L 11 R 5173/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 658/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5173/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. August 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist Befreiung von der Pflichtversicherung für Selbständige streitig.

Der 1947 geborene Kläger, der als Rentenberater selbständig tätig ist, unterliegt aufgrund seines Antrages ab 01. Dezember 1986 der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Seinem Antrag vom 27. Juni 1994, mit welchem er die Befreiung von der Pflichtversicherung als Selbständiger mit der Begründung erstrebte, mit Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG) sei die Rechtsgrundlage zum Antrag der Pflichtversicherung (sog. Halbbelegung) entfallen, entsprach die Beklagte nicht. Sie entschied mit Bescheid vom 21. Juli 1994, ab August 1994 sei der Regelbeitrag in Höhe von DM 752,64 monatlich zu zahlen. Mit weiterem Bescheid vom 9. August 1994 lehnte die Beklagte die Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 01. März 1995), da ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nicht bestehe bzw. die Befreiung nicht möglich sei, ebenso seine Klage beim Sozialgericht Reutlingen - SG - (Urteil vom 23. August 1995, S 6 AN 598/95), die Berufung (Urteil des Landessozialgericht Baden-Württemberg - LSG - vom 25. April 1996, L 10 AN 3322/95) und die Nichtzulassungsbeschwerde (Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 14. August 1996, 12 BK 19/96).

Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 1997, aufgehoben und ersetzt durch Bescheid vom 21. Februar 1997, die monatlichen Pflichtbeiträge ab 01. August 1994 auf DM 752,64, ab 01. Januar 1995 auf DM 755,16 und ab 01. Januar 1996 auf DM 792,96 fest. Der zu entrichtende Beitrag wurde insgesamt mit 21.333,48 DM beziffert. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05. August 1997 als unbegründet zurückgewiesen. Das Klageverfahren (Urteil des SG vom 02. Juli 1998, S 6 RA 2388/97) blieb ebenso erfolglos wie das Berufungsverfahren (Beschluss vom 30. März 1999, L 10 RA 3564/98).

Mit Schreiben vom 24. Juli 1998 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 21. Juli 1994, mit dem die Beklagte die Zahlung eines Regelbetrages in Höhe von monatlich 752,64 DM ab August 1994 eingefordert hatte. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 30. September 1998 ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. November 1999), da mit dem Bescheid vom 21. Juli 1994 keine Regelung getroffen worden, sondern lediglich eine Umstellung der Beitragspflicht auf den Regelbeitrag erfolgt sei. Im anschließenden Klageverfahren beim SG wurde die Beklagte mit Urteil vom 25. Oktober 2001 verurteilt, auch eine Überprüfung des Bescheidung vom 09. August 1994 vorzunehmen und den Kläger nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu bescheiden (S 6 RA 3367/99). In Ausführung dieses Urteils lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2002 die Rücknahme der Bescheide vom 21. Juli und 09. August 1994 mit der Begründung ab, ein Verzicht auf die Versicherungspflicht oder eine Befreiung sei nicht möglich. Die Voraussetzungen, unter denen die Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ende, seien abschließend im Gesetz aufgeführt. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ebenfalls erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006). Zur Begründung führte die Beklagte ergänzend aus, eine Beendigung der Antragspflichtversicherung aus sonstigen Gründen (etwa weil sie nunmehr als unnötig empfunden werde) sei nicht möglich. Sie laufe selbst für solche Zeiten weiter, in denen aus irgendwelchen Gründen während der Tätigkeit kein Entgelt mehr bezogen werde (z.B. wegen Krankheit, so dass Anrechnungszeiten nicht während der Dauer einer Antragspflichtversicherung zurückgelegt werden könnten). Der Kläger habe neue Sachverhalte und Tatbestände nicht vorgetragen. Sein Widerspruch könne deswegen keinen Erfolg haben.

Mit seiner dagegen am 20. Februar 2006 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger weiter geltend gemacht, er könne als Selbständiger nicht ohne eine Befreiungsmöglichkeit zur Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen herangezogen werden. Man habe ihn nie darauf hingewiesen, dass eine Kündigung unter Berücksichtigung von Artikel 14 Grundgesetz (GG) möglich sei. Die Beklagte verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Anrechnungsvoraussetzung ("Pflicht-Halbbelegung") sei Bedingung und Geschäftsgrundlage seines Antrags auf freiwillige Pflichtversicherung gewesen. Nach der Gesetzesänderung habe die Antragspflicht "den Gesetzessinn verloren".

Mit Urteil vom 28. August 2008, dem Kläger zugestellt am 22. Oktober 2008, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen für eine Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide der Beklagten vom 21. Juli 1994 und 09. August 1994 lägen nicht vor. Zur Begründung seines Begehrens habe der Kläger keine neuen Tatsachen und Gesichtspunkte vorgetragen, keine neuen Beweismittel benannt und nichts dargetan, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidungen sprechen könnte. Insofern bestünden keinerlei Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Rechtsanwendung oder die Annahme eines unrichtigen Sachverhaltes. Seine verfassungsrechtlichen Bedenken teile das SG nicht. Das BSG habe sich mit der Frage des Systemwechsels bereits auseinandergesetzt und das Vorliegen eines Verstoßes gegen Grundrechte, namentlich auch gegen Artikel 14 des Grundgesetzes (GG), abgelehnt.

Mit seiner dagegen am 10. November 2008 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, er habe die Antragspflichtversicherung nur begründet, weil damals (1986) die Entrichtung von Pflichtbeiträgen zusammen mit der sog. Halbbelegung Voraussetzung dafür war, dass im Versicherungsfall Ausfallzeiten, zu denen Schul- und Hochschulausbildungszeiten gehörten, angerechnet werden. Durch das Rentenreformgesetz 1992 habe sich die Rechtslage dahingehend geändert, dass die Entrichtung von Pflichtbeiträgen nicht mehr Voraussetzung für die Anrechnung der genannten Ausfallzeiten war. Dadurch sei die Grundlage für seinen Antrag auf Pflichtversicherung entfallen. Auch werde er gegenüber freiwillig Versicherten benachteiligt. Aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse ihm deshalb eine Möglichkeit eröffnet werden, über die Versicherungssituation neu zu entscheiden. Es entstünde sonst der Eindruck einer rechtsgrundlosen Zwangsversicherung. Der gegen ihn festgesetzte Regelbeitrag entspreche einem Jahresbruttoentgelt von zur Zeit ca. 29.800,- EUR. Er leiste davon den vollen Beitragssatz von 19,9 %, also ca. ein Fünftel seines Bruttoeinkommens. Dies erscheine erheblich existenzgefährdend, wenn nicht sogar existenzvernichtend. Oberhalb der Regelgrenze werde der Versicherte wieder begünstigt. Somit sei die Pflichtversicherung auch nicht verhältnismäßig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. August 2008 sowie den Bescheid vom 21. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihre Bescheide vom 21. Juli 1994 und 09. August 1994 zurückzunehmen und ihn von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und teilt ergänzend mit, dass der Kläger lediglich bis zum 31. März 1996 Beiträge entrichtet habe. Der aktuelle Rückstand betrage 114.793,15 EUR.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die vorgelegten Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten S 6 RA 3367/99, S 6 AN 2388/97, S 6 R 2767/07 ER, S 6 AN 598/95, S 6 R 4620/06 ER und L 10 R 1043/07 ER-B verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, die keiner Zulassung nach § 144 SGG bedarf, ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Bescheide vom 21. Juli 1994 und 09. August 1994 aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Antragspflichtversicherung.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen (§ 77 SGG) Bescheide vom 21. Juli 1994 und 09. August 1994 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dies ist hier nicht der Fall.

Der Kläger hat von der für Selbstständige nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 Angestelltenversicherungsgesetz (jetzt: § 4 Abs 2 SGB VI) bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht und ist der gesetzlichen Rentenversicherung am 1. Dezember 1986 als Pflichtmitglied beigetreten. Eine in dieser Weise auf Antrag begründete Versicherungspflicht endet nach § 4 Abs 4 Satz 2 SGB VI mit Ablauf des Tages kraft Gesetzes, an dem ihre Voraussetzungen weggefallen sind, also bei Fortfall des für die Antragspflichtversicherung maßgebenden Anknüpfungstatbestandes mit Ausnahme des von dem Versicherten gestellten Antrags. Diese Voraussetzung war und ist nicht erfüllt. Der Kläger ist als Rentenberater bis heute nicht nur vorübergehend selbstständig tätig. Die Regelung des § 4 Abs 4 Satz 2 SGB VI über die Beendigung des Pflichtversicherungsverhältnisses ist abschließend mit der Folge, dass die einmal begründete Antragspflichtversicherung von dem Kläger nicht gekündigt, widerrufen oder sonst durch Willenserklärung beendet werden kann (BSG, Urteil vom 26. Januar 2005, B 12 RA 3/03 R, SozR 4-2600 § 58 Nr. 6).

Der Kläger gehört weiterhin zum Personenkreis der antragspflichtig versicherten Selbständigen nach § 4 Abs. 2 SGB VI. Dies sind Personen, die nicht nur vorübergehend selbständig sind, wenn sie die Versicherungspflicht innerhalb von fünf Jahren nach der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder dem Ende der Versicherungspflicht aufgrund dieser Tätigkeit beantragen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen beim Kläger vor, der nach wie vor selbständig als Rentenberater tätig ist und dessen Versicherungspflicht sein Antrag vom 2. Dezember 1986 zugrunde liegt. Da die Voraussetzungen der Versicherungspflicht auf Antrag nicht weggefallen sind, hat diese bislang nicht geendet (§ 4 Abs. 4 Satz 2 SGB VI). Die Versicherungspflicht kann danach nicht dadurch beendet werden, dass der Kläger seinen Antrag vom 2. Dezember 1986 zurücknimmt und somit eine der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht auf Antrag zum Wegfall käme (so bereits LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. April 1996, L 10 AL 3322/99).

Insbesondere kann sich der Kläger für sein Austrittsbegehren nicht auf einen verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz berufen. Das BVerfG hat allerdings früher entschieden, dass einem Antragspflichtversicherten ein Recht zum Austritt aus der Antragspflichtversicherung einzuräumen ist, weil der Gesetzgeber den Wert der Ausbildungsausfallzeiten vermindert hatte und dadurch die zu erwartende Rente niedriger ausfiel (Beschluss vom 9. Oktober 1985 - 1 BvL 7/83 - SozR 5120 Art 2 § 2 Nr. 1). Die besonderen Voraussetzungen, unter denen das BVerfG den Gesetzgeber seinerzeit zur Schaffung eines Austrittsrechts für Antragspflichtversicherte angehalten hat, liegen bei dem Kläger jedoch nicht vor. Dies hat das BSG in einem vergleichbaren Fall im Urteil vom 26. Januar 2005 (a.a.O.) ausführlich dargelegt; der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das RRG 1992 in Bezug auf die Bewertung der beitragsfreien Zeiten (sogenannte Gesamtleistungsbewertung) und die Abschaffung der Halbbelegung, bestehen ebenfalls nicht (BSG, Urteil vom 18. April 1996, 4 RA 36/94, SozR 3-2600 § 71 Nr. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved