L 9 U 4913/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 5486/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4913/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. August 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Leistungen wegen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 29.5.2000.

Der 1943 geborene Kläger erlitt am 29.5.2000 bei seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer im Nahverkehr (Wäsche ausliefern) einen Arbeitsunfall, als er mit einem entgegenkommenden PKW, der teilweise auf seiner Fahrbahnseite fuhr, frontal kollidierte. Die PKW-Fahrerin verstarb an der Unfallstelle. Der Kläger zog sich hierbei eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS), eine Prellung des linken Kniegelenkes sowie des Thorax und ein stumpfes Bauchtrauma zu (DA-Bericht vom 30.5.2000). Vom 29.5. bis 31.5.2000 wurde der Kläger stationär im Diakonissen-Krankenhaus Karlsruhe-Rüppur behandelt. PD Dr. H., Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses, führte im Zwischenbericht vom 29.6.2000 aus, bezüglich der HWS-Beschwerden sei eine deutliche Besserung eingetreten. Röntgenmorphologisch fänden sich ausgeprägte degenerative Veränderungen, vor allem im Bereich HWK 3 bis 5. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 19.6.2000.

Am 15.7.2005 beantragte der Kläger die Gewährung von Verletztenrente. Die Rückenbeschwerden hätten nach dem Unfall vom 29.5.2000 stetig zugenommen; seit 4.11.2003 sei er nicht mehr arbeitsfähig.

Die Beklagte holte Auskünfte bei den behandelnden Ärzten des Klägers ein und zog Behandlungsunterlagen sowie Leistungsauszüge der AOK Mittlerer Oberrhein bei.

Der Orthopäde Dr. B. erklärte unter dem 25.8.2005, der Kläger habe sich erstmals am 19.7.2001 in seiner Sprechstunde vorgestellt. Dabei habe er seit Jahren bestehende Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der HWS und Lendenwirbelsäule (LWS) geklagt; ein Unfallgeschehen vom 29.5.2000 sei nicht erwähnt worden. Wegen eines degenerativen HWS- und LWS-Syndroms sei eine medico-physikalische Therapie eingeleitet worden. Eine erneute ambulante Vorstellung sei am 24.11.2003 erfolgt, mit regelmäßigen physikalischen Anwendungen und Krankengymnastik. Die letzte Vorstellung habe am 17.5.2004 stattgefunden. Aus seiner Sicht seien die geklagten Beschwerden auf degenerative Veränderungen und nicht auf den Unfall vom 29.5.2000 zurückzuführen.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. gab unter dem 31.8.2005 an, der Kläger befinde sich seit dem 3.12.2001 in seiner Behandlung, zunächst wegen arterieller Hypertonie. Am 4.11.2003 habe er von Rückenbeschwerden des Klägers erfahren, die dieser auf einen früheren Unfall zurückführe; von einem Arbeitsunfall sei ihm nichts bekannt. Seit November 2003 klage der Kläger permanent über Rückenschmerzen, sei deswegen langzeitig arbeitsunfähig und befinde sich in orthopädischer Behandlung. Er fügte ihm zugegangene Facharztbefunde bei, u.a. einen Befundbericht von Dr. L. vom 30.9.2002 über ein an diesem Tag durchgeführtes CT der HWS, nach welchem an C 3/4, C4/5, C 5/6, C 6/7 und C 7/Th1 schwere degenerative Veränderungen mit starker Spondylose und Retrospondylose festzustellen waren.

Aus den Leistungsauszügen der AOK ist zu entnehmen, dass der Kläger u. a. vom 1.3.1999 bis 10.8.1999 arbeitsunfähig wegen des Rückens war. Bei den beigezogenen Unterlagen des damals behandelnden Orthopäden Dr. B. und des Neurologen und Psychiaters Dr. P. (Nachfolger von Dr. S.) befinden sich das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 16.6.1999 (Diagnosen: Psychovegetative Erschöpfung, Cervico-Brachialgien, Lumbalgie NPP L 4/5, Arterielle Hypertonie; Kläger ist weiter arbeitsunfähig und kann Arbeit als LKW-Fahrer im Nahverkehr nicht ausführen; Reha medizinisch sinnvoll, Eil-Fall) sowie der Heilverfahrens-Entlassungsbericht der Rehaklinik Klausenbach vom 3.9.1999 (Heilverfahren vom 13.7. bis 10.8.1999; Diagnosen: Degeneratives LWS-Syndrom, zervikale Bandscheibendegeneration, psychophysische Erschöpfung, Insomnie, Gonarthrose beidseits, Gonalgie beidseits, Hypertonie, Hyperlipidämie, Hyperurikämie, Adipositas; Entlassung als arbeitsfähig) und das Gutachten von Dr. H. vom 30.6.2004, erstattet auf Veranlassung des Rentenversicherungsträgers auf Grund eines Rentenantrags des Klägers.

Mit Bescheid vom 6.3.2006 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 29.5.2000 ab, soweit Ansprüche über den 19.6.2000 hinaus geltend gemacht wurden. Bei allen beschriebenen Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule handle es sich ausschließlich um degenerative und somit unfallfremd entstandene Erkrankungen. Den vorliegenden Berichten sei zu entnehmen, dass die oben genannten Beschwerden bereits vor dem Unfall vom 29.5.2000 bestanden hätten. Die durch den Unfall entstandenen multiplen Prellungen seien Verletzungen, die innerhalb weniger Wochen folgenlos ausheilten. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 22.11.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe, ohne diese zu begründen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9.8.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die angefochtenen Bescheide Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die von der Beklagten beigezogenen Befundunterlagen, insbesondere diejenigen, die bereits vor dem Arbeitsunfall vom 29.5.2000 angefallen seien, belegten, dass im Bereich der HWS degenerative Veränderungen vorgelegen hätten. Hinweise dafür, dass durch den Arbeitsunfall vom 29.5.2000 insoweit eine Verschlimmerung eingetreten sei, ergäben sich nach den vorliegenden Unterlagen nicht. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 19.9.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4.10.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, bei seinem Krankheitsbild handle es sich jedenfalls nicht nur um einen anlagebedingten und schicksalhaften Verschleißprozess. Vielmehr sei der Arbeitsunfall vom 29.5.2000 eine wesentliche Mitursache hierfür. Gleiches gelte für die bei ihm bestehende Depression. Es liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Umfang vor.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. August 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2006 aufzuheben und ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. Mai 2000 Leistungen (Verletztenrente) in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte, die an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidungen zweifeln ließen.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. H., Oberarzt der Klinik für Psychosomatik und Allgemeine Klinische Medizin, mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 4.2.2009 beim Kläger eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4), degenerative Wirbelsäulen-Veränderungen (ICD-10 M 47.99), eine Hypertonie und eine Adipositas diagnostiziert. Er ist zum Ergebnis gelangt, dass keine der vorliegenden Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 29.5.2000 zurückzuführen sei. Ab Ende der Arbeitsunfähigkeit (19.6.2000) liege keine MdE vor.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf Grund des Arbeitsunfalls vom 29.5.2000 über den 19.6.2000 hinaus hat.

Nach dem Antrag des Klägers vom 15.7.2005 und seinen Ausführungen im gerichtlichen Verfahren geht es ihm insbesondere um die Gewährung von Verletztenrente.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall, der hier am 29.5.2000 eingetreten ist) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und auch ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung der MdE bzw. der Verletztenrente ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - aaO).

Auf Grund der Unfallfolgen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente, denn eine unfallbedingte MdE um 20 v. H. liegt unter Zugrundelegung der o. g. Maßstäbe nicht vor. Auch sonstige Leistungen stehen dem Kläger ab 19.6.2000 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nicht zu.

Der Kläger hat bei seinem Arbeitsunfall vom 29.5.2000 eine Distorsion der HWS, Prellungen des linken Kniegelenks und des Thorax sowie ein stumpfes Bauchtrauma erlitten. Dabei waren die während der stationären Behandlung vom 29.5. bis 31.5.2000 erfolgten Verlaufskontrollen des Abdomens unauffällig. Bei der Entlassung hatten sich die HWS-Beschwerden deutlich gebessert; festgestellt wurden beim Kläger dabei ausgeprägte degenerative Veränderungen, vor allem im Bereich HWK 3 bis 5. Am linken Knie befand sich bei der Entlassung am 31.5.2000 noch eine Schwellung; ein Anhalt für einen Kniegelenkserguss fand sich jedoch nicht.

Die nunmehr vom Kläger als Folgen des Arbeitsunfalls vom 29.5.2000 geltend gemachten Gesundheitsstörungen, HWS-Beschwerden und psychische Beeinträchtigungen (posttraumatische Belastungsstörung, depressive Episode) sind nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat auf Grund der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Orthopäden Dr. B. vom 25.8.2005, des Gutachtens von Dr. H. vom 30.6.2004, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, sowie der beigezogenen ärztlichen Unterlagen, z. T. schon aus der Zeit vor dem Unfall des Klägers vom 29.5.2000. Diese Überzeugung des Senats wird durch die Beurteilung von Dr. H. in dem auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 4.2.2009 bestätigt.

Schon vor dem Unfall vom 29.5.2000 war der Kläger vom 1.3. bis 10.8.1999 wegen des Rückens sowie eines sonst nicht näher bezeichneten Affekts mehrere Monate arbeitsunfähig. Aus dem Gutachten des MDK vom 16.6.1999 (Hauptdiagnose: psychovegetative Erschöpfung, weitere Hauptdiagnosen: Cervicobrachialgie, Lumbalgie bei NPP L4/5) ist darüber hinaus zu entnehmen, dass der Kläger auch schon vor der am 1.3.1999 beginnenden Arbeitsunfähigkeit im Jahr zuvor wegen Erschöpfung längere Zeit arbeitsunfähig gewesen ist. Vom 13.7. bis 10.8.1999 befand sich der Kläger zu einem Heilverfahren in der Rehaklinik Klausenbach, in der u. a. eine zervikale Bandscheibendegeneration, eine psychophysische Erschöpfung und Insomnie diagnostiziert wurden. Dabei hatte der Kläger angegeben, dass er neben seit ca. einem Jahr bestehenden progredienten LWS-Schmerzen (ohne Ausstrahlung, ohne neurologisches Defizit) unter seit sechs bis sieben Monaten bestehenden HWS-Beschwerden mit lokaler Schmerzsymptomatik, teilweise Spannungscephalgie, schmerzhafter Bewegungseinschränkung und intermittierend auftretendem Kribbelgefühl im linken Arm leide. Ferner hat er über eine psychophysische Erschöpfung, einen allgemeinen Leistungsknick, Nervosität mit Einschlaf- und Durchschlafstörungen geklagt. Durch das Heilverfahren konnten die Beschwerden im HWS-Bereich gebessert und eine deutliche psychophysische Stabilisierung erreicht werden. Gleichwohl wurde zur Vermeidung einer weiteren Progredienz empfohlen, auf schwere Hebe- und Tragetätigkeiten sowie auf wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen zu verzichten. Die neurologisch-psychiatrische Behandlung bei dem Neurologen und Psychiater Dr. S. begann ebenfalls schon über ein Jahr vor dem Unfall, nämlich am 3.5.1999.

Die HWS-Beschwerden beim Kläger sind nicht mit Wahrscheinlichkeit auf dem Unfall, sondern auf die ausgeprägten degenerativen Veränderungen im gesamten HWS-Bereich zurückzuführen, wie der Senat auch dem radiologischen Befundbericht von Dr. L. vom 30.9.2002 sowie den Ausführungen von Dr. B. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 25.8.2005 entnimmt. Im Übrigen führt eine beim Unfall erlittene Distorsion der HWS nicht zu bleibenden Gesundheitsstörungen, sondern heilt in kurzer Zeit folgenlos aus.

Die Diagnosen einer posttraumatische Belastungsstörung sowie einer Depression hat Dr. H. nicht bestätigt. Die von ihm diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen ist nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall des Klägers zurückzuführen. Zutreffend führt Dr. H. aus, dass der Kläger schon vor dem Arbeitsunfall über eine Vielzahl von Beschwerden geklagt hat. Die Schmerzen lassen sich auf seit längerem festzustellende degenerative Veränderungen und eine Verarbeitungsstörung bei alexithymer (Unfähigkeit, Gefühle hinreichend wahrzunehmen, zu beschreiben und von körperlichen Folgen einer Belastungssituation zu unterscheiden) Persönlichkeitsstruktur zurückführen. Bei einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4) handelt es sich um eine im Vordergrund stehende, andauernde, schwere und quälende Schmerzsymptomatik, die nicht vollständig durch einen physikalischen Prozess oder eine körperliche Störung erklärt werden kann. Dabei tritt der Schmerz ursächlich in Verbindung mit schwerwiegenden emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problemen auf, die Dr. H. beim Kläger im Gutachten auch aufgezeigt hat.

Da Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 29.5.2000 zurückzuführen sind, nicht feststellbar sind, steht dem Kläger auch keine Entschädigung, insbesondere keine Verletztenrente, aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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