L 6 U 58/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 13 U 60/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 58/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Vorfalles als Arbeitsunfall. Der im 1964 geborene Kläger befand sich am 5. Februar 1977, einem Samstag zu Beginn der Winterferien, auf dem Gelände der Polytechnischen Oberschule in H , deren sechste Klasse er zu dieser Zeit besuchte. Hier wollte er am Pionierma-növer "Schneeflocke" teilnehmen. Gegen 10.00 Uhr traf ihn ein Schuss, den ein älterer Schüler aus einem Luftgewehr abgegeben hatte, im linken Auge, an dem eine starke Sehbehinderung eintrat. Die Munition zu dem Luftgewehr war älteren Schülern zur Teilnahme an den Hans-Beimler-Wettkämpfen am gleichen Tag ausgehändigt worden. Am 7. Februar 1977 sandte die Schule eine Unfallmeldung ab. Darin stufte sie den Unfall als einen solchen während der Ferientätigkeit von Schülern ein. Mit gleichem Datum erstattete die Oberschule dem Kreisschulrat Bericht mit dem einleitenden Satz, sie habe am Unfalltag die Hans-Beimler-Wettkämpfe und das Pioniermanöver durchge-führt. In einem Schreiben vom 8. August 2001 wandte sich der Kläger wegen eines Aus-gleichs seiner Schäden an die Beklagte.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2002 lehnte die Beklagte in ihrem Zuständigkeitsbereich die Anerkennung des Vorfalls als Arbeitsunfall und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Dazu führte sie aus, gemäß § 215 Abs. 1 SGB VII in Verbin-dung mit § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO seien vor dem 1. Januar 1992 erlittene Unfälle, die einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland erst nach dem 31. Dezember 1993 erstmals bekannt geworden seien, auch auf die Anspruchsvoraussetzungen der RVO hin zu überprüfen. Der Kläger erfülle insoweit die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b RVO nicht, weil die Organisation und Durchführung der durchgeführten Wettkämpfe der FDJ und nicht der Schule oblegen hätte. Insoweit habe es sich nicht um eine Schulveranstaltung gehandelt. Auch könne nach dem Inhalt der durchgeführten Veranstaltung – "Verteidigung des Sozialismus" – nicht von einem Schutz nach der RVO ausgegangen werden, weil die verfolgten Ziele dem damaligen Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland zuwider gelaufen seien.

Zu dem am 4. November 2002 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe sich zu DDR-Zeiten einer derartigen organisierten Freizeit-gestaltung nur schwer entziehen können. Auch habe der Schütze nicht im Rahmen der Wettkämpfe, sondern aus eigenem Antrieb unter mangelhafter Aufsicht des auf dem Schulgelände zuständigen Lehrpersonals gehandelt. Die zur Begründung herangezo-gene Bezugnahme auf Literatur zur DDR-Volksbildung sei abwegig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2003 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück und blieb dabei, die Veranstaltung sei nicht im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule durchgeführt worden. Wettstreite und Leistungsvergleiche seien Bestandteil der FDJ- und Pionierarbeit und nicht der Schulausbildung gewesen. Zwar habe der Schule die Planung der Veranstaltungen im Schuljahr oblegen. Die Verantwortung für Organisation und Durchführung habe aber bei der FDJ gelegen. Die erbrachten Leistungen in den Wettkämpfen seien auch nicht schulisch gewertet worden. Sie hätten lediglich einer gesellschaftlichen Anerkennung gedient. Der mit der Post übersandte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger nach seiner Mitteilung am 3. März 2003 zugegangen.

Mit der am 1. April 2003 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage hat der Kläger ergänzend vorgetragen, die Organisation derartiger Veranstaltungen sei schwerpunktmäßig über die Schulleitung erfolgt, weil insbesondere im Schuldienst tätige FDJ-Funktionäre herangezogen worden seien. Die überwiegende Zahl dieser Funktionäre und Pionierleiter sei auch als ordentliche Lehrkraft an den Schulen tätig gewesen und hätte mindestens in einem Fach Lehrplanaufgaben zu erfüllen gehabt.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, ein vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetretener und einem vom 1. Januar 1991 an zuständigen Träger der Unfallversi-cherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt gewordener Unfall gelte nach § 1150 Abs. 2 RVO nicht allein wegen einer Einstufung als Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR auch als Arbeitsunfall nach der RVO. Vielmehr seien insoweit die Voraussetzungen der RVO im Einzelnen zu prüfen. In Betracht komme hier § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b RVO, wonach Schüler während des Besuchs allgemeinbilden-der Schulen gesetzlich unfallversichert seien. Diese Voraussetzung sei aber nicht erfüllt, weil sie die Teilnahme an Veranstaltungen erfordere, die in den organisatori-schen Verantwortungsbereich der Schule fielen. Die Organisation der Manöver der Thälmann-Pioniere habe 1977 aber im Verantwortungsbereich der Pionierorganisation der FDJ gelegen. Insoweit folge das Gericht den Begründungen der angefochtenen Bescheide.

Gegen den ihm am 17. April 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 3. Mai 2005 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, bereits die sachlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid hätten gefehlt. Zur Lösung des Falles habe es einer tiefgründigeren Analyse der tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR bedurft. Die vom Sozialgericht herangezo-gene Zitatstelle sei eine Trivialfundstelle, die nichts mit der Rechtswirklichkeit der DDR zu tun habe. Im Rahmen der Einheit von Partei und Staatsführung habe es keine Möglichkeit gegeben, sich der Teilnahme an dem Pioniermanöver zu entziehen. Die Teilnahme habe "vielfach" sogar einen unmittelbaren Einfluss auf die Benotung im Unterrichtsfach Sport gehabt. Da in der Regel an einer Schule nur ein hauptamtlicher FDJ- und Pionierleiter tätig gewesen sei, seien die Manöver von der Lehrerschaft betreut und organisiert worden. Die versicherungsrechtlichen Regelungen der DDR hätten Unfälle im Rahmen der Ausübung gesellschaftlicher Tätigkeiten mit Arbeitsun-fällen gleichgestellt. Entschädigungsleistungen aus der Sozialversicherung habe er nicht bezogen. Ob er zwischen 1991 und 1993 eine Versorgung des verletzten Auges in Anspruch genommen habe, wisse er nicht mehr. Insoweit hat er Krankenblätter (Bl. 145 - 182 d. A.) vorgelegt, aus denen medizinische Maßnahmen bezüglich des Auges in diesem Zeitraum auch nicht hervorgingen.

Die Beigeladene hat mit Bescheid vom 21. September 2005 eine Entschädigung für die Unfallfolgen aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt. Zwar seien nach § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeit vom 11. April 1973 Leistungen in Betracht gekommen. Diese Fälle seien aber ohne weitere Prüfung nur dann in das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen worden, wenn sie einem vom 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien. Im Übrigen habe nach § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO eine Prüfung nach dem Recht der RVO zu erfolgen, nach der eine Entschädigung für die Unfallfolgen nicht zu gewähren sei, weil der Unfall nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe. Bei der FDJ habe es sich um einen Verein gehandelt, dessen Tätigkeit keinen Unfallversicherungsschutz nach dem Dritten Buch der RVO vermittelt habe. Der Unfall des Klägers sei erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 1. April 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 26. Februar 2003 aufzuheben und

festzustellen, dass es sich bei der Schusseinwirkung auf das linke Auge vom 5. Februar 1977 um einen Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrem Ergebnis fest und verweist ergänzend darauf, sie sei für Unfälle im Schulbetrieb zuständig. Eine Sonderzuständigkeit der Beigeladenen betreffe nur Fälle des § 1 der Verordnung von 1973. Die Schülerunfallversicherung sei im § 2 der Verordnung geregelt.

Die Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält sich für allein zuständig und hält an ihrem Bescheid fest.

Das Gericht hat eine Auskunft des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt vom 7. September 2005, Bl. 89 d. A., eingeholt. Dieses vertritt die Auffassung, die Durchführung der Veranstaltungen habe der Pionierorganisation Ernst Thälmann oblegen und sei dem Verantwortungsbereich der Schulen entzogen gewesen. Wegen beigezogener Unterlagen des Bundesarchivs wird auf dessen Auskunft vom 7. Mai 2009, Bl. 184 - 216 d. A. verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung haben neben den Verwaltungs-akten der Beklagten und Beigeladenen die Schadensvorgänge der Allianz Versiche-rungs-AG als Rechtsnachfolgerin der Staatlichen Versicherung der DDR und als Beiakten geführte Unterlagen vorgelegen, die das Bundesarchiv mit Schreiben vom 16. März 2009, Bl. 141 d. A., übersandt hatte.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 26. Februar 2003 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

Die Beklagte ist im Rahmen ihrer allgemeinen Zuständigkeit nach § 128 Abs. 1 Nr. 3 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) in der insoweit unveränderten Ausgangsfassung durch G. v. 7.8.1996 (BGBl. I S. 1254) für Unfälle von Schülern im Bereich des Bundeslandes auch für den Unfall des Klägers zuständig. Durchgreifende Gründe für ihre Unzuständigkeit hat die Beigeladene nicht benannt; insoweit bleibt der Senat auch nicht bei der Rechtsauffassung in dem Beiladungsbeschluss. Die Sonder-zuständigkeit nach Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschnitt III Nr. 1 Buchst. c Maßg. 8 Unterziffer 2 Buchst. ee zum Einigungsvertrag (G. v. 25. 9. 1990, BGBl. II S. 885) ist hier nicht eröffnet, weil die geltend gemachte Entschädigung nicht auf § 1 der Verord-nung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Tätigkeiten (ErwVO) vom 11. 4. 1973 (GBl. I S. 199) beruhte. Zwar ist dies vom Wortlaut der Vorschrift her nicht eindeutig, weil auch für die Fälle des § 2 ErwVO nicht in dieser Vorschrift, sondern in § 1 Abs. 1 ErwVO die Rechtsfolge der "Leistungen wie bei einem Arbeitsunfall" geregelt ist. Bereits der innere Zusammenhang der Vorschrift des Einigungsvertrages selbst verdeutlicht aber, dass dabei nicht (nur) auf die Rechtsfolge, sondern auf die tat-bestandlichen Voraussetzungen abgestellt wird. Denn es wäre überflüssig, anstatt allgemein auf die Verordnung abzustellen, besonders deren § 1 hervorzuheben, wenn zusätzlich die Fälle des § 2 und damit alle versicherten Tatbestände der ErwVO erfasst werden sollten. Auch der Zweck der Vorschrift des Einigungsvertrages legt nahe, dass die Vorschrift auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 ErwVO abstellt. Denn hierbei handelt es sich um Tatbestände, die in der Unfallversicherung der Bundesrepu-blik Deutschland typischerweise nicht versichert sind, weil sie alles in allem das politische Leben der DDR erfassen. Nur dieser Gesichtspunkt rechtfertigt ihre beson-dere Zuweisung zu einem Träger und die damit verbundene besondere Finanzierung. Demgegenüber erfasst § 2 ErwVO überwiegend Fälle, die auch im bundesdeutschen Unfallversicherungssystem unter Versicherungsschutz stehen. So ähneln § 2 Buchst. b ErwVO § 539 Abs. 1 Nrn. 9 u. 12 der Reichsversicherungsordnung (RVO – insoweit in der bei Abschluss des Einigungsvertrages geltenden Fassung), § 2 Buchst. c ErwVO § 539 Abs. 1 Nr. 10 RVO, § 2 Buchst. d § 539 Abs. 1 Nr. 17 RVO, § 2 Buchst. e § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b RVO, § 2 Buchst. g ErwVO § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO und § 2 Buchst. h ErwVO § 539 Abs. 2 RVO. Insoweit wäre für die im Einigungsvertrag bestimmte Sonderzuständigkeit kein Grund erkennbar.

Bei dem Unfall des Klägers handelte es sich auch um einen Unfall, der als Unfall eines Schülers bei der organisierten Feriengestaltung der Spezialregelung des § 2 Buchst. e ErwVO und nicht der Generalklausel des § 1 ErwVO unterfiel. Da der Unfall als solcher bei der Feriengestaltung von Schülern gemeldet worden ist, geht der Senat mangels von Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit dieser Meldung davon aus, dass die Veran-staltung Teil der organisierten Feriengestaltung nach dem Recht der DDR war.

Der Kläger stand bei dem Ereignis vom 5. Februar 1977 nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b RVO in der letzten, durch G. v. 7. August 1996 aufgehobenen Fassung nicht als Schüler unter Versicherungsschutz, weil er nicht im Sinne dieser Vorschrift eine allgemeinbildende Schule besuchte.

Die Vorschriften der RVO sind bezüglich des Anspruchs zu prüfen, weil § 215 Abs. 1 S. 1 SGB VII in der Fassung durch G. v. 30. 10. 2008 (BGBl. I S. 2130) wegen vor dem 1. Januar 1992 eingetretener Unfälle auf § 1150 Abs. 2, 3 RVO verweist. § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO verlangt insoweit zum Anspruchsausschluss – und damit im Umkehr-schluss zur Anspruchsbestätigung – die Prüfung von Unfällen nach dem Dritten Buch (der RVO). Die Vorschrift ist hier thematisch betroffen, weil sie vor dem 1. Januar 1992 eingetretene Unfälle erfasst, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeits-unfälle der Sozialversicherung waren. Im Falle des Klägers ist der Ausschlusstatbe-stand des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO besonders zu prüfen, weil der Unfall des Klägers einem ab Anfang 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfall-versicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden ist. Welche Träger insoweit in Betracht kommen, folgt aus Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschnitt III Nr. 1 Maßg. c) zum Einigungsvertrag; die Kenntnis des durch die Überleitungsanstalt Sozialversicherung abgelösten Trägers der Sozialversicherung der DDR ist danach nicht von Bedeutung. Ein späterer Träger der Unfallversicherung hat bis Ende 1993 keine Kenntnis von dem Arbeitsunfall erlangt, zumal nicht einmal festzustellen ist, dass der Kläger zwischen 1991 und 1993 überhaupt Leistungen wegen seiner Augenverlet-zung in Anspruch genommen hat.

Der Ausschlusstatbestand des § 1150 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVO greift auch durch, weil der Unfall nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen gewesen wäre. Der Aufenthalt des Klägers auf dem Schulgelände im Zusammenhang des Pioniermanö-vers stellt keinen Schulbesuch im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b RVO dar. Eine Veranstaltung ist eine Schulveranstaltung, wenn sie im inneren Zusammenhang mit dem Schulbesuch steht und in den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule fällt (BSG, Urt. v. 24. 1. 1990 – 2 RU 22/89; Urt. v. 4. 12. 1991 – 2 RU 79/90 – beide zitiert nach Juris). Für den inneren Zusammenhang ist entscheidend, ob Eltern und Schüler nach dem Gesamtbild der Veranstaltung von einer organisatorisch von der Schule als Schulveranstaltung getragenen Unternehmung ausgehen konnten (BSG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Trotz der starken Einbindung der Schuleinrichtungen in die Durchführung der Manö-verspiele war die Veranstaltung als solche der Pionierorganisation Ernst Thälmann erkennbar. Dies hält der Senat auch gegenüber dem Umstand für entscheidend, dass die letzte Entscheidungsbefugnis über die Durchführung und Organisation der Spiele dem Schuldirektor oblag, wie sich aus der Richtlinie zur Führung und Weiterentwick-lung der außerunterrichtlichen Wettstreite und Leistungsvergleiche in den FDJ- und Pionierkollektiven an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen vom 5. Januar 1976 (Bl. 187 d. A.) ergibt. Die Einstufung der Veranstaltung als eine der jeweiligen Jugendorganisation war für die Hans-Beimler-Wettkämpfe der älteren Schüler ausdrücklich in dem Beschluss des Sekretariats des Zentralrates der FDJ vom 16. März 1972 (vom Bundesarchiv übersandt) niedergelegt, in dem sich dieser als Veranstalter bezeichnet. Nichts anderes gilt für die Pionierorganisation angesichts der Manöverspiele. In der Richtlinie werden Manöverspiele ebenso als solche "der Thäl-mannpioniere und Jungpioniere" gekennzeichnet, wie dies für die Hans-Beimler-Wettkämpfe als solche der FDJ-Mitglieder der Fall ist. Die gesamte Thematik der Richtlinien einschließlich der Manöverspiele hat nach der Richtlinienüberschrift Tätigkeit "in den Pionierkollektiven an den schulen" zum Gegenstand, nicht solche der Schule oder der Schüler. Nach der Einleitung der Richtlinie geht es um die Pionierarbeit an den Schulen. Der Erlass der Richtlinien beruht ausweislich ihres Vorspruchs auf der langfristigen Orientierung der zentralen Pionierleiterkonferenz und nicht des Ministeriums für Volksbildung.

Die Veranstaltung war auch ihrem äußeren Ablauf nach der Pionierorganisation zuzuordnen. Sie wurde nicht innerhalb des Unterrichtsbetriebs, sondern an einem Ferientag durchgeführt. So bezeichnet die Schule in ihrer Unfallmeldung die Veranstal-tung auch als außerschulische Feriengestaltung. Die Leistungen waren nach der Richtlinie nur im Rahmen der Bewertung des gesellschaftlichen Engagements zu beurteilen und damit nicht – wie der Kläger auch nur als vielfache Praxis und nicht konkret für seinen Fall behauptet – Teil der Schulbenotung. Die Schüler waren in ihrer Eigenschaft als Pioniere in Organisation und Durchführung der Veranstaltung einge-bunden. So hatte der Schuldirektor nach der Richtlinie Mädchen und Jungen aller Altersstufen – damit auch im Pionieralter – eine aktive Teilnahme an der Organisierung zu ermöglichen. Auch den Pionierräten war die "ihnen zustehende Verantwortung bei der Durchführung" zu übertragen.

Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob sich der Kläger tatsächlich der Veranstal-tung kaum entziehen konnte. Diese Wirkung beruht nicht auf der Schulpflicht, sondern auf dem tatsächlichen Einfluss der Jugendorganisationen des SED-Apparates. Auch die starke Verwobenheit der Tätigkeit dieser Organisationen und der Schulen ist nicht entscheidend, weil der Normengeber der DDR eine rechtliche Unterscheidung gleich-wohl aufrecht erhalten und der Gesetzgeber der Bundesrepublik daran angeknüpft hat. Denn gerade die ErwVO zeigt, dass der Verordnungsgeber der DDR zwar das Unfall-versicherungsrecht der DDR auf alle Formen der sog. gesellschaftlichen Tätigkeit ausgedehnt hat, dabei aber gerade von einem Unterschied zwischen betrieblichem oder schulischem Leben und gesellschaftlicher Tätigkeit ausgegangen ist. Daran hat auch der Gesetzgeber der Bundesrepublik mit angeknüpft, indem er im Einigungsver-trag für die typischen Fälle gesellschaftlicher Tätigkeit die schon genannte Sonderzu-ständigkeit mitgeschaffen hat und ihnen in § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO nach Ablauf einer Übergangsfrist zur Geltendmachung weitgehend den Versicherungsschutz entzogen hat. Diesen Zusammenhängen wird eine weite Auslegung des Schulbesuchs als Merkmal der RVO im Hinblick auf tatsächliche Verhältnisse und Zwänge der DDR, die ebenso im betrieblichen Bereich bestanden, nicht gerecht. Sie würde auch der Zuordnung der Finanzierungsrisiken im Zusammenhang mit § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. b RVO nicht entsprechen. Diese, zum Zeitpunkt der Schaffung des § 1150 RVO auch noch für zukünftige Fälle geltende Vorschrift musste auch der Abgrenzung des Schulrisikos von demjenigen anderer Träger Rechnung tragen, die zur Finanzie-rung der Schülerunfallversicherung nicht herangezogen werden. Deshalb kann eine Tätigkeit, die erkennbar Zwecke außerschulischer Träger verfolgt, für die Abgrenzung der Verantwortung für eine Veranstaltung nicht außer Betracht bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gem. § 160 Abs. 2 SGG nicht. Die allenfalls nicht geklärte Zuständigkeit für die Verwaltungsentscheidung erscheint tatsächlich zumindest so lange nicht über den Fall hinaus klärungsbedürftig, wie nicht im Rahmen der Verurteilung eines Unfallversicherungsträgers Leistungen zu erbringen sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass hier beide Versicherungsträger ihre Zuständigkeit annehmen und sie nicht ablehnen.
Rechtskraft
Aus
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