L 2 AS 382/09 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 1582/09 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AS 382/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.
Die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht statthaft, wenn der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht wird.

2.
Etwas andereres ergibt sich auch nicht daraus, dass gemäß § 144 Abs. 2 und 3 SGG in einem Hauptsacheverfahren möglicherweise die Berufung zugelassen werden könnte. Denn der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG spricht von einer \"zulässigen\" Berufung und nicht von einer \"zuzulassenden\" Berufung.
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 29.05.2009 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Statthaftigkeit der Beschwerde. Im erstinstanzlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war die Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung streitig.

Die 1985 geborene, alleinstehende und im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stehende Antragstellerin (Ast.) bewohnt seit dem 01.01.2006 eine 50,00 m² große Zweizimmerwohnung in der E.straße 44 in B ... Am 14.01.2009 wurde bei der Ast. eine Schwangerschaft mit einem voraussichtlichen Geburtstermin am 09.09.2009 festgestellt. Die Antragsgegnerin (Ag.) gewährte der Ast. mit Bescheid vom 19.02.2009 für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 31.08.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, darunter Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten von monatlich 299,00 EUR abzüglich der Warmwasserpauschale von 6,64 EUR, folglich 293,36 EUR.

Am 05.02.2009 beantragte die Ast. die Zusicherung zur Gewährung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft unter Hinweis auf einen Schimmelbefall in der bisherigen Wohnung. Mit dem Antrag legte sie zwei Wohnungsangebote für Dreizimmerwohnungen in B. in der G. Straße 41 mit 56,56 m² und in der G. Straße 11 mit 55,20 m² vor.

Die Antragsgegnerin (Ag.) lehnte mit Bescheid vom 24.02.2009 die Erteilung einer Zusicherung zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für die neue Unterkunft in der G. Straße 11 bzw. 41 unter Hinweis darauf ab, für einen etwaigen Schimmelbefall sei der Vermieter erster Ansprechpartner. Das von der Ast. sodann angestrengte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Leipzig (S 5 AS 849/09 ER) blieb ohne Erfolg.

Den Widerspruch der Ast. gegen den Bescheid vom 24.02.2009 wies die Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 unter Hinweis auf die Ausführungen im Beschluss des SG vom 08.04.2009 im Verfahren S 5 AS 849/09 ER zurück. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 hat die Ast. am 11.05.2009 Klage zum Sozialgericht Leipzig (SG) unter dem Aktenzeichen S 23 AS 1595/09 erhoben. Gleichzeitig hat sie den Erlass einer auf die vorläufige Verpflichtung der Ag., die höheren Kosten der Unterkunft für die Wohnung G. Straße 11 in B. ab 09.06.2009 zu tragen, gerichteten einstweiligen Anordnung beantragt. Nachdem die Ast. ihre bisherige Wohnung in der E.straße 44 zum 30.04.2009 gekündigt habe (wobei der Vermieter eine Verlängerung des Mietverhältnis dulde), beabsichtige sie die Anmietung einer Dreizimmerwohnung mit einer Größe von 55,20 m² in der G. Straße 11 zu einem Gesamtmietzins von 411,00 EUR. Im Rahmen der Inaugenscheinnahme der alten Wohnung im Verfahren S 5 AS 849/09 ER habe der Vertreter der Ag. mitgeteilt, ein Umzug sei mit Blick auf die bevorstehende Geburt des Kindes drei Monate vor dem Geburtstermin, also ab 09.06.2009, möglich. Nach der Geburt des Kindes stehe ihr eine größere Wohnung zu, wobei ihr ein Umzug am Ende der Schwangerschaft nicht zumutbar sei. Schließlich sei eine Verschärfung der Situation dadurch eingetreten, dass auf Grund des Gesundheitszustands der Ast. die Geburt bereits in der 30. Schwangerschaftswoche eingeleitet werden musste.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 29.05.2009 abgelehnt. Es bestehe nach summarischer Prüfung kein Anspruch der Ast. auf Gewährung von Unterkunftskosten, die das mit Änderungsbescheid vom 19.02.2009 bis zum 31.08.2009 bewilligte Maß überstiegen. Die Beschwerde sei gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, weil in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Die Ast. streite nämlich um die Gewährung von weiteren Leistungen in Höhe von monatlich 12,00 EUR (Differenz zwischen den Kosten für die neue Unterkunft in Höhe von 411,00 EUR und für die alte Wohnung in Höhe von 399,00 EUR). Damit bleibe der Wert des Beschwerdegegenstandes sowohl für den aktuellen Bewilligungszeitraum als auch künftige, regelmäßig sechs Monate dauernde Bewilligungszeiträume hinter der Grenze des § 144 Abs. 1 SGG zurück. Eine Möglichkeit zur Zulassung einer an sich ausgeschlossenen Beschwerde entsprechend § 144 Abs. 2 SGG bestehe nicht.

Gegen den Prozessbevollmächtigten der Ast. am 02.06.2009 zugestellten Beschluss haben diese am 03.06.2009 Beschwerde beim Sächsischen LSG eingelegt. Entgegen der Ansicht des SG sei die Beschwerde hier nicht ausgeschlossen. Die Kosten der bisherigen Unterkunft beträgen nicht 399,00 EUR, sondern 299,00 EUR/Monat. Die monatliche Differenz zwischen den Kosten für die neue Wohnung und denen für die alte liege bei 112,00 EUR. Das SG gehe weiter selbst davon aus, dass sowohl der aktuelle Bewilligungszeitraum als auch der künftige von jeweils regelmäßig sechs Monaten in die Berechnung der Beschwer einzustellen sei. Bei mindestens 12 Monaten Bewilligungsdauer sei der Wert des Beschwerdegegenstandes deutlich höher als 750,00 EUR.

Die Ag. erachtet die Beschwerde als nicht zulässig, weil ein Wert des Beschwerdegegen- standes von 750,00 EUR nicht erreicht sei.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Beschwerde der Ast. ist nicht zulässig. Daher war sie zu verwerfen.

Die Beschwerde ist nicht statthaft. Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444), das am 01.04.2008 in Kraft getreten ist, ist die Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Vorliegend wäre die Berufung nicht zulässig. Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Die Berufung betrifft im zu entscheidenden Verfahren nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Der beim SG gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auf den Erlass eines eine Geldleistung betreffenden Verwaltungsaktes gerichtet. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt vorliegend – wie von der Ag. im Schriftsatz vom 02.07.2009 zutreffend berechnet – maximal 672,00 EUR (112,00 EUR/Monat x 6 Monate). Die monatliche Differenz zwischen den Kosten der Unterkunft und Heizung für die bisherige und die Wohnung in der G. Straße 11 liegt bei 112,00 EUR. Der streitige Zeitraum dauerte angesichts der Tatsache, dass die Beklagte vorliegend Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligte, gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II maximal sechs Monate (vgl. hierzu Berlit, info also 2005, S. 3, 11; Wündrich, SGb 2009, S. 267, 271). Da der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht ist, wäre eine Berufung in der Hauptsache nicht zulässig. Daher ist – wie vom SG zutreffend ausgeführt – die Beschwerde in dem hier streitigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 ausgeschlossen (ebenso Sächsisches LSG, Beschluss vom 03.12.2008 – L 7 B 716/08 AS-ER –; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.11.2008 – L 11 B 526/08 AS-ER –; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2008 – L 8 SO 80/08 ER – und Beschluss vom 08.09.2008 – L 13 AS 178/08 ER –; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.09.2008 – L 5 AS 70/08 NZB –; Hessisches LSG, Beschluss vom 11.08.2008 – L 7 AS 213/08 B ER –; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.07.2008 – L 19 B 118/08 AS-ER – und Beschluss vom 02.07.2008 – L 7 B 192/08 AS-ER –; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.06.2008 – L 28 B 919/08 AS-ER –; a. A. nur: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.10.2008 – L 6 AS 458/08 ER –).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass gemäß § 144 Abs. 2 und 3 SGG in einem Hauptsacheverfahren möglicherweise die Berufung zugelassen werden könnte. Denn der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG spricht von einer "zulässigen" Berufung und nicht von einer "zuzulassenden" Berufung. Der 2. Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Argumentation des 7. Senats im Beschluss vom 03.12.2008 (a.a.O.) an:

"Auch nach Ansicht des Senats kommt es für die Frage der Statthaftigkeit der Beschwerde in den Fällen des § 172 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGG nur darauf an, ob die Berufung in der Hauptsache ohne Zulassungsentscheidung durch das Sozialgericht bereits kraft Gesetzes zulässig ist. Denn das Erfordernis der Rechtsmittelklarheit verlangt, dass von vornherein abstrakt feststeht, ob ein Rechtsmittel zulässig ist oder nicht. Es ist daher – anders als das Sozialgericht offenbar meint – nicht maßgeblich, ob im Hauptsacheverfahren die Berufung möglicherweise nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen wäre. Demzufolge wäre die Statthaftigkeit der Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGG durch künftige ungewisse Ereignisse bedingt. Ob die Berufung gegen die sozialgerichtliche Entscheidung nach § 144 Abs. 2 SGG zugelassen wird, hängt nämlich zum einen davon ab, ob es überhaupt zu einem Urteil kommt und sich das Verfahren nicht vorher anderweitig erledigt, zum anderen davon, ob das erkennende Gericht das Vorliegen der Zulassungsgründe nach jener Vorschrift für gegeben hält. Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein, sodass die Frage der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs nicht von solchen Unwägbarkeiten in der Zukunft abhängen darf. Denn dies würde ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit darstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02 –, NJW 2003, S. 1924, 1926, und Beschluss vom 16.01.2007 – 1 BvR 2803/06 –, NJW 2007, S. 2538 ff.)."

Auch liegt der Sinn und Zweck der neueingeführten Regelung darin, maßgeblich zu einer Entlastung der Landessozialgerichte beizutragen, indem es bei "kleineren" Beschwerdegegenständen bei einer erstinstanzlichen Entscheidung im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleiben soll (vgl. zur beabsichtigten Entlastung: BT-Drucksache 16/7716 S. 22, 23, dort Nr. 29b; BR-Drucksache 820/07 S. 28, 29). Zudem ist eine Zulassung der Beschwerde durch das SG bei Unterschreitung des Schwellenwertes nicht erlaubt (Wündrich, a. a. O., S. 275).

Nach alledem war die Beschwerde der Ast. zu verwerfen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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