L 7 B 6/06 VU und L 7 B 7/06 VU

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 VU 39/05 und S 1 VU 40/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 B 6/06 VU und L 7 B 7/06 VU
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Frage, welche Umstände bei einer Selbsttötung die wesentliche Bedingung für eine Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung gewesen sind, ist nicht danach zu beurteilen, ob eine Bedingung im allgemeinen, unter gleichen Umständen bei anderen Personen den gleichen Erfolg herbeigeführt hätte, sondern nur nach den besonderen Umständen und der besonderen Einzelpersönlichkeit (im Anschluss an BSG v. 11. 11. 1959 – 11/9 RV 290/57BSGE 11, 50).

2. Im typischen Fall ist die freie Willensbestimmung durch einen krankhaften Geisteszustand beeinträchtigt. Die Schädigung des Geisteszustandes ist aber im Einzelfall nur feststellbar, wenn eine konkrete geistige oder seelische Gesundheitsstörung vorgelegen hat, die so genau beschrieben werden kann, dass auch der Ursachenzusammenhang einerseits mit dem schädigenden Vorgang als der Ursache und andererseits mit der Selbsttötung als der Folge der Schädigung beurteilt werden kann.

3. In seltenen Fällen kann eine Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung durch eine als ausweglos erscheinende Lage genügen.

4. Wenn durch einen Rehabilitierungsbeschluss nach § 12 StrRehaG die strafrechtlichen Maßnahmen hinsichtlich des Schuldvorwurfs des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts gemäß § 213 StGB/DDR für rechtsstaatswidrig erklärt worden sind, ist die Furcht vor Strafe von dem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand umfasst. Das reicht jedoch für die Bewertung einer durch Grenzsoldaten bei der Festnahme herbeigeführten Zwangslage als wesentliche Bedingung der Selbsttötung jedenfalls dann nicht aus, wenn die Wahl des Todes zu den zu erwartenden Belastungen durch eine Bestrafung außer jedem Verhältnis steht.
1. Die Verfahren – L 7 B 6/06 VU – und – L 7 B 7/06 VU – werden unter dem Aktenzeichen – L 7 B 6/06 VU – zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Halle vom 22. Februar 2006 werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten die beiden Verfahren – L 7 B 6/06 VU – und – L 7 B 7/06 VU – nach den §§ 153 Abs. 1, 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die auf das Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbar sind (vgl. Lüdtke in Hk-SGG, 2. Aufl. 2006, § 172 Rdnr.12), zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II.

Die Kläger und Beschwerdeführer (nachfolgend Kläger) sind die Witwe und der Sohn des 1988 verstorbenen H. (nachfolgend der Verstorbene). Ihre Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug durch das Sozialgericht Halle. In der Hauptsache, die auf die Berufung der Kläger beim Senat anhängig ist, begehren sie vom Beklagten und Beschwerdegegner zu 1. (nachfolgend Beklagter) Hinterbliebenenversorgung nach § 22 Abs. 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der im April 1966 geborene Verstorbene war seit September 1986 mit der Klägerin verheiratet, nachdem schon im April des Jahres ihr gemeinsamer Sohn, der Kläger, geboren war. Der Verstorbene war zuletzt seit dem 1. Januar 1988 in einem Volkseigenen Betrieb in B. K. als Schlosser beschäftigt. Am 11. Juli 1988 starb er im Kreiskrankenhaus M. an den Folgen einer Schussverletzung, die er am 6. des Monats beim Versuch eines nach dem Recht der damaligen DDR "ungesetzlichen Grenzübertritts" erlitten hatte. Er hatte ein umgebautes Kleinkalibergewehr mit sich geführt. Ein Ermittlungsverfahren der Bezirksstaatsanwaltschaft H. wegen versuchtem ungesetzlichen Grenzübertritts und unbefugtem Waffenbesitzes wurde wegen des Todes des Beschuldigten eingestellt.

Das Landgericht Halle rehabilitierte den Verstorbenen mit Beschluss vom 21. Januar 1994 – 22 Reh 1154/90 – nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e StrRehaG. Es erklärte "die strafrechtlichen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren der Bezirksstaatsanwaltschaft H. vom 7.7.1988" hinsichtlich des Schuldvorwurfs des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts gemäß § 213 StGB/DDR für rechtsstaatswidrig und hob sie auf; die Dauer des zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzuges stellte es für die Zeit vom 6. bis zum 11. Juli 1988 fest. In den Gründen übernahm das Landgericht aus einem in den beigezogenen Ermittlungsakten enthaltenen Bericht die folgenden Feststellungen: Nach Auffindung eines PKW ohne Insassen am 5. Juli 1988 im Grenzgebiet des Kreises M. hätten Grenztruppen das Grenzgebiet durchsucht und am 6. Juli 1988 gegen 16.00 Uhr den Verstorbenen 13 Meter vor der ersten Grenzsicherungsanlage und ca. 450 Meter von der Staatsgrenze entfernt in einer Bodenvertiefung gestellt. Bei der Annäherung von Angehörigen der Grenztruppen habe der Verstorbene diese mit einer Schusswaffe bedroht. Nachdem er zur Aufgabe des Widerstandes aufgefordert worden sei, habe er sich mit der Waffe in die linke Brust geschossen und sich dadurch lebensgefährlich verletzt.

Am 17. März 1995 beantragte die Klägerin beim Beklagten für sich und den Kläger nach § 22 StrRehaG Hinterbliebenenversorgung. Zur Schädigung gab sie an, der Stasi-Akte zufolge habe ihr Ehemann die mitgeführte Waffe auf sich gerichtet. Das Gegenteil sei heute nicht mehr nachzuweisen. Sie fügte Auszüge aus der Akte des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) bei. Auf Aufforderung des Beklagten legte die Klägerin den Heilbehandlungsteil des Sozialversicherungsausweises des Verstorbenen vor und teilte mit, dieser habe vor seiner Flucht keine psychischen Auffälligkeiten gezeigt.

Zur Aufklärung der aus dem Sozialversicherungsausweis ersichtlichen Behandlungen zog der Beklagte vom B.kreis und von den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B., H., die dort archivierten Krankenakten des Verstorbenen bei. Ferner nahm der Beklagte vier unveröffentlichte Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) zur Kriegsopferversorgung in Fällen der Selbsttötung aus den Jahren 1962, 1964 und 1970 zur Akte, die er von diesem angefordert hatte. Mit Bescheiden vom 3. Mai 2005 lehnte der Beklagte die Anträge ab. Den Widerspruch der Kläger wies er mit den Widerspruchsbescheiden vom 14. September 2005 zurück. Zur Begründung führte er an, nach § 22 Abs. 1 StrRehaG erhielten Hinterbliebene in entsprechender Anwendung des BVG Versorgung, wenn der Betroffene an den Folgen der Schädigung gestorben sei. Eine von diesem absichtlich herbeigeführte Schädigung gelte jedoch nach dem entsprechend anzuwendenden § 1 Abs. 4 BVG nicht als Schädigung im Sinne des Gesetzes. Eine Selbsttötung sei nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 12 zu § 1 BVG nicht als von diesem absichtlich herbeigeführte Schädigung anzusehen, wenn eine Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung durch Tatbestände im Sinne des § 1 BVG – hier den Freiheitsentzug durch Festnahme – wahrscheinlich sei. Die freie Willensbestimmung könne infolge einer seelischen Erkrankung beeinträchtigt sein, nach der Rechtsprechung des BSG aber auch in einer Zwangslage, in der die Unausweichlichkeit der Selbsttötung nachvollziehbar sei. Im Fall des Verstorbenen sei eine Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung nicht festzustellen. Bei ihm habe weder eine seelische Erkrankung vorgelegen noch habe er sich in einer Zwangslage befunden, die ihm nur noch die Wahl des Freitods gelassen hätte. Die mitgeführte Waffe deute darauf hin, dass er schon im Vorfeld in Betracht gezogen habe, sich bei einem Scheitern der Flucht zu erschießen.

Mit ihren am 13. Oktober 2005 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klagen haben die Kläger ihr Begehren weiter verfolgt. Zugleich haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt S. beantragt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin ist am 17. Oktober 2005 beim Sozialgericht Halle eingegangen, die des Klägers am 1. November des Jahres.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat Einsicht in die Verwaltungsakten erhalten und sodann mit Schriftsätzen vom 30. November bzw. 14. Dezember 2005 die Klagen begründet. Er hat die Auffassung vertreten, § 1 Abs. 4 BVG sei nicht anwendbar, da § 22 StrRehaG nur auf Versorgungsansprüche nach dem BVG verweise. Sinngemäß hilfsweise hat er bestritten, dass der Verstorbene sich aufgrund einer freien Willensentscheidung getötet habe. Er habe sich in einer Ausnahmesituation befunden, in der er von bewaffneten und zum Gebrauch der Waffe bereiten Soldaten umringt gewesen sei. Zudem sei nach der Literatur bei Selbsttötungen typischerweise die freie Willensbestimmung beeinträchtigt.

Nachdem die Klägerin auf Aufforderung des Gerichts mit Eingangsdatum vom 13. Januar 2006 die Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen schriftsätzlich erläutert und weitere Belege vorgelegt hatte, hat das Sozialgericht die Prozesskostenhilfe-Anträge mit den beiden Beschlüssen vom 22. Februar 2006 abgelehnt. Die Kläger seien zwar hilfebedürftig, die Klagen hätten aber keine hinreichende Erfolgsaussicht. Insbesondere bedürfe es keiner weiteren Sachaufklärung. Ob § 1 Abs. 4 BVG anzuwenden sei, könne dahinstehen, da § 21 StrRehaG eine spezielle Regelung des Tatbestandes einer Schädigung im Sinne dieses Gesetzes enthalte. Danach müssten gesundheitliche Schädigungen als Folge einer Freiheitsentziehung eingetreten sein. Wie auch das Landgericht H. in seinem Beschluss vom 21. Januar 1994 dargelegt habe, habe die Umstellung des Verstorbenen durch Grenzsoldaten am 6. Juli 1988 eine solche freiheitsentziehende Maßnahme dargestellt, weil dieser seine Deckung hinter einem Baumstamm nicht mehr habe verlassen können. Diese freiheitsentziehende Maßnahme habe jedoch nicht seinen Tod verursacht. Zu seinem Tod habe die Schussverletzung der linken Brust geführt, die er sich mit der mitgeführten Schusswaffe selbst zugefügt habe. Ein anderer Geschehensablauf sei den dazu vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Es sei nicht bewiesen, dass der Verstorbene sich in einer aussichtslosen Lage befunden und deshalb den Freitod gewählt habe. In seinem Sozialversicherungsausweis seien psychische Erkrankungen nicht belegt. Es sei daher auszuschließen, dass bei ihm psychische Störungen vorgelegen hätten, die seine Entscheidung, sich zu töten, beeinflusst haben könnten. Er habe auch keinen Grund gehabt, zu befürchten, dass er nach einer Festnahme von den Grenzsoldaten oder der Stasi lebensbedrohlich traktiert würde. Eine berechtigte Angst vor Entdeckung und Verhaftung reiche aber zum Ausschluss der freien Willensbestimmung des Verstorbenen bei der Schussverletzung nicht aus. Das BSG habe in seinem Beschluss vom 26. Februar 1992 – 9a BV 94/91 – (SozR 3-3100 § 1 Nr. 6) darauf hingewiesen, dass derjenige, der sich staatlichen Maßnahmen entziehe, nicht ebenso entschädigt werden könne, als wenn er die Folgen staatlicher Maßnahmen erlitten hätte.

Die beiden Beschlüsse sind dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 3. März 2006 zugestellt worden.

Auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2006 hat das Sozialgericht die Klagen mit den beiden Urteilen vom selben Tage abgewiesen.

Mit Eingangsdatum beim Sozialgericht vom 3. April 2006 haben die Kläger gegen die Beschlüsse vom 22. Februar 2006 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Ob der Verstorbene sich mit seiner Waffe selbst in die Brust geschossen habe, bleibe zweifelhaft, werde sich aber im Nachhinein nicht mehr klären lassen. Falls er sich selbst getötet habe, hänge dies jedoch mit der Freiheitsentziehung zusammen. Die Umstellung durch die Grenzsoldaten habe zu einer so schwerwiegenden, auf die Psyche einwirkenden Situation führen können, dass er nur noch den Ausweg des Suizids gesehen habe. Durch die zahlreichen Todesfälle an der innerdeutschen Grenze werde belegt, dass er auch mit einer Tötung habe rechnen müssen.

Das Sozialgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt.

Die Kläger haben am 2. Mai 2006 gegen die Urteile des Sozialgerichts vom 21. März 2006 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Die Berufungen sind beim erkennenden Senat anhängig. In diesen Verfahren hat der Berichterstatter die Akte des Landgerichts H. – 22 Reh 1154/90 – beigezogen und bei der BStU alle der Behörde vorliegenden Vorgänge über den Verstorbenen angefordert. Diese hat mitgeteilt, dass die Bearbeitung einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Mit Schreiben vom 20. März 2008 hat der Berichterstatter in den Berufungsverfahren die Kläger unter anderem darauf hingewiesen, dass zwar die Strafverfolgung, der sich der Verstorbene durch die Selbsttötung entzogen habe, zu dem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e StrRehaG geschützten Tatbestand gehöre, aber weitere konkrete Umstände festgestellt werden müssten, um im vorliegenden Einzelfall auf eine für den ursächlichen Zusammenhang der Selbsttötung mit der anerkannten Schädigung ausreichende Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung durch die Freiheitsentziehung am 6. Juli 1988 schließen zu können (mit Hinweis auf Nr. 74 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht").

Die Kläger haben in den Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 13. Mai 2008 vortragen lassen, ihnen, insbesondere auch der Klägerin, sei die Motivation des Verstorbenen für den Selbstmord nicht bekannt. Dieser habe während der Ehezeit immer wieder die damalige DDR verlassen wollen. Die Klägerin könne sich daher die Selbsttötung nur dadurch erklären, dass er keine Möglichkeit gesehen hätte, nach einer Festnahme die DDR zu verlassen. Er hätte mit einer Freiheitsentziehung von zwei Jahren rechnen müssen. Damit wäre sein Freiheitsdrang, wegen dessen er das damalige System durch die Flucht habe verlassen wollen, noch stärker eingeschränkt worden.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts zur Hauptsache – S 1 VU 39 und 40/05 – bzw. – L 7 VU 6 und 7/06 – mit der beigezogenen Akte des Landgerichts Halle – 22 Reh 1154/90 – sowie die Hinterbliebenenversorgungsakten des Beklagten (Antragl.-Nrn. 371502-950028 und 980008) haben dem Senat bei der Entscheidung vorgelegen.

III.

1. Die Beschwerden sind nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Es fehlt insbesondere nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Beim Eingang der Beschwerden am 3. April 2006 waren die Verfahren im ersten Rechtszug zwar bereits durch die Urteile des Sozialgerichts vom 21. März des Jahres in der Hauptsache beendet. Daher kann im Beschwerdeverfahren für diesen Rechtszug Prozesskostenhilfe bloß noch rückwirkend bewilligt werden. Nach dem gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG entsprechend anzuwendenden § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) kann indes Prozesskostenhilfe nur für die "beabsichtigte" Rechtsverfolgung gewährt werden, wobei es nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf den Rechtszug ankommt, für den die Prozesskostenhilfe beantragt worden ist, hier also nicht auf die noch anhängigen Berufungsverfahren, sondern auf die beendeten Verfahren in der ersten Instanz. Durch die angefochtenen Beschlüsse des Sozialgerichts ist aber die Prozesskostenhilfe schon vor der Beendigung der Hauptsacheverfahren abgelehnt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Rechtsverfolgung somit noch "beabsichtigt". Das reicht zumindest für die Zulässigkeit der Beschwerden aus (zum für eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt vgl. Littmann in Hk-SGG, 2. Aufl. 2006, § 73a Rdnr. 16, m.w.N.).

2. Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, da die Klagen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatten.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung muss der durch Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz gebotenen Rechtsschutzgleichheit gerecht werden. Danach muss einerseits der Prozesserfolg nicht schon gewiss sein, reicht andererseits aber eine nur entfernte Erfolgsaussicht nicht aus (vgl. BVerfGE 81, 347 [356 ff.]). Nach dem vorgetragenen Sachverhalt und den vorliegenden Unterlagen müssen der Rechtsstandpunkt des Antragstellers zumindest vertretbar und eine Beweisführung möglich sein (vgl. Keller–Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 73a Rdnr. 7a). Wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer bislang ungeklärten und schwierigen Rechtsfrage abhängt, ist die hinreichende Erfolgsaussicht in der Regel zu bejahen (vgl. BVerfGE 81, 347 [358 ff.]).

Nach diesen Grundsätzen fehlt es auch nach Auffassung des Senats an der hinreichenden Erfolgsaussicht. Die Rechtslage bedarf zwar der Aufbereitung. Dabei erweist sich aber, dass die für den vorliegenden Fall erheblichen Rechtsfragen schon geklärt sind und die feststellbaren Tatsachen auch keine schwierige Rechtsfrage aufwerfen.

a) Rechtsgrundlage für die in der Hauptsache geltend gemachten Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung ist § 22 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) vom 29. 10. 1992 (BGBl. I S. 1814), dessen nachfolgende Änderungen für den vorliegenden Fall nicht erheblich sind. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalten die Hinterbliebenen eines Betroffenen, der an den Folgen der Schädigung gestorben ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Der Tatbestand dieser Norm knüpft an Regelungen in den §§ 1 ff. StrRehaG an, die zu seiner Auslegung heranzuziehen sind. "Betroffener" ist das Opfer rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet, das aufgrund eines Tatbestandes nach den §§ 1 oder 2 StrRehaG durch das nach § 8 dafür zuständige Gericht gemäß § 12 des Gesetzes durch Beschluss rehabilitiert worden ist. Nach § 16 Abs. 1 StrRehaG begründet die Rehabilitierung einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für Nachteile, die dem Betroffenen durch eine Freiheitsentziehung entstanden sind. Wenn der Betroffene infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält er nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dem entsprechend erhalten seine Hinterbliebenen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG Versorgung, wenn er • nach dem Rehabilitierungsbeschluss zu Unrecht eine Freiheitsentziehung erlitten hat, • infolge dieser Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat • und an deren Folgen gestorben ist.

Wie im übrigen Sozialen Entschädigungsrecht setzt nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG die Anerkennung von Schädigungsfolgen einen schädigenden Vorgang, eine durch diesen als Primärschaden hervorgerufene gesundheitliche Schädigung und eine durch diese Schädigung verursachte, im streitgegenständlichen Zeitraum vorliegende Gesundheitsstörung voraus. Der als Schädigungsfolge festzustellenden derzeitigen Gesundheitsstörung entspricht im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG das zum Tode führende Leiden. Der schädigende Vorgang, die primäre gesundheitliche Schädigung und die derzeit vorliegende Gesundheitsstörung bzw. das zum Tode führende Leiden gehören zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen, soweit nichts anderes bestimmt ist (vgl. BSG, Urt. v. 15. 12. 1999 – B 9 VS 2/98 RSozR 3-3200 § 81 Nr. 16, S. 73, m.w.N.; zum Todesleiden BSG, Urt. v. 5.5.1993 – 9/9a RV 1/92SozR 3-3100 § 38 Nr. 2). Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt dagegen – wie nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG – zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dies gilt auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Vorgang und der durch diesen als Primärschaden hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung (vgl. BSG, Urt. v. 15. 12. 1999, a.a.O., S. 74 ff.). Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urt. v. 8. 8. 2001 – B 9 V 23/01 BSozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14, m.w.N.).

b) Der verstorbene Ehemann und Vater der Kläger hat nach dem Beschluss des Landgerichts Halle vom 21. Januar 1994 in der Zeit vom 6. bis zum 11. Juli 1988 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung erlitten. Die Rehabilitierung ist auf § 1 Abs. 1 (Nr. 1 Buchst.) e StrRehaG gestützt worden. Durch den Beschluss sind die strafrechtlichen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren der Bezirksstaatsanwaltschaft Halle hinsichtlich des Schuldvorwurfs des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben worden. Damit kommt als schädigender Tatbestand nur die Freiheitsentziehung durch "strafrechtliche Maßnahmen" (§ 1 Abs. 5 StrRehaG) zur Verfolgung des versuchten "ungesetzlichen Grenzübertritts" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e StrRehaG) in Betracht. Aus der Festsetzung des Beginns der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung auf den 6. Juli 1988 ist zu schließen, dass die strafrechtlichen Maßnahmen, durch die nach dem Beschluss dem Verstorbenen zu Unrecht die Freiheit entzogen worden ist, begonnen haben, als der Verstorbene um ca. 16.00 Uhr von Grenzsoldaten gestellt worden ist.

Demnach hat auch der nach § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG festzustellende schädigende Vorgang damit begonnen, dass der Verstorbene am 6. Juli 1988 um ca. 16 Uhr von Grenzsoldaten nahe der Grenzsicherungsanlage in einer Bodenvertiefung gefunden und gestellt worden ist. Insoweit ist der schädigende Vorgang durch die vorliegenden Ermittlungsunterlagen voll bewiesen. Wie dort im Einzelnen beschrieben worden ist, haben die Grenzsoldaten den Verstorbenen in einer Bodenvertiefung "gestellt", d.h. ihn in eine Lage versetzt, in der er ihnen nicht mehr durch eine Fortbewegung nach eigenem Willen entkommen konnte.

Die von dem Verstorbenen an dem Ort, an dem er von den Grenzsoldaten gestellt worden ist, kurz darauf erlittene Schussverletzung der linken Brust ist voll bewiesen. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass der Tod eine Folge dieser Schussverletzung gewesen ist. Nach dem Totenschein vom 12. Juli 1988 hat ein Zustand nach Schussverletzung der Lunge, des Zwerchfells, des Magens und der Milz direkt zum Tode geführt.

Nach Aktenlage ist die Schussverletzung als die primäre Schädigung anzusehen. Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Verstorbene sich die Schussverletzung der linken Brust selbst zugefügt hat.

Aus den dokumentierten Ergebnissen der damaligen Ermittlungen ergibt sich, dass der Verstorbene ein umgebautes Kleinkalibergewehr mit sich geführt und sich in der Lage, in der er den Grenzsoldaten nicht mehr entkommen konnte, mit der eigenen Waffe die Schussverletzung der linken Brust zugefügt hat. Dies ist insbesondere durch den Untersuchungsbericht der Technischen Untersuchungsstelle des Ministeriums für Staatssicherheit vom 12. August 1988 hinreichend konkret belegt. Auch wenn bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist, dass die Ermittlungen Bestandteil der Maßnahmen waren, die in dem Rehabilitierungsbeschluss für rechtsstaatswidrig erklärt worden sind, finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Verstorbenen die Schussverletzung durch Grenzsoldaten beigebracht worden wäre und dies vertuscht werden sollte. Die Kläger räumen selbst ein, dass ein anderer Ablauf nicht – nach ihrer Auffassung nicht mehr – nachweisbar ist.

c) Im Falle einer Selbsttötung ist der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Selbsttötung und dem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand nur zu bejahen, wenn bei der Selbstschädigung die freie Willensbestimmung ausgeschlossen oder beeinträchtigt war und diese Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung durch den versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand verursacht war. Dies ist im Grundsatz in der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis seit langem anerkannt (vgl. schon BSG v. 14. 7. 1955 – 8 RV 177/54BSGE 1, 150 [155 ff.] und Nr. 11 der Verwaltungsvorschrift zu § 1 BVG, abgedruckt in Ernst - Morr, Ratgeber zum Behindertenrecht und sozialen Entschädigungsrecht, 2007/2008, S. 575). Auch die vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)", zuletzt in der Fassung von 2008 und zuvor in den Fassungen von 2004 und 1996, in der Nummer 74 (Abschn. 1) gehen von diesem Grundsatz aus.

Daneben enthält das Bundesversorgungsgesetz (BVG) für Fälle der Selbstschädigung eine Spezialvorschrift. Nach § 1 Abs. 4 BVG gilt eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes. Diese Sonderregelung stellt einen Ausschlusstatbestand dar (vgl. die Entscheidungen des BSG v. 26. 2. 1992 – 9a BV 94/91SozR 3-3100 § 1 Nr. 6, S. 20, und – 9a RV 30/90 – ebd. Nr. 5, S. 18). Da demgegenüber der Ursachenzusammenhang zwischen der Selbsttötung und dem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand zu den anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen gehört, kann im Falle einer Selbsttötung Hinterbliebenenversorgung schon dann nicht gewährt werden, wenn dieser Ursachenzusammenhang nicht bejaht werden kann. Die Frage, ob der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 BVG eingreift, stellt sich dann nicht. Wenn es im vorliegenden Fall schon deshalb an der hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt, weil der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Selbsttötung und der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung nicht feststellbar ist, kann daher, wie das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat, dahinstehen, ob die in § 22 Abs. 1 Satz 1 und in § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG angeordnete entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes auch § 1 Abs. 4 BVG umfasst.

Da eine Selbsttötung in der Lebenswirklichkeit nie auf allein eine Ursache zurückzuführen ist, ist für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs die im sozialen Entschädigungsrecht geltende Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung maßgeblich. Danach ist ursächlich nur diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für das Resultat annähernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne (vgl. BSG v. 14. 7. 1955 – 8 RV 177/54 – a.a.O., S. 156 f.). Ob eine Bedingung "wesentlich" zu dem Erfolg beigetragen hat, kann nur nach den Umständen des besonderen Einzelfalls beurteilt werden. Gerade die Frage, welche Umstände bei einer Selbsttötung die wesentliche Bedingung für eine Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung gewesen sind, ist nicht danach zu beurteilen, ob eine Bedingung im allgemeinen, unter gleichen Umständen bei anderen Personen den gleichen Erfolg herbeigeführt hätte, sondern nur nach den besonderen Umständen und der besonderen Einzelpersönlichkeit (vgl. BSG v. 11. 11. 1959 – 11/9 RV 290/57BSGE 11, 50 [53 ff.]; Anhaltspunkte Nr. 74, Abschn. 2).

Im vorliegenden Fall ist schon nicht konkret feststellbar, dass der Verstorbene bei der Selbstschädigung in seiner freien Willensbestimmung beeinträchtigt gewesen ist. Dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Im typischen Fall ist die freie Willensbestimmung durch einen krankhaften Geisteszustand beeinträchtigt (nachfolgend aa). In seltenen Fällen kann eine Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung durch eine als ausweglos erscheinende Lage genügen (nachfolgend bb).

aa) Die Rechtsprechung kennt von jeher den Fall, dass bei der zum Tode führenden Selbstschädigung ein krankhafter Geisteszustand vorgelegen hat, durch die die freie Willensbestimmung beeinträchtigt worden ist. Wenn dieser Zustand mit Wahrscheinlichkeit durch versorgungsrechtlich geschützte Einwirkungen verursacht worden ist, ist nicht in der Selbstschädigung, sondern in der Schädigung des Geisteszustandes die primäre Schädigung zu sehen. Die Selbstschädigung ist deren Folge, wenn sie ihrerseits durch den krankhaften Geisteszustand verursacht worden ist. Es muss ein "doppelter ursächlicher Zusammenhang" vorliegen (BSG v. 14. 7. 1955 – 8 RV 177/54 – a.a.O., S. 155 ff.; v. 14. 5. 1958 – 11/9 RV 1076/55 – BSGE 7, 192; v. 11. 11. 1959 – 11/9 RV 290/57BSGE 11, 50; v. 3. 12. 1964 – 8 RV 229/62 – Umdr. S. 10, Bl.107 ff. der Verwaltungsakte; LSG Niedersachsen v. 21. 12. 1961 – L 10 V 1449/58 – Breithaupt 1962, 329 [329]).

Hier liegen aber keinerlei Befunde oder auch nur Hinweise vor, aufgrund deren festgestellt werden könnte, dass bei dem Verstorbenen bei der Abgabe des auf seine Brust gerichteten Schusses eine geistige oder seelische Gesundheitsstörung vorgelegen hat, durch die seine freie Willensbestimmung zumindest beeinträchtigt worden wäre. Auch die Kläger behaupten nicht, dass die freie Willensbestimmung des Verstorbenen durch eine Gesundheitsstörung im psychiatrischen Sinne beeinträchtigt gewesen wäre. Nach den Angaben der Klägerin hat er vor der Flucht keine psychischen Auffälligkeiten gezeigt.

Es mag zwar zutreffen, dass, wie die Kläger vorbringen, aus medizinischer Sicht eine Selbsttötung in aller Regel im Zustand einer zwanghaften Beeinträchtigung der Willens- und Handlungsfreiheit geschieht (vgl. die nicht zu den tragenden Gründen gehörende Bemerkung im Urt. des BSG v. 26. 2. 1992 – 9a RV 30/90 – a.a.O., S. 19; LSG Niedersachsen, a.a.O., S. 331; Rohr-Sträßer-Dahm, Bundesversorgungsgesetz, Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, 7. Aufl., Stand Okt. 2007, Bd. I, § 1, S. 69 f.). Die Feststellung des Tatbestandsmerkmals einer "gesundheitlichen Schädigung" setzt aber im Einzelfall voraus, dass eine konkrete geistige oder seelische Gesundheitsstörung vorgelegen hat, die so genau beschrieben werden kann, dass auch der Ursachenzusammenhang einerseits mit dem schädigenden Vorgang als der Ursache und andererseits mit der Selbsttötung als der Folge der Schädigung beurteilt werden kann. Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht bekannt und nach Aktenlage auch nicht aufklärbar, in welchem geistigen und seelischen Zustand sich der Verstorbene bei der Abgabe des auf ihn selbst gerichteten Schusses konkret und individuell befunden hat.

bb) Der nach § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem geschützten Tatbestand, hier der Freiheitsentziehung, der gesundheitlichen Schädigung und dem Todesleiden als Schädigungsfolge kann allerdings in seltenen Fällen auch zu bejahen sein, wenn sich die Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung nicht zu einem psychiatrisch fassbaren krankhaften Zustand zugespitzt und verfestigt hat, der als solcher das Tatbestandsmerkmal der "gesundheitlichen Schädigung" erfüllt, sondern – wie hier – erst die vom Verstorbenen sich selbst zugefügte Verletzung als die "gesundheitliche Schädigung" feststellbar ist. Die freie Willensbestimmung kann insbesondere auch in einer als ausweglos erscheinenden Lage ausgeschlossen oder beeinträchtigt sein (vgl. Anhaltspunkte Nr. 74, Abschn. 3). In der Rechtsprechung findet sich als Beispiel der Fall, dass ein im Kessel eingeschlossener Soldat sich selbst getötet hat, weil ihm nur dieser Weg blieb, um einem qualvollen Tod oder einer elendiglichen Gefangenschaft zu entgehen (BSG v. 8. 7. 1970 – 10 RV 114/68 – Umdr. S. 10, Bl. 100 ff. der Verwaltungsakte, in Juris Orientierungssatz).

Hier befand sich der von den Grenzsoldaten in der Bodensenke nahe der Grenzanlagen gefundene und "gestellte" Verstorbene in einer Lage, in der er nicht mehr entkommen konnte. Diese Lage war zweifellos eine Mitursache für seine Flucht in den Tod. Die über die Umstände des Fluchtversuchs und über den Verstorbenen bekannten Tatsachen reichen aber nicht aus, um beurteilen zu können, ob seine Lage die im Sinne der Versorgungsrechten Kausalitätsnorm wesentliche Bedingung der Selbsttötung gewesen ist.

Es kann zugunsten der Kläger unterstellt werden, dass bei dem Verstorbene die Angst vor der ihm nach dem Recht der DDR drohenden hohen Freiheitsstrafe zu seinem Entschluss, sich zu töten, beigetragen hat. Da durch den Rehabilitierungsbeschluss des Landgerichts Halle vom 21. Januar 1994 gerade die strafrechtlichen Maßnahmen hinsichtlich des Schuldvorwurfs des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts gemäß § 213 StGB/DDR für rechtsstaatswidrig erklärt worden sind, ist die Furcht vor Strafe hier auch von dem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand umfasst. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall etwa von dem Fall eines Gestapo-Manns, der sich am 8. Mai 1945 aus Furcht vor Strafe getötet hat und dessen Hinterbliebene sich erfolglos auf eine Schädigung durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung nach § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG berufen haben (vgl. BSG v. 26. 11. 1964 –9 RV 944/63 – Umdr. Bl. 117 ff. der Verwaltungsakte).

Das reicht jedoch für die Bewertung der durch die Grenzsoldaten herbeigeführten Zwangslage als wesentliche Bedingung der Selbsttötung nicht aus. Die Wahl des Todes durch die Abgabe des Schusses auf die eigene Brust steht zu den Belastungen, die der Verstorbene im Strafverfahren und bei der Strafvollstreckung zu erwarten hatte, außer jedem Verhältnis. Die Furcht vor Strafe könnte zwar dennoch als wesentliche Mitursache der Selbsttötung zu beurteilen sein, wenn konkrete Umstände hinzukämen, wegen deren in der durch die Grenzsoldaten geschaffenen Zwangslage die Grenze der individuellen Belastbarkeit des Verstorbenen überschritten worden wäre. Hierfür kämen am ehesten frühere traumatische Erfahrungen in Betracht, wenn diese in der aktuellen Zwangslage wiederbelebt worden wären und zu einer Überreaktion geführt hätten. Gegen eine Kurzschlussreaktion spricht aber bereits, dass der Verstorbene bei dem Fluchtversuch die Schusswaffe mitgenommen hat. Im Übrigen ist schlechterdings nichts bekannt, was die Überreaktion des Verstorbenen erklären könnte. Es sind auch keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten hierzu ersichtlich. Die in den Berufungsverfahren der Kläger vom Berichterstatter vorsorglich veranlasste Beiziehung der BStU-Unterlagen ist hier nicht durch den Amtermittlungsgrundsatz geboten.

Nach alledem hat das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht wegen Fehlens der hinreichenden Erfolgsaussicht abgelehnt.

Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Auf § 178a SGG, eingefügt durch das Anhörungsrügegesetz vom 9. 12. 2004 (BGBl. I 3220, 3224), wird hingewiesen.
Rechtskraft
Aus
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