L 10 R 5272/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 4734/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5272/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.09.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Streit steht der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der 1969 in der T. geborene Kläger war in Deutschland mit Unterbrechungen von 1988 bis Februar 2003 als ungelernter Arbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Er bezieht seit dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II.

Der Kläger beantragte am 27.06.2006 bei der Beklagten wegen Erkrankungen der Halswirbelsäule, Hüftbeschwerden, einer Arthrose am rechten Ellenbogen, einem Magengeschwür und Ohrenbeschwerden zum wiederholten Male die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Untersuchung des Klägers am 15.08.2006 erachtete der Facharzt für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen Dr. S. auf Grund der von ihm erhobenen Befunde (chronisch-rezividierendes HWS-Syndrom bei osteochondrotischern Veränderungen und Bandscheibenvorfall C 6/7 rechts, angegebene intermittierende Cervikobrachialgien rechtsbetont, chronisch-rezividierendes LWS-Syndrom bei Fehlhaltung im Sinne einer Torsionsskoliose und lumbosacraler Übergangsstörung sowie Bandscheibenvorfall L 4/5 links, angegebene intermittierende Lumboischialgien links, depressives Syndrom mit Somatisierungsstörung, Rotatorenmanschettendegeneration rechtes Schultergelenk ohne wesentliche Funktionseinschränkung, belastungsabhängige Gonalgien rechtsbetont bei degenerativen Veränderungen und Meniskopathie, Hüftsdysplasie beidseits ohne wesentliche Funktionseinschränkung, Schwerhörigkeit rechts nach Tympanoplastik 1991, medikamentöse Substitutionstherapie bei Struma nodosa mit hyperthyreoter Stoffwechsellage) leichte bis mittelschwere Wechseltätigkeiten ohne häufige Zwangshaltungen der Wirbelsäule, häufige Überkopfarbeiten und häufiges Bücken, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten und ohne ständig erhöhten Zeitdruck oder Nachtschichtarbeit weiterhin vollschichtig für möglich.

Mit Bescheid vom 18.08.2006 und Widerspruchsbescheid vom 16.11.2006 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab.

Mit seiner hiergegen am 21.12.2006 beim Sozialgericht Heilbronn erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung geltend gemacht und sich zur Begründung auf die von Dr. S. abweichende Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit durch seine behandelnden Ärzte Dr. Kr. (Ärztin für Neurologie und Psychiatrie) und Dr. Ba. (Internist) berufen. Die vom Sozialgericht als sachverständige Zeugen befragten Fachärzte für Orthopädie Dr. von C. und Dr. I. haben den Kläger für in der Lage gehalten, bei Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Umfang von sechs Stunden täglich zu verrichten. Auch das auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beim Facharzt für Orthopädie Dr. D. eingeholte Gutachten hat eine vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Ausschluss von Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, von Überkopftätigkeiten, Tätigkeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, regelmäßig gebückten Tätigkeiten sowie Tätigkeiten in Nässe, Kälte und Zugluft ergeben. Die vom Kläger geäußerten multiplen Beschwerden an unterschiedlichen Gliedmaßen, die sich klinisch und radiologisch nicht nachvollziehen ließen, müssten im Zusammenhang mit einem Verdacht auf eine Somatisierungsstörung gesehen werden.

Mit Urteil vom 25.09.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf das Gutachten von Dr. S. sowie die Bestätigung seiner Leistungsbeurteilung durch die behandelnden Orthopäden und den auf Antrag des Klägers beauftragten Sachverständige Dr. D. gestützt. Das auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet beim Kläger bestehende depressive Syndrom mit Somatisierungsstörung führe nicht zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Gegen eine erhebliche Störung sprächen die von der behandelnden Nervenärztin Dr. Kr. mitgeteilten Befunde sowie der Umstand, dass Dr. S. und Dr. D. keine weitere nervenärztliche Begutachtung für angezeigt gehalten hätten. Das Urteil ist der Bevollmächtigten des Klägers am 17.10.2008 zugestellt worden.

Mit seiner am 14.11.2008 eingelegten Berufung hat der Kläger gerügt, das Sozialgericht habe sich nicht ausreichend mit der von mehreren Gutachtern festgestellten Somatisierungsstörung auseinandergesetzt. Es sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er trotz Therapierbarkeit seiner Schmerzen nicht in ärztlicher Behandlung sei.

Der Senat hat sachverständige Zeugenaussagen von Dr. Kr. und Dr. Ba. eingeholt. Dr. Kr. hat mitgeteilt, dass beim Kläger eine mittelgradige depressive Erkrankung bestanden habe, die sich auf Grund einer bis Ende 2006 durchgeführten antidepressiven medikamentösen Therapie bis Februar 2007 zurückgebildet habe. Die daneben beklagten Schmerzen im HWS- und BWS-Bereich bestünden fort und stünden im Vordergrund. Dr. Ba. hat angegeben, der Kläger stehe bei ihm in laufender Behandlung wegen psychovegetativer Ober- und Unterbauchbeschwerden. Eine Gastroskopie und eine Koloskopie im Mai 2008 hätten unauffällige Ergebnisse erbracht. Ein bereits im April 2004 nachgewiesener Bandscheibenvorfall L 4/5 mit zeitweilig auftretender Radikulopathie sei bislang ohne sensomotorische Lähmungserscheinungen. Die Frage (Nr. 3 der Anfrage des Senats vom 26.01.2009), inwieweit sich nach seinen Feststellungen die beim Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen im Einzelnen bei einer beruflichen Tätigkeit seit 01.01.2006 auswirken, hat er nicht beantwortet und die Frage (Nr. 4), ob der Kläger nach seinen Feststellungen noch in der Lage sei, seit dem 01.01.2006 leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden täglich zu verrichten, bejaht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.09.2008 sowie den Bescheid der Beklagten von 16.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise, Dr. Ba. ergänzend dazu zu befragen, auf welcher Grundlage seine Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Klägers sich geändert hat und ihm aufzugeben, die Beweisfrage Nr. 3 vom 26.01.2009 zu beantworten sowie seine Einschätzung zu Beweisfrage Nr. 4 entsprechend der Anfrage des Gerichts zu erläutern sowie ihn im Hinblick auf die Somatisierungsstörung durch einen speziellen Fachgutachter begutachten zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung des Antrags des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 18.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht erfüllt, weil er zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig ausüben kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den im Tatbestand zusammengefassten Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass der Senat auch unter Berücksichtigung der vom Kläger zur Begründung seiner Berufung angeführten Auskünfte von Dr. Kr. und Dr. Ba. nicht von einer rentenrelevanten Erwerbsminderung überzeugt ist. Die Einschätzung von Dr. Kr. in ihrer Bescheinigung vom 25.04.2006, der Kläger sei in absehbarer Zeit nicht in der Lage, Arbeiten von Erwerbswert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch nur teilschichtig auszuüben, wird von den ihr mitgeteilten Befunden (affektiv gut schwingungsfähig, keine Suizidalität, keine formalen und inhaltlichen Denkstörungen, mnestische Funktionen intakt) nicht gestützt. Da erhebliche Auswirkungen der von ihr diagnostizierten mittelgradigen Depression auf die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht ersichtlich sind, ist nicht weiter zu ermitteln, ob sich das psychische Befinden des Klägers durch die medikamentöse antidepressive Therapie bis zum 08.11.2006 stabilisiert (Bericht von Dr. Kr. vom 11.01.2007), spätestens aber bis Februar 2007 zurückgebildet (sachverständige Zeugenaussage von Dr. Kr. vom 29.01.2009) hat oder schon am 15.08.2006 - als Dr. S. nach Untersuchung des Klägers eine tiefergehende krankheitswertige Depression ausschloss - nicht mehr relevant war.

Soweit auch Dr. Ba. in seinem ärztlichen Befundbericht vom 10.08.2006 eine Erwerbsminderung des Kläger bescheinigt hat, folgt der Senat dem nicht, weil dieser ausdrücklich die - nach Auffassung des Senats nicht zutreffende - Einschätzung von Dr. Kr. übernommen hat. Auch in seinem mit Bezug auf einen früheren Widerspruch verfassten Brief vom 18.09.2006 hat er die von ihm berichtete Minderung des Leistungsvermögens des Klägers auf nicht mehr als drei Stunden täglich neben einer multimorbiden Erkrankung seitens der orthopädischen Befunde "vor allem" mit einer endogenen Depression des Klägers begründet. Im Übrigen teilt er in beiden Schreiben ebenfalls keine eigenen auf eine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI hinweisenden Befunde mit.

Den Antrag des Klägers auf Nachfrage bei Dr. Ba. lehnt der Senat ab, da die vom sachverständigen Zeugen mitgeteilten Befunde seine Leistungsbeurteilung stützen und in sich widerspruchsfrei sind. Im Hinblick darauf, dass Dr. Ba. in seiner letzten Auskunft an den Senat nunmehr ausdrücklich die orthopädischen Erkrankungen für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers für maßgeblich hält, wohingegen er seine frühere, abweichende Leistungsbeurteilung auf die - für ihn ohnehin fachfremde - nervenärztliche Beurteilung durch Dr. Kr. gestützt hat, ist eine weitere Erläuterung seiner Einschätzung entbehrlich.

Auf die von Dr. Kr. im Schreiben vom 25.04.2006 bescheinigten Schmerzen wegen der Hals- und Lendenwirbelsäulenerkrankung mit Ausstrahlungen in Arme und Beine, die nach ihrem Bekunden seit Besserung der depressiven Erkrankung im Vordergrund standen, kann der Kläger seinen Rentenanspruch ebenfalls nicht mit Erfolg stützen. Da sich diese Beschwerden mangels entsprechender objektiver Befunde - für das internistische Fachgebiet hat Dr. Ba. im Hinblick auf die Bauchbeschwerden des Klägers Entsprechendes berichtet - nicht nachvollziehen lassen, liegt tatsächlich der von mehreren Ärzten geäußerte Verdacht auf eine Somatisierungsstörung (Gutachten des Dr. S. und des Dr. D. ; in diesem Sinne auch der Bericht des ärztlichen Direktors der Abteilung für Innere Medizin des Krankenhauses Bietigheim, Dr. W. , vom 16.01.2006: eine erhebliche psychosomatische Komponente bestimme das Beschwerdebild wesentlich mit; Bericht des ärztlichen Direktors der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hämato-Onkologie, Prof. Dr. Wa. , vom 09.05.2008: rezidivierende unklare Bauchschmerzen, am ehesten funktioneller Genese) nahe, auch wenn die behandelnde Nervenärztin Dr. Kr. diese Verdachtsdiagnose nicht einmal erwähnt. Weitere Ermittlungen zur diagnostischen Abklärung einer Somatisierungsstörung beim Kläger sind gleichwohl nicht angezeigt, da auch bei Annahme einer solchen Erkrankung im Hinblick auf die von den Gutachtern abgegebene Leistungsbeurteilung keine Leistungsminderung des Klägers besteht. Dr. S. hat - ebenso wie Dr. D. - bei seiner Leistungsbeurteilung eine Somatisierungsstörung nämlich ausdrücklich berücksichtigt. Beide Gutachter haben trotzdem ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis sogar mittelschwere Tätigkeiten bei nur wenigen qualitativen Leistungseinschränkungen bejaht. Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Den Antrag des Klägers auf Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen zur Somatisierungsstörung lehnt der Senat deshalb ab.

Weiterer Ausführungen bedarf es damit weder zu der vom Sozialgericht aufgeworfenen Frage, ob die Schmerzzustände durch eine spezielle Schmerzbehandlung innerhalb von sechs Monaten "überwindbar" sind noch zu der fraglichen Relevanz diese Aspektes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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