L 20 SO 86/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 27 SO 156/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 86/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Sozialhilfeempfänger, der gemäß § 48 SGB XII, § 264 SGB V krankenversichert ist, hat keinen Anspruch darauf, dass der Sozialhilfeträger privatärztliche Kosten einer Behandlung übernimmt. Dies gilt auch dann, wenn aus der Krankenversicherungskarte (§ 291 SGB V) entnommen werden kann, dass der Betref­fende Sozialhilfe bezieht.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.08.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen für die Inanspruchnahme privatärztlicher Behandlungen sowie für den Kauf ärztlich verordneter Arzneimittel als Sozialhilfeleistung.

Der am 00.00.1937 geborene, vermögenslose Kläger, ist promovierter Jurist (ohne zweites Staatsexamen). Er verfügt monatlich über Einkommen aus Altersrente i.H.v. aktuell 231,99 EUR und steht bei der Beklagten im laufenden Bezug von ergänzenden Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Im Rahmen dieses Leistungsbezuges ist er i.S.v. § 264 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hinsichtlich seiner Kosten für Krankenbehandlung abgesichert. Insoweit hat er von der vom Senat nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladenen Techniker-Krankenkasse eine Krankenversichertenkarte (§ 291 SGB V) erhalten, die er bei Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen und bei der Beschaffung von Medikamenten in Apotheken verwenden muss. Dieser Karte kann bei entsprechender Kenntnis von der Bedeutung des auf ihr angegebenen Zifferncodes u.a. der Versichertenstatus (§ 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V) des Klägers entnommen werden, indem als Statusangabe (ohne weitere diesbezügliche Angaben) eine "4" auf die Übernahme der Krankenbehandlungskosten nach § 264 SGB V verweist. Die Beigeladene teilte der Beklagten im Laufe des Klageverfahrens telefonisch mit, diese abrechnungstechnische Ziffer diene ihr zur Sortierung der angefallenen Daten, um sie letztlich dem richtigen Kostenträger in Rechnung stellen zu können.

Nachdem der Kläger aufgrund der Angaben auf der Krankenversichertenkarte bei einem Arztbesuch auf seinen Sozialhilfebezug angesprochen worden war, lässt er sich nunmehr als Privatpatient ärztlich behandeln und bezahlt auch erstattungsfähige Medikamente in der Apotheke selbst, um nicht als Sozialhilfeempfänger erkannt zu werden.

Auf ein Schreiben des Klägers vom 18.03.2006 antwortete ihm der Bundesbeauftragte für den Datenschutz mit Schreiben vom 25.08.2006, er teile die Bedenken des Klägers gegen die Erkennbarkeit des Sozialhilfebezugs aus der Krankenversichertenkarte. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sei diese Offenlegung nicht erforderlich. Er habe wegen dieser Problematik bereits Kontakt mit dem Bundesministerium für Gesundheit sowie den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgenommen und um Beachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Personen gebeten. Er gehe davon aus, dass die Thematik im Rahmen von Verhandlungen zur neuen Gesundheitsreform wieder zur Sprache komme und werde sich weiter dafür einsetzen, dass ein Sozialhilfebezug aus der Krankenversichertenkarte nicht ersichtlich werde.

Mit Schreiben vom 24.08.2007 teilte der Kläger der Beklagte mit, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz teile seine Bedenken gegen die Ersichtlichkeit des Sozialhilfebezugs aus der Krankenversichertenkarte; es werde dadurch die Menschenwürde des Sozialhilfeempfängers verletzt. Deshalb könne von ihm die Vorlage der Krankenversichertenkarte bei Ärzten und Apotheken nicht verlangt werden. Er habe bisher in Erwartung eines für ihn positiven Urteils (in einem weiteren Verfahren) versucht, anfallende Krankheitskosten aus der von ihm bezogenen Grundsicherung zu verauslagen; angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten sei er nunmehr jedoch dringend auf Ersatz seiner Krankheitskosten angewiesen. Er bitte um Erstattung seiner Kosten auf sein Konto und gehe davon aus, dass die Beklagte eine Regelung mit der Beigeladenen finden könne, da auch die Beigeladene bereits eine gesetzliche Änderung der auf der Krankenversichertenkarte angegebenen Daten angekündigt habe. Dem Schreiben beigefügt waren ärztliche Abrechnungen vom 05.07.2007 über 73,90 EUR sowie vom 06.07.2007 über 42,65 EUR (Summe: 116,55 EUR), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Mit Bescheid vom 13.09.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach § 264 Abs. 2 SGB V übernehme die Krankenkasse die Krankenbehandlung u.a. von Grundsicherungsempfängern nach dem SGB XII. Die Beigeladene sei deshalb der für die Krankenbehandlung des Klägers zuständige Leistungsträger, der darüber abschließend entscheide. Dem Kläger werde deshalb anheimgestellt, sich wegen der Erstattung von Kosten für ärztliche Behandlung an die Beigeladene zu wenden; die übersandten Rechnungen würden ihm zurückgereicht. Nach § 264 Abs. 4 Satz 3 SGB V sei aus der Chipkarte der Versichertenstatus als "Rentner" in verschlüsselter Form zu entnehmen.

Der Kläger legte Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf sein Antragsschreiben vom 24.08.2007. Seine Krankenversichertenkarte weise ihn durchaus nicht als "Rentner", sondern als Sozialhilfeempfänger aus. Da der Versicherungsvertrag mit der Beigeladenen nicht von ihm, sondern von der Beklagten geschlossen worden sei, sei er nicht in der Lage, mit der Beigeladenen in Verhandlungen bzgl. einer Kostenübernahme einzutreten. Er halte es für die gesetzliche Aufgabe der Beklagten, die Angelegenheit mit der Beigeladenen zu klären.

Mit Schreiben vom 12.10.2007 reichte der Kläger unter Bezugnahme auf die bisherige Korrespondenz mit der Bitte um Abklärung mit der Beigeladenen eine weitere ärztliche Abrechnung vom 28.09.2007 über 42,65 EUR ein, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. § 264 SGB V bezwecke eine leistungsrechtliche Gleichstellung von Empfängern von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII mit gesetzlich Krankenversicherten. Der Sozialhilfeträger trete nur noch als Kostenträger der gewährten Gesundheitsleistungen auf, sei aber nicht mehr Leistungserbringer. Nach § 48 SGB XII gingen die Regelungen des § 264 SGB V den Leistungen der Hilfe bei Krankheit vor; werde die Krankenbehandlung nach § 264 SGB V von der Krankenkasse übernommen, könnten Leistungen nach § 48 SGB XII nicht erbracht werden. Insoweit sei auf den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) zu verweisen. Im Übrigen setze ein Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine anderweitige Bedarfsdeckung das vorherige Bekanntwerden des Hilfebedarfs (§ 18 Abs. 1 SGB XII) bzw. einen entsprechenden vorherigen Antrag (§ 41 Abs. 1 SGB XII) voraus. Der Hilfeberechtigte dürfe dem Sozialhilfeträger nur vorgreifen, wenn der entsprechende Bedarf unaufschiebbar sei; anderenfalls sei die anderweitige Bedarfsdeckung anspruchsvernichtend. Zum Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger seien die Ärzte bereits in Anspruch genommen worden, und es habe kein gegenwärtiger Bedarf mehr bestanden. Hinsichtlich der Erkennbarkeit des Sozialhilfebezuges aus der Krankenversichertenkarte ergebe sich zwar neben dem Status als "Rentner" aus der Codenummer auch der Rechtskreis "Auftragsleistung, für nicht versicherte Sozialhilfeempfänger nach § 264 SGB V erbrachte Leistungen". Nach einer äußerst schwierigen Entschlüsselung der Codenummer sei deshalb zu erkennen, dass Leistungen nach § 264 SGB V erbracht würden. Das Verwaltungsgericht Köln habe insoweit in einem vom Kläger gegen die Erkennbarkeit des Sozialhilfebezuges aus einem vom Sozialhilfeträger ausgestellten Krankenschein geführten Rechtsstreit mit Urteil vom 03.06.2005 - 18 K 5432/02 entschieden, die Sozialhilfe könne nicht dazu dienen, dem Einzelnen einen einmal erworbenen Lebensstandard zu sichern. Es sei dem Kläger wie jedem anderen Sozialhilfeempfänger daher zumutbar, sich Ärzten gegenüber als Sozialhilfeempfänger zu erkennen zu geben, zumal der Arzt sich auch hinsichtlich seines Honoraranspruchs auf eine dann den Anforderungen des SGB V entsprechende Behandlung einstellen müsse.

Hiergegen hat der Kläger am 28.11.2007 Klage erhoben und vorgetragen, er habe während seines Berufslebens keinen höheren Rentenanspruch erwerben können, da er sein umfangreiches Schriftwerk zumeist als Privatgelehrter ohne Arbeitseinkünfte habe schaffen müssen. Die Beklagte habe ihm mit einem Schreiben vom 21.02.2006 mitgeteilt, dass nach neuer Gesetzeslage Krankheitskosten von Sozialhilfeempfängern künftig von einer von diesem gewählten Ersatzkrankenkasse übernommen würden und sie ihn bei der Beigeladenen angemeldet habe. Von der Beigeladenen habe er dann die Krankenversichertenkarte erhalten. Er müsse regelmäßig ärztliche Untersuchungen in Anspruch nehmen und sei auch auf eine regelmäßige Medikamenteneinnahme angewiesen. Seit er vom Arztpersonal wegen der Kodierung der Krankenversichertenkarte als Sozialhilfeempfänger angesprochen worden sei, verlange er wie früher eine Arztbehandlung ohne Versicherungsleistung; dabei habe er wiederum wie früher seinen Arzt gebeten, bei der Rechnungsstellung auf seine schwierige wirtschaftliche Situation Rücksicht zu nehmen, wobei er bisher stets auf die geringe Höhe seiner Rente hingewiesen habe. Auch beim Medikamentenbezug verzichte er auf die Vorlage der Krankenversichertenkarte, um nicht als Sozialhilfeempfänger in Erscheinung zu treten. Inzwischen habe er telefonisch von der Beigeladenen erfahren, dass der Hinweis auf der Krankenversichertenkarte auf seinen Rentner- und Sozialhilfeempfängerstatus in der Tat der gesetzlichen Regelung entspreche. Eine Änderung der derzeitigen Praxis hänge daher von einer Änderung der Gesetzeslage ab, wobei die Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten nachvollziehbar seien; auf die Statushinweise könne aus Sicht der Beigeladenen problemlos verzichtet werden. Ohnehin sei durch die Abrechnung der Beigeladenen sichergestellt, dass nur bestimmte Arzt- und Medikamentenleistungen zu den Bedingungen der Krankenkasse in Anspruch genommen werden könnten. Im Übrigen rechne die Krankenkasse mit dem Sozialhilfeträger nicht nach Versicherungsmaßstäben ab, sondern stelle die Arzt- und Apothekenkosten eines Sozialhilfeempfängers in vollem Umfang dem Sozialhilfeträger in Rechnung. Insbesondere aufgrund des letztgenannten Umstandes sei es unverständlich, dass die Beklagte ohne Rücksicht auf seine grundrechtlichen Belange einen rein formalen Standpunkt einnehme und nicht bereit sei, auf die Anwendung der derzeit geltenden gesetzlichen Regelung zu verzichten, wenn diese eine Verletzung von Datenschutzrechten zur Folge habe. Es gehöre zu ihrem Sozialauftrag, die ihr anvertrauten notleidenden Bürger vor der gesellschaftlichen Missachtung zu bewahren, die mit der Offenbarung des Sozialhilfebezugs zwangsläufig verbunden sei. Als er sich bereit erklärt habe, der gesetzlich ermöglichten Zusammenarbeit der Beklagten mit der Beigeladenen zuzustimmen, habe er keineswegs auch einer Verletzung seiner Datenschutzrechte zugestimmt. Zweck dieser Zusammenarbeit sei lediglich, die Bedingungen der Krankenkasse auch im Sozialhilfebereich zur Anwendung gelangen zu lassen und die frühere Praxis, nach der ein Sozialhilfeempfänger Arzt- und Apothekenleistungen nach Privatversicherungsregeln in Anspruch habe nehmen können, zu unterbinden. Da er aber stets um mäßige Arzt- und Apothekenrechnungen bemüht gewesen sei, könne ihm nicht der Vorwurf gemacht werden, die frühere Praxis auf Kosten der Beklagten ausgenutzt zu haben. Er habe von seinem Arzt mehrfach Probemedikamente als Ersatz für ein ständig von ihm benötigtes Medikament erhalten, so dass insoweit keine Apothekenrechnungen entstanden seien; die Wirkung dieser Ersatzmedikamente habe sich aber als unzureichend erwiesen. Die Beklagte dürfe sich der sozialen Pflicht zur Übernahme seiner Krankheitskosten nicht entziehen. Soweit sie berechtigt an einer Begrenzung der Krankheitskosten von Sozialhilfeempfängern interessiert sei, dürfe sie dieses Interesse nicht unter Verletzung von Datenschutzrechten durchsetzen. Im Übrigen führe der Umstand, dass die gesetzliche Regelung eine Verletzung von Datenschutzrechten beinhalte, notwendig zu ihrer Verfassungswidrigkeit. Da er eine mögliche künftige Änderung nicht abwarten könne, rege er eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Grundgesetz (GG) an.

Der Kläger hat neun weitere Rechnungen für Arzt- und Medikamentenkosten vorgelegt; insgesamt begehre er Kosten für ärztliche Behandlung und Medikamente i.H.v. 945,63 EUR zur Erstattung. Diese setzen sich aus folgenden, vom Kläger im Verwaltungs- bzw. im jetzigen Klageverfahren vorgelegten und von ihm selbst bereits beglichenen Rechnungen zusammen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird:

1. Arztrechnung 30.06.2006 254,93 EUR
2. Apothekenrechnung 06.09.2006 113,95 EUR
3. Arztrechnung 31.10.2006 48,25 EUR
4. Apothekenrechnung 07.12.2006 122,24 EUR
5. Arztrechnung 29.12.2006 10,72 EUR
6. Arztrechnung 19.01.2007 42,65 EUR
7. Apothekenrechnung 08.02.2007 125,40 EUR
8. Arztrechnung 16.02.2007 42,65 EUR
9. Arztrechnung 19.03.2007 25,64 EUR
10. Arztrechnung 05.07.2007 73,90 EUR
11. Arztrechnung 06.07.2007 42,65 EUR
12. Arztrechnung 28.09.2007 42,65 EUR

Die Rechnungen Nr. 10 und 11 sind diejenigen, die der Kläger mit seinem Antragsschreiben vom 24.08.2007 bei der Beklagten zur Erstattung beantragt hatte; die Rechnung Nr. 12 ist diejenige, die er nach Erteilung des Bescheides vom 13.09.2007, aber vor Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2007 mit Schreiben vom 20.09.2007 zur Erstattung bei der Beklagten eingereicht hatte.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2007 zu verurteilen, Krankheitskosten des Klägers i.H.v. 945,63 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Soweit der Widerspruchsbescheid auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 03.06.2006 - 18 K 5432/02 verweise, sei zu ergänzen, dass das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 09.01.2007 - 12 A 2505/05 den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt habe. Wenn der Kläger jetzt insgesamt zwölf Rechnungen vorlege, so seien Gegenstand des Widerspruchsbescheides nur die Rechnungen Nr. 10 bis 12 gewesen, die in der Summe 159,20 EUR als streitgegenständlichen Betrag ausmachten.

Der Kläger hat hierzu ergänzend vorgetragen, zwar seien Gegenstand des Widerspruchsbescheides lediglich drei Rechnungen gewesen. Dies stehe seinem Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Erstattung seiner Kosten auch für die übrigen Rechnungen jedoch nicht entgegen. Denn ein Vorverfahren sei insoweit entbehrlich, weil die Beklagte entsprechend der von ihr vertretenen Rechtsauffassung Erstattungsanträge wegen der weiteren Rechnungen ohnehin abgelehnt hätte. Die Beklagte könne sich hier auch nicht auf den Grundsatz berufen, dass für die Vergangenheit keine Hilfe zu leisten sei. Denn sie habe stets Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger sich in einer Notlage befunden habe, als er die Leistungen der Ärzte und Apotheken in Anspruch genommen habe.

Mit Urteil vom 29.08.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit die Klage über das hinausgehe, worüber die Beklagte in den angefochtenen Entscheidungen entschieden habe, sei die Klage bereits unzulässig. Die Voraussetzungen einer Anfechtungs- und Leistungsklage seien insoweit mangels anfechtbarer Verwaltungsentscheidung nicht erfüllt. Die Klage sei insoweit auch nicht als allgemeine Leistungsklage zulässig, da eine solche Klage nur dann erhoben werden könne, wenn - anders als im vorliegenden Fall - ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen habe. Im Übrigen sei die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger habe als bei der Beigeladenen gem. § 264 SGB V Statusversicherter keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII.§ 264 SGB V in der jetzigen Gesetzesfassung bezwecke eine leistungsrechtliche Gleichstellung von Empfängern von Sozialhilfeleistungen mit gesetzlich Krankenversicherten. Der Sozialhilfeträger trete nur noch als Kostenträger der gewährten Gesundheitsleistungen auf, sei aber im Gegensatz zur bis zum 31.12.2003 geltenden Rechtslage nicht mehr auch Leistungserbringer. Zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Hilfeempfänger bestehe kein primäres Leistungsverhältnis. Mit der Aushändigung der Krankenversichertenkarte werde das eigentliche Leistungsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und der Krankenkasse begründet; der Sozialhilfeträger als ehedem Leistungsverpflichteter werde zum Erstattungspflichtigen und habe die Kosten der Krankenversicherung zu erstatten. Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht etwa deshalb, weil der Kläger die ihm ausgehändigte Krankenversichertenkarte tatsächlich nicht mehr nutze. Ein primäres Leistungsverhältnis zwischen ihm und dem Träger der Sozialhilfe werde hierdurch nicht begründet. Anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger geltend mache, die Ziffernangaben auf der Karte ließen Rückschlüsse auf seine Stellung als Sozialhilfeempfänger zu. Zwar ergebe sich aus der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, dass jener der Auffassung sei, die Offenlegung sei aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht erforderlich. Aus dieser Stellungnahme lasse sich jedoch weder ableiten, dass die gesetzliche Regelung verfassungswidrig sei; hierfür bestehe auch kein Anhalt. Ferner ergebe sich aus der Stellungnahme auch nicht das Bestehen eines unmittelbaren Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung der Arzt- und Medikamentenkosten. Ein solcher Anspruch ergebe sich insbesondere auch nicht aus § 35 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) i.V.m. §§ 67 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sei es dem Kläger im Übrigen durchaus zuzumuten, sich gegenüber Ärzten als Sozialhilfeempfänger zu erkennen zu geben. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liege insoweit nicht vor. Dem geltend gemachten Erstattungsanspruch stehe zudem auch der Grundsatz entgegen, dass Sozialhilfe in gegenwärtiger Not, nicht aber für die Vergangenheit beansprucht werden könne. Der Kläger habe die vorgelegten Rechnungen jeweils bezahlt, bevor er sich an die Beklagte gewandt habe; eine aktuelle Notlage habe zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden.

Gegen das am 11.09.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.10.2008 (Montag) Berufung eingelegt.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.05.2009 haben die Beteiligten folgenden Teilvergleich geschlossen:

1. Die Klage wird auf die Erstattung der Kosten der vom Kläger vorgelegten Arztrechnungen vom 05.07.2007 über 73,90 EUR sowie vom 06.07.2007 über 42,65 EUR beschränkt.

2. Hinsichtlich folgender Rechnungen wird die Beklagte in der Frage der Erstattung entsprechend dem rechtskräftigen Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits verfahren:

1. Arztrechnung 30.06.2006 254,93 EUR
2. Apothekenrechnung 06.09.2006 113,95 EUR
3. Arztrechnung 31.10.2006 48,25 EUR
4. Apothekenrechnung 07.12.2006 122,24 EUR
5. Arztrechnung 29.12.2006 10,72 EUR
6. Arztrechnung 19.01.2007 42,65 EUR
7. Apothekenrechnung 08.02.2007 125,40 EUR
8. Arztrechnung 16.02.2007 42,65 EUR
9. Arztrechnung 19.03.2007 25,64 EUR
10. Arztrechnung 28.09.2007 42,65 EUR

Der Kläger verweist auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, ihm sei nicht zuzumuten, gegenüber Arzthelferinnen, Ärzten oder Apothekern durch Vorlage seiner Krankenversichertenkarte zu offenbaren, dass er Sozialhilfeempfänger sei. Nach seinem Empfinden sei diese Offenbarung des Sozialhilfeempfängerstatus mit gesellschaftlicher Missachtung verbunden, wovor er soweit wie möglich zu bewahren sei. Im Übrigen sei die Verletzung seiner Datenschutzrechte wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in Form einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verfassungswidrig. Dass er die diversen Rechnungen bereits beglichen habe, stehe einer Erstattung im Wege der Sozialhilfe nicht entgegen. Denn er habe, was sich aus seinen (vorgelegten) Kontoauszügen ergebe, die Rechnungen nur durch Verschuldung im Wege der Kontoüberziehung bezahlen können. Eine solche Verschuldung führe nicht zu einer Bedarfsdeckung (BVerwGE 27, 58, 68). Die Überziehung seines Kontos habe an seiner gegenwärtigen Notlage nichts geändert. Belange der Abwicklung der Inanspruchnahme medizinischer Behandlung könnten durchaus "rechnerseits" problemlos ohne eine entsprechende Kodierung der Krankenversichertenkarte erfolgen. Alle Sozialhilfeempfänger treffe die Verachtung der Gesellschaft; dies möge man bedauern, könne es aber nicht leugnen. Gerade im Verhältnis zu Akademikern wie Arzt oder Apotheker sei für ihn die Offenbarung seines Status als Sozialhilfeempfänger besonders unangemessen, weil diese das gesellschaftliche Verhältnis, in denen diese Personen zu ihren Klienten stünden, zwangsläufig verändere. Ihm sei auch kein nur einstweiliges Hinnehmen dieses Zustandes zuzumuten; sei erst einmal der Sozialhilfebezug bekannt, lasse sich dieses Stigma niemals mehr beseitigen. Er besitze eine gesicherte Position in der Gesellschaft, an deren Erhalt ihm dringend gelegen sein müsse. Es sei gerade Aufgabe der Sozialhilfe, ihm diese Position zu erhalten und ihm damit die Möglichkeit zu bieten, trotz seiner wirtschaftlichen Lage weiterhin als geachtetes Mitglied der Gesellschaft zu erscheinen und nicht auf das Niveau von Obdachlosen und Stadtstreichern herabzusinken oder gar als wirtschaftlich Gestrandeter betrachtet zu werden. Das besondere Verhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse, bei der der Träger weiterhin zur Erstattung der Krankheitskosten des Sozialhilfeempfängers verantwortlich bleibe, dürfe nicht zum Vorwand für einen Eingriff in existenzielle Datenschutzrechte des Hilfeempfängers genutzt werden. Der Senat sei angerufen worden, diese Frage zu klären, und er dürfe sich dem nicht zu seinen - des Klägers - Lasten entziehen. Da es um die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung gehe, könne der Senat diese Frage nicht aus eigener Befugnis entscheiden; hierfür sei vielmehr das Bundesverfassungsgericht zuständig. Er - der Kläger - habe einen rechtsstaatlichen Anspruch darauf, dass der Senat diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Vorabentscheidung vorlege.

Der Kläger beantragt im Anschluss an den geschlossenen Teilvergleich noch,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.08.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2007 zu verurteilen, Krankheitskosten des Klägers i.H.v. 116,55 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das Urteil des Sozialgerichts. Für eine analoge Anwendung des § 264 SGB V bestehe mangels Regelungslücke kein Raum. Die Übernahme beim Kläger entstandener Schulden sei - neben den Gründen der Ablehnung aus § 48 SGB XII - nicht Aufgabe der Sozialhilfe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten (Verwaltungsakte der Beklagten, Akte des Verwaltungsgerichts Köln 18 K 5432/02) Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

I. Zwar ist die Klage im Anschluss an den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschlossenen Teilvergleich jedenfalls im jetzt noch streitigen Umfang ohne Einschränkungen zulässig. Insbesondere ist für die beiden jetzt noch zur Erstattung begehrten Rechnungen vom 05. und 06.07.2007 das erforderliche Verwaltungs- und Vorverfahren (§ 78 SGG) durchlaufen worden, da sich sowohl der Ausgangsbescheid vom 13.09.2007 als auch der Widerspruchsbescheid vom 16.11.2007 hierüber verhalten.

II. Die Klage und damit auch die Berufung sind jedoch nicht begründet. Denn die angefochtene Entscheidung der Beklagten verletzt den Kläger nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten.

Denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte außerhalb der ihm ermöglichten Absicherung gegen Krankheitskosten im Rahmen des § 264 Abs. 2 SGB V für ihn Leistungen für ärztliche Behandlungen oder für Kosten seiner Medikamente erbringt.

1. Dass die dem Kläger im Rahmen seiner Absicherung nach § 264 Abs. 2 SGB V von der Beigeladenen zur Verfügung gestellte Krankenversichertenkarte bei bestimmungsgemäßer Verwendung seinen Bedarf an medizinischer Versorgung an sich decken würde, bestreitet auch der Kläger nicht. Ebenso wenig stellt er in Frage, dass den begehrten Leistungen, die nach der gesetzlichen Systematik allenfalls in § 48 SGB XII verortet werden könnten, sein Recht auf Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V entgegensteht; denn nach § 48 Satz 2 SGB XII gehen die Regelungen des § 264 SGB V den Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII ausdrücklich vor.

2. Ist damit nach der einfach-gesetzlichen Rechtslage die vom Kläger begehrte Leistung nicht möglich, so ist sie dem Kläger auch nicht etwa von Verfassungs wegen von der Beklagten zu gewähren:

Der Senat kann dabei offen lassen, ob die - im Ansatz möglicherweise bedenkenswert erscheinenden - Einwände des Klägers gegen die Erkennbarkeit seiner Versorgung als Sozialhilfeempfänger nach § 264 SGB V aus den kodierten Angaben auf der Krankenversichertenkarte jedenfalls deshalb nicht durchschlagen könnten, weil derartige Angaben auf der Krankenversichertenkarte aus sozialverwaltungstechnischen Gründen unerlässlich wären.

Denn etwaige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ersichtlichkeit der Versorgung des Kläger nach § 264 Abs. 2 SGB V aus der Zahlenkodierung seiner Krankenversichertenkarte wären ohnehin allein im Verhältnis des Klägers zur Beigeladenen als dem zuständigen Leistungserbringer zu klären:

Nach § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V werden den Krankenkassen die Aufwendungen, die ihnen durch die Übernahme der Krankenbehandlung nach Abs. 2 der Vorschrift entstehen, von den für die Hilfe zuständigen Trägern der Sozialhilfe vierteljährlich erstattet. Das ist die notwendige Folge daraus, dass zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Hilfeempfänger hinsichtlich seiner Krankheitskosten kein primäres Leistungsverhältnis besteht (so auch LSG NRW, Urteil vom 19.04.2007 - L 9 SO 5/06). Denn mit der Wahl einer Krankenkasse durch den Leistungsberechtigten (nach § 264 Abs. 3 Satz 1 SGB V) oder durch seine Anmeldung durch den Hilfeträger bei einer Krankenkasse wird ein (im Vergleich zur bis Ende 2003 bestehenden Regelung andersartiges) Leistungsverhältnis begründet, das mit Aushändigung der Krankenversichertenkarte zwischen der Krankenkasse und dem Leistungsempfänger selbst besteht (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 48 Rn. 30 mit Hinweis auf Zeitler, NDV 2004, 50; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Loseblatt, Stand März 2009, § 48 Rn. 5). Der Sozialhilfeträger ist, anders als nach der vor 2004 geltenden Rechtslage, nurmehr ein Erstattungspflichtiger, und die Hilfe bei Krankheit wird auf eine sekundäre Ebene verschoben (Wahrendorf, a.a.O.). Die nur noch gegen die Krankenkasse bestehenden Leistungsansprüche führen dazu, dass bei Streitigkeiten über die zu erbringenden Leistungen Rechtsbehelfe gegen die Krankenkasse zu richten sind (Schlette, a.a.O., m.w.N.). Ob die Modalitäten der Abwicklung der Leistungsbeziehungen des Klägers zur Krankenkasse durch die Krankenversichertenkarte mit Blick auf die bei entsprechender Kenntnis des Zahlencodes bestehende Ersichtlichkeit einer Krankheitskostenabsicherung nach § 264 Abs. 2 SGB XII das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers verletzen, ist deshalb im Verhältnis mit dem Leistungserbringer, also der Beigeladenen, zu klären, welche die Krankenversichertenkarte zur Erbringung ihrer Leistungen (nicht der Leistungen der Beklagten) schließlich verwendet: Die Frage einer Verfassungswidrigkeit des § 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V ist mithin nicht im Verfahren um Leistungen nach dem SGB XII gegen den Sozialhilfeträger zu klären, sondern ggf. in einem Verfahren um Leistungen nach dem SGB V gegen die Krankenkasse.

Zu klären, ob im Rahmen einer rechtmäßigen Anwendung des SGB V von Verfassungs wegen entgegen der einfach-gesetzlichen Regelung in § 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V ein Anspruch auf Erteilung einer Krankenversichertenkarte ohne die vom Kläger gerügte Ersichtlichkeit seines Leistungsempfängerstatus aus der Kodierung der Karte besteht, ist nicht Aufgabe des Senats. Der Kläger mag dies in einem Verfahren gegen die Beigeladene betreffend das SGB V klären. Eine dort ggf. bestehende Verfassungswidrigkeit könnte ggf. im Rahmen des SGB V (z.B. durch andere Abrechnungsmodalitäten, etwa über eine Direktabrechnung ohne Nutzung einer Krankenversichertenkarte) berücksichtigt werden. Im SGB XII nicht vorgesehene Leistungsansprüche sind jedenfalls wegen etwaiger Mängel der Leistungserbringung nach dem SGB V nicht begründbar. Da der Kläger im vorliegenden Verfahren ausdrücklich Leistungen gerade nach dem SGB XII also solche des Sozialhilfeträgers und eben nicht nach § 264 Abs. 2 SGB V als solche der Krankenkasse verlangt, kam von vornherein auch nicht etwa eine Verurteilung der TKK und damit die Verlagerung des Streits in den Rechtsbereich des SGB V in Betracht.

Will der Kläger die von ihm aufgeworfenen Fragen in einem Verfahren klären, in dem er sich von vornherein nicht gegen den zutreffenden Leistungserbringer wendet, besteht auch von vornherein kein Grund zu einer Aussetzung des vorliegenden Verfahrens und Anrufung des Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die eine mögliche Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des SGB V (insbesondere des § 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V). Ob ein Normenkontrollverfahren i.S.v. Art. 100 GG in einem ggf. gegen die Beigeladene geführten, anderen Verfahren notwendig erschiene, hat der Senat im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu beurteilen; dies obläge allein dem in jenem weiteren Verfahren ggf. zuständigen Spruchkörper.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved