil beide bei den vermeintlichen Geldübergaben angeblich keinen direkten Kontakt hatten. Wer die Mittelmänner und -frauen waren, bleibt dunkel. Auch dies lässt erhebliche Zweifel an den Behauptungen des Klägers aufkommen.

zu d) Der Kläger hat selbst angegeben, dass er nicht belegen könne, welche Geldbeträge er wann von wem in welcher Höhe und an welchem Ort erhalten hat. Zahlungsströme und Kontobewegungen (wo sind welche Geldbeträge wann eingezahlt, angelegt, umgebucht, abgehoben worden?) könne er nicht mehr lückenlos belegen, weil er "einen Teil der Unterlagen nicht mehr" besitze. Sind Vorgänge nicht mehr aufklärbar, die in der Sphäre des Arbeitslosen wurzeln, so geht dies zu seinen Lasten (BSG, Urteil vom 21. März 2007, Az.: B 11a AL 21/06 R, info also 2007 S. 166).

zu e) Der Treuhandvertrag und seine tatsächliche Durchführung entsprechen keinesfalls in allen wesentlichen Punkten dem, was zwischen fremden Dritten üblich ist. Denn es wäre unter Fremden undenkbar, dass ein Treugeber einem (fremden) Treuhänder über 71.500,00 EUR zuwendet, ohne sich die Übergabe quittieren zu lassen und ohne seinen schuldrechtlichen Herausgabeanspruch in einer Urkunde schriftlich (und damit im Streitfall beweiskräftig) zu verbriefen. Bei einer derartigen Summe, die das durchschnittliche Bruttojahresentgelt aller Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung um mehr als das Doppelte übersteigt, werden fremde Dritte "üblicherweise", d.h. im Grunde ausnahmslos, zumindest einen schriftlichen Treuhandvertrag schließen. Darin wird der Treugeber seinen Herausgabeanspruch fixieren und auch dokumentieren wollen, dass er das Treugut bei Tod oder Insolvenz des Treuhänders ebenso wenig verliert wie im Falle der Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Treuhänders. Auf der anderen Seite wird der Treuhänder regeln wollen, ob und ggf. in welcher Höhe er bei Verlust des Treuguts haftet, ob er für seine Bemühungen (und sein evtl. Haftungsrisiko) ein Entgelt oder eine Aufwandsentschädigung erhält, in welcher Form das Treugut anzulegen und wie mit dessen Früchten (z.B. Zinsen) steuer- und sozialrechtlich umzugehen ist. Keinesfalls verlassen sich fremde Dritte "auf den erhöhten Druck" und die soziale Kontrolle irgendeiner Familiensippe, die Fehlverhalten mit Sanktionen belegt, "die von der hiesigen Rechtsordnung nicht gedeckt und dieser nicht geläufig" sind.

Allein mit diesem Vortrag im Berufungsverfahren wird überdeutlich, dass der Treuhandvertrag und seine tatsächliche Durchführung nicht in allen wesentlichen Punkten dem entsprechen, was zwischen fremden Dritten üblich ist. Da zudem zweifelhaft ist, ob das Treugut wirklich von der Treugeberin stammt, die einzelnen Transaktionen, Zahlungsströme, Kontobewegungen u.ä. nicht mehr lückenlos belegbar sind und die Beweggründe für die Treuhandkonstruktion zwischenzeitlich entfallen waren, ohne dass es zeitgleich zur Beendigung des Treuhandverhältnisses gekommen ist, kann die behauptete Treuhandabrede - selbst bei Anlegung eines weniger strengen Maßstabes - nicht anerkannt werden. Gegen die Existenz einer Treuhandabrede spricht schließlich auch, dass der Kläger als wirtschaftlich Berechtigter iSv. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Geldwäschegesetzes fungierte und seine Ehefrau steuerrechtliche Freistellungsaufträge auf ihren Namen erteilt hatte, so dass ihr angebliches Handeln im fremden Interesse keinesfalls eindeutig erkennbar ist.

2. Die Rücknahme des [anfänglich] rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsaktes ist nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X zulässig. Mit Wirkung für die Vergangenheit wird ein Verwaltungsakt gem. § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nur zurückgenommen, soweit er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. HS SGB X). Maßstab ist dabei die Sorgfalt, die von dem Betroffenen nach seiner individuellen Urteils-, Kritik- und Einsichtsfähigkeit in der jeweils konkreten Situation zu erwarten ist (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff).

Der Kläger wusste, dass er und seine Ehefrau über Depotguthaben und Lebensversicherungen im Wert von knapp 90.000,00 EUR verfügten. Als Abiturient und ehemaliger Medizinstudent, der seit 1980 in Deutschland lebt, war er subjektiv in der Lage, die Frage nach seinen Vermögensverhältnissen im Antragsformular zu verstehen. Denn das Formular ist insoweit - wie das SG zu Recht angenommen hat - klar, einfach und eindeutig abgefasst. Missverständnisse können schon deshalb nicht aufkommen, weil alle Vermögenswerte ausnahmslos anzugeben sind. Als der Kläger im Antragsformular wahrheitswidrig angab, kein Vermögen zu haben, obwohl er die Hinweise im Formular verstanden hatte und wusste, dass er über Bankguthaben und Lebensversicherungen im Wert von ca. 90.000,00 EUR verfügte, handelte er auf Basis seines individuellen Urteils-, Kritik- und Einsichtsvermögens grob fahrlässig.

3. Die Beklagte hat die Bewilligungsbescheide, die Dauerwirkung hatten, im April 2006 und damit rechtzeitig vor Ablauf von zwei Jahren (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X) nach ihrer jeweiligen Bekanntgabe (Dezember 2004, Juni und Dezember 2005) zurückgenommen. Dies geschah auch innerhalb eines Jahres, nachdem die Beklagte durch einen Datenabgleich mit dem Bundesamt der Finanzen Anfang 2006 von dem Vermögen erfahren hatte (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).

4. Nach §§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) und § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Es besteht kein Ermessensspielraum.

III. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Da die Beklagte ihre Bewilligungsbescheide wirksam zurückgenommen hat, soweit sie an den Kläger geleistet hat, durfte sie ihn auf Erstattung von 6.197,72 EUR in Anspruch nehmen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zur Berechnung der Erstattungsforderung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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