L 34 AS 983/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 20 AS 766/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 983/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Mai 2009 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 172 Abs. 1 und § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Mai 2009 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den am 29. April 2009 anwaltlich gestellten Antrag, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1. Mai 2009 bis zum 30. Oktober 2009 in voller Höhe zu zahlen und ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt danach voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Wesentliche Nachteile drohen, wenn entweder die Gefahr der Rechtsvereitelung oder jedenfalls einer wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung besteht. Eine solche Gefahr besteht grundsätzlich dann, wenn eine Unterschreitung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums droht, weil daraus folgende Beeinträchtigungen nicht mehr nachträglich behoben werden könnten, selbst wenn die Leistungen im Hauptsacheverfahren erstritten und rückwirkend gewährt würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – Juris).

Soweit die Antragstellerin mit ihrer am 1. Januar 2009 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) eingelegten Beschwerde unter Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses Leistungen vom 1. Mai 2009 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats begehrt, fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund. In einem einstweiligen Anordnungsverfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnr. 165f. m.w.N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Die rückwirkende Feststellung einer – einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Von besonderen Fällen abgesehen, ist dem Rechtschutzsuchenden daher regelmäßig ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar (vgl. den Beschluss des Senats vom 29. Juni 2009 – L 34 AS 936/09 B ER –). Solche besonderen Umstände, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung für einen zurückliegenden Zeitraum erforderlich machen würden, hat die Antragstellerin weder glaubhaft gemacht noch sind sie erkennbar.

Für die Zeit ab Beschlussfassung des Senats ist kein Anordnungsanspruch gegeben. Die 1959 geborene Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die begehrten Leistungen erfüllt sind. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II nur Personen, die insbesondere hilfebedürftig sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie hilfebedürftig in diesem Sinne ist. Sie bildet nach derzeitiger Beurteilung mit Herrn F B, ihrem 1961 geborenen und seit 2002 geschiedenen Ehemann, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II. Liegt aber eine Bedarfsgemeinschaft vor, sind bei der Prüfung des Hilfebedarfs auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dieses reicht hier zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin und des Herrn B aus.

Von dem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ist vorliegend aufgrund der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II auszugehen. Danach wird der eine Bedarfsgemeinschaft kennzeichnende wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, insbesondere dann vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben. Diese Vermutung ist eine gesetzliche Tatsachenvermutung, die im Ergebnis die Beweislast umkehrt (vgl. BT-Drucks. 16/1410, S. 19). Will der Hilfesuchende diese gesetzliche Vermutung widerlegen, muss er einen Vollbeweis – bzw. hier im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Glaubhaftmachung – dahingehend erbringen, dass entweder die von der Vermutungsregelung vorausgesetzten Hinweistatsachen nicht vorliegen oder aber andere Hinweistatsachen gegeben sind, die die Vermutung, es sei der wechselseitige Wille vorhanden, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, entkräften.

Die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II sind erfüllt. Denn die Antragstellerin und Herr B leben seit September 2004 und damit weitaus länger als ein Jahr zusammen.

Der Vortrag der Antragstellerin ist nicht geeignet, die durch § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II ausgelöste Vermutung zu erschüttern. Das Vorliegen einer bloßen Zweckgemeinschaft ist nicht glaubhaft gemacht. Gegen eine solche spricht schon die Tatsache, dass die Antragstellerin und Herr B in der von ihnen gemeinsam im September 2004 gemieteten Wohnung mit einer Größe von 68 qm und drei Zimmern zuzüglich Küche und Bad keine klare Trennung ihrer Privatbereiche vollzogen haben. Wie die Außendienstprüfung des Antragsgegners am 10. April 2008 ergeben hatte, die insoweit auch von der Antragstellerin nicht substantiiert bestritten worden ist, nutzen sie und Herr B insbesondere nicht nur Küche und Bad gemeinsam, sondern auch einen im "früheren" Schlafzimmer befindlichen Kleiderschrank. Wenngleich weitere Räume der Wohnung seinerzeit nicht geprüft wurden, hat die Antragstellerin keine Umstände plausibel vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, die gegen ein Zusammenleben im Sinne der Norm sprechen könnten. Dafür, dass die Antragstellerin einen Mietanteil in Höhe von 192 Euro zahlt, wie mit Schriftsatz vom 22. Juli 2009 vorgetragen worden ist, bestehen keine Anhaltspunkte. Abgesehen davon, dass die Warmmiete für die gemeinsame Wohnung 463 Euro beträgt, mithin auf die Antragstellerin rechnerisch 231,50 Euro und nicht nur 192 Euro entfallen, ergibt sich aus den für den Zeitraum vom 17. Februar 2009 bis zum 3. Juli 2009 eingereichten Kontoauszügen nicht, dass zumindest ein Anteil in Höhe von 192 Euro von der Klägerin getragen würde. Monatliche Überweisungen in dieser Höhe sind nicht erfolgt, obwohl die Antragstellerin aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. Januar 2009 – S 26 AS 2250/08 ER – noch bis einschließlich April 2009 Leistungen der Grundsicherung zum Lebensunterhalt in Höhe von 436,53 Euro erhalten hat und sie sodann Einkommen aufgrund der im April 2009 aufgenommenen geringfügigen Beschäftigung erzielt hat, welches vom Konto des Herrn B im Mai und Juni 2009 überwiesen worden ist. Die schriftliche Erklärung der Antragstellerin vom 11. Juli 2008, wonach sie den Mietanteil in Höhe von 192 Euro bar bezahle, ist nicht glaubhaft gemacht und im Übrigen auch angesichts dessen, dass die Antragstellerin nunmehr angegeben hat, sie erledige "alles über Telefon-Banking", weil ihre Bank in Berlin sei, unglaubhaft. Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin in ihrer vorgenannten Erklärung angegeben hat, dass sie die gesamten Abschlagszahlungen für Strom zahle (im Mai 2008 noch 60 Euro, nach den aktuellen Kontoauszügen 56 Euro im Monat) verdeutlicht, dass es an einer klaren Trennung des Wirtschaftens gerade fehlt. Dass von diesem Betrag die Hälfte von Herrn B getragen werde, wie nunmehr vorgetragen wird, ist ebenso wenig glaubhaft gemacht. Unabhängig davon, dass ein solches Vorgehen der Erklärung der Antragstellerin von Juli 2008 widerspräche, wonach sie gerade die vollen Stromkosten übernehme, weil ihr Mietanteil eigentlich höher wäre, als der seinerzeit vom Antragsgegner noch übernommene, ergeben sich entsprechende Gutschriften nicht aus den übersandten Kontoauszügen. Soweit Herr B in seiner Erklärung vom 18. November 2008 als seine monatlichen Kosten u.a. die volle Miete angegeben hat und seit dem 1. Oktober 2008 unfreiwillig gezwungen sei, "auch noch ihre Kosten zu übernehmen", er aber ab sofort keine Zahlung mehr für die Antragstellerin übernehmen wolle, weisen diese Ausführungen gerade darauf hin, dass der nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vermutete Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, auch tatsächlich vorhanden ist.

Da hiernach einstweilen vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn B auszugehen ist, ist u.a. das Einkommen beider Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dieses übersteigt den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft.

Der Gesamtbedarf errechnet sich zunächst aus der sich gemäß § 20 Abs. 3 SGB II ergebenden Regelleistung in Höhe von jetzt 323 Euro (vgl. die Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2009 vom 17. Juni 2009, BGBl. I S. 1342), zusammen mithin 646 Euro. Hinzu kommen die Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II. Selbst wenn insoweit die tatsächlichen Aufwendungen für Wohnung und Heizung der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 463 Euro berücksichtigt werden (369 Euro Kaltmiete, 90 Euro Heizung, 4 Euro Antennenanschluss), übersteigt der sich ergebende monatliche Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.109 Euro nicht das berücksichtigungsfähige Einkommen.

Das zu berücksichtigende Einkommen des Herrn B beträgt 1.077,92 Euro. Denn nach dessen von der Antragstellerin im September 2008 vorgelegten Verdienstabrechnungen von Juni, Juli und August 2008 verfügt er über ein monatliches Brutto-Einkommen in Höhe von 2.016,64 Euro. Von seinem Nettoeinkommen in Höhe von 1.357,92 Euro (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB II) sind gemäß § 30 Satz 2 Nr. 11 SGB II zunächst 180 Euro (20 vom Hundert von 700 Euro zuzüglich 10 vom Hundert von 400 Euro) und des Weiteren ein Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II abzusetzen, woraus sich ein zu berücksichtigendes Einkommen in der genannten Höhe errechnet.

Das zu berücksichtigende Einkommen der Antragstellerin, die zum 1. April 2009 eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen hat, betrug im Juni 2009 400 Euro. Abzüglich der Pauschale in Höhe von 100 Euro gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II sind hiervon 300 Euro zu berücksichtigen. Das danach einzustellende Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.377,92 Euro übersteigt den monatlichen Gesamtbedarf um etwa 269 Euro. Bei dieser Sachlage kommt auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin für Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichtenden Beiträge in Höhe von insgesamt 141,54 Euro ein Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen nach § 26 Abs. 3 SGB II nicht in Betracht, so dass dahinstehen kann, dass ein solcher nicht ausdrücklich beantragt worden ist.

Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben, auch soweit das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen Fehlens der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO) abgelehnt hat.

Aus den gleichen Gründen konnte der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren keinen Erfolg haben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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