L 8 (4) R 150/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 51 (5) RJ 326/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 (4) R 150/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.10.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob die Klägerin eine Beitragszeit in dem Ghetto Nowogrodek in der Zeit von Juli 1942 bis Januar 1943 glaubhaft machen konnte.

Die am 00.00.1923 in Nowogrodek/Polen als polnische Staatsangehörige geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens und als Verfolgte des Nationalsozialismus gem. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz -BEG- (Feststellungsbescheid C vom 26.06.1961; Bescheid vom 20.02.1963 über eine befristete Rente nach § 165 BEG aus dem Härtefonds). Nach ihrer Befreiung wanderte die Klägerin von Polen über Österreich, Frankreich, Uruguay 1946 nach Argentinien und im Juni 1963 nach Israel aus. Die Klägerin besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Am 07.12.1956 erklärte die Klägerin im Entschädigungsverfahren, nach dem Einzug der deutschen Truppen seien sie gezwungen worden, zuerst den Judenstern zu tragen und seien dann kurze Zeit danach in das Ghetto von Nowogrodek eingeliefert worden, welches von den Nazis eingerichtet worden sei. Als das Ghetto Anfang des Jahres 1943 habe aufgelöst werden sollen, d.h. die Insassen zur Zwangsarbeit abtransportiert worden seien, sei es ihr gelungen aus dem Ghetto zu flüchten. Im Ghetto von Nowogrodek habe sie Herrn S S geheiratet.

Der Zeuge J Q erklärte am 06.11.1956 im Entschädigungsverfahren der Klägerin, als die Nazis Polen besetzt hätten, sei er zuerst in das Ghetto Dzienciol gekommen und sei dann im Jahre 1942 in das Ghetto von Nowogrodek weitertransportiert worden. Als er in dieses Ghetto eingeliefert worden sei, habe sich dort bereits die Klägerin befunden, die aus Nowogrodek stamme. Anfang 1943, als die Insassen des Ghettos teils zur Zwangsarbeit, teils in die Vernichtungslager hätten deportiert werden sollen, sei es ihnen gelungen, einen unterirdischen Tunnel zu graben und durch diesen zu entkommen.

Am 17.10.1960 erklärte die Klägerin im Entschädigungsverfahren, am 15.07.1941 seien sie gezwungen worden, zuerst den Judenstern zu tragen und seien dann kurze Zeit danach in das Ghetto von Nowogrodek eingeliefert worden, welches von den Nazis eingerichtet worden sei. Als das Ghetto Anfang des Jahres 1943 habe aufgelöst werden sollen, d.h. die Insassen zur Zwangsarbeit abtransportiert worden seien, sei es ihr gelungen aus dem Ghetto zu flüchten.

Am 18.10.1960 gab die Klägerin in dem Fragebogen zum Antrag auf Entschädigung für den Schaden an Freiheit für den Zeitraum vom 15.07.1941 bis Anfang 1943 in Nowogrodek "Sterntragen und Ghetto" an. Von Anfang 1943 bis September 1944 habe sie sich im Untergrund bei Nowogrodek, Grodno und Bialostock befunden. Die Eheschließung mit S S sei im Februar 1945 und vorher im Ghetto Grodno in jüdischer Form erfolgt.

Die Zeugen T und H S erklärten am 01.04.1961 bzw. am 06.02.1961 im Entschädigungsverfahren der Klägerin, dass kurze Zeit nach Juli 1941 das Ghetto in Nowogrodek errichtet worden sei und die Klägerin ebenso wie sie in dieses hätten gehen müssen, wo sie interniert worden seien. Die Klägerin habe Ende 1942 im Ghetto Herrn S S geheiratet.

In ihrem Entschädigungsverfahren führte die Klägerin in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 04.01.1963 unter anderen aus: Ab Sommer 1941 habe sie den Judenstern tragen müssen und sei im Herbst desselben Jahres in das Ghetto eingewiesen worden. Dieses sei mit Stacheldraht und Brettern umzäunt gewesen und jedes Verlassen sei mit der Todesstrafe gesühnt worden. Dort habe sie schwere Zwangsarbeiten ausführen müssen, unter anderem Reinigungsarbeiten und auch Straßenbau usw ... Dabei seien sie von ukrainischer und Iitauischer Miliz bewacht worden, die besonders grausam zu ihnen gewesen seien. Wenn sie mit dem Arbeitstempo nicht nachgekommen seien, seien sie auf alle Körperteile geschlagen worden und hätten zur Strafe die Arbeit bis tief in die Nacht fortsetzen müssen. Dabei hätte sie oft ihre müden Knochen nicht einmal auf einer Pritsche ausruhen können, da zu viele Menschen in einem Raum zusammengepfercht hätten leben müssen. Bei der Hungerernährung sei sie immer mehr abgemagert, so dass sie Anfang des Jahres 1942 Typhus bekommen habe. Wochenlang habe sie mit hohem Fieber und ohne ärztliche Hilfe oder Medikamente daniedergelegen. Kaum habe sie sich wieder auf den Beinen halten können, habe sie wieder schwer arbeiten müssen. Daraufhin habe sie sich entschlossen, noch im selben Jahr ihren Peinigern zu entgehen und sei in die umliegenden Wälder unter Lebensgefahr geflohen. Im Jahre 1944 sei sie befreit worden.

Im ärztlichen Gutachten vom 07.08.1964 findet sich in der Vorgeschichte zum beruflichen Werdegang von der Klägerin unterzeichnet folgende Darstellung:

" ... 1941 besetzten die Deutschen den Ort. Sie kam ins Ghetto und arbeitete schwere körperliche Arbeit. (Straßenbau, Reinigungsarbeiten, Reinigung der Klosette) 1942 erkrankte sie an Fleckfieber, drei Monate lag sie krank ohne ärztliche Hilfe, nur heimlich halfen ehemalige Ärzte. Nachher Flucht in die Wälder, wo sie bis Ende des Krieges blieb ..."

In einer ärztlichen Bescheinigung von Frau Dr. G findet sich folgende Schilderung:

" ... im Jahre 1941 wird die Familie in das Ghetto gesperrt. Sie (Anmerkung des Senats: gemeint ist die Klägerin) wird gezwungen, schwere körperliche Zwangsarbeit zu verrichten, wie Wegebau, Reinigung von Latrinen, usw. Sie erleidet schwere körperliche Strafen, sowie Mangel an Nahrung und Behausung. Sie wird geschwächt und erkrankt an Typhus Exantematico. Ihre Krankheit hält drei Monate, ohne jede ärztliche Behandlung, an. Sie verliert ihre Eltern und Schwestern, die nach Auswahlen im Ghetto zur Vernichtung geschickt wurden. Es gelingt ihr aus dem Ghetto zu flüchten ..."

Am 13.09.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Zur Begründung führte sie in einer Erklärung vom 25.03.2003 aus: Gleich nach der Einweisung in das Ghetto Nowogrodek habe sie sich um eine Tätigkeit bemüht, um sich ernähren zu können und nicht deportiert zu werden. Dank der Vermittlung des Judenrates und eigener Bemühungen habe sie die Arbeit in einer Werkstatt außerhalb des Ghettos gefunden, wo Schuhe und Kleidung für die deutsche Armee hergestellt worden seien. Außerdem habe sie Straßen und Diensträume außerhalb und innerhalb des Ghettos gereinigt. Dafür habe sie Essen und Lebensmittel für zu Hause erhalten. Im Ghetto sei sie von Sommer 1941 bis Anfang 1943 verblieben. In dem Formantrag gab die Klägerin an: Sie habe nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört. Von Sommer 1941 bis Anfang 1943 habe sie im Ghetto Nowogrodek in einer Werkstatt für Schuhe und Winterkleidung für die deutsche Armee gearbeitet sowie Reinigungsarbeiten innerhalb und außerhalb des Ghettos durchgeführt. Dafür habe sie Essen erhalten.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung einer Altersrente nach Einsichtnahme in die Entschädigungsakte mit Bescheid vom 29.01.2004 ab. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, im Ghetto eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt zu haben. Nach ihren Angaben zur Begründung des Rentenantrages habe sie als Entlohnung lediglich Essen am Arbeitsplatz erhalten. Danach habe sie Lebensmittelrationen nur in einem Umfang erhalten, der für den täglichen Lebensbedarf notwendig gewesen sei.

Dagegen legte die Klägerin am 12.02.2004 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie unter anderem in einer Erklärung vom 21.04.2004 ausführte: In ihrer Erklärung von 1963 habe sie nur über das geschrieben, was sie von der Lage im Ghetto Nowogrodek besonders beeindruckt habe. Sie habe dort aber nicht über ihre freiwillige Arbeit geschrieben, außer des Ghettos in einer Werkstatt. Dafür habe sie Essen und Lebensmittel für nach Hause erhalten. Sie sei bewacht worden, aber nur am Weg, aber nicht bei der Arbeit. Die Arbeit im Ghetto in der Werkstatt hätte Mitte 1942 begonnen und Anfang 1943 geendet. Die Zwangsarbeiten, von denen sie geschrieben habe in der Erklärung von 1963 seien von 1941 bis Anfang 1942 gewesen. Danach sei sie für einige Monate an Typhus erkrankt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2004 zurück und führte ergänzend aus: Auch nach den Ausführungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren sei ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG von der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden. Die Widerspruchstelle messe den Schilderungen der Klägerin im zeitnäheren Entschädigungsverfahren zur Ausgestaltung der Arbeitstätigkeit außerhalb des Ghettos Nowogrodek einen höheren Beweiswert bei. Damals habe sie jedoch vorgetragen, dass sie schwere Zwangsarbeiten habe ausführen müssen und dabei von ukrainischer und litauischer Miliz bewacht worden sei.

Mit ihrer zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf am 15.12.2004 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, das für die geleistete Arbeit erhaltene Entgelt habe die vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 - geforderte Geringfügigkeitsgrenze bzw. Mindesthöhe überschritten. Angaben über eine freiwillige Arbeitsaufnahme und eine Entlohnung seien für das Entschädigungsverfahren ohne Bedeutung gewesen und dort nicht abgefragt worden. Wenn daher Angaben dazu im Entschädigungsverfahren fehlten, könnten diese nunmehr im Rentenverfahren nicht gegen sie verwendet werden.

Zur weiteren Begründung hat die Klägerin eine schriftliche Erklärung der Zeugin S1 L1 vom 03.04.2005 beigebracht, in der diese erklärt hat:

Sie kenne die Klägerin seit ihrer Kindheit, weil sie benachbart gewesen seien. Sie habe sich im Ghetto Nowogrodek die ganze Zeit mit der Klägerin zusammen befunden. Sie - die Zeugin - habe im anderen Ort gearbeitet, wisse jedoch, dass die Klägerin die ganze Zeit ihres Aufenthalts im Ghetto in der Werkstatt, in der Schuhe und Kleidung ausgestellt worden seien, gearbeitet habe, außer der Zeit, als sie typhuskrank gewesen sei. Dafür habe sie von der Ghettoverwaltung jeden Tag Essen und zusätzliche Lebensmittel für zu Hause sowie freie Unterkunft erhalten. Zur Zwangsarbeit habe man sie alle genommen, aber das sei nur ein-, zweimal in der Woche gewesen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.01.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 zu verurteilen, die Tätigkeiten von Juli 1942 bis Januar 1943 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 unter Berücksichtigung der weiteren Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre angefochtenen Bescheide weiterhin für zutreffend gehalten. Die vorgelegte Erklärung der Zeugin L1 sei nicht dazu geeignet, ein von der Klägerin freiwillig aufgenommenes Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt glaubhaft zu machen.

Mit Urteil vom 24.10.2005 hat das SG Düsseldorf die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und entgeltliche Beschäftigung nicht glaubhaft gemacht.

Gegen das ihr am 14.12.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.12.2005 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Sie stützt sich auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 05.09.2007, L 4 R 207/06.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.10.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.01.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 zu verurteilen, ihr eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von Juli 1942 bis Januar 1943 nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Unterlagen der Jewish Claims Conference (JCC) zu dem Antrag der Klägerin auf Leistungen aus dem Zwangsarbeiterfonds hat der Senat beigezogen. Die JCC hat mitgeteilt, dass die Klägerin eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Nowogrodek in den Jahren 1941-1943 erhalten habe. Da die Klägerin eine BEG-Gesundheitsschadenrente beziehe, schließe das eine Rente nach Art. 2-Fonds aus. Beim Härtefonds sei kein Antrag gestellt worden.

Die Klägerin hat mitgeteilt, für den geltend gemachten Zeitraum der Beschäftigung im Ghetto Nowogrodek keine Leistungen aus einem System der sozialen Sicherheit zu erhalten. Die Beklagte hat keine abweichenden Erkenntnisse mitteilen können.

Nach dem von der Beklagten übersandten israelischen Versicherungsverlauf verfügt die Klägerin über 225 Beitragsmonate.

Die Zeugin S1 L1 hat den ihr vom Senat übersandten Fragebogen trotz Erinnerung nicht beantwortet.

Die Klägerin hat angegeben, dass ihr Verfolgungsschicksal nicht an anderer Stelle dokumentiert sei, sie Zeugen nicht mehr benennen könne und den ihr vom Senat übersandten Fragebogen sowie die ergänzend gestellten Fragen beantwortet. Auf die Antworten der Klägerin wird Bezug genommen.

Der Senat hat die Entschädigungsakten betreffend die Zeugen T und H S beigezogen. Die Klägerin ist darin nicht als Zeugin in Erscheinung getreten. Der Senat hat ferner die Streitakten S 39 RJ 160/03 des SG Düsseldorf (L 4 R 32/05, LSG Nordrhein-Westfalen -NRW-) betreffend die Zeugin L1 beigezogen, in der die Klägerin als Zeugin Folgendes erklärte:

" Frau L1 S1 kenne ich seit meiner Kindheit, wir waren benachbart. Ich habe in anderem Ort gearbeitet, aber ich habe gesehen, das sie Reinigungsarbeiten erfüllte und dann im Spital als Sanitäterin gearbeitet hatte, dann wieder Reinigungsarbeiten erfüllte. Für diese Arbeit hat sie wöchentlich von der Ghettoverwaltung Essen, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause und Heizmaterial bekommen. Zur Zwangsarbeit hat man uns alle genommen, aber das war ein-, zweimal in der Woche nach dem Bedarf. "

Der 4. Senat hat mit Urteil vom 02.03.2007 die Berufung der Klägerin jenes Verfahrens zurückgewiesen, da nicht glaubhaft gemacht sei, dass die Klägerin im Ghetto Novogrodek in einem dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.

Die in dem Streitverfahren L 13 R 31/07 eingeholte Aussage des Zeugen L sowie das von Prof. Dr. Golczewski am 20.11.2006 nebst ergänzenden Angaben vom 27.11.2006 für das SG Hamburg (S 20 RJ 1843/04 u.a.) erstellte Gutachten sind zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten, der die Klägerin, ihren Ehemann S S, ihre Kinder B und C S und die Zeugen T und H S betreffenden Entschädigungsakten, der Streitakten 6 O (WG) 390/65 des Landgerichts Mainz sowie der Streitakten S 39 RJ 160/03 des SG Düsseldorf betreffend die Zeugin S1 L1, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit der Klägerin und ihres Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil dieser in der Terminsmitteilung, die ihm am 23.01.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Der zuletzt schriftsätzlich gestellte Antrag der Klägerin ist dahingehend auszulegen, dass sie in der Hauptsache unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.10.2005 und unter Aufhebung des Bescheides vom 29.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten von Juli 1942 bis Januar 1943 ab dem 01.07.1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen begehrt. Ein dahingehendes kombiniertes Verpflichtungs- und Leistungsbegehren war dem klägerischen Vorbringen im gesamten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Der im Berufungsverfahren gestellte Antrag enthält seinem Wortlaut nach zwar mit dem Begehren auf Herstellung einer Versicherungsunterlage auch ein Begehren auf Vormerkung der Ghetto-Beitragszeiten. Ein dahingehender Antrag ist in einem Verfahren auf Leistung einer Altersrente jedoch unzulässig (vgl. nur LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.10.2007, L 18 (13) R 216/05, sozialgerichtsbarkeit.de, m.w.N.).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin daher nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat weder unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG noch nach sonstigen Vorschriften einen Rentenanspruch gegenüber der Beklagten.

Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (z. B. Urteil vom 06.06.2007 L 8 R 54/05, sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4, aA BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr. 3). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall der Klägerin nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 1. Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; BSG Urteil vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 17).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", d. h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, mwN).

Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Solche Beitragszeiten bestehen hier weder nach § 2 Abs. 1 ZRBG noch nach sonstigen Vorschriften.

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder im eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d. h. mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4).

Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert für den geltend gemachten Zeitraum nicht schon daran, dass der Kläger nach Auskunft der JCC aufgrund seines Verfolgungsschicksals im Ghetto Kaunas im Jahre 1943 eine Entschädigung nach dem Gesetz zur Entrichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) erhalten hat. Wie der Senat bereits entschieden hat, erstrecken sich die in § 16 Abs. 1 S. 2 EVZStiftG geregelte Ausschlusswirkung und die Verzichtswirkung des § 16 Abs. 2 S. 2 EVZStiftG nicht auf den Anspruch auf Zahlung einer (ggf. höheren) Rente aufgrund von Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG (vgl. zuletzt Senat Urteil vom 18.06.2008, L 8 R 298/07, sozialgerichtsbarkeit.de, mit eingehender Begründung).

Die Verrichtung einer Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG ist nach den Kriterien der Senatsrechtsprechung nicht glaubhaft gemacht. Als Entgelt in diesem Sinne ist ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (vgl. Urteile vom 12.12.2007, L 8 R 187/07, und 28.01.2008, L 8 RJ 139/04; www.sozialgerichtsbarkeit.de). Bei der Gewährung von Sachbezügen ist zu unterscheiden: Übersteigen die Sachbezüge (insbesondere Verpflegung, Unterkunft und Kleidung) nicht das Maß freien Unterhalts, d.h. derjenigen wirtschaftlichen Güter, die zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Einzelnen erforderlich sind, liegt kein Entgelt vor. Bei Lebensmitteln kommt es darauf an, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden. Wird das Maß des persönlichen Bedarfs hingegen überschritten, und werden die Lebensmittel zur freien Verfügung gewährt, ist von Entgelt auszugehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn glaubhaft gemacht wird, dass gewährte Lebensmittel auch den Bedarf eines Angehörigen sicherstellen. Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z.B. der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten, oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist.

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien ist eine Entgeltlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellbar. Für den Erhalt von Barlohn liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Klägerin hat den Erhalt eines solchen nicht angegeben. Der Senat hält es für glaubhaft gemacht, dass die Klägerin als Gegenleistung für die von ihr geltend gemachten Arbeiten in einer Werkstatt zur Herstellung von Schuhen für die deutsche Armee täglich Mittagessen und wöchentlich Lebensmittel für zu Hause erhalten hat. Nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung kann jedoch festgestellt werden, ob sie die Sachbezüge in einem über den freien Unterhalt hinaus gehenden Umfang erhalten hat. Angaben zur konkreten Menge der erhaltenen Lebensmittel hat sie nicht gemacht und kann sie auch nicht mehr machen. Die Behauptung der Klägerin, über ihren eigenen Bedarf hinaus gehend Lebensmittel bekommen zu haben, ersetzt nicht die konkreten Angaben zum Umfang der Gegenleistung, da sie keine eigene Überprüfung durch den Senat ermöglicht. Auch vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnisse ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin eine über die Gewährung freien Unterhalts hinaus gehende Gegenleistung erhalten hat. Denn Prof. Dr. Golczewski führt in seinem für das SG Hamburg am 20.11.2006 zur Region Reichskommissariat Ostland, Weißrussland, erstatteten Gutachten, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 SGG Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 415, 416 ZPO; vgl. BSG, Urteil v. 24.06.1980, 1 RJ 84/79, Juris, m.w.N.), aus, dass die besetzten sowjetischen Gebiete als Nahrungsmittelquelle für das Reich galten und auch deren nicht-jüdische Bewohner Hunger litten, was sie wiederum manchmal auch ganz praktisch daran hinderte, den noch schlechter versorgten Juden zu helfen (S. 13 f des Gutachtens). Die Arbeitsleistung war neben der Absicherung vor der sofortigen Liquidierung wichtig, um die völlig unzureichende, manchmal gar nicht vorhandene Lebensmittelversorgung der Ghettos auszugleichen (S. 17 des Gutachtens). Die Ghettos in Weißrussland wurden manchmal gar nicht, zumeist aber höchst mangelhaft mit Lebensmitteln versorgt (S. 20 des Gutachtens). Es ist danach überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin noch nicht einmal Lebensmittel in ausreichendem Umfang für ihren eigenen Bedarf erhalten hat. Auch wenn sie ihre Mutter und Schwestern mit Nahrungsmitteln unterstützte, lässt dies daher nicht den Schluss zu, dass ihr hierzu in ausreichendem Maße über ihren unmittelbaren eigenen Bedarf hinaus Lebensmittel zur Verfügung standen. Im Hinblick auf die historisch gesicherten Erkenntnisse zur Ernährungssituation im Generalbezirk Weißruthenien scheidet eine Mitversorgung einer weiteren Personen in einem erheblichen Umfang über einen längeren Zeitraum aus. Dahingestellt bleiben kann, ob Barlohnzahlungen von Arbeitgebern von Ghettobewohnern an den Judenrat zu einer Entgeltlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG führen können. Denn Barlohnzahlungen vermeintlicher Arbeitgeber der Klägerin an den Judenrat sind nicht überwiegend wahrscheinlich im Sinne einer guten Möglichkeit. Es ist schon nicht feststellbar, wer Arbeitgeber der Klägerin war, so dass es auch möglich ist, dass der Judenrat selbst der Arbeitgeber der Klägerin war. Für die Arbeitgebereigenschaft Dritter besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Selbst wenn das Bestehen eines Lohnanspruchs unterstellt wird, führt dieser Lohnanspruch ebenfalls nicht zu einer Entgeltlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG (vgl. Urteile des Senats vom 09.03.2008, L 8 R 220/07 und L 8 R 265/07; jeweils sozialgerichtsbarkeit.de).

Weitere Ermittlungen drängen sich dem Senat nicht auf. Erreichbare bzw. auskunftsbereite bzw. -fähige Zeugen konnten nicht ermittelt werden und wurden von der Klägerin auch nicht benannt. Auch sonstige Ermittlungsansätze sind für den Senat nicht erkennbar.

Da schon eine entgeltliche Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG nicht glaubhaft gemacht ist, kann der Senat es dahinstehen lassen, ob die weiteren Voraussetzungen für Ghetto-Beitragszeiten erfüllt sind.

Die von der Klägerin im Ghetto Nowogrodek verrichtete Arbeit kann auch nicht nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. §§ 15, 16, Fremdrentengesetz (FRG) i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeit angerechnet werden.

Die behauptete Arbeit in Nowogrodek unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen. Im Reichskommissariat Ostland, Generalbezirk Weißruthenien, in dem Nowogrodek lag, galten diese nicht für Personen, die wie die Klägerin, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R). Eine Anrechnung als Versicherungszeit kann sich daher allein nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG richten. Da die Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) nicht glaubhaft gemacht und von der Klägerin verneint worden ist, kommt eine Anrechnung nach den vorgenannten Vorschriften nicht in Betracht. Da nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass die Klägerin eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG. Anlass die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, hat nicht bestanden. Der Angelegenheit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn zu den anzuwendenden gesetzlichen Begriffen sind schon mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung geben (vgl. BSG SozR 3-1500, § 160 Nr. 8; BSG Beschluss vom 06.08.2008 - B 5 R 69/07 B). Es liegt auch keine Divergenz im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Denn der Zulassungsgrund der Divergenz verlangt, dass die anzufechtende Entscheidung einen Rechtssatz enthielte, der zu einem abstrakten Rechtssatz einer höchstrichterlichen Entscheidung in Widerspruch stünde. Eine solche Abweichung liegt aber insbesondere gegenüber der Entscheidung des BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R - nicht vor, da die dort vorgenommene Definition von Rechtsbegrifflichkeiten wie des freien Willensentschlusses und der Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG keine für die dortige Entscheidung tragenden Rechtssätze sind. Die Entscheidung befasst sich mit den Begrifflichkeiten lediglich in einem sogenannten obiter dictum (mit ähnlicher Argumentation BSG, Beschluss vom 06.08.2008, B 5 R 69/07 B).
Rechtskraft
Aus
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