L 9 U 3970/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 689/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3970/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. März 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Schädigung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 mit operativer Versteifung des Bewegungssegments HWK 5/6 Folge des Wegeunfalls vom 8. Juli 2003 ist und der Klägerin deshalb Verletztenrente zusteht.

Der Unfall ereignete sich am 8. Juli 2003 um 12.15 Uhr, als sich die 1969 geborene Klägerin auf dem Heimweg von einer vom Arbeitsamt Offenburg geförderten Qualifizierungsmaßnahme im IHK-Bildungszentrum befand.

Nach den Angaben der Klägerin gegenüber der Polizei am 20. Juli 2003 wurde sie, mit dem Fahrrad auf dem Fahrradweg fahrend, von einem rechts abbiegenden PKW übersehen. Beim Auffahren auf das rechte hintere Fahrzeugteil stürzte die Klägerin und fiel nach ihren Angaben hauptsächlich auf die linke Seite. Bei der Untersuchung im Klinikum Offenburg um 13.00 Uhr desselben Tages wurden multiple Schürfungen am linken Ellenbogen, rechten Knie und der rechten Hand festgestellt. Die Klägerin klagte zu diesem Zeitpunkt nicht über Beschwerden an der Halswirbelsäule (HWS). Verletzungen am Kopf wurden nicht festgestellt (D-Arzt-Bericht von Prof. Dr. R. vom 9. Juli 2003).

Nach den Angaben der Klägerin traten in der Nacht nach dem Unfall kombinierte Kopf- und Nackenschmerzen auf, sodass sie am 9. Juli 2003 zunächst ihren Hausarzt Dr. K. aufsuchte (Bericht vom 7. Juni 2004), der sie an den Orthopäden Dr. v. K. weiter verwies. Dieser stellte Schmerzen im Bereich der HWS, eine Schonhaltung und einen deutlichen Hartspann der paravertebralen Muskulatur fest und diagnostizierte eine Zerrung der HWS. Die am 9. Juli 2003 durchgeführten Röntgenaufnahmen zeigten eine Steilstellung der HWS. Am 1. August 2003 wurde die HWS erneut in zwei Ebenen geröntgt. Im Nachschaubericht vom 5. August 2003 berichtete Dr. K. über eine auffällige Linie im Bereich des 5. Halswirbelkörpers (HWK).

Nach weiteren Behandlungsterminen bei Dr. v. K. am 8. und 14. August 2003 und einem Urlaub trat die Klägerin am 26. August 2003 in die Behandlung des Chirurgen Dr. D. (D-Arzt-Bericht vom 26. August 2003). Dieser veranlasste auch eine neurologische Untersuchung durch Dr. Sch., welchem gegenüber die Klägerin angab, die Beschwerden hätten sich während der Ferien gebessert und nach Wiederaufnahme der Umschulungsmaßnahme wieder verstärkt. Dr. Sch. diagnostizierte eine HWS-Distorsion ohne neurologische Ausfälle und äußerte den Verdacht auf eine dissoziative Störung. Angesichts einer nicht ganz auszuschließenden Ausgestaltung wäre eine Kernspintomographie zu erwägen, um alle morphologischen Folgeaspekte aufzuklären (Bericht vom 1. September 2003). Weitere Behandlungen durch Dr. D. fanden statt am 4. September (Besserung im HWS-Bereich nur gering), am 16. September 2003 (noch paravertebraler Muskelhartspann im Nacken, Kopfbewegungen gering eingeschränkt, keine nervalen Besonderheiten), nach mehrfach abgesagten Terminen am 2. Dezember 2003 (kein massiver Druck- oder Klopfschmerz über der HWS, jedoch deutlicher paravertebraler Muskelhartspann im Nacken links und rechts, bei Nichtbesserung sei Vorstellung in der BG-Klinik Ludwigshafen erforderlich) und - nach mehreren wiederum nicht wahrgenommen Terminen - am 27. Januar 2004 (noch Muskelhartspann im Nacken rechts wie links, Vorstellung bei BG-Klinik bei protrahiertem Verlauf).

Am 12. Februar 2004 stellte sich die Klägerin in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Ludwigshafen vor. Das an diesem Tag gefertigte MRT der HWS zeigte fortgeschrittene degenerative Veränderungen im Übergangsbereich C 5/6 mit deutlichen Signalveränderungen des Bandscheibenraums und beginnender kyphotischer Knickbildung, auffällige Signalveränderungen im Bereich der Wirbelkörper HWK 5 und 6, zum Teil mit Knochenmarködem, DD reaktiv bei erosiver Osteochondrose oder posttraumatischer Zustand nicht sicher auszuschließen (Bericht des Leitenden Arztes der Abteilung für diagnostische Radiologie Dr. S. vom 12. Februar 2004). Prof. Dr. W. diagnostizierte einen Bandscheibenprolaps HWK 5/6 mit Myelopathie und Stenose des Spinalkanals und Bone Bruise HWK 5/6 und führte aus, der jetzige Zustand müsse zumindest im Sinne einer richtungsweisenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Bandscheibenschadens in diesem Bewegungssegment gewertet werden. Auch auf den unfallzeitnahen Aufnahmen sei der Bandscheibenraum verschmälert. Eindeutig posttraumatisch sei jedoch das Wirbelkörperödem in den Halswirbeln 5 und 6. Es bestehe die Indikation zur operativen Sanierung des Bewegungssegments C 5/6 (Bericht vom 12. Februar 2003).

Unter der Diagnose traumatischer Bandscheibenprolaps HWK 5/6 mit Myelopathie und Stenose des Spinalkanals bei bone-bruise HWK 5/6 wurde die Klägerin vom 23. Februar bis 13. März 2004 in der BG-Klinik stationär behandelt. Es erfolgten eine Diskusausräumung, Beckenkammblockinterposition und Plattenosteosynthese C 5/6 am 24. Februar 2004. (Bericht von Prof. Dr. W. vom 23. März 2003).

Die Beklagte zog bei der AOK Ortenau ein von Februar 1987 bis Dezember 2003 reichendes Vorerkrankungsverzeichnis und die Akten der Bußgeldstelle der Stadt Offenburg den beteiligten Autofahrer betreffend bei und beauftragte Prof. Dr. W. mit der Begutachtung der Klägerin.

Anlässlich der Begutachtung am 1. Juli 2004 gab die Klägerin zum Unfallhergang an, sie sei dem einbiegenden Fahrzeug mit dem Fahrrad in die rechte Seite gefahren, sei über den Lenker gefallen und habe sich dabei überschlagen. Der Sachverständige führte aus, es sei durch den Fahrradunfall mit Sturz über den Lenker zu einer biomechanisch nicht eindeutig definierbaren Krafteinwirkung auf den gesamten Körper gekommen. Ob es zu einem Anprall im Bereich des Kopfes gekommen sei, bleibe Spekulation. Direkte Prellmarken würden im D-Arztbericht nicht beschrieben. Es habe sich jedoch um ein Hochrasanz-Trauma gehandelt, bei dem zumindest Schleuderbewegungen der HWS hätten auftreten können. Bei der Klägerin habe sicherlich vorbestehend ein Veränderung des Bandscheibenraumes HWK 5/6 bestanden. Eine Behandlungsnotwendigkeit sei jedoch nicht dokumentiert. Zeitnah zum Unfall hätten sich Beschwerden im Bereich der HWS gezeigt. Ein halbes Jahr nach dem Trauma habe noch eine Kontrastmittelanreicherung im Bereich der beiden benachbarten HWK im Sinne eines "bone bruise" bestanden, welcher als Traumafolge zu werten sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sich ein Bandscheibenvorfall, eine begleitende Instabilität im Bereich von HWS 5/6 sowie eine Myelopathie nachweisen lassen. In Zusammenschau der vorliegenden Fakten handele es sich hierbei um eine nach dem Unfall aufgetretene Verschlimmerung eines Vorzustandes. Aufgrund der nachfolgend nachgewiesenen Myelopathie und der Instabilität des Bewegungssegments C 5/6 sei eine operative Versteifung der HWS in diesem Bereich erforderlich geworden. Ohne das Unfallereignis wäre diese Versteifungsoperation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht notwendig gewesen. Die operativen Maßnahmen und die daraus resultierende verbleibende Bewegungseinschränkung im Bereich der HWS seien als Unfallfolgen anzuerkennen. Der Unfall habe zu einer HWS-Zerrung und traumatischen Schädigung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 geführt. Die Unfallfolgen, die operativ durchgeführte Versteifung des Bewegungssegments HWK 5/6, eine leichte Bewegungseinschränkung der HWS für alle Bewegungsqualitäten, ein leichter Muskelhartspann im Bereich der unteren HWS beidseits und reizlose Narbenbildung bedingten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH.

Dem trat der Beratungsarzt der Beklagten Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. Sch. in der Stellungnahme vom 9. August 2004 entgegen. Ein verletzungskonformer Erstbefund fehle. Die Tatsache, dass sechs Monate nach dem Unfall ein Bone-Bruise bestanden habe, spreche nicht für, sondern gegen den Zusammenhang, da sich ein Bone-Bruise nach einem Unfallereignis zurückbilde.

Mit Bescheid vom 25. August 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 2003 ab, weil die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall gemindert sei. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 15. September 2003 bestanden. Die nach diesem Zeitpunkt bestehende Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit seien nicht auf Unfallfolgen zurückzuführen. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie: ohne wesentliche Folgen ausgeheilte Prellungen der linken Schulter, des linken Ellenbogens und des linken Kniegelenkes sowie multiple Schürfungen im Bereich der linken Schulter, des linken Ellenbogens und des linken Oberschenkels, ohne wesentliche Folgen ausgeheilte HWS-Zerrung. Nicht anerkannt würden weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung Schädigung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 mit operativer Versteifung des Bewegungssegments HWK 5/6, Kniegelenksbeschwerden rechts.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27. September 2004 Widerspruch, den die Beklagte nach Einholung einer weiteren Stellungnahme von Dr. Sch. vom 20. Januar 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2005 zurückwies.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) holte das SG das Gutachten von Prof. Dr. Sch. vom 15. Dezember 2005 ein. Dieser stellte in dem gemeinsam mit Oberarzt Dr. W. erstatteten Gutachten bei der Klägerin einen Zustand nach Beckenkamminterposition und Plattenosteosynthese C 5/6 sowie Diskusausräumung bei Bandscheibenprolaps HWK 5/6 mit Myelopathie und Stenose des Spinalkanals bei Bone bruise HWK 5/6, Bewegungseinschränkungen der HWS endgradig für die Kopfseitwärtsneigung, Inklination und Reklination mit Muskelhartspann im Bereich der unteren HWS beidseits fest und führte aus, diese Gesundheitsstörungen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 8. Juli 2003 zurückzuführen. Der Unfallhergang (Fahrradsturz über den Lenker) stelle durchaus ein adäquates Unfallereignis für einen traumatischen Bandscheibenvorfall dar, unabhängig zunächst davon, ob es sich um eine degenerative Vorschädigung der Bandscheiben handele oder nicht. Traumatische Bandscheibenvorfälle kämen bei Brüchen benachbarter Wirbelkörper vor sowie bei Einwirkung erheblicher Kräfte auf die gebeugte Wirbelsäule, die die Beugung zu verstärken trachteten, sowie bei Verdrehung des Rumpfes. Zwar sei im Falle der Klägerin aufgrund von Röntgenaufnahmen vom 21. Oktober 2000 der Nachweis einer mitwirkenden degenerativen Schädigung in Form einer Verschmälerung des Bandscheibenraumes in Höhe C 5/6 überzeugend geführt. Dies bedeute jedoch nicht, dass der Vorschaden die rechtlich allein wesentliche Ursache des Bandscheibenvorfalls bilde, denn es habe ein adäquater Unfallmechanismus mit erheblicher Gewalteinwirkung stattgefunden. Die MdE werde ab 19. Juli 2004 auf 20 vH eingeschätzt. Bis zum 18. Juli 2004 habe unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen.

Dem trat die Beklagte unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Sch. vom 21. Februar 2006 entgegen. Im Gegensatz zu einer HWS-Zerrung Grad 1, wo die Beschwerden mit einem Intervall auftreten könnten, müsse bei einer unfallbedingten Bandscheibenschädigung ein entsprechender klinischer Erstbefund zwingend gefordert werden. Neben lokalen Beschwerden im Bereich der HWS sei typischerweise das Bild einer Brachialgie oder Cervicobrachialgie, ggf. in Kombination mit abgrenzbaren radiculären neurologischen Symptomen zu fordern. Ein derartiger verletzungskonformer Erstbefund liege bei der Klägerin nicht vor. Der neurologische Befund vom 1. September 2003 lasse zu diesem Zeitpunkt keinen unfallbedingten Bandscheibenschaden annehmen. Es fänden sich auch keine Hinweise für eine begleitende knöcherne oder ligamentäre Verletzung. Keiner der beiden Gutachter hinterfrage auch, ob es zeitgerecht sei, dass ein Bone-Bruise noch sieben Monate nach dem Unfall nachweisbar sei oder ob nicht die Differenzialdiagnose des Radiologen (erosive Osteochondrose) wahrscheinlicher wäre.

Mit Urteil vom 21. März 2006 änderte das SG den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2005 ab und verurteilte die Beklagte, die Schädigung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 mit operativer Versteifung des Bewegungssegments HWK 5/6 als Folge des Versicherungsfalls vom 8. Juli 2003 anzuerkennen und der Klägerin deswegen Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, folgte es den Ausführungen in den Gutachten von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Sch ...

Gegen das am 14. Juli 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 7. August 2006 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen ist. Zur Begründung führt sie unter Hinweis auf die Stellungnahme von Dr. Sch. vom 21. Februar 2006 aus, ein haftungsausfüllender Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenprolaps HWK 5/6 bestehe nicht. Es sei weder ein Unfallhergang erwiesen, der zu einer traumatischen Bandscheibenschädigung führen könne, noch gebe es am Unfalltag oder kurz danach einen klinischen Erstbefund für einen Bandscheibenprolaps HWK 5/6. Auch gebe es keine Hinweise für begleitende knöcherne oder ligamentäre Verletzungen. Dagegen sei bewiesen, dass bei der Klägerin gerade im Segment HWK 5/6 fortgeschrittene degenerative Veränderungen bestanden hätten. Auch spreche die Tatsache, dass 6 bis 7 Monate nach dem Ereignis eine Bone-Bruise des Knochens C 5 und C 6 vorhanden gewesen sei, gerade gegen den Unfallzusammenhang.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den behandelnden Hausarzt Dr. K. als sachverständigen Zeugen auf schriftlichem Wege vernommen (Auskunft vom 23. August 2007) und das fachorthopädische Gutachten von Prof. Dr. R. vom 30. November 2008 eingeholt.

Dr. K. hat den Arztbericht aus der Ambulanz des Klinikums Offenburg vom 21. Oktober 2000 vorgelegt, wonach die Klägerin an diesem Tag von einem PKW angefahren worden war und eine HWS-Distorsion und multiple Prellungen und Schürfungen erlitten hatte, und hat ausgeführt, Berichte bzw. Befunde über die in diesem Zusammenhang durchgeführten Röntgen- und CT-Aufnahmen lägen ihm nicht vor. Die Klägerin sei nach Eingang dieses Briefes bis zum 18. April 2001 bei ihm nicht in Behandlung gestanden. Er habe auch keine Berichte über eine etwaige Mit- oder Weiterbehandlung durch einen Orthopäden oder Chirurgen.

Prof. Dr. R. hat unter Vorlage der Befundberichte des Radiologischen Instituts des Ortenauklinikums über die am 21. Oktober 2000 durchgeführten CT- und Röntgenaufnahmen der HWS in dem zusammen mit Oberarzt Dr. W. nach Aktenlage erstatteten Gutachten ausgeführt, wenngleich die Beobachtungen des Unfallhergangs unterschiedlich wiedergegeben würden, sei es durchaus denkbar, dass es bei dem Unfallereignis zu einer Krafteinwirkung im Bereich der HWS im Sinne eines Hochrasanztraumas gekommen sein könne, welches geeignet gewesen sein könne, den Bandscheibenvorfall im Segment C 5/6 zu verursachen. Er schließe sich hinsichtlich der Bewertung des Unfallereignisses ausdrücklich Prof. Dr. W. an. Die bei der Klägerin am späten Abend oder in der Nacht aufgetretenen Kopf- und Nackenbeschwerden hielten den erforderlichen Zeitrahmen ein, um als typische Symptome eines Bandscheibensyndroms als Traumafolge zu gelten. Die Genese der Signalveränderungen im Kernspintomogramm vom 12. Februar 2004 bleibe nach dem Befund des Radiologen Dr. S. offen. Nur ein unmittelbar nach dem Unfallgeschehen angefertigtes Kernspintomogramm der HWS hätte zu einer eindeutigen Klärung führen können, was allerdings nicht erfolgt sei. Auch wenn bei der Klägerin eine gewisse Vorschädigung der HWS vorgelegen habe, habe bei ihr vor dem Unfallereignis Beschwerdefreiheit bestanden. Insoweit werde dem Unfallereignis vom 21. Oktober 2000 keine signifikante Bedeutung zugemessen. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Klägerin ohne das Unfallereignis in ihrem späteren Leben einen Bandscheibenvorfall im Bereich C 5/6 entwickelt hätte, komme dem Unfallereignis vom 8. Juli 2003 eine beschwerdeauslösende Bedeutung zu. Er schließe sich daher der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs durch Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Sch. ausdrücklich an und halte das Unfallereignis als wesentlich für die notwendig gewordene Versteifungsoperation im Segment C 5/6 und den aktuell bestehenden Gesundheitszustand der Klägerin.

Die Beklagte hat noch ausgeführt, ein Bone-bruise habe nicht vorgelegen. Vielmehr seien die Signaländerungen auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Bereits die vorliegenden Röntgenbilder vom 21. Oktober 2000 zeigten Veränderungen im Segment C 5/6, welche als massiv altersuntypisch zu bewerten seien. Daher sei davon auszugehen, dass es auch ohne das Ereignis vom 8. Juli 2003 in absehbarer Zeit zu einer ausgeprägten und behandlungsbedürftigen Symptomatik im Bereich der HWS C 5/6 gekommen wäre.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des SG und die Senatsakten.

Entscheidungsgründe:

Die form und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe i.S.d. § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch sachlich nicht begründet. Auch nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme im Berufungsverfahren ist die Schädigung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 mit nachfolgender operativer Versteifung des Bewegungssegments HWK 5/6 als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 2003 festzustellen, weswegen der Klägerin auch - nach dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit - Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu zahlen ist.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles - hier eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 SGB VII - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 17 = BSGE 96, 196-209 und JURIS).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 (aaO. Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Von diesen Grundsätzen ausgehend stellt der Senat anhand des Polizeiberichts und der darin enthaltenen Angaben der Klägerin vom 20. Juli 2003 zunächst fest, dass die Klägerin am 8. Juli 2003 um 12.15 Uhr beim Zurücklegen des mit ihrer gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges vom Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) einen Unfall erlitten hat, als sie, auf dem Fahrweg fahrend, von einem rechts abbiegenden Fahrzeug übersehen wurde, mit dem Fahrrad auf das rechte hintere Fahrzeugteil auffuhr und vom Fahrrad stürzte.

Des weiteren stellt der Senat fest, dass es durch den Sturz vom Fahrrad neben den von der Beklagten als Unfallfolgen anerkannten Prellungen und Schürfungen im Bereich der linken Schulter, des linken Ellenbogens und des linken Kniegelenks bzw. linken Oberschenkels zu einer Beschleunigungsverletzung der HWS der Klägerin gekommen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dieser Beschleunigungsverletzung nicht lediglich um eine - ohne wesentliche Folgen ausgeheilte - HWS-Zerrung, sondern um eine Schädigung der Bandscheibe im Bereich HWK 5/6 auf dem Boden von vorbestehenden erheblichen degenerativen Veränderungen in diesem Bereich. Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Feststellungen von Prof. Dr. W., Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. R ...

Prof. Dr. R. konnte im Berufungsverfahren die vorbestehende Schädigung noch weiter aufklären, indem er die Befundberichte des Radiologischen Instituts des Ortenauklinikums über die am 21. Oktober 2000 durchgeführten CT- und Röntgenaufnahmen der HWS vorgelegt hat, welche eine Osteochondrose C 5/6 mit Bandscheibenverschmälerung ohne Nachweis eines raumfordernden Bandscheibenvorfalls oder einer Fraktur oder Luxation beschreiben. Er hat auch unter Hinweis auf das Vorerkrankungsverzeichnis und die sachverständige Zeugenaussage von Dr. K., wonach die Klägerin wegen des Unfalls vom 21. Oktober 2000 keiner weiteren Behandlung unterzogen wurde, zutreffend dargelegt, dass die so beschriebenen degenerativen Veränderungen im Bereich HWK 5/6 keine Beschwerden verursachten und erst unmittelbar nach dem Unfall, nämlich in der Nacht vom 8. zum 9. Juli 2003 Kopf- und vor allem Nackenbeschwerden auftraten, die sich in der Folgezeit kaum besserten. So stellte Dr. K. am 9. Juli 2003 Schmerzen im Bereich der HWS, eine Schonhaltung und einen deutlichen Hartspann der paravertebralen Muskulatur fest. Letzterer fand sich auch ununterbrochen während der Behandlung durch den Chirurgen Dr. D. ab Ende August 2004, der wegen des protrahierten Verlaufs letztlich im Januar 2004 eine Vorstellung bei der BG-Klinik empfahl. Nachdem durch das CT vom 21. Oktober 2000 ein raumfordernder Bandscheibenvorfall im Bereich C 5/6 nicht nachgewiesen werden konnte und erst durch das MRT vom 12. Februar 2004 eine breitbasige Bandscheibenvorwölbung bzw. Prolabierung mit deutlicher Pelottierung des ventralen Liquorraumes festgestellt wurde, überzeugt den Senat die Darlegung von Prof. Dr. R., dass die innerhalb eines Zeitraumes von weniger als 24 Stunden einsetzenden fortdauernden Beschwerden Merkmal eines akuten Bandscheibenvorfalles im Bereich C 5/6 waren, welcher durch die durch den Sturz vom Fahrrad eingetretene Beschleunigungsverletzung der vorgeschädigten HWS verursacht worden war. Die dadurch hervorgerufene Myelopathie und Instabilität des Bewegungssegments HWK 5/6 hat auch die operative Versteifung dieses Bewegungssegments erforderlich gemacht, wie Prof. Dr. W. nachvollziehbar ausgeführt hat. Die Tatsache, dass durch das - entgegen der Empfehlung von Dr. Sch. im Bericht vom 1. September 2003 - erst am 12. Februar 2004 durchgeführte MRT begleitende, wenn auch minimale knöcherne oder Bandverletzungen nicht mehr nachgewiesen werden konnten, ändert an dieser Beurteilung nichts. Es kann auch unentschieden bleiben, ob das im MRT vom 12. Februar 2004 sichtbare Knochenmarködem als posttraumatischer Zustand oder aber als Ausdruck einer erosiven Osteochondrose zu werten ist. Der Senat vermag daher der Auffassung der Beklagten, die davon ausgeht, dass es auch ohne die unfallbedingte Einwirkung vom 8. Juli 2003 in absehbarer Zeit zu einer ausgeprägten und behandlungsbedürftigen Symptomatik im Bereich der nachweislich degenerativ veränderten HWS gekommen wäre, und die damit das Unfallereignis als Gelegenheitsursache wertet, nicht zu folgen. Das Sozialgericht hat daher zu Recht die Schädigung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 mit nachfolgender operativer Versteifung des Bewegungssegments HWK 5/6 als weitere Unfallfolge festgestellt und den Folgezustand nach Beendigung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit zum 18. Juli 2004 in Übereinstimmung mit Prof. Dr. W. und den weiteren Sachverständigen mit einer MdE von 20 vH bewertet. Dementsprechend hat die Klägerin ab 19. Juli 2004 Anspruch auf Verletztenrente.

Die Berufung der Beklagten konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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