L 20 B 13/09 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 73/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 13/09 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.12.2008 geändert. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtanwalt K, C, zu ihrer Vertretung beigeordnet.

Gründe:

I.

Am 26.02.2008 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Dortmund die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Im Antragsschriftsatz des Prozessbevollmächtigten ist auf Seite 4 ausgeführt: "Ich überreiche abschließend die Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse samt Anlage und beantrage, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr zur vorläufigen Wahrnehmung ihrer Rechte in dieser Instanz den Unterzeichnenden als Rechtsanwalt beizuordnen." Tatsächlich ist jedoch nicht feststellbar, dass eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse oder eine Anlage der am 26.02.2008 per Telefax und am 28.02.2008 nochmals per Briefpost übermittelten Antragsschrift angelegen hätten; zur Gerichtsakte sind diese Unterlagen nicht gelangt. Hierauf wurde die Antragstellerin vom Sozialgericht zu keiner Zeit hingewiesen. Insbesondere blieb in dem vom Sozialgericht verwendeten Formblatt für die Verfügung zum Antragseingang in der für die Eingangsbestätigung vorgesehenen Rubrik ein zum Ankreuzen vorgesehener Zusatz zur Bitte um Übersendung der "PKH-Erklärung nebst entsprechender Belege" unverwendet. Ebenso erfolgte insbesondere in zwei der Sachverhaltsaufklärung dienenden Schreiben des Sozialgerichts an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 14.03. und 02.04.2008 kein Hinweis auf fehlende Antragsunterlagen betreffend Prozesskostenhilfe; Gleiches gilt für eine Erinnerung des Sozialgerichts an den Bevollmächtigten vom 30.04.2008, das Verfahren weiter zu bearbeiten.

Mit Beschluss vom 05.06.2008 entschied das Sozialgericht teilweise zu Gunsten der Antragstellerin und legte dem Antragsgegner 18,5 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auf. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen. Gegen den ihm am 12.06.2008 zugestellten Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte für die Antragstellerin am 16.06.2008 Beschwerde, gerichtet an das Sozialgericht, eingelegt, mit der er zugleich an die Bescheidung des Prozesskostenhilfeantrags vom 26.02.2008 erinnert hat. Die Beschwerde wurde später mit Schriftsatz vom 04.09.2008 zurückgenommen.

Auf Anfrage des Sozialgerichts vom 23.09.2008 teilte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin dem Sozialgericht unter dem 27.10.2008 mit, die Prozesskostenhilfeerklärung sei samt Anlage zusammen mit der Antragsschrift vom 26.02.2008 per Briefpost übersandt worden. Es entziehe sich seiner Kenntnis, wo diese Unterlagen verblieben seien. Es hätte jedoch aufgrund des vielfachen Schriftverkehrs mehrfach die Möglichkeit bestanden, eine etwa fehlende Erklärung oder Anlagen nachzureichen. Ein entsprechender Hinweis sei nicht erteilt worden. Die Antragsgegnerin teilte auf Anfrage des Sozialgerichts, ob ihr versehentlich ein Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin übersandt worden sei, mit, ihr liege ein solcher Antrag nicht vor.

Mit Beschluss vom 23.12.2008 lehnte das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ab. Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 117 Zivilprozessordnung (ZPO) könne Prozesskostenhilfe erst ab dem Zeitpunkt bewilligt werden, ab dem ein vollständiger Antrag auf Prozesskostenhilfe vorliege. Der vollständige Antrag müsse vor Abschluss der Instanz, für den Prozesskostenhilfe begehrt werde, vorliegen. Im Falle der Antragstellerin habe der vollständige Antrag frühestens am 18.07.2008 durch einen Eingang im (weiteren) Verfahren S 38 AS 238/08 vorgelegen. Ein vorheriger Antrag sei nicht glaubhaft gemacht und nicht feststellbar. In erster Instanz sei das Verfahren jedoch bereits am 05.06.2008 abgeschlossen gewesen. Deshalb sei eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht möglich.

Gegen diesen am 05.01.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 12.01.2009 Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, nach dem Inhalt der Antragsschrift vom 26.02.2008 gingen ihr Bevollmächtigter als auch seine Kanzleimitarbeiterin davon aus, dass die Prozesskostenhilfeerklärung samt Anlage der Antragsschrift beigefügt gewesen sei; anderenfalls wäre ein Schriftsatz diesen Inhalts nicht auf den Weg gebracht worden. Der Prozesskostenhilfeantrag befinde sich auch nicht etwa in der anwaltlichen Handakte; sein Verbleib sei daher auf Seiten der Antragstellerin nicht aufklärbar. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe sei unabhängig davon jedenfalls gestellt worden, ohne dass ein gerichtlicher Hinweis auf etwa fehlende Unterlagen erteilt worden sei. Die Antragstellerin habe deshalb davon ausgehen können, dass die nötigen Unterlagen zur Gerichtsakte gelangt seien. Anderenfalls hätte es vor der instanzbeendenden Entscheidung des Sozialgerichts eines entsprechenden Hinweises bedurft, um ihr Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.

Dass die Rechtsverfolgung der Antragstellerin i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO hinreichende Erfolgsaussicht hatte, ergibt sich bereits aus ihrem teilweisen Obsiegen. Zugleich ist sie auch nicht in der Lage, die Prozesskosten auch nur teilweise selbst aufzubringen.

Liegen damit die materiellen Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor, so ist eine Bewilligung auch nicht ausgeschlossen, weil Prozesskostenhilfe nicht wirksam beantragt worden wäre:

Zwar kann ein Antrag auf Prozesskostenhilfe nach Abschluss der betreffenden Instanz nicht mehr mit Erfolg gestellt werden, da Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO allein für eine "beabsichtigte" und damit noch nicht abgeschlossene Rechtsverfolgung bewilligt werden kann. Dies schließt allerdings nicht aus, dass das Gericht, auch wenn es um eine möglichst frühzeitige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag bemüht zu sein hat, über einen rechtzeitig gestellten Antrag im Einzelfall (und wie auch im Falle der Antragstellerin) erst nach Beendigung des Verfahrens entscheidet und ggf. noch nachholend Prozesskostenhilfe für das bereits abgeschlossene Verfahren bewilligt.

Dass der eigentliche Antrag auf Prozesskostenhilfe von der Antragstellerin rechtzeitig (bereits mit dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom 26.02.2008) gestellt wurde, steht außer Frage. Ob neben einem solchen Antrag allerdings für seine Wirksamkeit grundsätzlich weiter zu fordern ist, dass die nach § 73a SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Antrag "beizufügende" Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen dem Gericht bereits vorliegt, kann im Falle der Antragstellerin offen bleiben.

Denn die Antragstellerin konnte, nachdem sie bereits in dem Schriftsatz vom 26.02.2008 auf eine beigefügte Erklärung nebst Anlage hingewiesen hatte, davon ausgehen, dass Erklärung und Anlage das Sozialgericht auch erreicht hätten. Zwar wäre sie (selbst wenn man unterstellt, diese Unterlagen seien nicht erst im gerichtlichen Verfahren verloren gegangen, sondern ihre Mitübersendung sei auf Seiten der Antragstellerin versehentlich nicht erfolgt) auf eine entsprechende Aufforderung des Sozialgerichts verpflichtet gewesen, ggf. fehlende Unterlagen noch unverzüglich nachzureichen. Dass sie hierzu nicht bereit oder in der Lage gewesen wäre, ist auch nicht ersichtlich.

Die Antragstellerin wurde jedoch zu keiner Zeit in die Lage versetzt, eine entsprechende Nachbesserung vorzunehmen. Denn das Sozialgericht, das bereits ausweislich seines von ihm verwendeten Formblattes für die Eingangsbestätigung die Möglichkeit gehabt hätte, durch bloßes Ankreuzen durch den Kammervorsitzenden einen entsprechenden Hinweis zu veranlassen, hat offensichtlich die ausweislich dieses Formblattes vorgesehene, standardisierte Verfahrensweise vernachlässigt und seinerseits nicht geprüft, ob alle in der Antragsschrift benannten Unterlagen auch tatsächlich beigefügt waren. Ebenso hat das Sozialgericht den Prozesskostenhilfeantrag überhaupt übersehen und dementsprechend erst nach Verfahrensabschluss (auf Erinnerung durch die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift) über ihn entschieden. Bei dieser fehlenden Kenntnisnahme von dem Prozesskostenhilfeantrag hatte das Gericht zwangsläufig auch nicht einmal Gelegenheit, noch während des laufenden erstinstanzlichen Verfahrens an die Vorlage der fehlenden Unterlagen zu erinnern.

Zwar erscheinen derartige, im Arbeitsalltag letztlich nicht vermeidbare Versehen schon angesichts der allgemeinen Geschäftsbelastung der Sozialgerichte sowohl im richterlichen wie im nichtrichterlichen Bereich ohne weiteres entschuldbar. Gleichwohl ist es bei der rechtlichen Zuschreibung der Folgen solcher Versehen unter Beachtung des auch im Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe geltenden Grundsatzes des rechtlichen Gehörs verfahrensfehlerhaft, bei verspäteter Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erst lange nach Abschluss des Verfahrens die Bewilligung der Prozesskostenhilfe allein deshalb abzulehnen, weil bis zum Verfahrensabschluss Unterlagen i.S.v. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO bis zum Verfahrensabschluss fehlten, selbst wenn ein ursprüngliches Versehen auf Antragstellerseite bestanden haben mag oder jedenfalls eine rechtzeitige Vorlage der fraglichen Unterlagen von dort nicht nachweisbar ist. Dementsprechend ist für den Fall einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag noch während des zugrundeliegenden Rechtsstreits anerkannt, dass vor einer Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags wegen unvollständiger Ausfüllung oder fehlender Belege das Gericht auf die Mängel hinweisen und eine Frist zur Behebung setzten muss (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl. 2005, Rn. 140 m.w.N.). Dann aber kann für den Fall einer verspäteten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erst nach Abschluss des zugrundeliegenden Rechtsstreits nichts anderes gelten. Hätte deshalb das Sozialgericht bei optimaler Verfahrensbearbeitung unter Beachtung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin durch schlichten Hinweis die Möglichkeit zur Nachbesserung ohne großen Aufwand geben können, und hätte die Antragstellerin mit einer Nachbesserung ohne weiteres die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausgelöst, so erscheint es mit den Grundsätzen einer fairen Verfahrensführung nicht vereinbar, allein die (möglichen) Versehen auf Antragstellerseite die rechtlichen Folgen bestimmten zu lassen und die gerichtlichen Versehen ohne Auswirkungen zu stellen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nach § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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